Carl von Ossietzky
Sämtliche Schriften – Band IV: 1927–1928
Carl von Ossietzky

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Eckener oder Der Triumph der Betriebsamkeit

Zu Lebzeiten des alten Grafen Zeppelin schon wurden gegen die praktische Verwertung seines Werkes jene Einwände erhoben, die seitdem die Erfahrung bestätigt hat und die nur in den letzten vierzehn Tagen in Vergessenheit geraten sind: Kosten und Aufwand stehen in keinem Verhältnis zum Nutzen. Das leicht manövrierbare und billigere Flugzeug hat auf der ganzen Linie gesiegt; in allen Ländern bilden die Lenkballons heute nur eine Dependance der Kriegsmarine. Diese Feststellung besagt nichts gegen die Sehnsucht des Grafen Zeppelin, einen Lieblingstraum der Menschheit endlich zu erfüllen. Der Krieg brachte seine zu Bombenflügen mißbrauchte Schöpfung in schlechten Kredit. Viele der Luftschiffe endeten unter Projektilen oder in Sturm und Feuer. Einem gelang der Bravourflug von Konstantinopel ins innere Afrika; über den Quellen des Nils erreichte ihn durch Funkspruch neue Order, und er kehrte wohlbehalten zurück. Nach dem Kriege hatte man andre Sorgen. Dazu kam der große Erfolg neuer Flugzeugtypen. Um das Interesse an den Zeppelinen von neuem zu entfachen, dazu mußte jemand gehören, dem es gelang, der Öffentlichkeit zu suggerieren, daß sie kommerziell und politisch ungeheures bedeuteten, daß sie Luftbeherrschung der Zukunft, ständigen Flugverkehr von Gog zu Magog ermöglichten. Herr Doktor Hugo Eckener hat das nie mit so grober Deutlichkeit gesagt, aber niemals auch viel weniger. Mit ungewöhnlicher propagandistischer Geschicklichkeit hat er eine Vision entstehen lassen, die heute von gut dreiviertel aller Deutschen für bare Münze genommen wird. Herr Doktor Eckener ist in diesen Wochen wieder der populärste Mann Deutschlands infolge des häufig vorkommenden Irrtums, daß man den sehr talentierten Reklamechef für das gestaltende Genie hält.

Herr Eckener ist vornehmlich als Typus beachtlich, und wir würden uns trotzdem jetzt nicht mit ihm befassen, wenn nicht sein neuestes Unternehmen von einigen Nebengeräuschen begleitet gewesen wäre, die auch nach der newyorker Festmusik noch in den Ohren summen. Es kann auch nicht verschwiegen werden, daß die Welt in der letzten Amerikafahrt eine Niete erblickt. Denn grade dieser Ozeanflug sollte die Probe für den regulären transozeanischen Personenverkehr werden, und grade das scheint, mit allem Respekt gesagt, nicht völlig gelungen zu sein. Diese Fahrt litt vom Anfang bis zum eben noch glücklichen Ende unter Herrn Eckeners Prestigewillen. Man startet bei ungünstiger Witterung, so gebietet es das Prestige, und muß deswegen einen gewaltigen Umweg machen. Man gerät in Sturm, und havariert beinahe. Zwist zwischen Eckener und Commander Rosendahl, ob ein Hilferuf opportun. Steuerlos für Stunden über dem Ozean, während ein paar Tapfere unter gefährlichsten Umständen die Reparatur ausführen. Aus einer Rekordfahrt wird eine von über hundert Stunden. War die Konstruktion für das stürmische Wetter wie für die Verlängerung der Route doch nicht stabil genug? Das Prestige verlangte ein Wagnis. Summa summarum: ein widriger Wind am letzten Tag hätte eine Katastrophe herbeigeführt. Das Prestige mußte gewahrt bleiben. Nach den Maßlosigkeiten der Propaganda galt es biegen oder brechen. Man hatte Heroismus inszeniert und sich dadurch verpflichtet.

