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... als Atlas trug er, aller Welt zum Spotte,
die niemals flotte deutsche Flotte.
Dingelstedt
Der Reparationsagent Parker Gilbert, allgemein als höflicher, taktvoller Herr gerühmt, hat neulich das Finanzgebaren der deutschen Kommunen sanft bemängelt. Denn die Städte, findet der Amerikaner, leisten zu viel Kulturpolitik, zu viel Sozialpolitik. Da könnte gespart werden. Nach den Gesetzen der bürgerlichen Wohlanständigkeit verstößt es nicht gegen den Takt, die Anlage von Volkssportplätzen oder die Errichtung von Tuberkuloseheilstätten als Luxus zu bezeichnen. Hier trifft sich der Fronvogt aus Wallstreet mit dem gleichfalls seines Taktgefühls wegen berühmten Herrn Hjalmar Schacht. Doch welch Hallo hätte es gegeben, wenn Gilbert sein ökonomisch geschultes Auge etwa auf unsre Wehrmacht geworfen hätte! Wahrscheinlich werden die guten Patrioten, die uns mit dem StGB. auf dem Tisch kontrollierend lesen, in einer solchen Bemerkung einen Wink für den Reparationsagenten sehen, also Landesverrat potenziert. Nur ruhig. Auch ein weniger taktvoller Gilbert würde nicht deutsche Aufwendungen für Wehr und Waffen rügen, kein Politiker von Rang in den ehemaligen Feindbundstaaten würde das heute tun, ausgenommen vielleicht der alte Clemenceau, der nicht mehr zählt. Auch der zeternde Poincaré beschränkt sich letzten Endes darauf, den Deutschen vorzuwerfen, daß sie ihre Alleinschuld am Krieg noch immer nicht wahrhaben wollen. Der deutsche Militäretat ist gewiß groß und verdächtig, aber er gedeiht prächtig im heißen Schweißgeruch der noch viel größern Angst vor Rußland.
Bei uns vertritt man ziemlich übereinstimmend die Auffassung, daß man das wenige vom Versailler Vertrag Belassene auch ganz ausnützen müsse. Die Mehrzahl der Republikaner unterscheidet sich darin kaum von den dezidierten Nationalisten. Auch die Republikaner meinen, daß der Staat nicht nur Beil und Rute brauche, sondern auch ein Schwert, mag es auch im Vergleich zu dem Andrer nur Taschenmessergröße haben. Unsre Frage muß weitergehen als die der Republikaner, wir müssen nach dem Sinn und Nutzen dieses Heeres fragen. Denn diese Diminutivarmee ist nicht ohne weitres andern gleichzusetzen: sie ist laut Friedensvertrag verurteilt, effektlos zu bleiben. Jeder andre Militarismus der Welt trägt seinen Sinn, weil er in der Bestimmung dessen, was für sein Funktionieren notwendig ist, nicht von außen gehemmt wird, und weil alles, was zu seiner Komplettierung unternommen wird, mit Hinblick auf den »Ernstfall« geschieht. Dem deutschen Militär aber ist laut Vertrag der »Ernstfall« untersagt. »Das Heer soll ausschließlich zur Aufrechterhaltung der Ordnung innerhalb des Gebiets und als Grenzschutz verwandt werden«, heißt es im Artikel 160, eine Klausel, die dieses Heer, mag es sich auch noch so martialisch gebärden, zur Rolle des Jahrmarktslöwen verurteilt, der schrecklich wild tut, wenn ihm die Kinder bunte Konfettischlangen durchs Gitter werfen. Mag die Außenpolitik seit zwei Jahren auch Deutschland größere Bewegungsfreiheit gestatten, ein deutscher Militarismus, der plötzlich auf der eignen Spur einhertritt, würde, wie einst, der geschlossenen Abwehr der ganzen Welt gegenüberstehen. Die letzte und traurigste Möglichkeit zur Aufrüstung liegt nur in einem Kreuzzug gegen Moskau; da könnte ein großes deutsches Heer mit andern Trabanten Britanniens irgendwo auf der unermeßlichen russischen Steppe ein allerdings echt deutsches Schicksal erfüllen.
Vor einer Reihe von Jahren hat in der ›Frankfurter Zeitung‹ ein früherer General den Plan entwickelt, ganz auf die Imitation großer Armeen zu verzichten und unsre sogenannte Wehrmacht einfach in ein nur für innere Zwecke organisiertes Gendarmeriekorps von 60 000 bis 70 000 Mann umzuwandeln. Das wäre nicht nur viel billiger, sondern auch viel klarer und ehrlicher, womit allerdings das große Getue einer Armee aufhören würde, deren Kanonen doch ausschließlich für die innere Front bestimmt sind. Und würde in der nächsten Zeit selbst die Erhöhung ums Doppelte bewilligt werden, was bedeutet das angesichts der modernen Riesenheere und wo noch dazu alles verboten ist, was den Krieg heut erst zum Krieg macht: die große Artillerie, die chemischen Waffen, die Luftgeschwader, die Unterseeboote! Man braucht nicht nur antimilitaristische Motive, um diese Reichswehr bekämpfenswert zu finden.
