Carl von Ossietzky
Sämtliche Schriften – Band IV: 1927–1928
Carl von Ossietzky

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Americana

Merkwürdige Bücher kommen aus Amerika. Was mag dort vorgegangen sein? Die alten Tafeln sind demoliert. Amerika übt sich in allen Literaturstilen der alten Welt, auch in denen, die früher als Monopole des frivolen Gallien betrachtet wurden. Virginia hat auf ihren Namen keinen Anspruch mehr.

Mit Ernest Hemingway ist also Paul Morand über den Ozean gekommen. Sein Roman »Fiesta« (Ernst Rowohlt, Berlin) nimmt eine Bande amerikanischer Journalisten und Literaten vor, die in Paris zwischen Alkohol und Liebe das Puritanertum der Heimat vergißt und zwischendurch einen Ausflug nach Pampelona unternimmt, um eine Fiesta (Stierkampf und Karneval) mitzumachen. Im Mittelpunkt eine englische Dame, eine gutartige Mänade, die keinen zu kurz kommen läßt. Hemingway ist kein richtiger Romancier, aber ein blendender Feuilletonist, ein Sammler von raffiniert aneinandergereihten Bagatellen, und, vor allem, er läßt die Leute in ihrer Alltagssprache reden, in dem Rotwelsch der Redaktionsstuben, der Cafés und Bars.

Amerikaner auf Reisen ist auch das Thema Booth Tarkingtons. »Der Mann mit den Dollars« (E.P. Tal & Co., Wien) ist nicht so provokant wie Hemingways Morandisieren, doch Tarkington ist der bessere Erzähler. Übrigens fließt auch hier genug Gin, um die zu Haus gebliebenen Hüter der Prohibition zu chokieren. Ein junger Dramatiker mit einem schweren Gepäck intellektueller Aufgeblasenheit belastet, kämpft mit einem reichen Industriellen aus der Provinz, einem richtigen Barbaren, um eine bezaubernde Französin. Der Schriftsteller unterliegt nicht nur, weil er der weniger Wohlhabende ist, sondern auch, weil der Wilde der bessere Mensch ist. Der Literat heiratet schließlich die Tochter des Millionärs und verspricht, weiterhin keine moralverletzenden Stücke mehr zu schreiben. Nur ein Intellektueller kann den Bruder im Geist so grausam richten.

Zwei reizvolle Bücher. Aber Thornton Wilder ist kein Feuilletonist, sondern eine großartige epische Begabung. »Die Brücke von San Luis Rey« (ebenfalls bei E.P. Tal) ist ein Novellenkranz: das Leben von ein paar Menschen, die bei einem Brückeneinsturz umkommen bis zum Augenblick der Katastrophe. Hier ist mehr als Geschicklichkeit, nämlich dichterische Gnade.

Und schließlich ein Buch über Amerika. Hendrik van Loon schildert von »Columbus bis Coolidge« (Rudolf Mosse Verlag) in einer Reihe von kleinen Kapiteln die Geschichte der Staaten von den Anfängen bis heute. Keine dürre Belehrung, sondern fesselnde, nuancenreiche Erzählung, mit bitterm Humor vorgetragen. Van Loon ist gegen das Evangelium des Geldmachens, gegen die kapitalistische Prosperität so skeptisch wie Alfons Goldschmidt. Ein Unikum von einem Historiker: er zeichnet selbst für sein Buch Bildchen von skurriler Primitivität. Hogarth als Geschichtsschreiber.

Die Weltbühne, 4. Dezember 1928


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