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Wenn man nicht wüßte, daß der General Groener ein breites süddeutsches Temperament wäre, jovial bei sehr viel Berechnung, ehrgeizig aber mit Bonhommie fein abgetönt, rücksichtslos genug, um gehörig anzuecken, aber doch diplomatisch genug, um, mit der einen Seite verkracht, sogleich der Held der andern zu werden, ein Stratege der guten Rückendeckung –
– wenn man das nicht wüßte, würde man wohl geneigt sein zu sagen: »Ärmster, lieber in die sizilianischen Schwefelgruben, denn als Minister in die Bendlerstraße einziehn!«
Es erübrigt sich, die letzten großen Stationen eines so wohlbekannten Lebenslaufes aufzuzählen. Die Ereignisse zeigen einen vielwendigen Mann, der den kecken Vorstoß nicht scheut, doch stets auf schnelle Kompensationen bedacht bleibt. Die Gewerkschaften bringen ihm im Kriege mehr Vertrauen entgegen, als irgend einem andern; die Schwerindustrie unterminiert seine Stellung. Aber grade jetzt vor zehn Jahren schleudert er den streikenden Munitionsarbeitern einen Satz entgegen, der wie ein Peitschenhieb knallt. Als Ludendorffs Nachfolger eben vor Torschluß gibt er dem ohnmächtigen Kriegsherrn brüsk den Ratschlag, sofort die Armee zu verlassen; verhindert damit den Bürgerkrieg, um ihn ein wenig später durch den Geheimvertrag mit Ebert erst recht zu entfesseln. Der gleiche Mann, der die Dynastie über die Grenze schiebt, mobilisiert auch die Konterrevolution. Noch im Dezember Achtzehn, in diesem tragischen Monat des Hungers, der Unordnung, der letzten Erschöpfung, will er den Volksbeauftragten die Erlaubnis ablisten, mit den Trümmern des Heeres gen Ostland zu reiten, um Posen wiederzuholen. Doch als ein halbes Jahr später, am Vorabend von Versailles, Offiziersemeute droht, weiß Erzberger keinen Bessern als ihn, um den Herren einzupauken, daß Widerstand Wahnsinn wäre. Widerspruch über Widerspruch vereint in der kraftvollen Physis eines glänzend begabten schwäbischen Plebejers, den die Geschichte eigens geschaffen zu haben scheint, um zu beweisen, daß die Zeit der geschnürten wilhelminischen Hofgenerale mit ihren vermoderten politischen Ansprüchen und Ehrgeizen zu Ende.
Jetzt steht er vor Otto Geßlers hinterlassenem Kompost. Kein Verständiger wird erwarten, daß er den in einem Tage fortschaufelt. Aber für ihn gilt nicht, wie für seine beiden Vorgänger, die Ausrede, daß er ein Außenseiter sei und sich erst ins Milieu einleben müsse. Der kann, wenn er will. Und ob und wie er will, wird sich bald zeigen. Ein Groener kennt den Bau, dem können die Ministerialoffiziere nicht mit »technischen Bedenken« kommen. Vor diesem in allen Zweigen des Handwerks Geübten muß das Augurenlächeln der Schleicher erstarren.
Und nun bleibt nur noch übrig, den großen Demoblättern zu gratulieren, daß es ihnen endlich gelungen ist, ihren Favoriten ... nein, daß man ausgerechnet ihren Favoriten für das gefährlichste Ressort ins Rechtskabinett geholt hat. Eine kalte Douche für die Wahlparolen. Vergeblich stellen die Herren sich heute unbeteiligt und sagen weise: »Wir müssen erst mal sehn, wie er sich entwickelt.« Als Wilhelm Groener vor zwei Monaten sechzig Jahre alt wurde, erstickte er fast unter demokratischen Blumensträußen. Findet er es richtig, vor den Wahlen überhaupt nichts mehr zu tun, um sich nirgends zu binden, ist die ganze Agitation der Linken vermasselt. Akklimatisiert er sich dagegen in seiner neuen Umgebung, kann Herr Marx zu allen Beschwerden sanft abwimmelnd sagen: »Bitte schön, meine Herren, Ihr Mann, Ihrer ...«
Die Republikaner gehn an sehr kurzer Leine in den Wahlkampf.
Was ist eigentlich mit dem mysteriösen Munitionsschiff los, das neulich in Kiel von pflichttreuen Zöllnern angehalten wurde? Wie ein Fliegender Holländer spukte es durch ein paar nicht sonderlich überredende amtliche Erklärungen.
Bekannt ist bisher, daß das norwegische Schiff »Akka« mit 300 Tonnen Gewehren und Gewehrmunition in Kiel festgehalten wurde. Die Waffen sollen als Metallschrott aus Torgau gekommen sein. Diese Herkunft wird bezweifelt, ebenso ist das Ziel nicht bekannt. Eine sehr dunkle Geschichte.
In parlamentarischen Kreisen zerbricht man sich heftig den Kopf darüber. Gerüchte fliegen hin und her, Informierte machen mit gesenkten Mundwinkeln triste Andeutungen. Faßt man zusammen, was gesagt wird, so ergibt sich etwa dies Bild: während wir das konfiszierte Schiff noch fest an der Kette glauben, ist es, allen Bräuchen von Polizei und Zollbehörden zuwider, bereits seit einigen Tagen freigegeben und schwimmt mit seiner Ladung dem unbekannten Ziel entgegen. Meeresstille und glückliche Fahrt.
