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Die Eröffnungs-Vorstellung der Rechtsblock-Regierung hat den hinter ihr stehenden Parteien feuchte Finger gemacht. Das Ensemblespiel haperte; die Inszenierung war spottschlecht. Nicht einmal eine gemeinsame Erklärung der neuen Verbündeten war zustande gekommen, und ihre Redner polemisierten gegeneinander. Bei Herrn Marx langt es nicht zum Inspizienten, geschweige denn zum Regisseur. Dieser Wirrwarr im Rechtslager hätte von den Sprechern der Sozialisten viel amüsanter ausgebeutet werden können als von den Herren Hermann Müller und Erich Koch. Beider Bestimmung ist nicht die Offensive. Trennungsschmerz überschattete ihre kleinen Sticheleien, und das zum Streit entrollte Banner weht nicht keck in der Luft, sondern wurde als Sacktüchlein mit dicken Manneszähren benetzt. Je drückender die Verlegenheit der neuen Regierer, desto leichter hätte auf der andern Seite die gute Laune flattern müssen. Auch die Kommunisten sind längst den heitern Waffen der Obstruktion, den Kindertrompeten und blauen Brillen, entwachsen; auch auf der linkesten Linken sitzen heute ernste, beim Diätenempfang gereifte Männer.
Es wäre indessen verfehlt, die Unstimmigkeiten im frischgebacknen Kartell kurzweg auf innre Schwäche zurückzuführen. Schwenkungen sind im Parteileben alltäglich, das Kunststück ist nur, sie der geduldigen Wählerschaft plausibel zu machen. Umfallexperten gibt es auch im Reichstag mehr als genug – aber es fehlt an geschmeidigen Talenten, die es dem Wähler so sagen, daß er eine offenbare Grundsatzlosigkeit für einen hochkarätigen Charaktersieg hält. So verlief die Premiere über die Maßen kläglich. Die Herren litten unter der Diskrepanz von Konzept und Wirklichkeit: sie begannen zu extemporieren und verhedderten sich, und es bleibt der Eindruck von Schauspielern, die verkleidet und geschminkt plötzlich im grellen Rampenlicht ihre Privatsachen zu erzählen beginnen. An und für sich bedeutet das Regierungsprogramm mit den Reden der Herren Führer nicht mehr als eine buntscheckige Maskerade, wobei, heutigem Brauch entsprechend, die Blößen bedeutsamer sind als das Kostüm, nur daß diese nicht zu ästhetisch belustigender Betrachtung aufmuntern. Herr Marx trug Biedermeierschnitt mit unzeitgemäß enger Corsage; viel Draht und Fischbein, vernachlässigtes Unterfutter, doch äußerlich farbenfroh wie Palettendreck. Westarp: Locarno-Stilkleid in bleu mourant (in der vorigen Saison von Stresemann getragen). Scholz: aschgrauer Pierrot (Kennwort: Lendemain).
Karneval, in seiner steifen Dürftigkeit zum Lachen reizend. Nur darf darüber nicht vergessen werden, daß nach allen voraufgegangnen Koalitionen hier zum ersten Mal eine völlig organische und innerlich logische steht: Zentrum und Deutschnationale, religiöser und politischer Konservativismus haben sich endlich gefunden. Vieles trennt sie, geeint sind sie durch den unbedingten Willen zur Autorität. Deshalb ist es auch gar nicht so wichtig, was sie etwa im ersten Lampenfieber verkehrt machten; ihre Handlungen werden präziser sein als ihre Reden. Um die politische Gleichberechtigung der deutschen Katholiken zu erringen, mußte die katholische Partei, zwischen protestantisches Kaisertum und Republik gestellt, für die Republik optieren. Die Gleichberechtigung der Katholiken ist längst erreicht; heute handelt es sich darum, den weltlichen Staat wieder »christlich« zu machen, der Kirche eine gesicherte Vormachtstellung zu verschaffen. Deshalb wird das Bündnis mit der Jakobinermütze gekündigt, und automatisch geht der Anschluß an die Vertreter der monarchistischen und militaristischen Reaktion vor sich, die selbst dringend Sukkurs brauchen: denn sie haben zwar Geld, um Wahlen zu machen, aber keine Macht mehr über die Seelen. Die Grenzen des beiderseitigen Entgegenkommens sind ganz deutlich gezogen: die Deutschnationalen haben das kontraktlich vereinbarte Bekenntnis zur Weimarer Verfassung mühsam herausgewürgt; das Zentrum dagegen hat durch die Ablehnung des Radauantisemiten Graef als Justizminister ganz klar ausgedrückt, daß ihm nur Leute mit glatten parlamentarischen Manieren genehm sind, die die Aufrechterhaltung der Fiktion möglich machen, es handle sich hier nur um eine aus verzwickten parlamentarischen Mehrheitsverhältnissen begreifliche Episode und nicht um eine durchaus konsequente Interessengemeinschaft. Rückversicherung bildet Preußen, wo an der Allianz mit den Sozialisten nichts geändert werden soll. Rücksicht auf Preußen war wohl auch der wirkliche Anlaß zu dem Sturmlauf gegen Graef: Hergt sollte ins Justizministerium abgeschoben werden, denn dieser alte konservative Kampfhahn als Reichsinnenminister hätte bei der ersten besten Gelegenheit mit Preußen Streit angefangen, um das Kabinett Braun zu stürzen und die Deutschnationalen auch hier ans Ruder zu bringen.
