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Graf Bethlen, der Geohrfeigte von Genf, wird in Rom als großer Mann gefeiert. Denn er erscheint nicht nur als bedeutende außenpolitische Akquisition, sondern auch als Vertreter einer seelenverwandten Staatsraison. Es war wohl mehr als eine der gebräuchlichen Höflichkeitsformeln, als er in einem römischen Blatt versicherte, er werde demnächst Kommissionen nach Italien schicken, um die Arbeiterprobleme des fascistischen Staates zu studieren. Eine schlimme Aussicht für die Arbeiter beider Länder, wenn die Pronays mit den Farinaccis Erfahrungen austauschen, wie man am raffiniertesten füsiliert, henkt, ersäuft! Vielleicht haben die Mussolinier darin nicht mehr allzuviel zu lernen, aber als monetarische Sachverständige können die neuen Verbündeten in Budapest wertvolle Winke für schlechte Zeiten geben.
Von Außen besehen wirkt der Vertrag zwischen Italien und Ungarn nicht besser oder schlechter als die zahlreichen andern Pakte der letzten Jahre. Man schließt im ersten Paragraphen »dauernden Frieden und ewige Freundschaft«, limitiert jedoch im fünften Paragraphen, dem hastenden Wechsel der Möglichkeiten entsprechend, die Ewigkeit zunächst auf zehn Jahre; dazwischen befindet sich die obligate Schiedsgerichtsklausel. Mit diesem Vertrag tritt Ungarn, das sowieso bald von der Militärkontrolle befreit sein wird, wieder ins Spiel der hohen Politik. Italien aber verfügt zwischen Mittel- und Ost-Europa über einen zu Allem fähigen, zu Allem bereiten Mietsoldaten. An der römischen Leine darf Horthys Staat wieder Selbständigkeit posieren und die Prinzipien seiner Innenpolitik, wenn auch zunächst mit einiger Vorsicht, nach Außen kehren.
Der fascistische Block in Europa festigt sich. Durch diese neue Komplettierung ist die Kleine Entente Vergangenheit geworden; Benesch, der tätigste Staatsmann Mitteleuropas, seit Locarno ohnehin durch Stresemann in den Hintergrund gedrängt, ist völlig lahmgelegt. Jugoslavien aber, Italiens intimster Gegner, wird enger eingekreist als Deutschland je war. Vor 1914 machte man so etwas mit Drei- und Vierbünden, wo die Freundschaft offen und ehrlich Waffenfreundschaft genannt wurde. Seit Versailles ist die diplomatische Kunst zartnerviger und verlogener geworden. Man schließt Garantieverträge ab, in deren inhaltsschwachen Text ein fader flauto solo Friedensmelodien trillert, während zwischen den Zeilen die militanten Tatsachen Alarm trommeln. Als wirtschaftliche Gratifikation für seine Gefälligkeit soll Ungarn einen Fiumer Freihafen erhalten, was allerdings einen Transitverkehr durch Jugoslavien notwendig macht, worüber demnächst in Belgrad Verhandlungen eröffnet werden sollen. So vernünftig und friedenfördernd eine solche Regelung unter normalen Verhältnissen wäre, so gefährlich wird sie unter dem Druck einer expansiven italienischen Adriapolitik: Jugoslavien, von zwei Militärdespotien gepackt, denen sich das physisch und moralisch verelendete, von Revanchephantasien durchschüttelte Bulgarien automatisch anschließt, ist auf diesem Wege bedroht, zum ungarischen Korridor zu werden.
Wieder ein Volk, dem der Landgewinn durch die Friedensverträge zum Unsegen geworden ist. Umso schlimmer, weil es sich hier um einen hoffnungsreichen demokratischen Staat handelt, der unter dem Hohngelächter der ganzen europäischen Reaktion, nicht zum wenigsten der deutschen, von einer fascistischen Allianz umklammert wird. Aufs innigste zu wünschen wäre, daß Jugoslavien nicht der Psychose eines Belagerten verfiele und nicht durch eine gereizte Rüsterei oder durch praktisch nutzlose Gegenbündnisse seine Isolierung nur noch deutlicher unterstriche. Hier, wo die Ansätze einer natürlichen Bauerndemokratie lange vorhanden sind, kann ein Staatswesen wachsen, das eingekeilt zwischen vergänglichen Militärdespotien ein Stück bessrer Zukunft darstellt. Möge Belgrad sich mit seinen nationalen Minoritäten aussöhnen und auch im Innern die Ideen verwirklichen, die es einst gegen Wien und Budapest verfochten hat und die seine Sache im Weltkrieg zur bessern gemacht haben. Denn solche Gedanken haben werbende Kraft und springen über die Grenzen, dringen schließlich in das eigne Haus des Bedrängers ein ... Gegen den würgenden Griff der Diktaturen gibt es nur eine beschwörende Formel: – die Freiheit.
