Carl von Ossietzky
Sämtliche Schriften – Band IV: 1927–1928
Carl von Ossietzky

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Höhere Gewalten

Der neue Wehrminister hat sich dem Reichstagsausschuß vorgestellt und durch seine bloße Existenz schon seinen augenblicklichen Zweck erfüllt: die Kritik zu dämpfen. Da hat man seit Monaten die Messer gewetzt, und nun steht an Stelle Geßlers Herr Groener, der Kandidat der Kritisierenden, und wo eine große Schlacht fürs Parterre inszeniert werden sollte, verplätschert ein leises langweiliges Kammerspiel.

Groener war gewandt genug, sich nicht programmatisch zu verwickeln. Seine Rede enthielt nicht viel mehr als das auch von Herrn Heye bei seinem Amtsantritt Gesagte. Verbeugung vor der Tradition für Rechts. Für Links die Versicherung, daß die romantische Periode der Reichswehr vorüber. Er werde sich bemühen, die Armee aus der politischen Drecklinie zu ziehen. Nun, niemand hat sie hineingezogen, sie selbst ist in breiter Front dorthin marschiert, und viele zerstampfte Straßen der Politik mit zurückgelassenem Unrat kennzeichnen ihre Route. Über das Gastspiel des Prinzen Heinrich bei der Kriegsmarine deckte er freundlich seinen Generalsmantel. Den Phöbusskandal, bei dem sich allerdings nichts mehr bemänteln läßt, gab er zu. Doch wer außer Geßler hätte hier eine Verteidigung gewagt? Dennoch waren die Sätze über Lohmann ein Plaidoyer. Wahrscheinlich wird die Marine überhaupt die meisten Schwierigkeiten machen. Es war ein recht übler Streich des Herrn Admirals Zenker, wegen der kieler Munitionsaffäre das ›Berliner Tageblatt‹ vor den Kadi zu fordern. Man kann darin wohl einen Versuch sehen, den Minister zu präjudizieren und grade jene Presse zu verärgern, bei der er seinen natürlichen Rückhalt gefunden hätte. Herr Groener meinte beschwichtigend, die Klage wäre nur der bessern Aufklärung halber erhoben worden, denn jetzt müßten die angegriffenen Herren schwören. Eine etwas naive Methode. Denn kommt die Sache vor einen marinetrunkenen Richter, so schwören die Herren, deren Geschäfte aufgeklärt werden sollen, die Beschuldigungen mit Verachtung in Grund und Boden, und der Redakteur wird verdonnert. Ob die Herren Offiziere unter Geßler große Truppenführer geworden sind, soll nicht untersucht werden, aber Prozeßführung haben sie gelernt.

Wenn wir es nicht gewußt hätten, so erfahren wir es jetzt durch den ›Lokal-Anzeiger‹: – der Reichspräsident ist das Stiefkind der Verfassung. Deshalb tanzt man bei Hugenberg vor Entzücken, daß er wenigstens die ihm belassenen kärglichen Rechte wahrgenommen und an den Herrn Reichskanzler einen Brief geschrieben hat. Und so bescheiden dieser Beitrag des Herrn Reichspräsidenten zur aktuellen Politik auch ist – wohl der erste wieder seit der Tannenbergrede – so genügt er doch – immer in den Grenzen der geringen Befugnisse des Absenders – einer kurzluftig gewordenen Politik wieder etwas Sauerstoff einzupumpen. Denn Herr von Hindenburg mahnt den Reichstag, nicht auseinander zu laufen, ehe er nicht seine wichtigsten Arbeiten, als da sind Verabschiedung des Etats, das Liquidationsschädengesetz, Gewährung von Liebesgaben für die Landwirtschaft und die Strafgesetzreform, beendet habe. Im Namen Hindenburgs ist diese Koalition gebildet worden. In seinem Namen soll jetzt den Davoneilenden noch ein Mal Halt geboten werden. Dabei besitzt dieses Parlament nicht einmal mehr das moralische Anrecht, über einen Pfennigwert abzustimmen. Und nun soll es die Strafgesetzreform, das wichtigste Gesetzgebungswerk für eine Generation durchpeitschen!

Im Parlament ist alles verfahren. Zentrum und Deutschnationale stehen sich verzankt gegenüber. Zentrum und Volkspartei zerkratzen sich das Gesicht. Es macht die Liebe nicht größer, wenn man Zwei, die sich nicht mehr mögen, zusammen im Bett festbindet. Daß dennoch dieser komische Versuch von so hoher Stelle unternommen wird, erklärt sich nur daraus, daß man Links das schon ganz für den Wahlkampf berechnete Schlachtgetümmel innerhalb der Koalition lebhaft überschätzt. In Wahrheit sind – auch im Zentrum – starke Einflüsse tätig, die Koalition auch über die Wahlen zu retten. Am liebsten aber diesen Reichstag zu galvanisieren, bis das schwarze Werk beendet, bis alles unter Dach und Fach, was zu ergattern der Zweck des Bündnisses gewesen war. Daß der Brief vom Schulgesetz schweigt, scheint nur oberflächlich betrachtet eine Unterlassung. Bleibt das Parlament zusammen, bieten sich neue Möglichkeiten – – und schließlich ist auch nach den Wahlen nicht alles aus.

Und Herr von Hindenburg? Er ist der Präsident des Rechtsblocks. Er hat ihm zum Leben verholfen, er stützt ihn jetzt in seiner Schwäche gegen den Willen der großen Mehrheit des Volkes. Als die französische Linke im Mai 1924 überwältigend siegte, war ihr erster Schritt, Herrn Millerand zur Abdankung [zu] zwingen. Wird die deutsche Opposition von Heute als Siegerin das Gleiche tun? Es gibt keinen nur halbwegs normal funktionierenden Parlamentarismus mit einer höhern, mit einer außerparlamentarischen Gewalt darüber.

Die Weltbühne, 14. Februar 1928


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