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Auf rauhe Schlachten folgt Gesang und Tanz. Wo eben der starre, schwer ergründbare Seeckt mit Donner und Blitz versunken ist, steigt der fröhliche Bonvivantkopf des Generals Heye auf, von einem Regenbogen mit ganz kleiner weimarer Gösch umstrahlt. Das Zeichen des neuen Bundes. So stellt sich Herr Heye im Haushaltsausschuß den Parlamentariern vor. Die Oppositionellen darunter waren kritikgeladen gekommen, rechneten mit einer Panzerfront, stießen statt dessen auf einen weichen Vertrauensbauch und ließen sich von liebenswürdig fließender Rede gern entwaffnen. Paul Löbe, der vor ein paar Monaten den Anstoß zur Debatte über die Republikanisierung der Reichswehr gegeben hat, wohnte der Sitzung als Zuhörer bei. Und wird es bleiben.
Der neue Chef der Heeresleitung erleichtert der Opposition den Übergang zum Nichtstun. Noch vor wenigen Tagen hat Herr Geßler dem gleichen Ausschuß den Wunsch nach einem parlamentarischen Staatssekretär in der von ihm gewohnten Art abgeschlagen. Herr Heye weiß seine Leute besser zu nehmen. Er gesteht unumwunden zu, daß vieles zu rügen sei, aber »im Grunde« sei die Reichswehr doch eine gute Truppe. Monarchistische Offiziere habe es auch in der französischen Armee, sogar unter den republikanischen Zeloten Cromwells gegeben. Das wären fast immer die besten gewesen. Aber Herr Heye gibt auch zu, daß im Volk Mißtrauen gegen die Reichswehr herrscht. Dergleichen wurde früher nicht gehört. Das ist nicht mehr der Standpunkt näselnder Superiorität und nach Geßlers Korporalston sehr viel, aber auch Herr Heye denkt nicht daran, den Herrn Deputierten mehr Konzessionen als solche rein rhetorischer Art zu machen. Denn wo wirkliche Forderungen vorgelegen haben, wurden sie, hübsch in Watte gepackt und mit einem Gott-grüß-dich-Bändchen geschmückt, den Herrn zurückgereicht.
Gab es nicht vor kurzem noch großen Lärm um die Ersatzfrage? Sollte nicht die Rekrutierung dem diskretionären Ermessen der Herrn Kompagnieführer entzogen, damit die Verbindung zwischen Wehrmacht und Wehrverbänden zerschnitten werden? Hierin war doch alles, von Wels bis Stresemann, einig. »Das beste Verhältnis«, führte Herr Heye aus, »ist immer, wenn der Kompagniechef mit den Anverwandten des Soldaten Fühlung hat; die Reichswehr ist doch eine große Familie«. Herrn Heye liegt gewiß fern, die Opposition mit Spott heimzuschicken. Aber ironischer läßt sich die Abwehr unerwünschter Kontrolle nicht formulieren. Die Herren Abgeordneten hörten zu und lachten nicht. Keiner dachte, die von der trauten Familie begangenen Excesse wieder und wieder aufzuzählen und nach Garantien für die Zukunft zu forschen. Keiner dachte, die böhmischen Wälder des Etats zu durchqueren. Herr v. Richthofen, Sprecher der Demokraten und in der letzten Weihnachtswoche designierter Reichswehrminister, meinte nur, daß die Höhe des Etats in Frankreich bereits Anstoß und Mißtrauen erregt habe. Wie schrecklich! Gott strafe Frankreich! Keiner der Tadler kam über Belanglosigkeiten hinaus.
Vor diesen Kritikern hat es der neue Mann leicht. Aber er vertritt auch sein Programm nicht ungeschickt. Die Deutschnationalen wünschen Vertrauen im Ausland. Das Zentrum wieder ist lebhaft interessiert, daß der neue Verbündete sich als republikanisch stubenrein erweise und die Allianz nicht durch Dummheiten gefährde. Das Ziel der Deutschnationalen aber heißt: Preußen! Nicht im Sturm soll die Festung genommen werden, das Zentrum selbst die Tore öffnen. Bis dahin muß alles vermieden werden, was böses Blut machen könnte. Bis dahin ist Ruhe nicht nur Bürger-, sondern mehr noch Soldatenpflicht. Keine dummen Reden, keine antirepublikanischen Provokationen mehr. Für monarchistische Schaugepränge, für die Kaiserhochs der wilhelminischen Generalität werden keine Uniformierten mehr ausgeliehen. Münsingen war Höhepunkt und jäher Absturz zugleich. Die neue Koalition könnte Skandale solcher und andrer Art nicht vertragen. Die Reichswehr wird für die nächste Zeit aus dem politischen Getümmel, damit auch aus dem Bereich von Reformversuchen gezogen und in die Kaserne gesperrt. Da ist die Familie unter sich. Herr Heye hat seine Aufgabe verstanden.