Die Auseinandersetzung um das Konkordat müßte zeigen, ob in Deutschland überhaupt noch ein Kampf um geistige Dinge möglich ist. Wir meiden ausdrücklich die Bezeichnung: Kulturkampf. Das ist ein schrecklich abgegriffenes Wort und erinnert allzu sehr an Polizeiplumpheiten, an pathetisch geblähte liberale Hemdbrüste und an Sprühregen aus zeternden pastoralen Mundwerken. Die katholischen Mitbürger sollen nicht nur bei ihrem Glauben selig werden können, sondern auch öffentlich die Überzeugung vertreten dürfen, daß wir Ungläubigen alle einmal in der Hölle braten müssen. Aber es soll ihnen verwehrt sein, einen staatlichen Zustand herbeizuführen, den wir bei Lebzeiten mindestens schon als Purgatorium empfinden würden. Weltlicher Staat und weltliche Schule sind für das Denken unsrer Zeit Axiome und Ergebnisse einer Hirnarbeit von Jahrhunderten, die sich nicht durch eine harmlos klingende Vereinbarung mit dem päpstlichen Stuhl ausradieren lassen. Das ist ein Bewußtsein, das sich nicht etwa auf die politische Linke allein erstreckt, und wenn das im vorigen Heft der ›Weltbühne‹ von Heinz Pol so eindringlich geschilderte Juste milieu im Laufe der nächsten Zeit überhaupt einen Knacks bekommen kann, so aus diesem Anlaß.
Bis jetzt hat es nur einen ganz kleinen Knacks gegeben, der aber sofort zurückgenommen wurde. Beides hat unser Stresemann bewirkt, der sich in ein paar Tagen fünf Mal zur Konkordatsfrage ausgelassen hat und fünf Mal verschieden. Das ist etwas zu viel; selbst für seine kummergewohnten Spezialisten, die sich lange damit abgefunden haben, daß Gustav S. manchmal nicht weiß, was S. Gustav tut. Das erste Mal extemporierte Stresemann altliberal, antiklerikal; tausend lange verstorbne Vollbärte rauschten geisterhaft Zustimmung – dann sprach er nacheinander dämpfend, beschwichtigend und endlich völlig revozierend.
Selbstverständlich hat Herr Doktor Stresemann nicht aus dem unkontrollierbaren Impuls eines Rückfalls in prähistorische liberale Heldenzeiten das Zentrum verstimmt. Seine Rede war als Signalballon gedacht, als warnendes Zeichen, daß er auch anders kann. Denn Herr Stresemann, der in den frühern Kabinetten der Mittelpunkt war, ist es in diesem nur in dem Sinne, wie es der Zernierte ist. Dabei wird ihm das Konkordat noch die geringste Sorge machen. Schwerer wiegt die Bindung seiner außenpolitischen Energien durch die Deutschnationalen. Die Zurückdrängung seiner Partei durch die größern Koalitionspartner machte endlich einen Gegenstoß erforderlich, und deshalb deutete Stresemann einen Ausfall, die Möglichkeit einer Flucht aus der Regierung an. So sollte seine Rede verstanden werden. Als vorsichtiger und stets mit Rückversicherungen arbeitender Kopf attackierte er aber nicht den zuständigen Kollegen Reichsinnenminister, sondern den Kultusminister der preußischen Linkskoalition. So kann möglicherweise der Kampf um das Konkordat nach Preußen abgeleitet werden, in den Zänkereien darum das Kabinett Braun stürzen und ein volksparteilicher Kultusminister in einer Rechtsregierung Das tun, was Stresemann an der Politik des Herrn Doktor Becker als zu schlaff verurteilt. Gelingt es ihm, den Deutschnationalen Preußen auszuliefern, dann werden sie ihm im Reich vielleicht wieder für ein paar Monate Entlastung gewähren.
Diesen unverfälscht nationalliberalen Tatbestand herauszuschälen, hat die Opposition im Reichstag sträflich unterlassen. Sie begnügte sich zu kitzeln, anstatt zu knuffen. Bei festerm Zupacken hätte sich Stresemanns gefünfteltes Seelenleben um wenigstens zwei Felder vereinfachen lassen. Doch die braven Demokraten, staatsbejahend aus Prinzip, alles bejahend aus Faulheit, konnten sich nicht einmal entschließen, den Etat abzulehnen. Selbst ihre eigne Presse findet das kümmerlich. Soll man von den Demokraten Courage und Haltung erwarten? Welche Zumutung! »Seit wann bläst deine Großmama Posaune? Das hat die alte Frau doch nie getan!« Wenn Herr v. Keudell Orden und Ehrenzeichen wieder einführt, dann sollte er auch die Opposition und ihre an dem Wohlergehn der derzeitigen reaktionären Regierung ganz besonders beteiligten Führer nicht vergessen. Nicht nur über Herrn Marx, auch über die linke Opposition, wacht Monsignore Pacelli, der Nuntius, dessen schwarzer Rock auch dies Mal wieder sichtbar durch die Ereignisse wehte. Die klassisch geformten Hände, die sich oft segnend über der Weimarer Demokratie wölbten, können sich, wenn es auf hart geht, auch zum Anathema ballen. Seltsamer Zustand! Das Zentrum empfängt seine Direktiven aus Rom; die Kommunisten beziehen sie aus Moskau, wogegen nichts einzuwenden ist, weil es offen und ehrlich geschieht; für die Locarnesen bringt Breitscheid die Parole aus London mit. Nur wenn man für Freundschaft mit Frankreich und Polen eintritt, schändet man das Heiligtum der nationalen Politik.