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Die kommunistischen Abgeordneten Münzenberg und Pieck haben ein Volksbegehren angemeldet: »Der Bau von Panzerkreuzern und Kriegsschiffen ist verboten.« Lothar Persius hat hier im vorigen Heft dargelegt, warum dieser Wortlaut nicht einwandfrei ist. Es ist kümmerlich, daß zwei Abgeordnete zusammen nicht imstande sind, einen sachgemäßen Antrag zu formulieren. Doch das ist nicht das Wichtigste, der Sinn dieses kurzen Satzes ist unmißverständlich und ist zu bejahen.
Zu einem kleinen Verweilen zwingt indessen die Prüfung der Legitimation zu solchem Antrag. Das Verlangen, jede Verstärkung der Kriegsmarine zu verbieten, was in praxi auch die heute vorhandenen maritimen Kriegsmittel wertlos machen würde, ist ohne Zweifel pazifistisch. Zu gleicher Zeit mit ihrer Propaganda dafür eröffnen die Kommunisten aber eine heftige Campagne gegen die deutschen Pazifisten, die fast den Verdacht offen läßt, als wollten sie sich gegen Sukkurs von dieser Seite sichern. Ich weiß, daß die Führer der KPD Gemüter ohne Arg sind und zu so viel Diabolismus gar nicht fähig. Doch ein Erfolg ist schon da: die Pazifisten halten sich abseits. Ein betrüblicher Entschluß. In der Politik kann auch der berechtigten Verärgerung nicht das letzte Wort zufallen.
Während die Kommunisten zu einer eminent pazifistischen Aktion trommeln, steht in ihrer Presse einiges dieser Art: »Jedenfalls haben die Kommunisten niemals einen Zweifel darüber gelassen, daß sie keine Pazifisten sind ... Der Pazifismus ist als politische Richtung kein Verbündeter der Arbeiterklasse, sondern ein Gegner.«
Oder:
»Unter den deutschen Pazifisten gibt es zweierlei Arten. Die einen reden den Herrschenden gut zu ... Die andre Sorte von Pazifisten, teils als eigne Organisationen, teils als die offizielle Meinung der sozialdemokratischen Parteien, besteht darin, die Arbeiter überzeugen zu wollen, daß sie die pazifistischen Bestrebungen nach Schiedsgerichten und Verständigung, nach Abrüsten mit allen Kräften unterstützen müßten. Auch diese Sorte von Pazifismus ist ein Betrug, mag es auch mancher Pazifist, mancher Kriegsdienstverweigerer ehrlich meinen, persönlich ein mutiger Mann sein.«
Merci beaucoup. Aber nun frage ich: ist das Verbot, Kriegsschiffe zu bauen, etwa keine Abrüstung? Mein guter Freund, ich rat euch drum, zuerst collegium logicum ...
Ich möchte trotzdem die gehaltvollen Deduktionen der roten Fähnriche nicht mit mehr Kopfzerbrechen behandeln als sie den Herren Verfassern selbst bereitet haben. Daß sich die Marinefreunde mit einem wahren Orgasmus von Genugtuung auf solche und ähnliche Zitate werfen, ist kein Wunder. Sie wären Esel, wenn sie es unterließen. Aber wir wären die größern Esel, wenn wir uns durch verstimmte Begleitmusik abhalten ließen, eine Sache zu verfolgen, die vernünftiger ist als einige ihrer Befürworter.
Herr Paul Loebe, der bei innern Schwierigkeiten der Sozialdemokratie eine Opposition mit dem sichtbaren Eichvermerk des Vorstandes zu stellen pflegt, hebt auch dies Mal die wattierte Protestlerfaust und versucht ganz nebenbei die unangenehme Diskussion auf einen angeblichen russischen Seemilitarismus abzulenken. In der ›Welt am Abend‹ hat ihm Persius kürzlich nachgewiesen, daß seine Behauptung, die russische Seerüstung sei »größer und finanziell schwerer als die deutsche« nicht mit den Tatsachen in Einklang zu bringen sei. Loebe hat für Deutschland errechnet: sechs Linienschiffe, sechs Kreuzer, vierundzwanzig Torpedoboote und Zerstörer; U-Boote fehlen. Für Rußland: vier Linienschiffe, neun Kreuzer, siebenundvierzig Torpedoboote und Zerstörer, zwanzig U-Boote. Durch die Bemerkung »jetzt schon« deutet Loebe an, daß die russische Kriegsmarine Verstärkungen vorbereitet.
Demgegenüber erklärt Persius, der sich hier vor zwei Wochen ausführlich über den Stand der deutschen Kriegsmarine, über ihre Vorbereitungen und Reserven geäußert hat, daß auf keiner russischen Werft irgend ein Typ von Kriegsschiff oder Zerstörer oder Torpedoboot auf Stapel liegt, während Deutschland, von dem noch strittigen Herrn A abgesehen, jetzt 4 Kreuzer, 6 Zerstörer und ein kleines Torpedoboot zu erwarten hat. Nach dem von Persius zitierten »Taschenbuch der Kriegsflotten« von 1928 verfügt die Sowjetunion zurzeit über: 4 Linienschiffe, 1 Panzerkreuzer (vom Jahre 1906), 2 Geschützkreuzer, 1 Schulschiff, 36 Torpedoboote und Zerstörer und 10 U-Boote; die letztern sollen sich noch im Bau befinden.
