Carl von Ossietzky
Sämtliche Schriften – Band IV: 1927–1928
Carl von Ossietzky

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Keudell, der Kommunistenretter

Der deutsche Wahlkampf, triste und farblos begonnen, hat nun endlich Physiognomie. Er hat einen Kernpunkt und ein Streitobjekt. Herrn von Keudell, der sich sonst mit der Grazie eines Ladestockes auf dem politischen Tanzparkett bewegt, ist eine Intrige geglückt, welche die ihm nachgesagte musikalische Begabung zum ersten Mal öffentlich beglaubigt. Der Versuch, Rotfront zu verbieten, streut in den schalen Wahlstreit das nötige Quantum Pfeffer.

Hauptsache ist nämlich nicht, daß alle Länder, bis auf Bayern, geschlossen gegen Herrn von Keudell stehen, sondern daß den Kommunisten von Außen eine Aufpulverung zuteil wird, zu der sie aus eigner Kraft kaum mehr fähig waren. Diese Partei, die ihre besten Leute verworfen hat, lebt ohnehin schon lange nur von der Tapsigkeit ihrer Gegner. Der durch die Opposition angerichtete Schaden wurde stets schnell durch das Reichsgericht ausgeglichen. Das Verbot der roten Frontkämpfer hemmt die innern Streitigkeiten, hält die Abfallenden zurück.

Der redliche Keudell konnte den Schritt leicht wagen. Er und seine Ratgeber wissen ganz genau, daß nichts riskiert wird. Denn die Kommunisten kämpfen nicht gegen rechts. Die Kommunisten sehen nicht Deutschland, nicht Europa, unglücklicherweise nicht einmal Rußland – sie sehen nur die Erledigung ihrer alten Rechnung mit der Sozialdemokratischen Partei. Bräche heute ein Erdbeben aus, zwischen wankenden Mauern und berstenden Straßen würde die kommunistische Zentrale es nicht wahrhaben wollen und mit dem altgewohnten Schlachtruf »Der ›Vorwärts‹ lügt!« in den Tartaros fahren. Um der Gerechtigkeit willen soll nicht verschwiegen werden, daß es bei der Sozialdemokratie nicht viel besser aussieht. Die beiden Gegner mögen sich gewiß durch Ozeane getrennt fühlen. Aber der forschende Beobachter läßt sich von dem Qualm der verfeuerten Malediktionen nicht die Augen trüben. Wo zwei sich so hassen, wo zwei so ausschließlich nur ihrem Ressentiment leben, da ist trotz alledem ein Gefühl von Zusammengehörigkeit. Blutsfremde bekämpfen sich nicht so.

In den letzten beiden Jahren klangen die Kampfchoräle gedämpfter. Die Reaktion begann den Druck paritätischer zu verteilen. Die Familienkrieger, durch externe Belästigungen abgelenkt, vernachlässigten das gewohnte Zeremoniell des Haders. Die einschlafende Krachstimmung neu zu entfachen, brannte Herr von Keudell sein Feuerwerk ab. Der Erfolg gibt ihm recht. Schon gehaben sich die Kommunisten wieder, als hätte die preußische Regierung gemeinsam mit den republikanischen Parteien den Anschlag ausgeheckt. Die Linke steckt wieder im Bürgerkrieg. Den Kommunisten, die eben noch Trotzkis Verbannung mit kruden Phrasen verteidigten, fällt nun die dankbare Pose der armen Vergewaltigten und Mundtotgemachten zu. Herr von Keudell hat viel für sie getan. Sie sollten ihn zum Ehrenkosaken ernennen.

Erfreulich ist, daß dies Mal die Mittelparteien die Absicht durchschauten. Das ist gewiß ein Zeichen politischer Vernunft. Nur schade, daß die in Deutschland immer passiv ist, immer in der Defensive, daß sie nie selbst in Angriffsstellung geht, daß sie sich, günstigstenfalls, immer nur regt, um etwas zu verhindern. Die Rechte hat Unrecht, die Rechte ist schlecht geführt, innerlich zerrissen, ohne Moral, ohne Takt, ohne Intelligenz ... Nicht wahr, verehrte republikanische Leitartikler, so ist es doch? Nur hat die Rechte leider immer die Initiative.

Herr von Keudell, der Undiplomat, gilt als das enfant terrible unsrer Reichsregierung. Das enfant terrible des englischen Kabinetts ist der Earl of Birkenhead, der kürzlich in Berlin geweilt hat, um bei Herrn Guttmann in Wannsee Golf zu spielen. Eine Wolke von Gerüchten folgt den Tracen des notablen Gastes. Die Labourpresse, zum Beispiel, meint, er, mit dem Freunde Winston Churchill der Matador der Russophoben, habe sich in Berlin um die Schaffung eines antirussischen Blocks bemüht und außerdem noch Herrn Stresemann einen Plan dargelegt, Sir Austen Chamberlain, das hauptsächliche Hindernis, auffliegen zu lassen. Demoblätter dementieren heftig. Warum? Kein Verständiger wird im Ernst an diese Golfreise glauben. Der geschäftigste der englischen Russenfeinde, der durch seine Barschheit und seine polternde Beredsamkeit ganz gewiß nicht zum Diplomaten geboren ist, sich aber im Ausland wiederholt als glänzender Propagandist bewährt hat, sollte als friedlicher Sportamateur diese Reise unternommen haben? Wozu noch hinreichend bekannt ist, daß Seiner Lordschaft persönliche Neigungen öfter in den Weinkeller fuhren als auf den Golfplatz.

Der Earl of Birkenhead war früher ein simpler Herr Josiah Smith, Advokat in London, und als solcher jahrelang beliebter Scheidungsanwalt. Der Fähigkeit, lästige Allianzen geschickt und schmerzlos auseinander zu bringen, verdankt er wahrscheinlich den Glauben an die Berufung, die deutsch-russische Scheidung einzuleiten. Ein gut gewählter Augenblick grade jetzt, wo die Beziehungen auf beiden Seiten frostig geworden sind und das Auswärtige Amt durch die Donezaffäre tief verstimmt ist. Daß der ehrgeizige Herr auch etwa daran denkt, Austen Chamberlain zu stürzen und ins Foreign Office einzuziehen, braucht nicht tragisch genommen zu werden. Die englischen Russenfresser stehen zurzeit nicht sehr gut, das konservative Kabinett sieht seine Ablösung näher kommen, und nur die Gruppe Churchill-Birkenhead möchte die Position nicht räumen, ohne vorher noch einen großen Coup gewagt zu haben. Es darf nicht übersehen werden, daß Lord Birkenhead durch seine Neigung zu Bravaden und seine oft bewährte Taktlosigkeit in England nicht grade mehr bitter ernst genommen wird. Man freut sich über seine Muskelprotzerei, seinen kraftmeiernden Imperialismus, was alles einer beliebten John-Bull-Tradition entspricht, aber auch drüben sind nicht die Männer allein lenkend, die, wie Fähnrich Pistol, die Welt wie eine Auster mit dem Schwert öffnen möchten.

Im Effekt wird Birkenhead den Moskauern ebenso nützlich wie Keudell den deutschen Kommunisten. Es ist jetzt nicht die Saison der Lauten, der Gewalttätigen. Die so furchtbar starken Männer bilden sich ein, viel zu bewegen und richten doch nur in kleinem Kreise und oft zu eignem Nachteil Unfug an. Man soll dennoch diese Freunde von Katastrophenpolitik nicht unterschätzen, auch wenn sie nur im Badezimmer Sintflut probieren.

Die Weltbühne, 24. April 1928


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