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Der frühere Hofprediger Herr Doktor Doehring ist, wie sein erlauchtes Vorbild Martinus Luther, ein gar rundlich Mann mit imposanten Backentaschen, die voll sind des evangelischen Zornes über ein Volk, das sich in den Niederungen der Materie wälzt und dem Kaiser nur mit Seufzen den schuldigen Zins entrichtet. Dann kann Herr Doehring fluchen wie ein Türke, sonst aber ist sein Seelenleben fein sänftiglich, sein Wandel gottgefällig und sein Geist genügend gefestigt, um den Lockungen des Denkens erfolgreich zu widerstehen.
Eine unerforschliche Vorsehung hat ihn erkoren, die annoch lutherische Christenheit Germaniens völlig zu ruinieren. Und seine jache Ausstoßung bezeuget nur, daß selbiges bereits geschehen und nichts mehr zu retten ist. Niemand war ungeeigneter als dieser gelahrte Herr, für seine Kirche, der es bekanntlich schon lange nicht mehr gut geht, auch nur ein respektheischendes Abschiedsgefecht zu liefern. Ein granitschädliger Zelot wie Adolf Stoecker konnte durch viele Jahre wirken; ihn drängte sein breites Demagogenpathos mitten auf den Markt. Der Herr Hofprediger a. D. aber ist kein Mann, der dem Volk aufs Maul schaut, sondern ein in die Theologie verwehter Militäranwärter, dessen Gottesidee in Willys Helmspitze sichtbarlich verkörpert war. Zu fein, um zum gemeinen Mann herabzusteigen, zu eitel, um auf Echo zu verzichten, regierte er seinen evangelischen Verein getreu der selbst zuerkannten Sendung: ein Prügelstock zu sein auf dem Buckel der Kaiserleugner und Römlinge. Daneben blieb ihm noch Zeit, in der ›Täglichen Rundschau‹ ein Gärtlein voll von geistlichem Ergötzen zu bestellen, das sich recht seltsam ausnahm neben den mehr weltlichen Traktaten konfessionell gemischter Stresemann-Redakteure. Hier bescherte er in kräftiger Mischung politischer und religiöser Vermahnung seiner Herde ein strammes Exerzierreglement evangelischen Geistes. So sollte die Erneuerung des deutschen Protestantismus vor sich gehen. Ganz fern vom Volk, im Naturschutzpark eines Vereinchens. Hier schwang Doehring den Bakel.
Jetzt hat die Herde zuchtvergessen aufgemuckt und den streitbaren Herrn plötzlich aus Glanz und Glorie gejagt; der Verein hat ihn gekippt und selbst das Zeitungsgärtlein wird fürder ein Andrer wässern. Harmlose Gemüter sehen darin einen Sieg republikanischer Aufklärung, aber die dürre Wahrheit ist, daß seine engern Freunde selbst ihn in die Wüste geschickt haben, weil dieser handfeste Katholikenverschlinger sich wenig eignet, den neuen Bund zwischen den pommerschen Granden und der römischen Belialsbrut mit frommem Zuspruch zu stärken. So mußte Doehring fort als ein Hindernis für das bereits heimlich abgeschlossene Konkordat. Die letzte evangelische Kulturkampffahne ist niedergeholt, auch das Zentrum, das solche Geschenke zu würdigen weiß, wird als Gegenleistung das eine oder das andre Fähnlein in aller Stille zusammenrollen.
An Rom sterben die Völker! hat der eifernde Doehring einst in den Tagen seiner Machtfülle verkündet. Die Deutschnationalen werden nicht an Rom sterben, sondern mit Rom Geschäfte machen. Das karmesinfarbne Tier der Apokalypse, das der Herr Hofprediger in einer beklemmenden Vision von Deutschland Besitz ergreifen sah, zieht höchst manierlich ein und läßt sich von einem Hohen Konsistorium tätscheln. Der letzte summus episcopus der Evangelischen Landeskirche wird zur legendären Figur, und sein Prügelstock liegt zerbrochen in der Ecke.
Die Weltbühne, 8. Februar 1927