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Vor einigen Wochen machte Agathon in der ›Weltbühne‹ einige militärisch-politische Bemerkungen zu dem jüngsten Aufenthalt des Herrn v. Seeckt in Italien. Mit besonderem Nachdruck legte unser Mitarbeiter dar, daß Herr v. Seeckt als Vertrauensperson der Rechtsparteien nach Rom gegangen sei, um dort über gewisse Abmachungen im Fall eines Krieges gegen Frankreich zu verhandeln – Abmachungen, die gegenseitige Rückendeckung und Waffenhilfe sichern sollen, wofür Deutschland allerdings versprechen muß, die Fascisierungsmethoden in Südtirol fürder nicht mehr zu bekritteln. Eine ähnliche Glossierung der Seecktschen Italienreise ist nunmehr in vergangener Woche auch in der französischen Presse vorgenommen worden, und wie auf ein Klingelzeichen von oben setzten in den deutschen Blättern erregte Dementierversuche ein, wobei sich besonders Organe des linken Republikanismus emsiglich bemühten, das schale amtliche Gebräu durch Zutaten aus dem eignen Spezereienschrank gehörig zu schärfen. Ein seltsamer Rückfall in jene vorgeschichtlichen Zeiten, wo Herr v. Seeckt noch für die Demokratenblätter als der treue Wachtmann der Republik galt und schwarz-rot-goldne Radikalinskis, die sonst gar nicht zu bändigen sind, sich bereit erklärten, auf seine Tugend das Abendmahl zu nehmen. Der klügste aller neudeutschen Militärs mag unendlich mokant gelächelt haben bei dieser Fülle unverhoffter Vertrauensvoten. Warum muß aber gleich so wild dementiert werden? Ist es denn so unbekannt, daß die deutschen Nationalisten keine Landesfarbe suspekt genug finden, um nicht doch Fühlung zu suchen? Treuhänder der deutschen Patriotenschaft sind nacheinander bei de Valera, Horthy, Kemal und Abd el Krim, bei den roten Zaren wie bei den weißen Häuptlingen im Baltenland und auf dem Balkan als Beobachter, Anstachler oder Unterhändler aufgetreten. Nirgends loderte in diesen Jahren eine rechte oder linke Rebellion, ohne daß nicht die deutschen Nationalisten versucht hätten, durch ihre diplomierten Weltbrand-Ingenieure und ihre oft bewährten Ragnarök-Maschinisten für den Hausgebrauch wenigstens ein paar Fünkchen aufzufangen. Gewiß braucht man sich weder Herrn Stresemann noch Herrn v. Schubert als Protektoren solcher Tollheiten vorzustellen. Aber es ist nicht gleichgültig, welche Kräfte rings um die Regierung am Werk sind, um sie von ihrer Linie abzudrängen und einseitig zu binden. Die Bemühungen, in dem englisch-russischen Konflikt jene strikte Neutralität zu wahren, die dem deutschen wie dem europäischen Wohlbefinden gleich dienlich ist, werden neuerdings nicht nur von Innen angefochten, sondern auch durch Lockungen von Außen schwer auf die Probe gestellt.
Der Zufall wollte, daß fast gleichzeitig mit dem Dementi die Meldung durch die Blätter ging, England habe die vormals feindlichen Regierungen eingeladen, seinen diplomatischen Auslandsvertretungen wieder wie früher Militärattachés beizuordnen. Welche gefährliche Bedeutung diese Aufforderung grade augenblicklich hat, war auch unsrer Linkspresse sofort klar. Sie fuhr sichtlich zusammen, versuchte sich aber damit zu salvieren, daß die Sache ja nicht dränge und man Zeit genug zur Überlegung habe. Das war zwar nicht beherzt, doch leidlich vernünftig, und schlug leider völlig um, als aus Paris die Nachricht kam, daß das Kabinett Poincaré Schwierigkeiten machen werde. Jetzt konnte man Gott sei Dank wieder Fäustchen machen gegen das böse Frankreich, jetzt durfte man sich mit der Auslegung des Artikels 179 des Friedensvertrages befassen, der nur Militärmissionen verbietet, aber gegen Militärattachés nichts einwendet etcetera. Kurzum, man hat die gewünschte Ablenkung, man kann den Militärattaché fordern trotz deutlicher Bewußtheit der gefährlichen Konsequenzen, rein um die Franzosen zu ärgern. Denn Recht muß doch Recht bleiben, und wenn uns der Friedensvertrag ein Rasiermesser gestattet, so wollen wir es auch haben, und wenn wir uns damit den Hals abschneiden.