Auch die Justiz ist sozusagen eine große Familie, die ihre eignen Interessen hat, ihre eigne Zunge und, vor allem, ein eignes hochgezüchtetes Sippenbewußtsein. Das errichtet für den Laien eine sichtbare Barriere, die zu übersteigen, ihn nicht gelüstet. Deshalb muß auch alle Kritik im Parlament, selbst von rechtsgelehrten Advokaten geübt, verhallen; während die Anklagen und Besserungsvorschläge von richterlichen Personen als Verstöße wider die Familienehre empfunden werden. Wer sich Das hat zu schulden kommen lassen, wird als Bastard oder ungeratenes Kind betrachtet.
Herr Landgerichtsdirektor Marschner gehört zu denen, die Mutter Freude machen. Sein Prozeß gegen den ›Montag Morgen‹ hat mit Verurteilung zu hanebüchnen Geldstrafen geendet. Ein Erfolg war, daß zum ersten Mal ein Geschworenenzimmer wie ein Raritätenkabinett zur Besichtigung geöffnet wurde. Aber das Entrée ist zu hoch, und die Neugierigen werden sichs in Zukunft überlegen. Viel billiger ist dagegen in Potsdam ein Mitglied der Dynastie Kähne davongekommen. Einen Arbeiterjungen blutig zu schlagen, wiegt nicht ein Zehntel so viel wie die Anzweiflung der Methoden des Herrn Marschner, seine Geschworenen zum Strammstehen zu bringen.
Die Hoffnungen, die sich im Sommer an den Fall Haas geknüpft haben, sind inzwischen zerplatzt. Zwar trat der Juristentag weniger großsprecherisch auf als sonst, und der damalige Reichsjustizminister Doktor Bell gab offen die Vertrauenskrise zu. Aber es ist das Schicksal des gutmeinenden Herrn Bell, immer etwas an den Feind ausliefern zu müssen: 1919 die Kolonien an die Entente, 1927 die Justiz an Herrn Doktor Hergt.
Die Reichswehr steht jenseits des sozialen Alltags. Da es keine Wehrpflicht gibt, würde sie ohne ihre Bemühungen um politische Präponderanz friedlicher und stiller vegetieren als irgend eine bemooste Katasterei. Die Justiz dagegen ist die vitale Sache jedes Bürgers. Mißtrauen gegen sie in den Volksmassen bedeutet den moralischen Staatsbankrott. Früher war wenigstens das Reichsgericht, wenn auch in seinen einzelnen Entscheidungen oft klassenmäßig beengt, eine Körperschaft siebenmal gesiebter juristischer Intelligenz. Heute geht die höchste Instanz in politischen Prozessen, wie bei der Verurteilung der kommunistischen Buchhändler und jetzt der Buchdrucker, auf Heiterkeitserfolge aus und leistet sich Stücke, die jeder vor Revisionsgründen zitternde Amtsgerichtsrat sorgfältig vermeidet.
Die Unabsetzbarkeit des Richters ist ein altes demokratisches Palladium. Soll das preisgegeben, dem Zufall der jeweils regierenden Parteikonstellation ausgeliefert werden? Die Fachmänner raten, selbstverständlich, ab. Auch die paar Menschen, die in Deutschland die Avantgarde der politischen Linken bilden, sind geteilter Meinung. Aber eines ist gewiß: geht es im bisherigen Trott weiter, dann wird die Justiz einmal etwas ganz Irreparables anrichten, was selbst dieses geduldige Volk zum Kochen bringt. Und dann werden auch die zahmsten Demokraten plötzlich wild nach Rache schreien, nach sofortiger Wandlung, nach der eisernen Faust und nach, weiß Gott, nicht was. Dann werden sie, wie beim Landsberger Femeprozeß, plötzlich die Forderungen der bespöttelten und ignorierten Außenseiter aufnehmen und tun, als ob sie das immer gesagt hätten. Die Justiz treibt einem Münsingen zu, dem offnen, durch keine Konzession zu dämpfenden Skandal. Aber wenn die reaktionären Parteien selbst die Reichswehr mit pfiffigem Kompromiß aus dem politischen Getümmel ziehen können, um die erregten Köpfe zu beschwichtigen – die Justiz als ungleich wichtigeres Instrument ihrer Herrschaft können sie nicht einmal äußerlich neutralisieren. Je mehr die Rechtsparteien gouvernemental werden, das heißt: auf Agitation verzichten müssen, desto fester müssen sie sich an diese Justiz klammern. Denn der Haustyrann kann zur Not auf die Fußangeln und Selbstschüsse im Hof verzichten, nicht aber auf den Knüppel hinterm Schrank.
Die Weltbühne, 22. Februar 1927