Carl von Ossietzky
Sämtliche Schriften – Band IV: 1927–1928
Carl von Ossietzky

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Kehraus

Wenn man den republikanischen Parteien glauben will, steht ihnen ein Sieg bevor, wie in Deutschland noch keiner gebacken wurde. Das Getöse ist heftig genug, aber das ist in Wahlzeiten immer so und besser als Mangel an Bewegung. Wir möchten auch beileibe nicht den prachtvollen Elan bekritteln, möchten uns nicht mokieren, wenn sich in der Hitze des Gefechtes etwa ein Löwenfell verschiebt und ein ganz anders geartetes Wesen blicken läßt. Der Ausgang des Wahlkampfes ist wenig zweifelhaft, die Rechte wird ein paar Federn lassen müssen, und die Deutschnationalen werden zum ersten Mal das Risiko der süßen Gefahr des Regierens kennen lernen. Aber das hindert uns nicht, wieder und wieder die Herren von der Linken zu fragen: Was dann –? Es ist heute nicht so schwer, die Deutschnationalen gepantscht nach Haus zu schicken, aber es handelt sich nicht darum zu siegen schlechthin, sondern für bestimmte Ziele zu siegen. Und hierauf weiß der prächtige Elan der Kombattanten von dem kaum zu haltenden republikanischen Heißsporn von Guérard bis zu dem erprobten Torstürmer Rudolf Breitscheid keine rechte Antwort. Wenn nicht die gemunkelten Ministerlisten der Großen Koalition eine Antwort sein sollen.

Gemeinhin gruppieren sich Wahlkämpfe um Führergestalten. Man mag Lloyd George oder MacDonald bejubeln oder verwünschen, zweifellos sind sie werbekräftige Persönlichkeiten, Menschen, um die man sich raufen kann, Signum ihrer Sache. Bei unsern verehrten Linksparteien aber dominieren Zentralbureaus und nicht Führer. Und es ist kein Trost, daß es rechts nicht besser steht und die Deutschnationalen nicht den mit der natürlichen Grazie eines Holzpferdes versehenen Herrn von Keudell in die Arena schicken können. Wie sich die zentralen Instanzen der Linken den kommenden Bastillensturm vorstellen, bewies in unüberbietbarer Schlagkraft die Nachricht, daß, zum Beispiel, die Sozialdemokratie ernsthaft plane, Gustav Noske an die Spitze einer Liste zu stellen. Das nennt man republikanische Renaissance, nicht wahr? Über die Gräber der Gemordeten und über die Racheschwüre ist Gras gewachsen. Man kann es versuchen. Also los. Wollte man aber die Herren Obergenossen fragen, welcher blaue Teufel ihnen eigentlich die Vorstellung einer Kandidatur Noske eingeblasen habe und ob sie denn nicht wüßten, daß dieser alte Held auch für die Masse der eignen Anhänger bête noire sei, so würden sie vermutlich entgegnen: »Grade deshalb!« Denn man muß den Massen die Selbständigkeit austreiben, sie müssen sich gewöhnen, ob es mundet oder nicht, die schwarze Suppe zu löffeln, die der allmächtige und allwissende Vorstand ihnen vorsetzt. In diesen Tagen hat den aufmerksamen Republikaner die kleine Nachricht erfrischt, daß sich die sogenannten Altsozialisten sächsischer Herkunft nun endgültig mit Stahlhelm und Hakenkreuz und der ganzen andern Nationaille zusammengetan haben. Es ist noch gar nicht so lange her, da pflegte ein auch sonst rühmlich bekanntes Mitglied des Parteivorstandes sächsische Genossen abzukanzeln: »Nicht ihr, die Andern (nämlich die Heldt und Buck), das sind die richtigen Sozialdemokraten!« Hoffentlich fragen die guten Sachsen diesen scharfsinnigen Präzeptor einmal, ob er auch jetzt noch dieser Meinung sei. Den Veteranen der Instinktlosigkeit im Parteivorstand muß man schon mit dem Hakenkreuz kommen, um ihre politische Witterung etwas aufzukitzeln.

