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Durch zehn Jahre ging in Genf zwischen fahlen Politikergesichtern und ältlichen Diplomaten mit rosigem Spanferkelteint ein großer knochiger Mann mit weißem herabhängendem Schnurrbart und freundlich nachdenklichen Augen. Das war Frithjof Nansen, der Vertreter Norwegens, der mehr für die Mitwelt getan hat als der ganze Völkerbund in zehn Jahren und der einer jener großen Soldaten der Menschheit gewesen ist, die Leben retten und nicht zertrampeln. Wir liebten von der Jungenszeit her dies Gesicht mit dem verwilderten Bartwuchs zwischen der Bärenfellkapuze. Es war so viel Abenteuer und Romantik daran. Alles das hätte genügt, ein Leben zu füllen.
Doch das große Abenteuer kam erst in den letzten zehn Lebensjahren des Mannes, als er lange der Arktis entsagt hatte. Da wurde er das praktische Genie der Humanität in den ersten schlimmsten Nachkriegsjahren. Er holte die Kriegsgefangenen aus allen Zonen heim, er mobilisierte die Hilfe für die russischen Hungerprovinzen, er warf den großen Herren vom Völkerbund in flammenden Worten ihre Geistesroheit und Herzensträgheit vor. Was wäre in den verrückten Jahren von Neunzehn bis Dreiundzwanzig ohne ihn aus Millionen von Europäern geworden? Diesem zum Kosmopoliten gewordenen Norweger, der schließlich dem ganzen Erdenrund gehörte, ist der Nansenpaß für die Unsterblichkeit sicher.
Humanität steht heute nicht hoch im Kurs. Daß sie noch immer wirken kann, wenn sie aus einer machtvollen Persönlichkeit dringt, die keine doppelte ethische Buchführung kennt und keine nationalen Reservate, zeigt das Beispiel Frithjof Nansens, der, aus seiner soliden nordischen Bürgerlichkeit wachsend, groß genug wurde, um durch das Medium der Güte Allerfremdestes zu verstehen, selbst an die Zukunft Rußlands zu glauben, als der Bürgerkrieg durch die Steppe raste und Moskau am Erliegen war. Wer ihn einmal reden gehört hat, wird niemals diese hohe chevalereske Gestalt vergessen, niemals den höflichen Klang seiner Stimme. Der Menschenfreund Nansen war weder weichlich und sentimental noch Fanatiker. Er hatte nicht nur ein gutes Herz sondern auch viel Verstand. Das war das Geheimnis seiner Erfolge. Das unterschied ihn von den vielen wirkungslosen Menschenfreunden, die alle Welt umarmen möchten aber dem Verstand gram sind.
Die Weltbühne, 20. Mai 1930