Man brauchte diese Unfreundlichkeiten nicht zu sagen, wäre das Unternehmen nicht so pampig aufgemacht gewesen. Aus dem privaten Unternehmen einer Firma, die seit zwanzig Jahren solche Luftschiffe baut, wurde wieder eine nationale Sache. Die deutsche Technik triumphierte wieder mal, in Ermangelung von Franzosen oder Polen, über Weltmeere. Das schlimmste: sie triumphierte im voraus. Cyklone zogen sich verschüchtert in ihre Schlupfwinkel zurück, denn der deutsche Gedanke erhob sich auf Adlerfittichen in sein ureigenstes Gebiet, nämlich in den blauen Dunst, tief unter sich die Pygmäenvölker Europas, die, zur Entschädigung für ihre Minderwertigkeit, dafür auf Erden besser Bescheid wissen. Reklame hatte seit Wochen vorgearbeitet. Ein Rundflug mit prominenten Gästen, die sich in der Luxuskabine wie im Bristol fühlten, und der Öffentlichkeit diese Meinung nicht vorenthielten, sorgte für Stimmung. Aus einer Höhe von tausend Metern funkte Kathinka von Kardorff, daß es Schmorbraten mit Nudeln gab, der Zeitungsleser atmet erleichtert auf und weiß jetzt, zu welchem Ende der alte Zeppelin dreißig Jahre lang fanatisch gekämpft hat. Bei der Ankunft in Lakehurst wurden dann andre Stimmen laut, namentlich von Leuten, die bezahlt hatten. Ein Amerikaner jammerte über fehlende Ventilation, es wäre rein zum Ersticken gewesen. Trinkwasser war nicht genug mitgenommen worden, dafür Alkohol in schließlich ekelerregender Abundanz. Das alles war aber neben dem, was sie nach der Landung erwartet, noch ein Prolog im Himmel. Zu Tausenden durchbrechen die Sensationsgierigen die Sperre, harte Matrosenfäuste beschwichtigen auf ihre primitive Art die Nervosität. Die Zollbehörde waltete ihres Amtes mit der seit der Einführung der Prohibition üblichen Ungemütlichkeit. Minister Grzesinski verbittet sich diese Methoden und droht, allen öffentlichen Empfängen fern zu bleiben. Wahrscheinlich haben die braven Zöllner in den Herrschaften, die sich als Löwen des Tages fühlten und Ehrenpforten erwarteten, nicht viel mehr als des Alkoholschmuggels verdächtige Individuen gesehen, und vielleicht wird man sie deswegen nicht allzu hart verurteilen dürfen, wenn man sich vorzustellen versucht, in welcher Verfassung die Passagiere wohl angekommen sein mögen: – übernächtig, halbtot nach Luftkrankheit, Strapazen und Schrecken, ungelüftet, ungewaschen, dafür mit Cognac und Rotspon durchtränkt; jeder eine Zone komplexer Gerüche, unter denen Hennessy in siegreichem Vorrang den Prohibitionsbeamten in die professionell geschärften Nasen zog. Doch nicht erst mit der Landung setzte die Konfliktstimmung ein. Eckener verweigerte unterwegs selbst Positionsmeldungen nach Lakehurst zu geben, weil sich ein paar Zeitungskonzerne das Nachrichtenmonopol gesichert hatten. Gesetzt, es wäre schlimmer gekommen, so hätten Mannschaften und Passagiere in dem heroischen Bewußtsein versinken können, daß sie nicht nur der Etikette des Prestiges genügten, sondern auch den Abmachungen mit den Konzernen, die einen etwa von der Konkurrenz aufgefangenen Hilferuf als schimpflichste Felonie betrachtet hätten; diskretes Verschwinden im Ozean wäre daneben das kleinere Übel gewesen.

Die Tagespresse hat sich über das Nachrichtenmonopol genugsam beschwert und mit Fug hervorgehoben, daß die Mittel für den Bau dieses Luftschiffs das Ergebnis einer öffentlichen Sammlung seien. Bekanntlich war zuerst ein Flug nach dem Nordpol vorgesehen. Dafür kam nicht genug Geld zusammen, außerdem hat auch Herr Nobile diese Aufgabe inzwischen vorweggenommen. Aber viel ärger als alle Geschäftlhubereien und Taktfehler ist die grausame Tatsache, daß für die Mannschaft nicht hinreichend gesorgt, nicht einmal genug Trinkwasser vorhanden war. Denn diese Leute sind nicht aus Vergnügen oder Sensationskitzel mitgefahren, bei ihnen lag die Verantwortung, lag die Arbeit. Auch in Wolkenhöhe über dem Meere behalten die ehernen Gesetze des Klassenstaates ihre Geltung. Keine äußerste Gefahr kann sie mildern. Die Leitung hatte den Fahrgästen ein fliegendes Hotel vorgegaukelt, das mußte sie halten. Dafür spielte sie Vabanque, handelte sie unmenschlich gegen ihre unermüdlichen, todesmutigen Helfer, über deren Löhne man übrigens gern etwas erfahren möchte.