Das russische Exempel langt also nicht zur Rettung der sozialistischen Minister, die ja sonst nicht grade eifrige Kopisten Moskaus sind. Überdies dürfen die gelegentlichen martialischen Reden einiger Sowjethäupter nicht darüber hinwegtäuschen, daß Rußland schon seine heutigen Rüstungen als finanziell schwer tragbar empfindet und heilfroh wäre, seine schwache Wirtschaft von dieser Last zu befreien. Wenn Litwinow in Genf nicht ohne selbstgefälligen Zynismus den radikalsten Abrüstungsantrag begründete, der je eingebracht wurde, wenn Tschitscherin jetzt ohne jede polemische Zutat den Beitritt zum Kelloggpakt anmeldet, so bedeutet das nicht einfach eine Vernebelung des diplomatischen Terrains, um sich desto besser in Heimlichkeit militärisch ausstaffieren zu können. Die russische Außenpolitik, obgleich oft kraus und intrigant, war doch immer von vitalen Notwendigkeiten bestimmt und niemals so weltbrüderlich, so todfeindlich gegen alle Bourgeoisstaaten gestimmt wie die reisenden Missionare der Dritten Internationale.
Gewiß, Rußland hat seine Rote Armee, ein sehr achtunggebietendes Heer – für Pazifisten oft ein Anstoß. Aber glaubt wirklich jemand, das Sowjetregime wäre nicht längst ekrasiert, wenn es sich nicht diesen Stachelpanzer geschaffen hätte ...? Es fehlt eben für die Staaten der ganzen Welt noch die Gleichheit der Voraussetzungen. Was Rußland gerettet hat, wäre Deutschlands Verderben geworden. Eine Befolgung des russischen Beispiels hätte zu Invasion, Auflösung und Ende der staatlichen Existenz geführt. Gleichheit der Voraussetzungen für Alle zu schaffen ist die Aufgabe von Heute. Die gereizte Machtgebärde der Großen ebenso zu entwaffnen wie die nicht minder gefährliche Angstneurose der Kleinen, darum geht es. Noch halten sich Friedenspakte und Kriegsbündnisse die Wage.
Deutschland hat einen beachtlichen Vorsprung. Es ist, im Sinne des versailler Vertrages, entwaffnet. Lassen wir hier beiseite, was in seiner Metallindustrie, in seinen hochgezüchteten chemischen Werken, in seiner vorzüglich entwickelten Aviatik etwa an Wehrpotenzen zu mobilisieren wäre. Im Sinne des Vertrages ist Deutschlands Rüstung abmontiert und verschrottet. Aber noch zittert um die einstmals kompakteste Militärmacht das Mißtrauen, und der kleine Finger wirkt hier bedrohlicher als bei andern die breite Pranke. Der deutsche Schlachtengott ist exiliert, aber seine Altäre stehen noch, und sein Kult geht in feierlicher Verbissenheit weiter. Wir haben jetzt die einzige und unwiederbringliche Gelegenheit, ihm den stets reichlich gespendeten Obolus zu versagen. Das Referendum gegen die Panzerkreuzer wird den deutschen Friedenswillen mächtiger bekunden als eine Unterschrift in Locarno oder Paris. Der Panzerkreuzer ist militärisch eine Lappalie, gefährlich nur als Eröffnung einer Serie. Aber der Kampf darum zeigt, daß Deutschland nicht eine Renaissance seiner Militärmacht will, daß es die Wiederkehr einer gottseidank versunkenen Glorie nicht einmal im Miniaturformat wünscht. Die europäische Resonanz mag den Kommunisten gleichgültig sein. Aber in der Tat arbeiten sie für das, was ihre Artikelschreiber verfluchen.
Ob der Volksentscheid aussichtsvoll ist oder nicht, mag spätere Sorge sein. Zunächst müssen die vier Millionen Stimmen für das Volksbegehren aufgebracht werden. Mögen die Kommunisten auch wenig einladend offerieren, es ist nicht ihre Sache allein, und es gilt im Notfall sogar, den Sinn der Sache gegen die Veranstalter zu verteidigen. Es geht darum, endlich jenen perfiden Militarismus zu treffen, der tausend Mal bankrott und kompromittiert, immer wieder den Weg durch die Seitentüren gefunden hat. Er schoß als Mörder aus dem Hinterhalt, er wütete in Geßlers schwarzer Klapprothgarde, er lächelte verständnisinnig um Seeckts versiegelte Lippen, er schlug seine persiflierenden Kapriolen in Lohmanns Betriebsamkeit, er übertölpelte, mit dem harmlosen Papier eines parlamentarischen Mehrheitsbeschlusses gedeckt, ein paar kompromißselige sozialistische Minister. Vielgestaltig und gut maskiert hat er sich immer wieder in die erste Reihe gespielt, vernünftige Handlungen verhindert, dem Staat das Odium der Unehrlichkeit und des Vertragsbruches verschafft und eine Krise nach der andern verschuldet. In zehn Jahren ist er die geheime Krankheit, der Tumor am Hirn der Republik gewesen. Wir haben ihn oft entlarvt, seine Schliche aufgedeckt, seine Finten durchkreuzt. Wir haben ihn oft zum Rückzug gezwungen, aber nie wirklich getroffen. Zum ersten Mal sind wir ihm ganz dicht an der Gurgel. Wer zögert da?
Die Weltbühne, 11. September 1928