Ferdinand Gregorovius
Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter
Ferdinand Gregorovius

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3. Rückkehr des Papsts nach Rom 6. Oktober 1528. Zustand der Stadt. Ein Blick auf die Schicksale der Künstler und Gelehrten während der Plünderung.

Die Stadt bot ein gräßliches Bild erlittener Qualen dar. Die Hospitäler lagen von Kranken voll, die in Schmutz starrenden Straßen, halb zertrümmert und verbrannt, erfüllten Jammergestalten um Brot bettelnder Menschen. Nach dem übertriebenen Bericht eines Zeitgenossen zählte man 13 600 durch das Kriegsvolk des Kaisers zerstörte Häuser. Vier Fünftel der Stadt waren unbewohnt. Der ruinierte Adel war auf seine Güter gezogen, wie vor allem die Colonna, die das Volk als Urheber der Plünderung verabscheute; und schon am Ende des Jahrs 1527 hatte sich Pompeo nach Neapel begeben, dem Haß des Volks zu entgehen. Man hielt täglich Prozessionen; man predigte Buße auf allen Straßen; die Priester, welche teilten, suchten die Stimmung des Volks zu mildern und auf die Rückkehr des Papsts vorzubereiten, und »das gute Volk gab nach«.

Als Clemens am 6. Oktober 1528 in Rom wieder einzog, geleitet von seiner Schweizergarde und beschützt von einem Trupp des verhaßten kaiserlichen Fußvolks, konnte er sich wohl mit Honorius vergleichen, als dieser elende Kaiser in die durch Alarich geplünderte Stadt zurückkehrte. Er kam unter strömendem Regen, kurz vor der Dunkelheit. Niemand holte ihn ein, denn so wollte er es selbst, weil diese Zeiten nicht zu Zeremonien angetan seien. Das römische Volk, elender als die Vorfahren nach dem Ende des Exils in Avignon, umringte ihn mit Zurufen, von denen jeder ihn wie ein vorwurfsvoller Schrei der Verzweiflung erschüttern mußte. Er ritt durch die Stadt, weinend und das Volk segnend. Manchmal breitete er die Arme aus, als wollte er Rom umfassen, dann hob er sie gen Himmel. Der Engelsburg vorbei, die ihm das grausige Bild seiner Vergangenheit entgegenhielt, zog der Jammermann nach dem St. Peter, wo er sich am Apostelgrabe niederwarf. In den Annalen der Kirche gibt es keinen so schrecklichen Einzug eines Papsts.

Wie einst Honorius konnte jetzt auch Clemens VII. der Wiederhersteller Roms werden. Er rief die Flüchtlinge aus dem Exil zurück; sie kamen, doch in kleiner Anzahl. Rom war entvölkert. Man zählte 30 000 Menschen, die durch den Feind, durch Elend und Pest ihr Leben verloren hatten. Von 85 000 und mehr Einwohnern unter Leo X. war die Stadt auf 32 000 herabgesunken, wie eine Zählung ergab. Voll bitterer Ironie sagten die Römer, der Kaiser solle Kolonisten aus Sizilien, Neapel und Sardinien nach Rom schicken. Über die Fülle alles Schönen, welches hier die Päpste der Renaissance vereinigt hatten, war ein Strom der Verheerung gegangen. Der Sacco zerriß das Kulturleben der Stadt und schloß die mediceische Epoche für immer ab, in welcher Raffael und Michelangelo die Sonnenhöhe genialer Tätigkeit bezeichnet hatten.

