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Wissen Sie, was die Spio ist? Spio, das ist ein häßliches Wort für eine häßliche Sache. Spio, das ist die Spitzenorganisation der Filmindustrie. Wie das Reichsfilmblatt berichtet, hat neulich in Berlin eine Vorstandssitzung dieser Spitzen stattgefunden, der Herr Klitzsch, Generaldirektor von Scherl und Ufa, als höchste Spitze vorstand. Sinn der Beratungen war, sich endlich darüber klar zu werden, warum es dem deutschen Film so miserabel geht. Wer einmal eine Zusammenrottung von Filmcäsaren gesehen hat, wird von dieser Tagung keine Zeugnisse innerer Einkehr erwarten. So wurde auch hier nichts über die Fehlleistungen des eignen Stalls gesagt, die leicht genug aufzuzählen sind; nach gutdeutscher Art wurde vielmehr nach einer tückischen außerweltlichen Kraft gesucht, die das deutsche Filmhandwerk schädigt. Die Kritik ist schuld! das war der Tenor der Entschließungen. Niemand in dieser illustren Versammlung hat sich mit den Einwänden der Kritik befaßt, unter der Leitung des Scherlgenerals erklärte man sich von hinten angedolcht, und deshalb soll dem bösen Feind jetzt das Messer entwunden werden: bei einer schlechten Kritik in der Tagespresse »solle in jedem Fall sowohl in der Öffentlichkeit, sowie dem einzelnen Verlagsunternehmen gegenüber das Unsachliche und Ungehörige der Kritik unter genauer Prüfung der Eignung und Vorbildung des Kritisierenden bekanntgegeben werden«.
Wir wollen uns nicht bei dem elenden Deutsch dieser Conclusion aufhalten, es ist von edelster Reinheit neben der Gesinnung darin. Wenn in Zukunft Herr X. in seiner Zeitung schreibt, daß der Film »Die Räuber-Komteß« albern und geschmacksverderbend ist, erscheint die Polente der Spio beim Verleger und beweist, mit sanftem Hinblick auf eine mögliche Sistierung von Inseraten, daß sich Herr X. seiner Vorbildung nach nicht zur Filmkritik eigne. Nun gibt es in der Filmsparte unsrer Zeitungen gute und mittelmäßige Schreiber, sichere und unsichere Beurteiler, aber es gibt nicht einen, der für seinen Auftrag so völlig ungeeignet wäre, wie jene größenwahnsinnig gewordenen Hosenhändler, die das Gros der Filmindustrie bilden und für die künstlerische Verkommenheit des deutschen Films und seinen geschäftlichen Niedergang verantwortlich sind. Der weitere Verlauf der Tagung zeigte deutlich, warum die Herren von der Spio so unruhig sind. Die gute Aufnahme amerikanischer und französischer Filme verstimmt sie, sie wittern bei einzelnen Kritikern, die sich von Russenfilmen begeistern lassen, politische Vorurteile. Die Filmindustrie ist entschlossen, eine zeitgemäße Fridericusstellung zu beziehen, sie will definitiv nach rechts, und die polemische Gaswolke gegen die Kritik soll nur die Strategie vernebeln. Herr Aros, des Teutonen Hugenberg semitischer Kinopressechef, hat schon im ›Montag‹ Film und Filmindustrie für die »Millionen rechtsgerichteter Deutscher« annektiert.
Die Filmindustrie will sich also keine Kritik mehr gefallen lassen. Sie denkt nicht daran, die Ursache ihrer Niederlagen bei ihrer Unfähigkeit und ihrem fetten, kunstfremden Banausentum zu suchen. Sie organisiert lieber eine Tscheka, um unbefangene und kenntnisreiche Journalisten wirtschaftlich zu demolieren. Denn sie weiß, daß viele Zeitungen ihre Inserate nur schwer entbehren können oder entbehren zu können glauben. Die Verleger denken auch gar nicht daran, die Journalisten so zu bezahlen, daß sie die Welt ähnlich angenehm sehen wie die Filmindustriellen, für die der holde Widerschein des Lebens in einer zwanglosen Mischung von venezianischer Nacht und schwarzwälder Kirchweih besteht. Nicht alle Verleger werden dieser Tscheka die gebührende Antwort geben und die Herren von der Spio mit ihrem beträchtlichsten und empfindlichsten Körperteil unbarmherzig auf die Spitze drücken, die sie zu sein vorgeben.