Niemand kam darauf, daß zwischen Seeckts diplomatischer Sendung und Englands freundlicher Einladung ein kaum bestreitbarer Zusammenhang besteht. Denn, wie nicht allgemein bekannt, ist Ungarn, die scheußlichste aller heutigen Militärdespotien, grade im Begriff, einen Militärattaché nach London zu schicken. Die Horthy-Regierung wieder ist durch Vertrag Mussolini verbunden, und der Gebieter Italiens genießt noch immer die hohe Gönnerschaft des englischen Kabinetts. Ungarn ist vorangegangen, eine Tatsache, die abstempelt. Die Auszeichnung annehmen, heißt in ein Satellitentum eingehen.
Niemals, seitdem die Friedensverträge in Kraft sind, hat die englische Politik Deutschland etwas ohne Gegenleistung gegeben. Doch die Kalkulatoren vom Foreign Office wissen um ihre Leute; sie kennen das deutsche Geltungsbedürfnis und haben durchschaut, daß hier alles Weh und Ach aus einem Punkte zu kurieren ist. Man muß der lieben Eitelkeit einen Köder hinhalten, das kostet nichts, aber verpflichtet den Andern. Wann hätte sich Englands Politik im Ernst bemüht, die Ketten des Vertrages von Versailles mit Sammet zu umwickeln? Wo hätte Englands Politik versucht, von Deutschland ein offenbares Unrecht abzuwehren oder es auch nur in seinen Elendsjahren um eine Bürde zu erleichtern? Die Gewährung von Militärattachés ist ein mehr als billiges Vergnügen; das zaubert dem Beschenkten eine Illusion von Großmachtstellung vor, von Handlungsfreiheit und Gleichberechtigung im Rate der Völker, und bedeutet doch in Wahrheit nicht eben viel mehr als ein gemalter Polarhimmel im Eisbärzwinger. Der Militärattaché ist eine veraltete Institution, die in unsrer Zeit nichts mehr zu suchen hat. Wäre der Völkerbund nicht so entsetzlich zag in allem, was der Festigung des Friedens dient, so hätte er hier längst den Schlußstrich unter ein unrühmliches Kapitel ziehen müssen. Denn das Bureau der den diplomatischen Vertretungen beigegebenen Offiziere ist durch die Bank nicht mehr als eine einzige große Spionage- und Sabotagezentrale. Kein Botschafter kann gut machen, was ein tatengieriger militärischer Attaché ruiniert. Erinnert man sich nicht mehr der Herren Boy-Ed und v. Papen, die vom sichern Port der Washingtoner Botschaft einen kleinen Krieg gegen die Vereinigten Staaten eröffneten und damit Bernstorffs Anstrengungen vereitelten, den Anschluß Amerikas an die Alliierten zu verhindern? Vestigia terrent.
Es braucht nicht bezweifelt zu werden, daß die Leiter der deutschen Außenpolitik die Bedeutung der Neutralität und jede Abweichung davon durchaus zu würdigen wissen. Aber seit wann wäre Außenpolitik bei uns ausschließlich in dem dafür bestimmten Ressort gemacht worden? Obgleich die Fernhaltung vom russisch-englischen Konflikt von der großen Mehrheit des Volkes fraglos gebilligt wird, so ist es doch nach allen Erfahrungen dieser Jahre schwer vorstellbar, daß die Häupter der Reichswehr den gleichen vernünftigen Auffassungen zugänglich wären. Wir wollen heute noch die in letzter Zeit kursierenden Gerüchte über bestimmte Reorganisationspläne bei der Reichswehr auf sich beruhen lassen, klar ist jedoch, daß Untätigkeit in so kritischer Zeit die Nervendisziplin der Herren übersteigt. Es ist leicht auszumalen, was ein offizieller militärischer Delegierter der Bendler-Straße in London anrichten könnte. Die Giftgasfreundschaft mit Moskau war eine böse Episode, die nun liquidiert ist; eine ähnlich intrigant vorbereitete Annäherung an den britischen Imperialismus würde viel fester binden, denn die Macht des Foreign Office ist tausendmal größer als die des Kreml.
Die Gefahr ist, daß Eigenmächtigkeit der Militärs die Politik in eine Richtung weist, wie sie weder von der Mehrheit der Nation, noch von der außenpolitischen Leitung gewünscht wird. Sehen wir aber selbst von den letzten bösartigsten Konsequenzen ganz ab: schon die Tatsache, daß in dieser Zeit äußerster Spannung ein Repräsentant der deutschen Heeresmacht zwischen englischen Kameraden einhergeht, muß wie die Versinnbildlichung einer geheimen militärischen Entente wirken. Und England wird sich alle Mühe geben, diesen Eindruck zu stärken. Der Schein soll der Wirklichkeit vorangehen, der Schein soll die späteren Tatsachen schaffen helfen. Es heißt jetzt alle Aufmerksamkeit darauf richten, daß dies verhängnisvolle Blendwerk nicht zustande kommt.
