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[Widmungsschreiben]

Hochverehrter Herr Oberkonsistorialrat!

Neben Ihren anderen großen Verdiensten um die Erforschung von D. M. Luthers Leben und Schriften darf auch das nicht vergessen werden, daß diejenige Lutherhandschrift, die hier zum ersten Mal der Öffentlichkeit übergeben wird, hauptsächlich durch Ihre Mühe der Verborgenheit, in die der Verkauf nach dem Auslande sie versenkte, wieder entrissen wurde. Sie machten mir damit eine große Freude, daß Sie mir vergönnten der ersten Veröffentlichung der Fabelhandschrift Luthers aus der Vaticana nun auch die seiner Sprichwörtersammlung aus der Bodleianischen Bibliothek folgen zu lassen.

Mit einiger Ungeduld haben Sie und mancher, der darum wußte, dem Erscheinen dieses Schriftchens entgegengesehen. Sind doch zehn Jahre seit Wiederentdeckung der Handschrift vergangen. Wenn ich nur heute, wo ich es als vom Verleger wohl ausgestattetes Buch in Ihre Hand lege, auch bezüglich des Inhalts das Sprichwort wahr machen könnte: Was lange währt, wird gut! – Aber die Gründe der Verzögerung sind Ihnen ja bekannt. Erstens hat in diesen Jahren die Mitarbeit an der Weimarer kritischen Gesammtausgabe von Luthers Werken meine verfügbare Zeit und Kraft wiederholt so in Anspruch genommen, daß für diese Arbeit oft nur ein liebevolles Erinnern übrig blieb. Dann aber ist es nicht ohne Ihr Wissen und Wollen geschehen, daß aus dem einfachen Abdruck der Handschrift ein ziemlich umfängliches Buch wurde. Ich werde gern daran gedenken, wie wir fast regelmäßig, wenn Ihr Amt Sie nach Magdeburg führte, in traulichem Abendgespräch mit einem oder dem andern Ihrer Freunde zusammensaßen und uns an den von Luther gebotenen Proben deutschen Volkshumors ergötzten. Und immer war es allen eine besondere Freude, wenn einer neue Beiträge zu seinem Verständnis geben konnte, bis Sie schließlich erklärten, das so Gewonnene dürfe auch den Lesern dieser Sprichwörtersammlung nicht vorenthalten werden. Eigene Neigung kam dieser Aufforderung entgegen. Ich bin in Wittenberg aufgewachsen, und aus der Volksschule und dem Munde meiner Pflegemutter war mir manche Wendung geläufig, über deren Sinn Gelehrte sich vergeblich die Köpfe zerbrechen können. Die Liebe zu der kräftigen Ausdrucksweise des Volks ist mir auch bis heute geblieben. Die Beschäftigung mit Luthers Schriften hatte mir aber doch auch gezeigt, daß ohne besonderes Studium ein Verständnis der Redensarten vergangener Zeit und anderer Volksart nicht möglich ist. Als nun der Redactor der Weimarer Lutherausgabe, Professor Dr. P. Pietsch, den Gedanken anregte, es möge in diesem Buche eine Grundlage oder doch ein Anfang geschaffen werden zu einer sprachlichen und sachlichen Erklärung der im engeren Sinne volkstümlichen Ausdrücke Luthers, und mir hierzu seine Unterstützung anbot, ging ich ans Werk. Vor allem bemühte ich mich, aus Luthers Schriften selbst Belege herbeizuschaffen für die von ihm zusammen getragenen Sprichwörter. Gelang das, so war damit meist schon die beste Erklärung gegeben. Bedauert habe ich, daß zuverlässige Texte, wie sie die Weimarer Ausgabe bietet, namentlich zu Beginn meiner Arbeit mir nur spärlich vorlagen. Ich mußte mich in der Regel mit der Erlanger Ausgabe begnügen. Gelegentlich sind auch ältere Ausgaben benutzt. Ferner wurde grundsätzlich und beinahe überall das deutsche Wörterbuch von Grimm und das deutsche Sprichwörterlexikon Wanders um Rat gefragt. Sonst war mir besonders bei schwierigen und seltenen Ausdrücken alles willkommen, was eine Handhabe zum Verständnis zu bieten schien; natürlich hatte hierbei die Litteratur aus der Reformationszeit den Vorzug. Einiges verdanke ich auch der Mithülfe von Freunden und Bekannten, was ich an seinem Orte in der Regel bemerkt habe. Und hier muß ich Herrn Professor Dr. P. Pietsch noch einen besonderen Dank dafür aussprechen, daß er unter der Last seiner anderen Arbeit immer Zeit erübrigte, um die Korrektur der Anmerkungen von Anfang bis zu Ende mitzulesen und mich mit seinem Rat reichlich zu unterstützen. Verantwortlich freilich bin ich für das Gebotene um so mehr, als ich an einigen Stellen glaubte eine abweichende Auffassung geltend machen zu sollen; hie und da ist auch diese Differenz ausdrücklich hervorgehoben.

Daß ich es für richtig hielt, um das Bild der Handschrift nicht zu verwirren, sie von den immer mehr anschwellenden Anmerkungen gesondert zu geben und zum bequemen Gebrauch ein Wortverzeichnis anzufügen, wird sicher den Beifall aller Leser haben.

Von der UnVollkommenheit dieses ersten Versuchs auf diesem Gebiete gebe ich mir selbst ein Zeugnis in den während des Druckes nötig gewordenen Berichtigungen und Nachträgen. Sollten freundliche Leser in der Lage sein zur Beantwortung der noch immer offen gebliebenen Fragen etwas bieten zu können, so bitte ich sie, es mir mitzuteilen, damit es vielleicht an anderer Stelle zum Verständnis der Schriften Luthers verwendet werden kann.

Gern hätte ich den Sprichwörterstoff, den Luther in seiner handschriftlichen Sammlung bietet, um die reichlich dreitausend Nummern vermehrt, die ich aus seinen Schriften und Tischreden ausgezogen habe, aber ich sah bald ein, daß diese Arbeit zu weit führen würde und auch dann erst reif wird, wenn das ganze Lutherwort kritisch gesichtet und erschöpfend zusammengetragen vorliegt.

Einem Kenner der Reformationszeit gegenüber, wie Sie es sind, mein hochverehrter Freund, brauchte ich nun kein Wort zu verlieren über die mancherlei unserer heutigen gebildeten Umgangs- und Schriftsprache anstößigen Wendungen, die uns hier begegnen und auch besprochen werden. Auch für den Sprachforscher bedarf es keiner weiteren Erörterung. Für den weniger Kundigen aber begnüge ich mich mit dem bloßen Hinweis auf die trefflichen Ausführungen Lösche's in der Einleitung zu seinen Analecta Lutherana et Melanchthoniana (Gotha, Perthes 1892), und bemerke hier nur, daß diese Sammlung, so wie sie uns vorliegt, von Luther keinen Falls zur Veröffentlichung bestimmt war und trotzdem sich freihält von Zotenhaftem und allem, was dem weiblichen Geschlecht zu Unehren gesagt wird, ein Lob, das ähnlichen Sammlungen aus seiner Zeit selten zuerteilt werden kann.

Möge es Ihnen, dem verehrten Nestor unserer Lutherforschung, noch lange vergönnt sein, an diesem geringen Zeichen der Verehrung, das Ihnen gebracht wird, sich zu erfreuen!

Magdeburg, im Oktober 1900.
Ernst Thiele.

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