Es scheint trotzdem notwendig, auf der republikanischen Linken, die sich in Abneigung und Mißtrauen ziemlich einig ist, eine Klärung herbeizuführen. Es kommt, dürr gesprochen, nicht darauf an, die Reichswehr zu republikanisieren, sondern sie loszuwerden. Bitte, keine Ohnmachtsanfälle! Vor ein paar Jahren wurde man auf der Linken als Quertreiber abgelehnt, wenn man für das eintrat, was man heute die Republikanisierung der Reichswehr nennt. Damals fand man die Führung höchst loyal und schob die monarchistischen Exzesse aufs Konto temperamentvoller Unterführer. Inzwischen ist über die Loyalität in den höchsten, und über das Temperament in den untern Kommandostellen der letzte Zweifel getilgt, und die verehrten Republikaner sind den Kritikern von damals langsam nachgewackelt. In zwei, drei Jahren wird Reichsbanner etcetera wahrscheinlich so weit sein, ziffernmäßige Herabsetzung und radikale Umformung der Wehrmacht zu fordern. Aber dann können die neuen Tatsachen schon wieder stärker sein als das Resolutionspapier.
Zum ersten Mal ist Herr Geßler mit einer Millionenforderung auf ernsten Widerstand gestoßen. Dank preußischer Initiative ist sein Schlachtschiff von 10 000 Tonnen im Reichsrat abgelehnt worden. Er war verstimmt und verdutzt; dies erste Exemplar einer neuen Armada sollte doch nur 80 Millionen kosten. Deswegen wollen die Deutschnationalen jetzt im Landtag eine kleine Seeschlacht arrangieren, und ein pensionierter Meergott wie Herr Brüninghaus behauptet in der ›Täglichen Rundschau‹ allen Ernstes, daß dieses eine Schlachtschiff durchaus in der Lage sei: »jedem mutmaßlichen Angreifer in der Ostsee mit Erfolg entgegenzutreten«. Auch wenn die Russen die großen Dinger in Kronstadt auslaufen ließen? Da Herr Brüninghaus Fachmann ist, sollte man ihm, wenns losgeht, höchstpersönlich das Kommando über diese aussichtsvolle Expedition geben. Aber der Herr Admiral ist vor allem ein tüchtiger Journalist, und journalistische Begabung mit leichtem Münchhausen-Einschlag gehört zur stärksten Marinetradition von Tirpitz her.
Auch die Betriebsamkeit gehört dazu. Denn Wilhelms Lieblingskind, die Kriegsmarine, konnte sich nur schwer gegen die Konkurrenz auf dem Trocknen durchsetzen. Heute ist die Flotte tabu. Der alte Großadmiral hatte noch ewig mit Volldampf arbeiten müssen; heute genügt ein Veto des Herrn Zenker, um einen Rüffel für jenen Kapitän Kolbe zu verhindern, der die Zeitgeschichte um ein schwimmendes Münsingen bereichert hat. Und dennoch war der taktisch sonst so sichere Geßler dies Mal nicht gut beraten, indem er sein Schiffsbauprogramm mitten in die Aufregung um die verfilmten Marinemillionen platzen ließ. Nur jemand, der an bedingungslose Annahme, auch der ausschweifendsten Forderungen, gewöhnt ist, wird einen solchen Lapsus begehen. Laut neuer Feststellung des ›Berliner Tageblattes‹ betragen die verfilmten Gelder nicht, wie zuerst angenommen, 6, sondern 10 Millionen, und ob das schon die Endsumme ist, weiß wohl nur der unerbittliche Kontrolleur Saemisch. Seit Wochen wird jetzt Veröffentlichung des Berichtes über diese Vorgänge verlangt, aber der Herr Sparkommissar, dessen Rechnungsräte sonst die Forschungsinstitute, die den einzelnen Ämtern angegliedert sind und manche nützliche Arbeit leisten, bei der Anschaffung auch des notwendigsten Handwerkszeugs gehörig kujonieren, zeigt sich hier als ein seiner Verantwortung gegenüber den Interessen der Wehrmacht bewußter Ephorus. Die Spatzen pfeifen in die Redaktionsfenster, daß in dieser langen Wartezeit von dem sekreten Bericht eine wohlfeile Volksausgabe hergestellt wird, an der sich Parlament und Presse belustigen können, während das unverdünnte Original den höchsten Stellen zur privaten Benutzung verbleibt. Den Begriff Etatvergehen kennt man hierzulande nicht.
Allerdings paßt das alles ganz gut zum Stil unsrer Militärpolitik: hier ist Erfüllung und Leistung wenig und Propaganda alles, und 10 in Salzwasser versenkte Millionen sind gut angelegtes Kapital, das in Marinebegeisterung und künftiger Bewilligungsfreudigkeit seine Zinsen trägt, auch wenn dabei, was nicht beabsichtigt war, für eine den Wassergöttern attachierte Nereïde eine behaglich möblierte Zwölfzimmergrotte am Lützowufer abfällt. Seefahrt tut trotzdem not, und weiß man in Tuntenhausen, wenn man sich dort an der »Eisernen Braut« delektiert, von den verkapselten Zahlen des Herrn Saemisch?
Diese Flotte, auch wenn sie verantwortungsvoller verwaltet worden wäre, ist militärisch ohne Sinn. Ihre Existenz ist eine Aquariumexistenz. Hier hätte die Linke eine herrliche Parole für den Wahlkampf. Wird sie davon Gebrauch machen? Drei Kriegsmarinen hat Deutschland gehabt, und über jeder funkelte ein boshafter Stern. Die erste deutsche Flotte, die des Deutschen Bundes, wurde ruhmlos versteigert. Die zweite liegt auf dem Grund von Scapa Flow. Die dritte sollte ins Trockendock gezogen werden, ehe sie an faulen Finanzgeschäften völlig havariert.
Die Weltbühne, 3. Januar 1928