Ferdinand Gregorovius
Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter
Ferdinand Gregorovius

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Drittes Kapitel

1. Paulus I. Papst 757. Schreiben der Römer an Pippin. Freundliche Beziehungen des Papsts zu diesem Könige. Desiderius bestraft die rebellischen Herzöge von Spoleto und Benevent. Er kommt nach Rom. Politisches Verfahren Pauls. Verhältnis des Papsts und Roms zu Byzanz. Frieden mit Desiderius.

Stephan lag noch auf dem Sterbebette im Lateran, als die ungeduldigen Römer schon zur Wahl seines Nachfolgers schritten. Eine Partei stimmte für den Archidiakon Theophylactus, die andere für den Diaconus Paulus, den Bruder des Papsts. Jene war, so glauben wir, byzantinisch, diese fränkisch; jene wollte die Beziehungen zur legitimen Reichsgewalt wieder aufnehmen, diese die fränkische Politik Stephans II. fortfahren, und zu ihr gehörte die Mehrzahl des römischen Adels, aus dem wohl beide Brüder selbst abstammten. Der Mann der neuen Zeit siegte über die Alt-Konservativen; denn nach kurzem Widerstande der Gegenpartei wurde die Wahl des Paulus durchgesetzt. Er bestieg den Stuhl Petri am 29. Mai 757. Zwei Brüder folgten einander im Pontifikat; die Gefahr, welche darin für das demokratische Wesen des päpstlichen Wahlreichs lag, war vorübergehend, wiederholte sich jedoch in Zeiten, als die Barone der Campagna Rom beherrschten.

Paul war der erste aller römischen Bischöfe, welcher sich als ein Landesherr auf den priesterlichen Stuhl Roms setzte, denn er übernahm den bereits gegründeten Kirchenstaat und mit ihm auch den Widerspruch der Römer, welche, gleichsam aus einer Betäubung erwachend, in ihrem Bischof ihren Dominus zu erkennen, zu hassen und bald zu bekämpfen begannen. Paul I. hatte noch vor seiner Weihe dem Wohltäter und Verteidiger der Kirche, dem »neuen Moses und David«, seine Erhebung angezeigt, in denselben Formeln untertäniger Höflichkeit, wie seine Vorgänger gewohnt waren, die ihrige dem Exarchen zu melden. So wurde zum erstenmal anerkannt, daß der Frankenkönig in bezug auf die römischen Verhältnisse in dessen Stelle getreten sei. Die Rücksicht auf den mächtigen Patricius der Römer war ein Gebot der Lage, in welcher sich der neugewählte Papst befand, doch sie berechtigt nicht zu dem Schluß, daß dem Frankenkönige das direkte Bestätigungsrecht der Papstwahl gegeben war. Paul schrieb an Pippin mit ängstlicher Vorsicht: obwohl vom ganzen Volk erwählt, habe er es für gut befunden, den fränkischen Boten Immo bis zu seiner Weihe in der Stadt zurückzuhalten, damit er sich von seiner und aller andern Tadellosigkeit und Anhänglichkeit an die Franken überzeugen könne; er versicherte dem Könige, daß er und sein Volk mit Leib und Seele und bis zum Tode ihm treu ergeben bleiben würden. Pippin antwortete durch einen Glückwunsch und bald darauf durch die Aufforderung an Paul, Gevatter seiner Tochter Gisela zu werden. Die Formeln des höflichen Verkehrs jener Zeit waren roh und seltsam: das Scheren von Haarlocken galt als Zeugnis der Adoption, und die Übersendung der Windeln eines Täuflings als ehrenvolles Zeichen der Ernennung zum Paten. Der Papst empfing dieses Symbol der königlichen Gunst mit Ehrerbietung und legte es in die Konfession der heiligen Petronilla nieder.

Unter den Schreiben, welche unmittelbar nach Pauls Erhebung an den Frankenkönig abgingen, ist eins von großer Wichtigkeit. Pippin hatte an den Adel und das Volk der Römer einen Brief gerichtet, worin er sie zur Treue gegen St. Petrus, die Kirche und den Papst ermahnte; zum erstenmal in der Geschichte erschien demnach das römische Volk in einem Untertanenverhältnis zu seinem Bischof. Diese Aufforderung Pippins kann nicht als bloße Formel angesehen werden, sondern sie läßt eine Bewegung des Widerspruchs unter den Römern vermuten, die vielleicht auch mit der zwiespältigen Wahl nach Stephans Tode zusammenhing. Außerdem hatten sich in Stadt und Umgegend bereits mächtige Adelsfaktionen gebildet, und auch Langobarden wie Byzantiner unterhielten ihren Anhang in Rom.

