Carl von Ossietzky
Sämtliche Schriften – Band IV: 1927–1928
Carl von Ossietzky

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Zentrum und Stahlhelm

Der Zentrumsabgeordnete Adam Roeder, Protestant und alter Konservativer, der sich aus Protest gegen Chauvinismus und Parteiterror der Deutschnationalen der katholischen Partei angeschlossen hat und von ihr in den Reichstag geschickt wurde, hat einen Klageruf in die Welt gehen lassen, der besser als alle diffizilen Untersuchungen die Wandlung im Zentrum sichtbar macht. Vor ein paar Jahren noch sah Herr Roeder im Zentrum die Mittelpartei par excellence: hier war es gut, hier konnten Alle Hütten bauen, die von der Rechten nichts hielten, ohne deshalb nach Links zu finden; hier war der Ruheplatz für Alle, die der Wanderung zwischen den Klassenfronten müde, sich nach einem Lagerplatz sehnten, nach einer Rast mit schönem beruhigenden Traum von Harmonie und Gottesfrieden zwischen Arbeiterschaft und Unternehmertum.

Wer wollte leugnen, daß das Zentrum nicht vor wenigen Jahren noch Anlaß zu solchen Illusionen gab? Das war weniger eine fest gegliederte Partei, die von ihren Mitgliedern nur Ducken und Nachplappern forderte, als vielmehr eine große Kameradschaft, in der ein gemeinsames Gefühl stärker war als jene Tagesdifferenzen, die anderswo zu Gruppenbildungen und gehässigen Auseinandersetzungen führen. Vorbei, vorbei. Die damals in diese Oase flüchteten, sind erwacht und sehen mit Schrecken, daß die Quellen versiegt sind, über freundlichem Grün grauer Sand liegt, kurzum, daß sich das Idyll wieder in Wüste verwandelt hat. Herr Roeder beklagt, daß die Partei jene Prinzipien verleugnet, die sie für Einzelgänger so einladend gemacht habe und auf dem Wege sei, eine großbürgerliche Partei zu werden und dauernde Genossin Derer, die Feinde jedes sozialen Fortschritts sind. »Wenn das Zentrum mit solcher Leichtigkeit seinen Charakter einer Mittelpartei in den einer Rechtspartei verändern kann, so verstößt das doch irgendwie gegen Treu und Glauben.« Herr Roeder vergißt, daß er in der Partei nur ein sehr junger Adam ist und deshalb nicht fähig, mit einem viel ältern Adam in Konkurrenz zu treten, nämlich: mit Herrn Stegerwald, dessen Saat jetzt herrlich aufgeht. Wer hat zuerst die Republik zur Sonntagsangelegenheit erklärt? Wer hat zuerst bei gemeinsamen Aktionen der Zentrumsarbeiter mit sozialistischen Arbeitern so demonstrativ die Bremse gezogen? Der gute alte Adam kann zufrieden sein.

Es ist noch Einer, der sich mitfreut. In der Wandelhalle des Reichstags trifft man stets einen behäbigen Schwarzrock, bei den Journalisten beliebt wegen seiner legeren Mitteilsamkeit. Das ist der Herr Domkapitular Leicht, der Fraktionsführer der Bayrischen Volkspartei. Auf der Rednertribüne verflüchtigt sich der günstige Eindruck. Dann wendet der Würzburger Kleriker gern eine platte Witzelei an, die aber bei dem Niveau dieses Parlaments gewöhnlich mit dem Vermerk »Große Heiterkeit« honoriert wird. Herr Emminger wirkt essigsauer; die meisten andern Herren der Fraktion poltern durchs parlamentarische Dasein auch als Rhetoren mit Nagelschuhen, die noch der selige König geweiht hat. Herr Leicht allein ist beliebt. Und das hat sich gelohnt.

Leicht und Stegerwald haben gesiegt. Der linke Flügel des Zentrums ist völlig in die Ecke gedrängt. Nicht die Bayern kommen zum Zentrum zurück, wie früher von den Republikanern gehofft wurde, sondern das Zentrum paßt sich den Bayern an. Der bayrische Gedanke in Deutschland siegt. Partikularismus und Kantönliwirtschaft in den Ländern, und in der Reichsregierung Bündnis mit Rechts. Bürgerblock, Bürgerblock! Das war ja aller bayrischen Exzesse schlichter Sinn. Allmählich kommen die in München geübten Praktiken nach Berlin. Das Reich bajuvarisiert sich. Je näher Reichsschulgesetz und Konkordat rücken, desto mehr wird diese Entwicklung offenbar werden. Seit hundert Jahren war Bayern die deutsche Versuchsanstalt für vatikanische Politik. Die Zeit der Experimente ist zu Ende, das Dekokt versandfertig, Berlin reif zur Aufnahme.