Immerhin ist die Sozialdemokratie eine konsolidierte Partei; ihre Wähler werden auch die schwärzesten Suppen löffeln, die Demopartei dagegen hat mit zartem Konstitutionen zu rechnen. Grade diese Partei hat heute noch immer viel zu verteidigen, nicht ein paar Mandate mehr oder weniger, sondern die nackte Existenz. Wenn eine Partei Ursache hat, den Kampf mit dem Messer zwischen den Zähnen zu führen, so die. Wenn man die Herren reden hört, so nimmt sich das, gemessen an früher, allerdings wie eine Art Amoklauf aus. Aber wie kompromißlerisch, wie wenig der propagandistisch günstigen Situation entsprechend ist das Handeln. Aus dem noch immer leidlich fetten Humus von Potsdam II hat man jetzt den alten Herrn Dernburg herausgeholt und in die magere Topferde der Reichsliste verpflanzt, um für den Herrn Staatssekretär a.D. Oscar Meyer Platz zu machen. Wir haben vor acht Tagen hier einige Unfreundlichkeiten gegen Bernhard Dernburg gesagt, um ein notgedrungenes Beispiel zu illustrieren. Aber welch ein Gigant, welch ein Heros, welch ein Tempelritter der Demokratie ist der alte Herr Dernburg neben dem geschmeidigen Herrn Oscar Meyer, dem Syndikus der Handelskammer, einem Vertreter des schalsten Börsenliberalismus! Wahrscheinlich werden Herr Oscar Meyer und die Burgstraße nicht unerkenntlich sein für den prominenten Platz. Aber was hat die Partei davon außer ein paar blanken Zechinen? Glaubt man wirklich, daß Herr Oscar Meyer so anziehend wirkt? Wenn die Demopartei hier in Berlin überhaupt prosperieren will, muß sie die besten, die schärfsten, die radikalsten Köpfe präsentieren. Statt dessen offeriert sie einen schwunglosen Interessenvertreter, der in der Partei selbst in der rechtesten Ecke wohnt und eifriges Mitglied jener traurig bekannten Liberalen Vereinigung ist, die noch einmal die Totenglocke der bürgerlichen Demokratie in Deutschland läuten wird. Erinnert man sich nicht mehr, daß dieser Erzdemokrat unter jenem Aufruf der Liberalen Vereinigung stand, der ein paar Tage vor der Volksabstimmung über die Fürstengelder herauskam und, ganz im Sinne der Monarchisten, Stimmenthaltung, also Sabotage, also Denunziation der Votierenden, anriet? Herr Meyer hat damals bestritten, seine Unterschrift hergegeben zu haben. Eine dünne Ausrede, und deshalb sei hier nochmals gefragt, ob die Unterschrift mit Zustimmung oder ohne Wissen des Herrn Spitzenkandidaten für Potsdam II unter das skandalöse Manifest geraten ist. Es dürfte auch einige zehntausend Demokraten interessieren, ob der Mann, den sie wählen sollen, in sein weites Herz nicht nur die Börse, sondern auch die Fürstentresors eingeschlossen hat. Zu Herrn Oscar Meyers Erhöhung paßt vortrefflich die Abschiebung der Frau Lüders von Berlin nach Potsdam an weniger aussichtsvolle Stelle. Also hat Herr Merten disponiert, die Koryphäe des mumifiziertesten Kommunalfreisinns, der seine historische Aufgabe dahin begriffen hat, den jungen Leuten von heute zu demonstrieren, warum das liberale Bürgertum so entsetzlich auf den Hund kommen mußte. Die Frau Abgeordnete Lüders ist nämlich für das Gemeindebestimmungsrecht eingetreten, davon erwartete Herr Merten üble Rückwirkungen auf den – milde gesagt – gewerbetreibenden Mittelstand. So wurde Frau Lüders strafversetzt, um die hochwogende Kampfstimmung nicht zu dämpfen. Ein paar Stimmen von Alkoholinteressenten sind eben mehr wert als eine Abgeordnete, die sich in sozialen Dingen immer recht fortschrittlich gezeigt hat. In Sachsen kandidiert dafür an erstem Platz Herr Brodauf, der Verteidiger der Todesstrafe. Zehn Tage vor den Wahlen wird aber das fällige »Kulturprogramm« veröffentlicht werden, der bekannte »Appell an die geistigen Arbeiter«; die belesene Gertrud Bäumer sprüht dazu Humboldtzitate. Die Ausführung liegt in den Händen von Merten und Oscar Meyer, in der Alliance von Stumpfheit und Pfiffigkeit, von Geistlosigkeit und Geld.

 

Herr Stresemann hat gesprochen, Herr Briand hat gesprochen, und ihre journalistischen Schriftgelehrten setzen die Auslegung der Texte fort. Darf man so fein wägen, was die beiden Herren, schon von der Wahlschlacht umbrandet, gesagt haben? Beide pflegen ja auch unter günstigern Bedingungen nicht sehr festlegend zu sprechen. Es waren Schlußreden, Abschiedsworte an die Zeit nach Locarno, mit unverbindlichen Ausblicken. Erst wenn die beiden Parlamente neu gewählt sind ... Und übrigens können die beiden Herren sehr viel und auch sehr anders. Abwarten.