Die Römer antworteten dem Könige in einem Schreiben, dessen völlig geistliche Färbung seinen Ursprung verrät. Die rohen Duces oder Comites jener Zeit, wo fast alle diplomatischen Geschäfte durch Geistliche besorgt wurden, übertrugen wohl einem päpstlichen Notar den Ausdruck ihrer offiziellen Gefühle. Sie sagten Pippin, oder waren gezwungen, ihm zu sagen: »In Wahrheit, Herr König, der Geist Gottes hat in Eurem honigtriefenden Herzen Wohnung genommen, weil Ihr mit so heilsamem Rat unsere Wohlgesinnung zu ermahnen bemüht seid. Gewiß, erlauchtester der Könige, wir bleiben treue Knechte der heiligen Kirche und Eures dreimal seligen und mitangelischen geistlichen Vaters, unseres Herrn Paulus, des höchsten Pontifex und allgemeinen Papsts, weil er selbst unser Vater und bester Hirt ist und für unser Heil täglich zu streiten nicht aufhört, wie sein Bruder seligen Andenkens, und weil er uns hegt und heilsam regiert als seine ihm von Gott anvertraute geistliche Herde.« In diesem Brief wird keine Stimme des Widerspruchs neben der Ergebenheit gegen den gebietenden Papst laut; die Römer anerkannten ihn offenbar als ihren Dominus und den König als dessen Schutzherrn. Es ist außerdem noch etwas anderes, was dieses Schreiben bemerkenswert macht; seine Überschrift lautet: »Dem erlauchten und hocherhabenen Herrn und von Gott eingesetzten großen Sieger, Pippin, dem Könige der Franken und Patricius der Römer, der ganze Senat und die ganze Allgemeinheit des Volks der von Gott bewahrten römischen Stadt.« Der Name des Senats taucht aus dem langen Schweigen der Geschichte auf; doch wir erkennen, daß unter ihm nicht mehr die alte Reichskurie, sondern nur der städtische Adel verstanden ward.

Die Verhältnisse Pauls zu Pippin waren freundlichster Natur; ihre Boten gingen hin und her, und manche Artigkeiten wurden ausgewechselt. Es ist der Bemerkung wert, daß der Papst diesem Könige eine Reihe griechischer Bücher schickte, was immerhin zum Beweise dienen kann, daß damals in Rom von den hier in Klöstern angesiedelten basilianischen Mönchen griechische Handschriften kopiert wurden. Selbst die erste Ernennung eines Kardinals auf Betreiben eines fremden Fürsten kann unter der Regierung Pauls bemerkt werden. Pippin hatte für den Presbyter Marinus um den Titel St. Chrysogonus gebeten, und Paul bewilligte das Gesuch.

Der König der Langobarden hielt unterdes den Papst mit Versprechungen hin, ohne ernstlich daran zu denken, Bologna, Imola, Osimo und Ancona herauszuheben. Im übrigen war er aus vollem Grunde erbittert; denn schon Stephan hatte die Herzöge von Spoleto und Benevent zum Abfall von ihrem rechtmäßigen Herrn gereizt und sie bewogen, sich unter die Oberhoheit des Königs der Franken zu stellen.

Als nun Desiderius im Jahre 758 gegen diese Rebellen zu Felde zog, nahm er seinen Weg durch die Pentapolis, wo er Städte und Felder plünderte; der Papst beklagte sich bitter darüber bei Pippin. Alboin von Spoleto wurde bezwungen und endete im Kerker; darauf rückte Desiderius gegen Benevent, und der dortige Herzog Liutprand entwich in seine äußerste Stadt Hydruntum am Jonischen Meer. Nachdem der König seinen Vasallen Arichis zum Dux in Benevent eingesetzt hatte, rief er den kaiserlichen Gesandten Georg aus Neapel zu sich und schlug ihm ein Bündnis vor: der Kaiser sollte ein Heer nach Italien senden, das allgemeine Aufgebot der Langobarden sich mit ihm zur Eroberung Ravennas vereinigen und zugleich eine Flotte aus Sizilien Hydruntum belagern. So wurden die ehemaligen Gegner, der Kaiser und der Langobardenkönig, durch die Verbindung des Papsttums mit den Franken veranlaßt, sich miteinander zu vereinigen.

Trotz dieser Unterhandlungen kam Desiderius bald darauf nach Rom; Paul hatte ihn wohl selbst eingeladen, um ihn wegen seines Verhaltens in betreff der beiden Herzogtümer zu beschwichtigen und zur Herausgabe jener vier Städte zu bewegen. Der König gab nur ausweichende Antwort; er verlangte vor allem die Auslieferung der Geiseln, welche Aistulf nach Franzien hatte senden müssen. Der Papst erheuchelte seine Zustimmung; er gab seinen Boten einen offenen Brief an Pippin, worin er unter der schmeichelhaftesten Anerkennung seines »erlauchten Sohnes Desiderius« dringend um die Freilassung jener Geiseln bat. Aber in einem zweiten heimlichen Schreiben erklärte er die Fassung des ersten, klagte über die Verwüstungen der Pentapolis, berichtete von den Unterhandlungen mit den Griechen und beschwor Pippin, die Geiseln nicht herauszugeben. Die offenen Geständnisse Pauls können das Urteil strenger Christen durch die Frage in Verlegenheit setzen, ob dem Papst unter irgendwelchen Verhältnissen die Lüge gestattet sei; die hohe Moral der Apostel würde sie verneint haben. Und überhaupt wurde es klar, in welchen gefährlichen Widerspruch mit seiner geistlichen Würde der römische Bischof durch die Schuld seiner weltlichen Stellung geraten war.