Herrn Eckeners Ruhm aber wird durch solche Kleinigkeiten nicht erschüttert, man liebt hier Vabanque, und wenn er zurückkehrt, wird er, falls er nur wünscht, ein Denkmal bekommen oder Präsident werden oder was man sonst so mit beliebten Leuten macht. Rechtsradikale Blätter haben es zuerst gesagt: Eckener ist nur die repräsentative Person des Unternehmens, nicht Konstruktor, nicht Schöpfer. Wer kennt die Namen der beiden Kommandanten, denen die Navigation anvertraut war? Der Erbauer war Chefingenieur Dürr, der dies Mal kaum genannt wurde. Vor vier Jahren, bei der ersten Amerikafahrt, wurde Herr Dürr zwar in den Vordergrund gebracht, aber auf Kosten des genialen Arnstein, der ein Jude aus Prag ist, und dessen Anteil deswegen sorgfältig geschmälert worden ist. Vanity fair. Der Manager triumphiert über den Schöpfer, die Betriebsamkeit über den Geist, der sich nicht zu inszenieren versteht. Die Überschätzung des Organisators ist überhaupt das schärfste Merkmal der deutschen Gegenwart. Wenn man irgendwo auf schwere Mißgriffe, auf Taktfehler, auf Unmenschlichkeiten stößt, und das alles eingewickelt in ein Gerede über sachliche Notwendigkeiten, so weiß man, ohne lange zu fragen: hier hat einer organisiert. Organisieren heißt: zunächst die große Schnauze haben und andern einen Arbeitsmodus aufnötigen, von dem vorausgesetzt wird, daß der Erfinder ihn selbst befolgt. Die größenwahnsinnig gewordenen Reklameagenten sind die wahren Erben der Generalstäbler von einst. Der Propagandaoffizier ist unter die Händler gegangen, seine Ruhmredigkeit, sein Pathos haben eine friedliche Menschensorte zur Nachahmung gereizt. Immer den Blick nach oben: Wir werdens schon schaffen! Deshalb wohl die Verehrung, die dieser Typ genießt, und die Widerspruchslosigkeit, mit der sein Dazwischenkommandieren überall aufgenommen wird.

Aber Deutschland freut sich, daß es so großartige Kerle hat, und wenn es etwas noch mehr anbetet, so ist es die Technik. Wenn der Zeppelin in vierzehn Tagen zurückkommt, wird es einen unsäglichen Begeisterungstaumel geben, und Hunderttausende werden sich so betragen, als hätten wir einen Krieg gewonnen. Man ist leicht bereit, aus tausenderlei fernliegenden Anlässen nationale Erbauung zu holen, und so bösartig entwickelt der Chauvinismus anderswo auch sein mag, das Land muß man lange suchen, wo eine patriotische Simultanfeier veranstaltet wird, weil eine Maschine gut funktioniert hat. Ein so radikal technisiertes Land wie die Vereinigten Staaten käme dann überhaupt nicht mehr aus dem Feiern heraus. Wenn russische Muschiks mit ehrfürchtigem Glotzen vor einer Maschine stehen, ist das begreiflich, denn sie kennen so etwas nicht, sie fürchten den schnaubenden und stampfenden Dämon, und ihre Sowjets verübeln ihnen die Heiligenbilder. Aber die Technik ist uns nicht fremd, und wir leben auch nicht in einem so heiter zurückgebliebenen Land wie Andalusien, wo jede Vicinalbahn nur unter großem Trompetengeschmetter aus dem Bahnhof schaukelt. Wir kennen das Bild der Technik, denn es ist nur ein Stück gewöhnlichen Alltags. Und doch werden bald wieder Hunderttausende stundenlang harren, arme Menschen mit schlechter Wohnung und schlechter Nahrung, und in hemmungslosen Jubel ausbrechen, wenn sich endlich hoch oben in der Luft das seltsame silbergraue Ding zeigt. Seitlich betrachtet, wirkt es in seiner linearen Starrheit wie ein Kontrast zu den natürlichen Wellen des Horizonts, wie nachträglich und ohne Sinn für Proportion in das Bild hineingezeichnet. Doch wenn es plötzlich in eleganter Kurve wendet, langgestreckten Leibes vorüberzieht, dann bleibt der Eindruck eines gutartigen Riesentieres der Fabelzeit, von einer krausen Laune Gottes aus Jahrtausendschlaf geweckt und in den Äther gehoben. In seinen massigen Formaten symbolisiert es den Triumph der Technik ganz anders als das bescheidene, alltäglich gewordene Flugzeug. Patriotische Legende klebt daran, glorreiche Erinnerung und halb bewußte Hoffnung, und die nicht minder gefährliche Legende von der allmächtigen Schaffenskraft des Kapitalismus. Hier schuf er eine Gottheit fürs Volk; es vergißt darüber gern, daß die Macht, die dies Wunder bewegt, auch die Grenzen seines eignen armen Lebens bestimmt. Welch eine Gigantenfaust, die dies ausrichtet, dies bewegt! sagt der kühne, ruhige Flug, Sinnbild gebändigter Kräfte. Nur in den Wolken einer dünnen Idolatrie für des kleinen Mannes Haus ist der Zeppelin ein Wunder. In der Welt der sozialen Wirklichkeit wird er eine Attrappe, ein glitzernder Irrwisch, ein fliegendes Potemkinsches Dorf.

Die Weltbühne, 23. Oktober 1928


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