Stresemanns Politik, heute durch seine eigne Schuld an die Rechte gekettet, muß mindestens in den nächsten beiden Jahren zwei große Erfolge erringen, wenn sie nicht an innenpolitischen Widerständen zerschellen soll: die baldige Aufhebung der Rheinland-Okkupation und die Erlaubnis zu erneuter Aufrüstung. Weder Locarno noch Genf haben das erzielt, und der Gedanke von Thoiry ist versackt. Für die Vertreter der Machtpolitik ist die versuchsweise angewandte pazifistische Methode, weil sie zu langsam arbeitet, lange erledigt. Sie waren bereit, selbst auf das große Vielleicht eines Zusammenspiels mit den Bolschewiken einzugehen, aber ein Geschäft mit England wäre viel realer und ihrer Art viel eher entsprechend. Daß bei diesem Handel Deutschland die Blutopfer bringen müßte, bei übrigens noch sehr zweifelhafter Ausbeute, wird selbstverständlich nicht bedacht. Denn es gibt nichts was ungewisser wäre als der Lohn des Mietsoldaten.
Gegenüber derartigen Versuchen, Deutschland von einer Haltung abzubringen, wie sie nicht nur der primitivsten politischen Moral, sondern auch seinen politischen Interessen entspricht, muß mit aller Deutlichkeit gesagt werden, daß abenteuerliche Spekulationen, mögen sie auch durch Versprechungen des gegenwärtigen Kabinetts der englischen Weltmacht stabilisiert scheinen, nur in neue internationale Verwicklungen führen, bei denen Deutschland in Gefahr läuft, die Rolle des Aufmarschfeldes zu übernehmen. Die Fortdauer der Rheinland-Besetzung mag hart sein und das nationale Selbstbewußtsein kränken: um diesen Preis wollen wir ihr Ende nicht erkaufen. Das wäre eine Befreiungspolitik von wahrhaft verbrecherischer Kurzsichtigkeit, die das Aufhören der französischen Herrschaft in einem Grenzstück des Landes mit der Errichtung der englischen Herrschaft über das ganze Land bezahlen wollte. Eine dümmere und kostspieligere Teufelsaustreibung wäre nicht denkbar. Gewiß, die Versuchung ist groß und der gütigst gewährte Militärattaché nur ein erster bescheidener Köder. Aber mag selbst die Genehmigung zu einer Verdoppelung der Reichswehr die liebe nationale Eitelkeit kitzeln: die zweihunderttausend Mann mit ihrem schwarz-weiß-roten Fahnenschmuck und klingendem ›Fridericus‹ werden nicht »unsre Reichswehr, unsre herrliche Armee« sein, sondern der gemietete Stoßtrupp einer fremden Macht, zum Verbluten für landfremde Interessen bestimmt ... beurlaubte Tote des nächsten europäischen Krieges.
Es gibt nur ein Remedium: kein Techtelmechtel mit der britischen Politik, auch nicht in der faulen Hoffnung, die Herren in Downing-Street schließlich doch über die Löffel barbieren zu können, sondern direkte Verständigung mit Frankreich, freimütige Aussprache über alle noch schwebenden Fragen und besonders über die osteuropäische Gefahrzone. Denn mag die pariser Politik auch oft schwer verdaulich sein, mag sie unter gelegentlichen neurasthenischen Rückschlägen in häßliche alte Tonarten leiden: Gefahren gleich denen, wie sie sich aus der Versippung mit britischen, und nur britischen!, Angelegenheiten ergeben, birgt sie nicht. Deutschland und Frankreich, eng liiert, bilden einen Schutzwall quer durch Europa, groß genug, um östliche wie westliche Eingriffe auszuschließen.
Nimmt Deutschland die englische Einladung an, wieder Militärattachés zu entsenden, so ist damit ein langer Schritt vom Wege endlicher Befriedung getan und Britannia hat wieder einmal über Europa gesiegt. England war immer groß in der Konstruktion von trojanischen Pferden, und niemals hat es an tatendurstigen kontinentalen Dummköpfen gemangelt, die sich bereitwillig ins Dunkel verfrachten ließen. Auch heute ist das Holzpferd wieder fertig. Fehlen nur noch die Passagiere. The Germans to the front!
Die Weltbühne, 12. Juli 1927