Desiderius fuhr fort, die Städte zu behalten, sogar Patrimonien der Kirche zu besetzen, und Paul, seine Klagen an den Hof Pippins zu senden, bis im März 760 ein Vertrag zustande kam, welchen die fränkischen Boten Remigius und Auchar vermittelten. Der Langobardenkönig versprach, alle Patrimonien und Städte der Römischen Republik herauszugeben, überlieferte einige wirklich, behielt jedoch Imola. Der Grund zum Hader blieb, aber das Verhältnis zu den Langobarden wurde erträglicher. Dagegen waren die Beziehungen des Papsts zu den Kaisern Constantin und Leo seltsamer Natur; er schickte Nuntien ab, um diese Imperatoren zur Wiederherstellung des Bilderkultus zu bewegen, aber von dem Zerwürfnis wegen des Exarchats oder Roms wird nichts in seinem Schreiben gehört. Selbst in einem Brief an Pippin erklärt der Papst: »Die Griechen verfolgen uns aus keinem andern Grund als wegen des orthodoxen Glaubens und der frommen Tradition der Väter, welche sie zu vertilgen begierig sind.« Dies berechtigt zum Zweifel, daß der Kaiser der Herrschaft über Rom wirklich beraubt war; wenn der Papst dort die volle Gewalt hatte, so mußte es seltsam erscheinen, daß er als Grund des kaiserlichen Zorns nicht die Losreißung des Dukats und Exarchats angab. Die Päpste fuhren fort, die Oberhoheit des Kaisers in Diplomen anzuerkennen, aber tatsächlich empfing derselbe weder Tribut aus der römischen Provinz, noch übte in der Stadt irgendein byzantinischer Beamter eine Gewalt mehr aus. Rom war ihm entrissen, so gut wie Ravenna, und er mußte an dessen Wiedereroberung bei gelegener Zeit denken. Doch Rom war entfernt oder gegen Angriffe von Neapel aus durch das freundliche Benevent gedeckt, während Ravenna, durch seine Lage wichtiger, nahe zu erreichen und leichter zu erobern war. Im Jahre 761 waren Gerüchte von feindlichen Absichten laut geworden. Der Papst forderte deshalb Pippin auf, sich bei Desiderius zu verwenden, daß er im Notfall Hilfe leiste und auch den Herzögen von Spoleto und Benevent befehle, ihm als Nachbarn beizustehen; dies beweist, daß Paul für Rom selbst fürchtete, daß Frieden mit Desiderius bestand und jene Herzöge der Autorität des Langobardenkönigs gehorchten. Der Kaiser suchte vergebens den Erzbischof von Ravenna zu gewinnen; Sergius, ehemals vom Papst Stephan unter Gewahrsam gehalten, aber von Paul in sein Amt wieder eingesetzt, beeilte sich, die kaiserlichen Schreiben nach Rom zu senden. Die griechischen Rüstungen wurden eingestellt; es konnte auch ein Kriegszug gegen Italien nicht ungeschickter unternommen werden als während des Friedens mit den Langobarden.

Paul I. hatte seither keine Veranlassung mehr, vor byzantinischen Drohungen zu erschrecken. Er erwähnte der Griechen überhaupt nur noch einmal, indem er Pippin schrieb, er habe gehört, daß sechs Patrizier mit dreihundert Schiffen und der sizilischen Kriegsflotte von Konstantinopel nach Rom unterwegs seien, aber er wisse nicht, was der Grund ihrer Expedition sei; nur dies habe man ihm gemeldet, daß sie Befehl hätten, zuerst nach Rom, dann nach Franzien zu segeln. Die Sorglosigkeit, mit welcher der Papst von dieser Unternehmung berichtete, würde auch dann Verwunderung erregen, wenn Rom mit Konstantinopel in den friedlichsten Beziehungen sich befand. Es ist offenbar, daß Paul das Gerücht als ein Märchen belächelte, und sowohl die sechs Patrizier als die ungeheure Anzahl der Schiffe erscheinen fabelhaft. Die Griechen machten keinen Versuch, Italien durch Waffengewalt wieder zu erobern, und der Papst hätte im Lateranischen Palast ruhig schlafen können, wenn nicht Desiderius von Zeit zu Zeit den Frieden wieder störte. Pippin wurde mit neuen Klagen belästigt und eine lange Unterhandlung wegen der Patrimonien, der gegenseitigen Forderungen, Entschädigungen und Grenzbestimmungen durch die Beauftragten der drei Mächte geführt, bis im Jahre 764 oder 765 nach Rückgabe auch der Stadt Imola die Kirche des Friedens versichert ward.


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