Carl von Ossietzky
Sämtliche Schriften 1929 - 1930
Carl von Ossietzky

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George Grosz-Prozeß – Schober – Masaryk – Grzesinskis Abgang – Krach beim Genossen Z.

Am 20. Dezember 1928 sind George Grosz und sein Verleger Wieland Herzfelde vom Schöffengericht Charlottenburg wegen Gotteslästerung verurteilt worden. Es handelte sich dabei um die bekannten Blätter für Piscators Schwejk-Aufführung, von denen eines besonders, der Kruzifixus mit Gasmaske und Soldatenstiefeln, die Denunzierwut kriegswütiger Frommer angeregt hatte. Am 10. April 1929 wurden die Angeklagten von der Berufungskammer, der II. großen Strafkammer des Landgerichts III. Berlin, freigesprochen. Doch am 27. Februar 1930 ist dieses freisprechende Urteil vom II. Strafsenat des Reichsgerichts wieder aufgehoben und dem Antrag des Reichsanwalts stattgegeben worden, die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuverweisen. Das Reichsgericht hat alle trüben Erwartungen, die sich an diese Revision knüpften, glänzend gerechtfertigt. Das Reichsgericht macht nicht nur selbst eine schlechte Justiz, es zerstört auch die Ansätze zu einer bessern. Die Urteilsbegründung des Landgerichtsdirektors Siegert ist allgemein mit einem Seufzer der Erleichterung aufgenommen worden. Endlich einmal ein Richter, der in dem Millenarprozeß zwischen Künstler und Priester zugunsten des Künstlers entschied. Das Reichsgericht dagegen war der Meinung, daß »auch die Kunst auf das religiöse Gefühl von Millionen Anhängern der christlichen Kirche Rücksicht nehmen müsse«. In Sätzen von klassischer Prägnanz hatte Herr Siegert dargelegt, daß der Künstler Grosz nicht ehrlichen, saubern Christenglauben hatte kränken wollen: »Wenn der Künstler weit, sehr weit ging, und selbst vor dem höchsten Symbol der christlichen Kirche, dem Kruzifix, nicht Halt machte, so beweist das nur, wie ernst es ihm mit dem Aufzeigen einer seiner Meinung nach falschen christlichen Lehre ist ... Wie eingangs dargelegt ist, war die Absicht des Künstlers bei Herstellung der Zeichnungen einzig und allein auf die Kriegsbekämpfung und im Zusammenhange damit auf Geißelung der Auswüchse der Kirche in Gestalt kriegshetzender Vertreter gerichtet. Dadurch hat sich Grosz zum Sprecher der vielen Millionen gemacht, die den Krieg abschaffen wollen; er erhebt damit eine ethische Forderung höchsten Ausmaßes ... Die Satire und die Eigenart des Künstlers rechtfertigen vollauf die derbe Art der Darstellung. Die Annahme, daß seine Bilder nicht oder gar falsch verstanden werden könnten, lag ihm, der sein Streben so offen kundgab, völlig fern.« Herr Siegert ist kein bon juge, kein Richter, dem am Beifall der Journale gelegen wäre, wohl aber die stärkste und charaktervollste Persönlichkeit in Moabit, ein überlegener Jurist zudem, dessen Entscheidungen immer stichfest sind. Auf seinem eignen Felde war Siegert nicht zu schlagen, die Herren von der höchsten Instanz mußten also ein paar Kunststückchen anwenden, die für einen kleinen Amtsgerichtsrat die Strafversetzung ziemlich sicher nach sich ziehen würden. Die Siegertkammer hatte ausdrücklich festgestellt: »daß der Tatbestand der Gotteslästerung schon deswegen ausscheidet, weil nach § 166 StGB. hierzu beschimpfende Äußerungen vorliegen müßten, die nur mündliche oder schriftliche sein können, während bildliche Darstellungen nicht darunter fallen«. So wars überhaupt bisher des Landes Brauch, doch das Reichsgericht erweitert mit kühnem Bogen, entgegen der gesamten Judikatur, die Strafbestimmungen auch auf die bildliche Darstellung. Beachtlich war auch das äußere Bild der Verhandlung, da das Reichsgericht sich ganz unerwartet als dritte Instanz auftat, was es sonst, sehr zu Ungunsten armer Schächer auf der Anklagebank, streng vermeidet, und nochmals die Funktionen des Tatsachenrichters ausübte, womit es auch formal seine Grenzen überschritt. Damit auch nicht der mindeste Zweifel für die nächste Zukunft besteht, interpretierte der Herr Reichsanwalt in seinem Plaidoyer auch das noch gar nicht angenommene Republikschutzgesetz; er behauptete nämlich, daß darunter auch Kunstwerke fielen, was wir gern glauben wollen, wenn wir es auch noch nicht gewußt haben. Schließlich beantragte der Herr Ankläger des Reichs noch Verweisung an ein andres Landgericht: wahrscheinlich hofft er auf zuverlässigere Richter, als Herr Siegert ist. So verlief die Konfrontation zwischen dem höchsten Gericht der deutschen Republik und dem größten deutschen Zeichner unsrer Zeit. Haben wir die sogenannte Strafgesetzreform, haben wir das verlogene Republikschutzgesetz nötig? Das Reichsgericht wird auch mit dem geltenden Recht aufs beste fertig. Wozu sich also in das Risiko einer Ausnahmegesetzgebung stürzen –?

