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Die Glosse »Herr Fräser Gustav Schmidt«, die Hans Natonek hier vor ein paar Wochen veröffentlicht hat, bewegt das Hauptorgan der sächsischen Sozialisten zu einem stilistischen Temperamentsaufwand, der in keinerlei Verhältnis steht zu dem durch die Lektüre veranlaßten Nachdenken. Einige der Hans Natonek mit Vehemenz an den Kopf geschleuderten Freundlichkeiten scheinen sich aus lokalen Reibungen zu ergeben, weshalb ich mich auch außerstande erkläre, sie zu analysieren. Vielleicht wird auch die catonische Unerbittlichkeit der Diktion durch die Tatsache bestimmt, daß Natonek Redakteur bei der Konkurrenz ist, und vielleicht wird er sich hier selbst einmal dazu äußern. Was mich zur Behandlung reizt, sind einige Unterstellungen, die sich sowohl gegen Hans Natonek als auch gegen die ›Weltbühne‹ richten. Wenn wir uns mit dem ›Vorwärts‹ oder dem rechtssozialistischen Durchschnitt herumstreiten, bekommen wir immer die artige Etikette »Mitläufer der KPD.« an die Rockschöße gesteckt. Dazu ist die Leipzigerin zu klug, und dazu hat sie auch selbst viel zu viel Butter auf dem Kopf. Sie versucht es deshalb andersherum und supponiert eine »vertarnte sozialreaktionäre Gesinnung«, einen Hilfsdienst für jenes Unternehmertum, das sich seinen Betriebsabsolutismus nicht verkümmern lassen will. Ich frage: war das, grade das aus den Bemerkungen Natoneks herauszulesen? Herabsetzung der Arbeiterschaft? Verhöhnung ihres Klassenkampfes, weil ein untauglicher Typus zu zeichnen versucht wird? Man muß dazu seltsam verbogene Gehörläufe haben. Nicht einer Geringschätzung hat Natonek Ausdruck gegeben, sondern einem tiefen Zweifel, der viele packt, die die Mühseligkeit sehen, mit denen die Arbeiter in Institutionen des Kapitalismus ihre Rechte zu vertreten suchen und die große Hoffnungslosigkeit, die über diesen Institutionen liegt, wenn sie von Arbeiterdelegierten besetzt werden, die sich dabei langsam von ihrer Klasse entfernen, vielleicht unbewußt, einem Vorgesetztenideal zusteuern. Es ist seltsam, daß immer grade Parteisozialisten die Arbeiterschaft nicht sehen können, wie sie wirklich ist. Sie haben sich einen Normalproletarier geschaffen, den muskulösen Klassenkämpfer aus den Gewerkschaftsemblemen. Aber wie die Menschen, mit denen sie arbeiten, mit denen sie die neue Gesellschaft bauen wollen, als seelische Existenzen beschaffen sind, das sehen sie nicht. Und deshalb fühlen sie sich unangenehm gestört, wenn ihnen jemand sagt, daß ihre Klassenkämpfer sich überall, mindestens in äußern Formen, dem Bürgertum angleichen und daß dessen Lockungen ihnen durchaus nicht gleichgültig sind. Es liegt in dieser Feststellung keine Herabsetzung, der Vorgang ist sogar sehr begreiflich. Aber man kann nicht Politik machen, wenn man nicht sehen will, wenn man sich den Tatsachen des Auges verschließt. Das war das Unglück der alten Sozialdemokratie, deshalb konnte sie 1914 plötzlich das wahrmachen, was sie niemals gesagt hatte. Die neue sozialistische Linke aber, die von den Kommunisten nicht weniger bedrängt wird als von ihren eignen Bonzen, hat die triftigsten Gründe, sich über die Beschaffenheit der Truppen klar zu werden, die sie einmal in den Kampf führen soll. Dazu gehört Mut zur Wirklichkeit und nicht nur eine Dosis Radikalismus mehr als die Andern im Munde führen. Das Unteroffizierideal hat in der Arbeiterschaft nichts verloren. Es auszurotten, sollte die Pflicht aller sein, die den Namen des Proletariats nicht unnützlich führen wollen. Insofern begrüße ich diese Auseinandersetzung als notwendig. Aber sie bleibt nutzlos, wenn selbst ein Blatt vom hohen Rang der ›Leipziger Volkszeitung‹ in einigen kritischen Bemerkungen nicht mehr erblickt als eine Majestätsbeleidigung an der Arbeiterschaft.
Die Weltbühne, 4. September 1928