Aber kehren wir aufs Trockene zurück. Als das Schiff von den kieler Zöllnern angehalten wurde, hatte sich durch die erste Untersuchung der dortigen Polizei herausgestellt, daß ein Marineleutnant Protze, der Leiter der Spionageabwehrstelle der Marinestation der Ostsee, in irgendeiner Verbindung dazu stand. In den Akten der Politischen Polizei wurde Herr Protze als schlichter Privatmann geführt, erst als er vernommen werden sollte, stellte sich heraus, daß er noch aktiver Offizier ist und zurzeit bei der Marinebehörde in Berlin. Es ist hier in der ›Weltbühne‹ vor Monaten schon berichtet worden, daß Herr Protze jener Offizier war, der vor dem Hitlerputsch mit Herrn Canaris und einem Korvettenkapitän a.D. Götting ansehnliche Waffenbestände aus den Marinedepots ins Ausland bugsiert hat, um mit dem Erlös die schwarzen Fonds zu stärken. Darüber liegen polizeiliche Vernehmungsprotokolle vor. (›Weltbühne‹ 1927, Nummer 34.)
Zur völligen Aufklärung dieses unerquicklichen Sachverhalts ist bisher herzlich wenig geschehen. Die Herren Abgeordneten sind zwar außer sich – aber man weiß aus frühern Erfahrungen die Grenze, die sie nicht überschreiten. Und wie steht es mit der Untersuchung durch die Organe des Staates? Die Antwort lautet nicht ermunternd, obgleich die Untersuchung in den Händen der Politischen Polizei in Berlin liegt, die bei andern Gelegenheiten viel Initiative bewiesen hat. Allerdings ist diese Sache einem politisch rechtsstehenden Herrn anvertraut worden, der gewiß keine vaterländischen Gefühle verletzen wird. Zum Überfluß hat jetzt auch noch die kieler Staatsanwaltschaft die Akten okkupiert, aber es sieht nach allem nicht so aus, als ob sie tief genug loten wird. Praktisch bedeutet ihre Einmischung wohl kaum mehr als Vertagung ad calendas graecas.
Liegt dieser Fall schon reichlich im Düstern, so ist ein zweiter kaum richtig bekannt geworden. Nur durch wenige Blätter ist die Mitteilung gegangen, daß erst vor Kurzem in Tampico, dem großen mexikanischen Ölhafen, ein Dampfer von den Zollbehörden festgehalten worden ist, weil er von oben bis unten mit Kriegsmaterial befrachtet war. Es handelt sich um den Dampfer »Schleswig-Holstein«, der Ocean-Reederei Flensburg gehörig. Er liegt sagenumwoben in Tampico an der Kette, und niemand bekennt sich dazu.
Auch unsre öffentliche Meinung liegt unglücklicherweise an der Kette.
Wozu die Geheimtuerei?
Sie ist die fatalste Errungenschaft der Ära Geßler, und hat dem Vertrauen zu amtlichen Erklärungen eine Katastrophe nach der andern bereitet. Die Geschichte der Reichswehr besteht aus einer Kette von Mysteriosa, die es nur für die deutschen Staatsbürger waren. Wir sind jetzt an einem Wendepunkt, könnten es wenigstens sein. Man pflegt das Haus zu lüften, wenn Einer ausgezogen ist. Jeder Vernünftige weiß, daß alle militärischen Heimlichkeiten grober Unfug sind und stets nur geschadet haben.
Es ist von unsrer tapfern Marine gewiß aller Ehren wert, wenn sie versucht, die verflimmerten Millionen auf anderm Wege wieder hereinzubringen. Ihre Betriebsamkeit, ihre kommerziellen Talente sind nicht mehr zu bezweifeln. Unser Neptun führt keinen Dreizack, sondern die Couponschere. Man kann es als Pazifist sogar nützlich finden, wenn sie ihr Pulver an alle gelben und braunen Revolutionen und Reaktionen der Welt verscherft, anstatt es in näherliegenden Zonen zu verknallen. Aber mag das Geschäft finanziell noch so lukrativ sein, politisch zahlen wir am Ende doch die Kosten, so wie wir bisher für jede Dummheit mit Wucherzinsen heimzahlen mußten.
Mehr als je hat der Reichstag es heute in der Hand, volle Klarheit zu fordern und auch zu erlangen. Manche Bedenken, manche Vorurteile, die vor Jahresfrist noch turmhoch schienen, sind nicht mehr. Mindestens in den republikanischen Parteien hat man heute begriffen, daß gewisse Dinge, die angeblich den Interessen der Wehrmacht dienen sollten und deshalb großmütig übersehen wurden, in Wahrheit nur geheimen Umsturzplänen förderlich waren und auch nur zu diesem Zwecke geschehen sind.
Deshalb heraus mit der Sprache! Deshalb endlich die Wahrheit über das kieler Glücksschiff und am besten auch gleich über das andre in Tampico. Was ist an diesen Gerüchten? Wo kam die Ladung her? Zuerst hieß es, es handle sich um eine tschechische Waffenschiebung. Doch dann wurde gleich die Vermutung ausgesprochen, daß es schwarze Bestände wären und China das Ziel. Stimmt es, daß das Schiff, trotzdem seine Fracht verdächtig genug war, wieder freigegeben worden ist? Und auf wessen Intervention? Das wäre klipp und klar zu beantworten.
Und nun wollen wir den Daumen drücken, daß der Herr Oberreichsanwalt nicht die pflichttreuen kieler Zöllner wegen Landesverrats einbuchtet.
Die Weltbühne, 24. Januar 1928