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Bundeskanzler Schober hat seinen berliner Besuch glücklich absolviert. Man hat offizielle Reden gehalten, bankettiert, getoastet, sich angehocht, doch wichtiger als der amtliche Freudentaumel ist das Schweigen der großen Auguren der Demopresse zu dem Besuch des geschätzten Nachbarn. Keiner von den Herren hat den Mund aufgetan, um eine Hoffnung auszusprechen, die eine Lüge wäre. Gut. Aber keiner hat die ganze Wahrheit gesagt, und keiner hat auch seine Redaktion daran gehindert, offenbare Unwahrheiten in die Welt zu setzen. Warum verschweigt man, daß Herr Schober sich dem römischen Fascismus ausgeliefert hat, womit Südtirol für immer verloren, der Anschlußgedanke für immer begraben ist –? Schober selbst hat sich bei uns mit großer Reserve bewegt und niemanden zu Verbrüderungsausbrüchen verführt. Besonders bemerkenswert für seine verschleierte Art ist ein der ›Germania‹ gegebenes Interview, in dem er ausführt, daß sein Erfolg in Rom nicht etwa mit einer Beeinträchtigung der Würde Österreichs erkauft worden wäre: »Ich hebe das besonders hervor, weil ich damit zugleich zum Ausdruck bringen will, daß wir in den letzten Monaten durch die Konsolidierung unsrer innern Lage, durch die friedliche Durchführung einer zeitgemäßen Verfassungsreform an Selbstgefühl gewonnen haben und daß diesem erhöhten Selbstgefühl eine vermehrte Geltung im Auslande entspricht.« Ganz richtig. Herr Schober hat seine Roten gebändigt, das ist das »Zeitgemäße«, und er hat das sehr elegant gemacht, gar nicht so blutig und wild wie Mussolini. Ein solcher Staatsmann ist des Beifalls der bürgerlichen Welt sicher, die heute überall »Bolschewismus« schreit und der es dabei nur auf die Niedertrampelung der traditionellen demokratischen Garantien ankommt und auf die Zerstörung alles dessen, was friedliche soziale Fortschrittsparteien im Laufe der Jahre mehr mit Kompromissen als mit Kampf für die Arbeiterklasse erobert haben.

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In diesen Tagen wird Präsident Masaryk achtzig Jahre alt. Für uns und spätere Generationen ist er das seltene Vorbild eines geistigen Menschen, dem hohe politische Macht zugefallen ist, eine Chance, die sonst nur die römische Kirche bietet. In seinem großen Werk »Die Weltrevolution« hat er in spätem Alter noch sein Gedankenarsenal geöffnet. Er hat mit großartiger Schenkergeste diesen wunderbaren Reichtum seinem Volk, der ganzen Menschheit überliefert. Masaryk, der sechzig Jahre lang für die Demokratie gekämpft hat, ist der letzte große Demokrat, den es heute noch gibt. Er stammt in grader Linie von den Encyklopädisten ab, er hat die Ideenweite, die Begeisterung, den Optimismus des achtzehnten Jahrhunderts. Er ist ganz und gar der Demokrat der vormarxistischen Periode, dessen Menschheitsglaube sich noch an keiner ökonomischen Wirklichkeit die Stirn blutig stößt. Wie stark er den von ihm begründeten Staat mit seinem Geiste durchsetzt hat und ob dieser Geist nachwirken wird, das alles kann erst eine spätere Feuerprobe zeigen. Bis auf weiteres sehen wir nur einen Staat wie alle andern auch: mit unversöhnten Klassengegensätzen, mit gelegentlich hochgehendem Nationalismus, mit herausfordernden Militärs und mit schlechter tendenziöser Justiz. Es wäre unaufrichtig, vor einem so verehrten Manne wie Masaryk das zu verschweigen. Er selbst hat ja als besonderes Ziel seiner Alterswirksamkeit die »Entösterreicherung« seines Staates bezeichnet. Und schwebt nicht vielen der Jüngern heute ein weit weniger ideales Bild vor Augen als dem alten Führer? Gibt es nicht viele, die mitleidig die Achseln zucken über die Männer der heroischen Epoche, die Masaryk und Benesch, die mit dem heiligen Glauben an die Demokratie in den Kampf gegen Habsburg zogen? Vor ein paar Jahren, als der dreiste Abenteurer Vajda, fascistisch aufgetakelt, nach der Macht griff, hat der Realpolitiker Masaryk sein Meisterstück vollbracht, indem er den Aufsteigenden mit einem harten Stoß von der Glücksleiter warf. Wird er nochmals die gleiche Energie aufbringen, um die neue Verösterreicherung, die schleichende Fascistisierung, die langsame Verschoberung des tschechoslowakischen Staatswesens abzuwenden?