Die mit Clemens wieder hereinkamen, suchten ihre Freunde aus den Kreisen der Akademie und der Künstlerwelt Leos X., und sie fanden sie entweder nicht mehr oder nur als Bettler wieder. Raffael war glücklich zu preisen, weil er schon im Grabe ruhte, und Michelangelo, weil er nicht in Rom war. Auch sie würden die Opfer des wütenden Kriegsvolks geworden sein, denn diese Plünderer hatten die Künstler nicht verschont, von denen nur wenige in die Engelsburg sich zu retten vermocht, wie die Bildhauer Lorenzi Lotti, Raffael da Montelupo und Benvenuto Cellini. Peruzzo war von den Spaniern gemartert und ausgeraubt worden; als Maler erkannt, hatte er für sie ein Bildnis Bourbons machen müssen. Losgelassen war er nach Siena entflohen und unterwegs nochmals von Räubern ausgeplündert worden. Die Schule Raffaels war zersprengt; Caravaggio hatte sich nach Messina gerettet, sein Freund Maturino durch die Pest den Tod gefunden. Giovanni von Udine, gemartert und ausgeplündert, war nach Friaul, Vincenzo da S. Gimignano nach seiner Vaterstadt entwichen, wo er aus Sehnsucht nach Rom hinsiechte und bald starb. Der Florentiner Rosso, später ein Günstling Franz' I., hatte dem Kriegsvolk als Knecht dienen müssen und war bettelarm geworden. Jacopo Sansovino konnte nach Venedig entrinnen. Giulio Romano war nicht mehr in Rom gewesen, aber sein Schüler Giulio Clovio hatte so viel Qualen erduldet, daß er später in Mantua das von ihm gelobte geistliche Gewand nahm. Der berühmte Kupferstecher Marcantonio hatte sich losgekauft und Rom für immer verlassen. Auch Parmigianino war nach Parma entwichen, nachdem er die Wut der Plünderer durch für sie gemachte Malereien besänftigt hatte.

Noch unglücklicher waren die Literaten gewesen. Nach dem Tode Hadrians VI. hatte sich das wissenschaftliche Leben in Rom wiederhergestellt; manche Gelehrte waren zurückgekehrt oder von Clemens an die Universität berufen worden, wie Valerius, der unter Hadrian nach Neapel gegangen war und unter jenem Professor der Beredsamkeit wurde. Nun war auch dieser Gelehrtenkreis zersprengt worden. Goritz, von seinen Landsleuten gefangen, hatte sich mit schwerem Gelde gelöst und war nach Verona geflohen, wo er in Krankheit fiel und mit heißer Sehnsucht nach Rom starb. Colocci, zweimal gefangen, hatte seine Häuser verbrennen, seine herrlichen Kunstsammlungen und Handschriften rauben und zerstören sehen und war jammernd nach Jesi zurückgekehrt. Der reiche Advokat Angelo Cesi, Vater des Kardinals Paul, einer der gefeiertsten Männer Roms, lag krank auf seinem Lager, als die Spanier mit gezückten Schwertern zu ihm eindrangen; er starb infolge der erduldeten Leiden ein Jahr darauf. Der Grammatiker Julianus Camers hatte sich selbst den Tod gegeben. Valdus, der nach langen Reisen als Professor sich in Rom niedergelassen, wo er Plinius erklärte, hatte seine mühevollen Schriften, einen Kommentar dieses Autors, zum Küchendienst zerreißen sehen und war vor Hunger gestorben. Den Dichter Casanova, den Anhänger des Hauses Colonna, hatte man auf den Straßen um Brot betteln sehen, bis ihn die Pest tötete. Der Dichter Paolo Bombasi von Bologna war während der Plünderung erschlagen worden. Der berühmte Tebaldeo, der Freund Raffaels, war zu solchem Elend herabgekommen, daß er Bembo um dreißig Floren ersuchte, während er im Haus Colonna krank lag. Seines Lebens überdrüssig, wollte er nach der Provence gehen, blieb indes in Rom. Marone, einst so glanzvoll als Improvisator, beraubt und gequält und voll Verzweiflung über den Verlust seiner Poesien aus Tivoli nach Rom zurückgekehrt, war von aller Welt verlassen in einer elenden Taverne gestorben. Nach Venedig entrann der Lieblingskomiker Leos X., Francesco Cherea, und dort wurde er der Begründer und Vervollkommner der Commedia dell' arte. Selbst der greise Stoiker Marco Fabio Calvi, der einst im Hause Raffaels gelebt hatte, war, weil er kein Lösegeld zu zahlen vermochte, von den Banden aus Rom geschleppt worden und elend in einem Hospital gestorben. Wie durch ein Wunder blieb Molza unversehrter Zeuge jener schrecklichen Tage. Glücklich waren diejenigen zu nennen, welche mit dem Verlust ihrer Habe oder ihrer Bücher und Schriften davongekommen, wie Lazzaro Bonamici, der aus Rom floh und nie mehr hierher zurückkehrte, wie Agacio Guidacerio, der Professor der hebräischen Sprache, wie der gelehrte Gyraldi, der alle seine Bücher im Sacco verloren und sich selbst nach Bologna gerettet hatte, während sein Freund Alcyonius verwundet ward und an den Folgen seiner Mißhandlung im Jahre 1528 starb. Auch Jovius, der sich in die Engelsburg gerettet hatte, beklagte den Verlust von sechs Büchern seines Geschichtswerks. Er hatte das Manuskript desselben in der Minerva in einer Kiste versteckt, wo ein spanischer Hauptmann Herrera es auffand, seinen Wert erkannte und später dem Verfasser gegen eine ihm vom Papst bewilligte Pfründe wiedergab. Die fehlenden Bücher der ersten Dekade hat Jovius nicht mehr zu ergänzen vermocht.

