Carl von Ossietzky
Sämtliche Schriften – Band IV: 1927–1928
Carl von Ossietzky

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Lombard

Wieder eine kapitale Pleite mit kriminellem Brandgeruch. Wieder krabbelt aus dem Schutthaufen bemakelt eine Koppel von Ehrenbürgern, höhern Beamten – Leute, die durch Amt und soziale Stellung nicht nur zur Tugend, sondern auch zur Rechtskunde verpflichtet sind. In dem angerichteten Chaos verschwindet der Demiurg, Herr Bergmann vom gleichnamigen Lombardhaus. Er ist kein Großer der Branche, kein John Law; die Therese Humbert hat länger und großartiger gespielt. Ein kleiner Volpone, wissend, daß wir aus solchem Stoff gemacht sind, wie dem zu raffen. Ein Expert der gierigen Instinkte, beachtlich durch die schlichte Selbstverständlichkeit, honorige Männer in Geschäfte zu ziehen, von denen sie wissen mußten, daß sie nur in den Katakomben des Kommerzes gefingert werden. Denn eine Kapitalseinlage, die mit 48 % verzinst wird, erzählt mir nichts ... Und Warenlombard ist ohnehin nichts Feines. Nur die Versinkenden und die Desperados unter den Kaufleuten frequentieren das. Die Profiteure des Bergmannschen Unternehmens hätten sich ebenso gut an einer Leichenberaubung beteiligen können.

Mir tun nur die kleinen Leute darunter herzlich leid, die wieder mal am ärgsten versackt sind. Das ist nämlich die bizarre Klassenmoral des Schicksals, die immer so hart die kleinsten, ärmsten Teufel trifft, die, angeregt durch weit größere Beispiele, ihre paar zusammengekratzten, zusammengehungerten, zusammengeerbten Sechser auf den Hasardtisch werfen, in der Hoffnung, sich mit einem Coup gesund zu machen für immer.

Und was die Großen angeht ... Ei, da ist ja auch ein berühmter Name ... das Schlachtenglück ist halt nicht vererblich ... alle schuldige Reverenz, dennoch. Und da ist auch der unvermeidliche Staatsanwalt. Armer Staatsanwalt, durch dein Amt zum Pharisäertum verpflichtet, verpflichtet, mir und dir die Leviten zu lesen, wenn wir die moralische Verkehrsordnung übertreten haben, von Amts wegen berufen, kategorische Imperative zu schleudern und schwierigste Lebensknoten in wenigen Worten überlegen zu lösen. Und nun selbst diesem Gericht der Pharisäer unterworfen – armer angeklagter Ankläger! Amt, Würden, Titel, öffentliche Ehren – auch das ist nur geliehener Schein, auch das nur Lombardgeschäft, nicht sehr reell und nicht mal lohnend und schrecklich am Zahltag.

Firma Bergmann ist versiegelt. Ein goldnes Kalb ist gestürzt. Etwas Geschwätz und Gejammer noch, und die wilde Jagd geht weiter. An der Ecke wartet schon das nächste.

Die Weltbühne, 7. Februar 1928


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