Es ist vergebliches Bemühen, den plötzlichen Abgang des preußischen Innenministers Grzesinski mit Krankheit oder mit Zermürbung durch völkische Angriffe erklären zu wollen. Richtig ist, daß Grzesinski in letzter Zeit leidend war und daß ihn die Nationalsozialisten zum Gegenstand einer besonders unsympathischen Kampagne gemacht haben. Jene ungekämmten zivilisationshassenden Teutonen, deren Liebesleben sich nächtlich im steglitzer Stadtpark abwickelt, konnten dem Minister nicht verzeihen, daß er dafür ein Hotelzimmer vorzog. Deswegen, und überhaupt wegen mangelnder Aufnordung wurde der Polizeiminister mit dem polnischen Namen oft mit Dreck beworfen. Aber Grzesinski hatte nicht nötig, vor diesen Hanswurstereien zu weichen. Ein besonders trübes Kapitel ist, daß sich der Hetze von rechts auch der alte Ruhrkämpfer Grützner, düsseldorfer Angedenkens, angeschlossen zu haben scheint. Herr Grützner war schon Dreiundzwanzig im Industrierevier nicht mehr als ein sozialistischer Paravent der Freikorps; die Verbindung hat bis heute vorgehalten. Apropos, wann entfernt die Partei endlich diese suspekte Figur –? Dennoch hätte der Minister alle anständigen Menschen auf seiner Seite gehabt, selbst wenn die schamhaften Teutonen wirklich mit der verheißenen Photographie herausgerückt wären. Als dem alten Gallifet einmal in der französischen Kammer zugerufen wurde, man hätte ihn aus der Wohnung einer stadtbekannten Hetäre kommen sehen, antwortete er seelenruhig, er hätte dort seine Nachtmütze liegen lassen. Soviel Witz ist allerdings in einem deutschen Parlament nicht denkbar, aber für die schäumenden steglitzer Lichtalben hätte es wohl gelangt. Nicht die physische, die politische Konstitution Grzesinskis war unterhöhlt, er hatte sich festgefahren, es gab kein Zurück mehr. Er ist ein Opfer des neuen sozialdemokratischen Dogmas geworden, daß die Kommunisten den Nationalsozialisten gleichzusetzen seien. Also Kampf nach zwei Fronten, was sich natürlich nicht strikt durchführen läßt und in der Praxis zu einer ärgerlichen Schonung der Hitlerleute führte, während der Polizeiknüppel auf die Kommunisten mit verdoppelter Vehemenz niedersauste. So wurde Grzesinskis Name der Arbeiterschaft odios; man sah in ihm schließlich den zweiten Noske. Lange Zeit ermunterte ihn der Beifall der bürgerlichen Koalitionsfreunde, doch mindestens seit der Debatte über die berliner Maivorgänge wurde von klügern Elementen der Mitte sein Energieaufwand gegen die Linksradikalen nicht ohne Sorge betrachtet. Erst kürzlich rief nach einer seiner überhitzten Auseinandersetzungen mit den Kommunisten ein demokratischer Abgeordneter verzweifelt aus: »Es wird höchste Zeit, die Republik vor den Sozialdemokraten zu schützen!« Da Grzesinski außerdem noch die demokratische Fraktion bei dem Streit um die beiden erledigten Oberpräsidentensitze verletzt hatte, die Demokraten überhaupt noch wegen der Absägung Beckers zorngeschwollen herumlaufen, so bereitete sich ein Eclat vor, der sehr leicht zum Sturze des Ministers in offner Feldschlacht hätte führen können. Durch seinen Rücktritt wich Grzesinski einer Auseinandersetzung aus, die wahrscheinlich auch das System erschüttert hätte, das er ganz gewiß nicht erfunden hat, in das er sich aber hat einspannen lassen und dessen Fragwürdigkeit grade diese rigorose Kampfnatur evident gemacht hat. Wieder hat sich ein Mensch von guten Anlagen im Dienste der Parteimaschinerie verbraucht. Krank und verbittert, als Arbeiterfeind abgestempelt, zieht sich Albert Grzesinski zurück. Seine Freunde, die ihn oft mit Beifall überschüttet haben, werden, wenn es die Situation will, auch von ihm abzurücken verstehen. Sie werden vielleicht bald wieder die unerbittliche Opposition spielen und sich mit radikalen Reden großtun.

