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Die deutsche Regierung hat weder die Absicht noch ist sie praktisch in der Lage, ein geheimes Aushebungs- und Bewaffnungssystem durchzuführen.
General Heye in einem amerikanischen Interview
Man weiß doch, was Bezirkskommandos sind? Sie führen die Stammrollen der militärdienstpflichtigen männlichen Bevölkerung, sie besorgen Untersuchung, Kontrolle und Einberufung der Militärdienstpflichtigen und sind somit das wichtigste Instrument für Vorbereitung und Durchführung der Mobilmachung. Da die allgemeine Wehrpflicht bei uns abgeschafft ist, gibt es also auch keine Bezirkskommandos mehr.
Ein Mal allerdings wurde behauptet, daß es dergleichen, wenn auch in andrer Form und mit geminderten Funktionen, doch noch gäbe. Das geschah in der bekannten Mahraunschen Denkschrift, deren Inhalt zuerst hier in der ›Weltbühne‹ vor fast einem Jahre der deutschen Öffentlichkeit unterbreitet wurde; darin war ein System von heimlichen Bezirkskommandos aufgezeigt worden. Es gab dann bei der großen Militärdebatte im Reichstag Anfang Dezember deswegen etwas Krach, und Herr Geßler versprach, wie so oft, Änderung.
Das abgeschworene System besteht jedoch weiter. Wir werden heute bündige Beweise vorlegen, daß der Reichswehrminister wiederum Parlament und Volk bewußt getäuscht hat. Wie liegen die Dinge?
Die neuen »Bezirkskommandos« hätten nach dem Januar-Abkommen zwischen dem Reich und Preußen abgebaut werden müssen. Am 6. April hat der amtliche Preußische Pressedienst einen Erlaß des Ministers Grzesinski veröffentlicht, nach dem für Einstellungen in die Reichswehr künftig ein im Einvernehmen mit dem Reichsminister des Innern und dem Reichswehrminister aufgestelltes Formblatt (zu deutsch: Formular) zu verwenden sei. In diesem Blatt sei unter anderm zu bescheinigen, daß gegen den Empfänger des Führungszeugnisses keine Untersuchung schwebe, daß keine Umstände vorlägen, die Zweifel an seiner Zurechnungsfähigkeit begründeten (zum Beispiel: Freispruch aus § 51 StGB.) und endlich, daß er sich nicht im staatsfeindlichen Sinne betätigt hätte. Dieses Abkommen sollte die Mitwirkung der preußischen Polizei an der Rekrutierung der Reichswehr sichern und eine gewisse Garantie liefern für die republikanische Zuverlässigkeit des Ersatzes. Diese Konvention ist fast überall gebrochen worden. Die »Bezirkskommandos« arbeiten wieder ganz auf eigne Faust. Sie schieben nur die ihnen genehmen Leute in die Reichswehr.
Man kann zwar diese »Bezirkskommandos« nicht ohne weiteres denen von früher gleichsetzen, aber sie sind doch wiederum mehr als nur bloße Werbestellen der Reichswehr. Man hat in den unruhigen Jahren zwischen 1920–24 im Osten des Reiches, in der Grenzmark und in den beim Reiche verbliebenen Teilen Westpreußens und Schlesiens mit Billigung der preußischen Staatsregierung einen Grenzschutz aufzustellen versucht. Diese Versuche sind immer gescheitert. Ein Mal rebellierten die Kaders gegen ihre Gründer, das andre Mal wurde aus der Organisation ein Waffenschieber-Konsortium. Geheim blieben diese Vorgänge selbstverständlich auch nicht. Rund um Deutschland wußte man recht genau, was gespielt wurde. Und so entstanden nur Kosten, die aus andern Etattiteln gedeckt werden mußten, wie etwa dem der bäurischen Kolonisierung in Ostdeutschland.
Es ging in jenen Gegenden in diesen Jahren etwas turbulent zu, und daraus mögen die Urheber des Grenzschutzes eine gewisse Rechtfertigung für ihr Beginnen herleiten. Aber diese Vorbereitungen verloren ihren Sinn, soweit sie im Innern des Landes, soweit sie gar an der Westgrenze, nahe den Brückenköpfen der entmilitarisierten Zone an Rhein, Main und Weser getroffen wurden. Hier konnte man nicht gut mit dem Schlagwort Landesverteidigung operieren. Denn hier gabs nichts zu verteidigen. Trotzdem sind auch hier »Bezirkskommandos« entstanden. In Gießen leitet sie, wie früher schon, Oberst a.D. Franz; in Kassel, am Sitz des Stabes des Generals Reinhardt, wird in gleicher Weise gearbeitet. Und in Münster, beim Freiherrn von Ledebur, besteht die Organisation gleichfalls. Wie man sich dort die Zeit vertreibt, mag das folgende »Formblatt« zeigen.
Das hier abgedruckte Schriftstück stellt einen originalen Stammrollen-Auszug dar, wie sie von den »Bezirkskommandos« täglich verwandt werden. Der Verkehr der »Ämter« untereinander geschieht, soweit die Benutzung der öffentlichen Verkehrsmittel sich nicht umgehen läßt, über Postschließfächer der Reichspost. Sollte die Echtheit obigen Dokumentes angezweifelt werden, so steht eine Reihe ähnlicher zur Verfügung.
Wir erwarten mit Ergebung das Dementi aus der Bendlerstraße.
Nein, wir verzichten darauf, Geßler zu fragen, wer und was Franke und Jüngling sind, und warum sie solche »Formblätter« austauschen. Denn es sagt schon der deutsche Klassiker Friedrich Hebbel: »Eher zeigt sich dir das Mägdlein nackt, als solch ein Jüngling dir das Herz entblößt ...« Wir verzichten darauf, nach Wert und Wesen dieser Armee zu fragen, deren Zukunft einstweilen noch im Postschließfach ruht. Wir finden, daß auch diese neue schwarze Affäre einen leicht operettenhaften Beigeschmack hat, wie alles, was bisher mit dem heimlichen Mars zusammenhing. Wir sind aber nicht dazu da, um unsre Zivilistenhirne für die Herren Militärs anzustrengen. Wichtig ist etwas andres.
Die These von der vollendeten deutschen Abrüstung wird heute von allen Parteien der Linken gestützt; auch die meisten Pazifistenführer haben sie sich zu eigen gemacht. Niemand darf den Herren den guten Glauben absprechen. Man mag ihn auch nicht Herrn Doktor Stresemann absprechen, der noch kürzlich in Genf zwei deutsche Publizisten, die eine gegenteilige Meinung geäußert hatten, mit Ausdrücken belegt hat, wie sie bei einem bessern Tee nun mal üblich sind. Uns scheint Herr Doktor Stresemann der am empfindlichsten Betroffene zu sein. Seine Sache wäre, zu verhüten, daß im benachbarten Kriegsministerium Scherze geleistet werden, die geeignet sind, seine Kreise zu stören und seine Verständigungspolitik vor aller Welt zu diskreditieren. Denn der Verständigungspolitik wird nur dauernder Erfolg beschieden sein, wenn man den Militärs endlich verwehrt, ihre dreisten Fragezeichen dahinter zu setzen.
Noch sind die Postschließfächer reichlich komisch. Aber man muß sie ausleeren, ehe sie zu Pandorabüchsen werden.
Die Weltbühne, 25. Oktober 1927