Trotzdem ist zu bedauern, daß die französische Außenpolitik grade jetzt feiern muß. Denn die pariser Passivität kommt dem englischen Kabinett sehr zu gute, das sich heftig gegen Wahlen in diesem Jahr sträubt, neuerdings einen recht erholten Eindruck macht und eine starke äußere Aktivität entfaltet, um möglichst viel sichere Tatsachen zu schaffen und die Erben möglichst an die alte Route zu binden. Man spürt die neue Lebendigkeit der englischen Politik wieder an allen Ecken und Enden. Man spürt sie vor allem in der plötzlich unsichern Haltung der bisher französisch inspirierten Mächtegruppe der Sukzessionsstaaten.

Herr Titulescu, der rumänische Außenminister, macht zurzeit eine europäische Rundfahrt, die ihn auch zu einem Rendezvous mit Doktor Stresemann führen wird. Titulescus Reise hat den Zweck, Rumänien, das in den letzten Jahren ziemlich lautlos im Kielwasser der Kleinen Entente schwamm, bei dieser oder jener Firma als wertvollen Bundesgenossen zu empfehlen. Solche Diplomatenreisen bringen immer Unruhe in die Politik. Die alten Geschäftsfreunde werden mißtrauisch, die neuen Bekanntschaften taxieren nervös, wieviel die Freundschaft dieses Besuchers wert sei. Und die rumänische Regierung, die moralisch nicht viel zu bieten hat, wird gewiß nicht vergessen, daß nur die balkendicke Treue billig ist und die Wechselhaftigkeit stets am fettesten bezahlt wird.

Die erste Tuchfühlung mit Mussolini in Rom hat in Belgrad und Prag erregte und scharf abwehrende Kommentare hervorgerufen. In der Tat hat der englisch-italienische Block einen Erfolg erzielt, indem Titulescu die gemeinsame Aktion der Kleinen Entente beim Völkerbund wegen des ungarisch-italienischen Waffengeschäftes durchkreuzt hat. An Stelle einer gemeinsamen Note treten die Staaten der Kleinen Entente gesondert auf und Rumänien am leisesten. Eine Schwächung, die jetzt schon einem Freibrief für Horthy gleichkommt. Es ist auch behauptet worden, Titulescu nehme für Mussolini Wünsche an Stresemann mit, für Ungarn zu plädieren gegenüber französischen Drohungen und Forderungen. Ebenso ist behauptet worden, Stresemann habe sich auch ohne dies schon für Ungarn bemüht.

Mussolinis Interesse für Mitteleuropa wächst neuerdings beträchtlich. Das alldeutsche Mittagsblättchen des Herrn Paul Oestreich, das sich auch sonst durch eine vorbildliche Indiskretion auszeichnet, behauptete vor ein paar Tagen steif und fest, Kenntnis zu haben, daß Mussolini in Warschau eine bescheidene Anregung gegeben habe, Deutschland den Korridor zurückzuschenken, um die häßlichen Streitigkeiten in Mitteleuropa zu beenden. Das ist vielleicht etwas naiv und gewiß nicht unbedingt pazifistisch gemeint, grade von jenem Mussolini, der in diesen Tagen seine wildeste Kriegsrede gehalten hat. Aber es paßt dazu, daß unsre nationalistische Presse die Klagen um Südtirol fast ganz eingestellt und auch Herr Stresemann verzichtet hat, die sonst übliche Träne für die unerlösten Brüder an der Etsch zu zerdrücken, während sein verbissener Feind vom Belt, Herr v. Freytag-Loringhoven, im Reichstag ganz offen ein Bündnis mit Italien gefordert hat.

Mussolini als Friedensstifter? Es ist eine der trübsten Erfahrungen dieser Jahre, daß stets die Schlichtung der kleinen Streitigkeiten nur benutzt wird, um Raum zu schaffen für die Austragung der großen. Die englische Locarnoidee war auch nur, den Zwist um den Rhein zu beenden, um den europäischen Block gegen Rußland fertig zu machen. Wenn Mussolini den Zank an der Weichsel erledigen will, handelt er nicht als Friedensfürst, sondern als Einpeitscher einer erträumten europäischen Partei, der weißen Partei, der fascistischen Partei Europas. Daß er Deutschland so ohne weiteres dazu rechnet, ist für die freieste aller Demokratien nicht sehr schmeichelhaft.

Es gehen wichtigere Dinge vor als die überbewerteten Reden Stresemanns und Briands. Für Beide beginnt eine außenpolitische Pause. Aber während ihre leergewordenen Parlamentshäuser von geschäftigen Besen sauber gekehrt werden, ist man draußen nicht müßig. Deshalb möchte man den französischen Wählern ans Herz legen, in den kommenden Monaten ihre Aufmerksamkeit nicht ausschließlich auf den Franc zu richten, den deutschen, daß es neben Schwarzweißrot und Schwarzrotgold und Luthers Eisenbahnsitz noch andre, noch schicksalsvollere Fragen gibt.

Die Weltbühne, 7. Februar 1928


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