Die Republik muß allerdings auf Invalidenrente gesetzt werden. Das Zentrum tröstet sich wohl damit, daß es eigentlich genug für sie getan hat. Gewiß mag ihm die neue Bundesgenossenschaft manchmal auf die Nerven fallen, aber hat nicht die Kirche in frühern Jahrhunderten zum Schutz gegen allerchristliche Könige sogar mit dem Großtürken paktiert? Die mit Getöse in Berlin einziehenden Stahlhelmer mögen sich einbilden, daß sie die Zukunft im Schnappsack tragen, in Wahrheit sind sie nur die Wegbereiter für ein stilles schwarzes Heer, das von Süden kommt und immer klug genug war, auf Fanfaren und Triumphbogen zu verzichten. Die Kirche hat es nicht nötig, verschlossne Tore einzurennen. Stets hat sie für die grobe Arbeit eine bereitwillige Herde von massiven, elefantenfüßigen Dummköpfen zu Diensten gehabt.

 

Auch den erfolgreichen Diplomaten zieht es immer wieder an den Tatort zurück.

Lord d'Abernon ist kürzlich ein paar Tage in Berlin gewesen und hat auch mit seinem Zögling Stresemann eine lange Unterhaltung gehabt. Einiges davon ist durchgesickert, von der großen Presse allerdings bis jetzt ignoriert worden. Nach einer bestimmten Version soll Lord d'Abernon versucht haben, Deutschland in China zu engagieren; er soll unter anderm angeregt haben, deutsches Kapital an der Finanzierung der chinesischen Ostbahn zu beteiligen. Diese Bahn befindet sich im Territorium Tschangtsolins und wird von französischen Banken beherrscht. Die Beteiligung würde Deutschland also nicht nur mitten in die Chinawirren bringen, sondern auch in Rivalität mit französischen Interessen. Eine vortreffliche Kalkulation! Da der alte Herr jedoch in seinem Diplomatenbesteck nicht nur den Erisapfel, sondern auch den Ölzweig führt, so mahnte er Stresemann, bei der Mitte Juni in Genf beginnenden Ratstagung möglichst nicht über die Rheinlandräumung zu sprechen, sondern noch etwas zu warten. Es ist nicht bekannt, wie der Außenminister darauf reagiert hat. Wahrscheinlich wird ihm sein ehemaliger Mentor zum ersten Mal recht lästig geworden sein. Daß es ihm grade jetzt nicht auf Zurückhaltung, sondern auf Forschheit ankommt, beweist die neue Demarche in Paris. Hier war ein höhrer Wille als der des englischen Beraters maßgebend. Am Stahlhelm-Sonntag mußte in den Zeitungsüberschriften etwas über einen neuen deutsch-französischen Konflikt stehen. Das brauchte die Reichsregierung als Liebesgabe für Halle und Magdeburg. Aber vielleicht wird das auch der alte Herr aus London begriffen haben. Der hat ja tiefer in den Stahlhelm geschaut als ein andrer Sterblicher sonst.

 

Liberale Blätter hatten den sogenannten Frontsoldatentag vor Allem mit dem Argument bekämpft, daß dadurch der Fremdenverkehr leide. Ein gut deutsches Argument. Weil die Käserundfahrt gestört wird, muß die Revolution auf einen andern Tag verlegt werden. Es ist nicht so schlimm geworden.

Sonntag Mittag im Lustgarten. Hier war in den Bürgerkriegsjahren das Forum der republikanischen Parteien. Man darf heute nicht an den Rathenautag denken, diesen kalten, regnerischen Junitag, wo hier ein Ozean von Menschenleibern brandete, auch ohne diese Erinnerung wirkt dieser Versuch offenkundiger Provinzregisseure, eine Massenszene zu gestalten, höchst jämmerlich. Die Comparserie steht verdattert herum und weiß nicht recht, was los ist. Bittre Enttäuschung. Statt erwarteter Ehrenpforten das caudinische Joch einer rigorosen Verkehrsordnung. Ordonnanzen flitzen über den Platz und markieren Dienst. Blechbeladne Offiziere schreiten irgendwelche Fronten ab. Nein, es ist nur für den Pressephotographen. Ein burgundernasiger General stelzt melancholisch herum und scheint an dem eroberten Gelände keine Freude zu haben.