Der schwarz-blaue Bund ist Tatsache, ernstere Tatsache, als alle 80 frühern Koalitionen. Was zwischen den beiden großen Regierungsparteien noch steht, sind Gespenster abgestorbner Kämpfe aus den Tagen Erzbergers und Wirths. Ob diese Schatten noch Macht haben, wird sich bald zeigen. Die ersten Abstimmungen schon werden entscheiden, ob der Versuch nicht zu früh unternommen wurde. Überlebt der Block den ersten Monat, dann werden wir ihn so bald nicht wieder los.
Die sogenannte Opposition glaubt noch immer nur an eine momentane Geschmacksverirrung einiger Zentrumsführer und täuscht sich damit über die Sachlage. Deshalb ist auch Kamerad Hörsing schlecht beraten, wenn er die zunehmende Unzufriedenheit in seinem Lager mit einer gutartigen Beschwichtigung zu dämpfen sucht. Die Kameraden Marx und Köhler, meint Hörsing, seien nicht schlechtere Kameraden, nur weil sie nach der andern Seite gegangen seien; vielleicht sind sie morgen schon wieder da und löffeln wieder mit den alten Kameraden aus einem Kochgeschirr. Der Stubenälteste des Reichsbanners hat seine unleugbaren Qualitäten, wird jedoch jedes Mal unsicher, wenn er auf der Generalstabskarte der großen Politik Fähnchen steckt. Er mag sich für einen agilen Taktiker halten, vielleicht auch für einen überaus gerissnen Opportunisten, der sich schließlich doch über alle superklugen Prinzipienreiter ins Fäustchen lacht, aber seine Auffassung von Opposition erinnert an die trübsten Zeiten der alten Nationalliberalen. Man will zwar Opposition machen, aber, um Himmelswillen, nur hübsch vorsichtig, denn vielleicht sitzt man morgen schon wieder mit den Andern zusammen.
Und plötzlich begreift man das ganze politische Elend dieses Landes: diesen erschrecklich rumorenden Republikanern kommt es niemals auf die Macht, immer nur auf das Zusammensitzen mit den Andern an.
Von der Linken droht dem blau-schwarzen Block so bald keine ernste Gefahr. Ernster steht es mit der Außenpolitik. Die neue Regierung hat in der Welt, abgesehn von nicht grade empfehlenden Glückwünschen aus Moskau und Rom, eine miserable Presse. Die Beunruhigung ist überall groß und wird nur durch das Vertrauen auf Stresemann etwas gemildert, den man scheinbar für einen Muskelmenschen ohnegleichen hält, stark genug, um die deutschnationalen Löwen durch den Reifen springen zu lassen. Diese Einschätzung unsres prominentesten Außenpolitikers ist schmeichelhaft, aber abwegig: Herr Stresemann verfügt nur über die normale Ellenbogenkraft des tüchtigen Parlamentariers, die weniger den politischen Gegnern als vielmehr den Fraktionskollegen gefährlich wird. Es war immer seine Sehnsucht gewesen, mit den Deutschnationalen zu regieren; die ist nun erfüllt. Das weitre ist seine Sache.
Immerhin ist sich Stresemann darüber klar, daß etwas geschehn muß, um das Mißtrauen in London und Paris zu dämpfen. Wenn nicht Alles trügt, ist Herr Otto Geßler dazu ausersehn, die Kosten für die Verlängerung des Stresemannschen Führungsattestes zu tragen. Seit einer Woche etwa beeilen sich volksparteiliche Blätter ganz ungefragt zu versichern, daß Herr Geßler der Partei völlig gleichgültig sei; volksparteiliche Redner erklären desgleichen, die Partei stünde Herrn Geßler »mit Reserve« gegenüber. Dem steht nicht im Wege, daß Herr Stresemann fast gleichzeitig emphatisch ausruft: »Hände weg von der Reichswehr!« Denn unser kleiner Talleyrand hat ja niemals ganz ohne reservatio gearbeitet. Später kann er dann immer sagen, er habe mit diesem freundlichen Zuruf Geßler gemeint. Die Schwierigkeit liegt nur bei den Deutschnationalen, die eine Exmission des Reichswehrministers durch Stresemann nicht zulassen würden. Das Duell zwischen den Beiden ist nicht neu, auch wird Geßler Stresemann nicht die Torpedierung seiner Präsidentschaftskandidatur vergessen haben. Hier ist die Möglichkeit zum ersten großen Krach.
Die Weltbühne, 8. Februar 1927