Die Magnaten von der Spio sind stur, aber sie sind in ihrer Art gründlich. Es ist ihnen nicht entgangen, daß Provinzblätter häufig berliner Filmkritiken nachdrucken. Das wurmt sie. »Hier wurde gefordert«, heißt es im Bericht der Tagung, »daß die Theaterbesitzer im Reich die Verlagsanstalten ersuchen sollen, die Kritik auf Grund der Anschauung der eignen Redakteure vorzunehmen.« Auf Deutsch: man will auch die Provinzpresse einschüchtern, indem ihr der kritische Bericht über berliner Filmpremieren verwehrt werden soll. Die Filmkritik in der Provinz soll aufgebaut sein auf einem Akkord zwischen Kinobesitzer und Zeitungsbesitzer. Hier rennt die Spio offene Verlagstüren ein: so ist es in der Provinz großenteils schon immer gewesen.
Dennoch wollen wir der Spitzenorganisation nicht undankbar sein: die rabiate Nervosität ihrer gutgepolsterten Herren zeigt uns, wie bedenklich es mit dem deutschen Film steht. Jahrelang hat man dem Publikum einen mehr oder weniger nett garnierten Mumpitz vorgesetzt, und jetzt hat es davon genug und muckt auf. Immer häufiger schrillen in Berlin die Pfiffe grade in die Filme, die von den routinierten Schlauköpfen für bombensicher gehalten wurden. Und auch die Provinz beginnt zu revoltieren. Ganz zufällig kam mir in diesen Tagen ein Aufsatz des ausgezeichneten essener ›Scheinwerfers‹ in die Hand, der seine Leserschaft aufruft, dagegen Front zu machen, daß die Filmindustrie das Provinzpublikum für »eine Bande von Idioten und Rheinwein-Besoffenen« hält. Die Generaldirektoren spüren die Krise, aber sie deuten sie falsch. Sie wollen, wie alle schlechten Regenten, die Unzufriedenheit mit dem Polizeisäbel bekämpfen; anstatt für Brot zu sorgen, jagen sie nach Demagogen. Wenn der deutsche Film nahe vor dem Ruin steht, verdankt er es jener dickgefressenen Crapule des Geschäftslebens, die sich an entscheidenden Stellen seine Oberleitung angemaßt hat. Die Kritik dagegen hat das Verdienst, den Film aus der dubiosen Amüsiersphäre herausgehoben und den Anspruchsvollern nahgebracht zu haben. In der Kritik saßen die ersten liebevollen Analytiker des Films, wie Hans Siemsen, ihnen verdankt der Film seine Nobilitierung, ihnen, daß er andern Künsten gleichgesetzt wurde. Die Herren von der Industrie sind allerdings vorwiegend der Meinung, daß sie nicht Kunst produzieren sondern Margarine, und daß Margarine keiner ästhetischen Beurteilung unterliegt. Das ist zynisch und wäre konsequent, wenn man sich dann auch das Lob verbitten würde. Aber die Herrschaften verschmähen nicht die gute Kritik, sie wollen sie sogar mit Einsetzung ihrer wirtschaftlichen Machtmittel erzwingen. Es wird die Aufgabe der Kritik sein, mit Hilfe der Schriftstellerverbände, ihre Unabhängigkeit zu wahren und in verdoppelter Aufklärungsarbeit die Sehkraft des schon skeptisch gewordenen Publikums zu schärfen, damit die Hochmögenden der Industrie recht bald zu der Margarine zurückgeschickt werden, die sie ohne Berechtigung verlassen haben. Denn im Gegensatz zum Filmproduzenten untersteht der Margarineproduzent den Gesetzen gegen die Verfälschung von Nahrungsmitteln. Niemand soll sich seinem ordentlichen Richter entziehen, indem er mit seinen Panschertalenten in eine Branche flüchtet, die nur den ungeschriebenen Gesetzen des Geschmacks untersteht.
Die Weltbühne, 4. November 1930