Carl von Ossietzky
Sämtliche Schriften 1929 - 1930
Carl von Ossietzky

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Das Grab des bekannten Soldaten

In der französischen Kammer war neulich große Aufregung, weil in rheinischen Kasernen während der großen Kälteperiode zwei- bis dreihundert Soldaten infolge schlechter Unterbringung elendiglich zugrunde gegangen sind. Eine traurige Tatsache, die sehr gegen die Wachsamkeit des ausgezeichneten Mathematikprofessors Painlevé spricht, aber auch gegen gewisse deutsche Propagandisten, die es so darstellen, als ob jeder kleine Poilu am Rhein ein Paschadasein führte. Schon die verruchte »schwarze Schmach« wurde vornehmlich von armen verprügelten Teufeln repräsentiert.

Hell flammte die Empörung in Frankreich auf, um ebenso schnell in Nationaltrauer umzuschwenken, nicht um die zweihundertfünfzig am Frosttod Dahingegangenen, sondern um den großen Marschall. Der Sieger der größten Schlacht aller Zeiten, der Schlacht von den belgischen Dünen bis zu den lothringischen Tannen, Ferdinand Foch, liegt mit feierlichem Pomp gebahrt am Triumphbogen, der große Soldat neben dem kleinen, das Idol neben dem Symbol. Der Berühmte, nahe den Achtzig, ehrengesättigt, langsam verdämmert, und der Andre, der aus einem namenlosen Leben frühzeitig in eine namenlose Unsterblichkeit hinübergehen mußte. Wenn sich ein Dichter fände, der das nächtliche Geflüster dieser beiden Seelen erlauschte! What price glory? Der unbekannte Soldat kann mehr darüber erzählen als sein bekannter Chef.

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Das zu sagen, ist berechtigt, wer den Krieg über alles verabscheut. Wer, wie die deutschen Nationalisten, ihn heiß bejaht, darf den Marschall weder lästern noch verkleinern, nur weil er schließlich die deutschen Feldherrn besiegt hat. Es ist ein törichter Einwand zu sagen, Foch hätte einfach »Glück« gehabt. Bei allen großen Kriegsherrn der Geschichte war der Glaube an ihr Glück ein nicht unbeträchtlicher Teil vom Geheimnis ihrer Erfolge; erst wenn sie ihren Stern sinken fühlten, sanken sie selbst und verloren die Fähigkeit, zu fascinieren und mitzureißen. Es gibt keinen bedeutenden Militärtheoretiker, der nicht dem Kriegsglück eine beachtliche Bedeutung zuwiese. Die französische Revolution köpfte ihre unglücklichen Generale und belebte damit stark die moralischen Potenzen der Truppenführer, die auf ihrer Degenspitze das Schicksal Frankreichs trugen, und Friedrich der Große hatte eine fast abergläubische Angst vor Offizieren, die nicht »Fortune« hatten. Der Glaube an den Stern ist gradezu die seelische Voraussetzung dieses absurden Berufes. Wer ihn nicht hat, mag seine Uniform noch so martialisch tragen: er ist der geborene Zivilist.

Noch törichter ist bei Militaristen der Einwurf, Foch wäre ein »Blutsäufer« gewesen. Als ob unsre Generale ausschließlich Limonade verschüttet hätten! Es gibt zum Beispiel einen General, der bei Ypern kommandiert hat und dem vornehmlich die Schuld zufällt, daß bei uns die Jahrgänge 1893 bis 1897 so dünn vertreten sind. Foch hatte die Besessenheit seines Berufes; er glaubte an den Angriffselan als Radikallösung für alles. Im entscheidenden Augenblick konnte er, der berühmte Theoretiker und alte Lehrer der Kriegskunst, sich merkwürdig primitiv ausdrücken. Jean de Pierrefeu schildert in seinem »Plutarch hat gelogen«, dieser glänzenden Satire auf die Strategie, wie Foch im März 1918 vor dem Interalliierten Rat von Doullens, der über die Frage des einheitlichen Oberkommandos entscheiden sollte, seine Ideen entwickelte. Er betonte immer wieder, es gebe nur hartnäckigen Willen zum Widerstand und Vertrauen. »Der Sieg ist ein Sack, den man mit Faustschlägen bearbeitet!« rief er und machte dazu die entsprechenden Bewegungen. Das ist gewiß sehr naiv gedacht und gesprochen. Aber wann wäre jemals die hohe Strategie, wenn sie die fürs Publikum bestimmten literarischen Flausen läßt, anspruchsvoller gewesen? Ein großer Teil der deutschen Presse hat sich in den Nekrologen für Foch wieder einmal abscheulich blamiert. In zehn Jahren hat man noch nicht gelernt, die Niederlage mit Anstand zu tragen. Es gilt den Krieg zu beseitigen. Mit dem kläffenden Neid auf den Sieger ist gar nichts getan.

Wie es auch mit dem Genie des Marschalls Foch bestellt gewesen sein mag, den beiden Ganzgöttern des deutschen Generalstabs und ihren ungezählten Halbgöttern hatte er jedenfalls die wichtige Erkenntnis voraus, daß im Krieg der Militär sich auf sein Fach beschränken muß, dagegen das bürgerliche Element nicht einfach als Nichtigkeit oder als Belästigung ausgeschaltet werden darf. Bei den Alliierten haben die Politiker immer ihre Autorität gegenüber den Generalen gewahrt. »Weil die deutsche Kriegerkaste mit ihrem Geist und ihren Ansprüchen alles beherrschen konnte, weil sie von der bürgerlichen Mitarbeit nur das durchaus Unerläßliche angenommen hat, ist sie besiegt worden durch Völker, bei denen das Zivilgesetz vorherrschte«, sagt Jean de Pierrefeu. Der alte Foch war am Verhandlungstisch gewiß ein ungemütlicher Gegner und so oft er sich auch mit Clemenceau raufte, nie wäre es ihm eingefallen, in dessen Bereiche einzubrechen und sich Funktionen anzumaßen, die ihm nicht zukamen. Bei Ludendorff dagegen war man immer im Zweifel, ob er mehr an seine Aufgabe als Feldherr dachte oder an seine Pläne für die innenpolitische Diktatur.

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Foch hat die größte Armee der Weltgeschichte geführt und die größte Schlacht geschlagen. Dennoch stirbt er als ein Überholter. In diesen zehn Jahren haben sich die Kriegsmittel so sehr verändert, daß in einem kommenden Krieg nichts mehr an die Formen des letzten erinnern wird. Foch, der unser Zeitgenosse war, steht trotzdem Hannibal näher als dem Generalissimus der Zukunft. Es wird dann nicht mehr Sieger und Besiegte geben, sondern nur noch Tod und Zerstörung. Ferdinand Foch war: der letzte Sieger.

Die Weltbühne, 26. März 1929


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