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Sie schreiben: »Ich hatte schon die Absicht, vor dem Brief Piscators in Nr. 10 der ›Weltbühne‹ wegen des ›Schwejk‹ an Sie zu schreiben. Ich will von den beiden ersten Aufführungen Piscators nichts sagen, wohl aber vom Schwejk, weil ich den Eindruck habe, daß fast die gesamte Berliner Theaterkritik einschließlich der ›Weltbühne‹ sich dabei ein wenig blamiert hat. Als ständiger Leser Ihrer Zeitschrift tut mir das leid. Ob es nun eine Folge der Debatten über Politik oder Nichtpolitik im Theater oder über die Diskrepanz zwischen Bühnentendenz und dem Hauptteil der Zuschauer ist – jedenfalls haben sich die Kritiker wie regelrechte ›Fachmänner‹ verhalten. Sie gingen quasi mit dem Buch ›Schwejk‹ in der Tasche zu ihrem Sperrsitz, verglichen Vorführung und Buch und kamen zu dem Schluß, daß der Roman viel besser, daß das auf der Bühne Vorgeführte überhaupt kein Drama sei. Ja selbst Pallenberg muß daran glauben, weil er den Schwejk eigentlich gar nicht zu spielen brauche. Nach solchen Kritiken geht man etwas voreingenommen ins Theater und faßt sich nach Schluß des Stückes beim Gedanken an die Kritiken an den Kopf: ja, was wollten die Herren eigentlich? Das war doch einmal ein ungetrübter Abend mit einer Heiterkeit, die die drei Stunden ohne Nachlassen der Frische ausfüllte. Pallenberg, sein Schwejk, ähnlich wie Chaplin, ein Engel aus andern Welten, der alles entwaffnet, ein Meteor, das aufleuchtet, wenn es in die Erdatmosphäre kommt. Die Szenenausschnitte so, daß sie ohne Kenntnis des Buches die Gestalt rund und einfach charakterisieren, und mit ihnen die Aufführung musikalisch aufgebaut, so daß nach dem komischen Zickzack bis zur Pause die Komposition ins Adagio (Marsch nach Budweis) und schließlich in ein breit ausladendes Finale (4268) übergeht, wo sie plötzlich abreißen muß, weil das Spiel mit der Zahl schließlich endlos weitergehen könnte. Piscators Regieleistung verwendet die technischen Mittel in voller Harmonie zu diesem Ablauf: im ersten Teil eben auch das optische Zickzack, im zweiten Teil die volle Auswertung des laufenden Bandes, das im Marsch nach Budweis zum ersten Mal auf der Bühne eine Schauspielerleistung hervorruft, die über das Sprachliche hinaus das Plastisch-Rhythmische erreicht, also das mit enthält, was der Film bietet, und darüber hinaus noch die plastische Körperlichkeit. Von sonstigen Regieeinfällen abgesehen, wie von der Darstellung der Statisterie durch tatsächliche Attrappen (eine glänzende Bildhaftigkeit der ›Statisterie‹) folgt der von der Kritik so übel vermerkte technische Apparat äußerst leicht und elastisch den Geschehnissen der Bühne. Ja, selbst wer schon einmal mit irgendwelchen Vorurteilen über Dramatik und Nichtdramatik hineingegangen ist, muß merken, daß das besagte laufende Band ein sinnfälliges Zeichen für das Wesen dieser Vorstellung ist; sie zeigt ein Stück einer Wanderung, eben der Wanderung eines Meteors durch unsre giftige Erdluft.« – Ich zögere nicht, dies Plaidoyer für Piscators Regieleistung hier in vollem Umfang wiederzugeben. Meine Meinung über die eigentlichen Differenzpunkte, die der Herr Einsender auch gar nicht berührt, habe ich hier im vorigen Heft dargelegt und möchte mich nicht wiederholen. Was die Beurteilung des ›Schwejk‹ betrifft, so erlaube ich mir, dem ausgezeichneten Baumeister Bruno Taut entgegenzuhalten, daß er selbst sich hier etwas fachmännisch verbeißt. Das Architektenauge verliebt sich eben in den szenischen Aufbau, dem wir leider nicht den Vorrang zugestehen können. Wie an andrer Stelle ausgeführt wird, hat der jüngst verstorbene erste prager Darsteller des Schwejk, Karl Noll, auf kümmerlichen Vorstadtbühnen eine ideale Verkörperung geschaffen. Pallenbergs Schwejk wäre auf einem schlechten Bretterpodium nicht weniger leuchtend, und es scheint mir, man sollte die Verspieltheit in die Aufmachung, die das Theater vor ein paar Jahren glücklich überwunden hatte, nicht auf dem Umweg über die Technik wieder hineinschmuggeln. Die mag der Film bis in ihre letzten Chancen ausnutzen. Daß er es vermag, wissen wir. Das zitternde Manometer im ›Potemkin‹ erschüttert mehr als mancher Mime. Das Theater aber soll kein Guckkasten sein. Was es davon noch hat, mag es ruhig dem Film übergeben. Nicht der Maler, nicht der Maschinenmeister ist sein wirklicher Herr, sondern nur Einer: – der Schauspieler.
Die Weltbühne, 13. März 1928