Pierius Valerianus war nicht während des Sacco in Rom gewesen; die schreckliche Katastrophe bot ihm Stoff für seine bekannte Schrift »Vom Unglück der Gelehrten«. Er verfaßte sie im Jahre 1529 in Form eines Dialogs. Wenn man die Klagestimmen der Humanisten über den Untergang Roms hört, so glaubt man in die Zeit des Hieronymus zurückgekehrt zu sein, und nie glichen Schicksale aus weit getrennten Zeiten einander so vollkommen, als der Fall Roms im Jahr 1527 jenem von 410 gleicht. Damals war die Stadt noch zur Hälfte heidnisch, jetzt war sie durch die Renaissance wiederum heidnisch geworden. Damals wie jetzt erkannte jeder fromme Mann, daß ein verdientes Strafgericht Rom gezüchtigt habe; aber jetzt wie damals erscholl auch derselbe Jammerruf, daß die herrliche Roma, das Licht der Welt, die Mutter der Menschheit, untergegangen sei.

Sadoleto, Bembo und von jenseits der Alpen Erasmus sind die Führer dieses Klagechors, und ihre Worte erinnern oft an jene des Hieronymus. Sadoleto, welcher kurz vor der Katastrophe nach Carpentras gegangen war, schrieb von dort am 18. Juni 1527 an Francisco Bini, den Sekretär Clemens' VII. Er suchte den Papst zu verteidigen, welcher stets gerecht und gut gewesen sei; die Verderbnis der Zeit und des Hofs hätten diesen Zorn Gottes herbeigezogen, in welchen auch die Schuldlosen verwickelt worden seien. Er wiederholte diese Ansicht in seiner Antwort auf einen Brief des Hieronymus Niger. Dieser gebildete Venetianer war nach dem Verlust seiner Habe und aller seiner schriftlichen Arbeiten aus Rom nach seiner Vaterstadt geflohen und meldete Sadoleto von dort aus seine Schicksale. Er beklagte sich über den Hohn der Welt, welche jetzt von der Gerechtigkeit dieser Züchtigung rede, und das vermehre den Schmerz solcher, deren Schuld vielleicht nur darin bestand, daß sie in Rom, dem Abgrund aller Laster, gelebt hatten.