Es ist eine grandiose Pleite. Denn wäre das Bild viel martialischer als es ist, wären noch zweimal so viel gekommen als hier versammelt sind, der Eindruck würde nicht stärker sein. Denn wo Militär ist, da müssen auch Zivilisten sein, denen imponiert wird; es müssen doch Leute da sein, die vor dem Marschtritt erzittern und denen das Trompetengeschmetter wie eine Voranzeige des jüngsten Gerichtes in die Ohren dröhnt. Hier ist Militär, sogar sehr viel Militär, hier sind Streiter für eine Idee. Für welche? Wahrscheinlich für die letzte, auf die sich Duesterburg und Seldte nach erregter Vorstandsdebatte geeinigt haben. Aber es ist Militär ohne Anwendung. Denn es gibt keinen Feind und, vor Allem, kein Publikum, das zuguckt. Die Polizei hält alle Zufahrtsstraßen zum Lustgarten gesperrt. Hier mögen achtzigtausend Mann zusammen sein, aber abgesondert und von einer Zone obrigkeitlich anbefohlnen Schweigens umfriedet, glaubt man eher in ein Konzentrationslager zu blicken als in eine politische Kundgebung.

Aber auch ohne Quarantäne wäre der Eindruck nicht wuchtiger gewesen. Schon in den Anmarschstraßen ist der Andrang Neugieriger gering. Soweit Zurufe erfolgen, drücken sie gewöhnlich nicht Sympathie aus. Die Polizei hat von zehn bis zwölf Musik verboten. Ein Demonstrationszug ohne Musik ist wie eine Revue ohne nackte Mädchen. Schattenhafte Kolonnen ziehen vorüber, in den Arbeitervierteln von Pfiffen verfolgt. Was haben diese Menschen nicht alles aufgepackt! Schwere Tornister, Brotbeutel und allen Zubehör eines veritablen Feldzugs. Wozu eigentlich, und für wen? Alles wird sinnlos, weil die Anteilnahme fehlt: eine leerlaufende Maschine wälzt sich durch die Straßen. Es sollte gezeigt werden, was »rings um Berlin entstanden ist«, aber Berlin interessiert sich für den Artikel nicht mehr, was gewiß für Herrn Seldtes Fabrikantenherz sehr kränkend ist. Während des ganzen Aufzugs wird man das Gefühl nicht los, daß hier mit mächtigem Kraftaufwand ins Leere gestoßen wird. Was wir durch lange Jahre schaudernd als Realität erlebt haben, präsentiert sich noch ein Mal gespenstisch als leere Form. Die es angeht, die Herren von der Reichsregierung sind ausgekniffen, um Huldigungen zu entgehen. Das Volk aber drückt deutlich seine Ablehnung aus. Vielleicht werden diese Heerscharen später einmal wiederkommen, anders als jetzt, und nicht von einer vorsorglichen Polizei in Watte gewickelt. Vielleicht werden sie sich dann rächen und uns für jenen offenkundigen Mangel an Reverenz an die Laternenpfähle hängen. Erobern werden sie diese Stadt nie.

 

Man gesteht gern zu, daß der Polizei hier eine wirklich große Leistung gelungen ist. Sie hat die Pläne der Bundesleitung sterilisiert und die Ausführung zum leeren Vereinsklimbim herabgedrückt. Die Schupo hat ihren Dienst straff, höflich und ohne Überreiztheit getan, obgleich der mehrtägige Alarmzustand gewiß sehr anstrengend war. Man wünscht ähnliche Nervendisziplin, wenn einmal wieder rote Standarten auf der Straße sein werden ... Doch muß das Lob, das man der überlasteten Polizei gern erteilt, eine gewisse Einschränkung erfahren. Schon in den Straßen der Arbeiterquartiere, wo gelegentlich ein kleiner Sowjetsternschnuppenfall den Marschtritt der Vaterlandsretter zu erschüttern drohte, wurde sehr kräftig zugegriffen. Hören wir einen Zeitungsbericht, der mit Anerkennung für die Schupo sonst nicht geizt: »... linksradikale Störungsversuche wurden von der Polizei im Keime erstickt. Es ging dabei nicht immer sanft ab; der Gummiknüppel wurde häufiger geschwungen, als selbst in politisch stürmisch bewegten Zeiten.«

Vor ein paar Tagen ging die Meldung durch die Blätter, im Polizeipräsidium beabsichtige man, den Roten Frontkämpferbund für Berlin zu verbieten, falls es am Sonntag zu ernstern Reibereien kommen sollte. Zwar wurde sofort dementiert, aber man weiß aus Erfahrung, daß jede gegen Rechts betätigte Courage durch einen verdreifachten Hieb gegen Links wieder wettgemacht wird. Das ist des Landes so der Brauch. Soll für die Auflösung der Hitlergarde durch eine entsprechende Maßnahme gegen Rotfront wieder eine Kompensation geschaffen werden? Es wäre schlimm, wenn ein solcher Einfall auch nur eine Minute ernsthaft diskutiert würde. Der moralische Sieg, den die preußische Regierung am Sonntag über die Stahlhelm-Invasion davongetragen hat, wäre dahin.

Die Weltbühne, 10. Mai 1927


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