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Jenem System, das einen nicht unbeträchtlichen Teil unsrer Mitbürger mittels des Republikschutzgesetzes als Staatsfeinde stigmatisieren will, geht es augenblicklich überhaupt nicht gut. Denn auch im Oberkommando der berliner Bastille, dem Polizeipräsidium, gibt es Krach. Es hat nicht viel Sinn, den letzten Gründen des Konflikts zwischen dem Vizepräsidenten Weiß und dem Obersten Heimannsberg nachzugehen. Beide haben ihre Freunde, ihre Presse. Für Herrn Heimannsberg betet die katholische Partei, für Herrn Weiß halten die liberalen Blätter überkonfessionelle Weihestunden ab. Als vorläufiges Opfer ist Herr Schoeny gefallen, der Kriegspressechef, dem wir die begabten Kampfberichte aus Neukölln und vom Wedding verdanken. Der Streit mag von den beiden Beteiligten mit gutem Grunde ernst genommen werden, wir haben keinen guten Grund, es auch zu tun. Die Aufmachung des Konflikts ist doch nur ein Theatercoup, um von dem wirklich Verantwortlichen abzulenken, dem Genossen Z. Dieser Präses von oft erprobter Unfähigkeit, der über zwei friedliche berliner Stadtteile ein paar blutige Tage verhängt hat, soll gehalten werden, koste es, was es wolle. Im vorigen Sommer erst erklärten namhafte Sozialdemokraten auf Vorstellungen des Vereins der republikanischen Presse, daß Z. unmöglich geworden und daß vorgesehen sei, ihn mit Jahresschluß abzuschieben. Ob sich für den Genossen Z. trotz äußerster Anstrengung kein Posten gefunden hat, auf dem es nicht neues Porzellan zu zerschlagen gibt, oder ob man, ganz wie unter Wilhelm, sich verpflichtet fühlt, eine Magistratsperson zu halten, gegen die die ganze Öffentlichkeit rast, bleibe dahingestellt. Jedenfalls belästigt Z. die Stadt Berlin noch heute mit seiner amtlichen Anwesenheit. Da aber doch etwas geschehen muß, wird nach einem Sündenbock gesucht, und es ist kein Wunder, daß sich die dafür in Aussicht genommenen Herren mit Händen und Füßen sträuben. Es wird Zeit, dieses alberne Ablenkungsmanöver zu beenden. Dreißig Tote wiegen nicht leicht. Das ist keine Sühne, einen Unterführer abzuhalftern: die ganze Schwere der Verantwortung lastet auf dem Chef der Behörde. Unsre Republikaner reden so viel von der Tugend der Verantwortungsfreudigkeit, und es hapert immer damit, wenn es sich um den Vertreter einer großen Partei handelt. Deshalb ist Herr Doktor Weiß ein so ideales Kompensationsobjekt, denn er gehört zu den Demokraten, nach deren Protesten, wie der Fall Becker zeigte, kein Hahn mehr kräht, und denen dabei noch Recht geschieht, denn sie haben die Redensart von der Verantwortungsfreude selbst erfunden. Grzesinskis Rücktritt mitten in großer Verwirrung, der Konflikt im Polizeipräsidium, alles das erweist die Krankheit des Systems, nach dem man in den letzten Jahren in Preußen die Ordnung gerettet hat. Der neue Innenminister, Herr Professor Waentig, hat in diesem Augenblick noch die Chance, einen Schritt zurück zu tun, um den Boden der Vernunft wiederzugewinnen. Was für ein Irrwahn, eine runde Null wie den Genossen Z. aus Prestigegründen halten zu wollen! Berlin will den Mann nicht mehr sehen. Genügt das nicht?

Die Weltbühne, 4. März 1930


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