An Bembo schrieb Sadoleto aus Carpentras am 3. November 1527, gelobend, sein Leben fortan nur Gott und den Musen zu weihen; und Bembo, welcher sich schon Jahre vorher nach Padua zurückgezogen hatte, ermunterte seinen Freund, das gemeinsame Unglück in den Studien zu begraben. Erasmus schrieb an Sadoleto aus Basel am 1. Oktober 1528. Er beklagte den Fall Roms, welcher grausamer sei als das Schicksal der Stadt unter Galliern und Goten. »Das entsetzliche Verhängnis hat«, so sagte er, »alle Völker mitbetroffen, denn Rom war nicht allein die Burg der christlichen Religion, die Ernährerin der edlen Geister und das ruhigste Asyl der Musen, sondern auch die Mutter aller Völker. Denn wen hat diese Stadt nicht, mochte er auch auf einer fremden Erde geboren sein, in ihren sanften Schoß aufgenommen, geliebkost und erzogen? Wer erschien sich dort als Fremdling, wenn er auch vom Ende der Welt hergekommen war? Ja, wie vielen war Rom nicht teurer, süßer, segensreicher als ihr eignes Vaterland? Oder wo gab es einen noch so rauhen Geist, den nicht die Stadt Rom durch das Leben in ihr milder und reifer uns zurückkommen ließ? Oder wer brachte nur eine kurze Zeit in ihr zu, der nicht ungern von ihr schied, der nicht jede ihm dargebotene Gelegenheit, zu ihr zurückzukehren, freudig ergriff oder sie selbst herbeizog, wenn sie ihm nicht geboten war? In Wahrheit dies war der Untergang nicht der Stadt, sondern der Welt.«

Angelo Colocci kehrte schon im Jahre 1528, Hieronymus Niger im Frühling des folgenden nach Rom zurück. Sie entwarfen Sadoleto ein trauriges Bild von der Verödung der Stadt, in der so viele teure Freunde untergegangen, aus der so viele andere in fremde Länder gezogen waren. In einem rührenden Brief an Colocci warf sodann Sadoleto einen elegischen Rückblick auf die Vergangenheit. Er erinnerte ihn an ihre akademischen Zusammenkünfte in alter schöner Zeit, im Gartenhaus des Freundes oder seinem eigenen auf dem Quirinal oder im Circus Maximus und am Tiberufer beim Herkulestempel. Er gedachte der bescheidenen Festmahle, welche Geist und Laune würzten, und rief voll Wehmut die Freunde zurück, die nun tot oder zerstreut waren, Casanova, Capella, Vida, Beroald, Valerianus und Grana, Maddaleno Capo di Ferro und Blosius, Phädra Inghirami und Camillo Porzio, Bembo und Castiglione, Navagero, den Greis Coryx mit seinem süßen Zorn und so viele andere. Ach! diese Zeiten und diese Wonne glückseligen Lebens hat das grausame Schicksal Roms zerstört!

Der Brief Sadoletos war der Schwanengesang und Abschiedsgruß an die heitere Welt nicht allein der römischen Akademie, sondern der humanistischen Epoche selbst. Der mutige Colocci, von heißer Sehnsucht nach Rom zurückgetrieben, und Blosius Palladius bemühten sich hier, die Trümmer jener zu sammeln; die Akademie hielt wieder Zusammenkünfte und entflammte oder demütigte die Römer durch Gedächtnisreden auf den Fall der Stadt. Sie lebte noch später unter Paul III. fort, dem Schüler des Pomponius Laetus und Genossen Coloccis und Sadoletos, aber schon regten sich die furchtbaren Mächte der Gegenreformation, welche das Papsttum nach seinem Taumelfall ernüchterten und entgeistigten. Statt das klassischen Freimaurerordens der Akademie entstand in Rom der Orden Jesu, und der finstere Paul IV. schlug den wissenschaftlichen Geist in die Ketten des Index und der Zensur.


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