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2. Innocenz IV. kommt nach Anagni. Tivoli unterwirft sich dem Kapitol. Der Papst rüstet sich, vom Königreich Sizilien Besitz zu nehmen. Manfred wird sein Vasall. Einzug Innocenz' IV. in Neapel. Flucht Manfreds. Sein Sieg bei Foggia. Innocenz stirbt 1254. Alexander IV. kehrt nach Rom zurück.
Wir sahen, daß Innocenz IV. durch Brancaleone zur Rückkehr gezwungen wurde und bald wieder in Umbrien seinen Sitz nahm. Der Tod Konrads, mit welchem der Senator in freundlicher Verbindung gestanden hatte, bewog ihn, in die Nähe des sizilischen Königreichs zu eilen, welches ein überschwengliches Glück seiner Herrschaft noch einmal darbot. Er berührte nur Rom; er redete im St. Peter zum Volk, gab ihm viele schöne Worte und bat die Römer, seine Pläne in Sizilien zu unterstützen. Hierauf begab er sich nach Molara, einer Burg des Kardinals Annibaldi, und reiste schleunig weiter nach Anagni.
Die römischen Milizen lagen damals vor Tivoli. Die Bürger dieses festen Orts wehrten sich verzweifelt gegen die Stürme Brancaleones, bis sie die Friedensvermittlung des Papstes annahmen, Gesandte in demutsvollem Aufzug auf das Kapitol schickten und Vasallentreue gelobten.
Tivoli, immer eine freie Republik, nie von Baronen beherrscht, bisweilen das Asyl verfolgter Päpste, dann ghibellinisch unter Friedrich II., war von der Kirche gegen die Ansprüche der Römer stets geschützt worden. Man wird sich erinnern, daß ein Krieg Roms gegen Tibur die Vertreibung Ottos III., ein anderer die Wiederherstellung des Senats veranlaßt hatte. Drei Jahrhunderte lang hatten die Römer diesen kleinen, den Musen und Sibyllen geweihten Ort, den Lieblingssitz ihrer Vorfahren, durch Kriegszüge bedrängt, bis er endlich in ihre Gewalt geriet; Tivoli wurde ein Feudum der Stadt Rom. Wenn ihr Innocenz IV. eine so wichtige Stadt überließ, so beweist dies, wie gering seine weltliche Gewalt in Rom war und wie sehr er der Gunst des Senators bedurfte. Sein Lebensbeschreiber versichert, daß er jenen Frieden auf Bitten der hart mitgenommenen Römer vermittelte, obwohl er Ursache hatte, Brancaleone zu zürnen; denn dieser Manfred freundlich gesinnte Senator hatte sein Gesuch um Beistand nicht erhört, vielmehr das Verbot erlassen, dem Papst Anleihen zu gewähren, Zufuhren nach Anagni zu bringen oder Truppen zu stellen. Kurz, er hatte der päpstlichen Unternehmung nach Sizilien Hindernisse in den Weg gestellt. Die Unterwerfung dieses Königreichs unter den Heiligen Stuhl lag nicht im Vorteil der Römer; aber Innocenz erkaufte sich durch die Preisgabe Tivolis (am Ende des Sommers 1254) das Versprechen des Senators, nichts Feindliches in seinem Rücken zu unternehmen, während er sich anschickte, von Apulien Besitz zu ergreifen.
Anagni, wo er sich befand, die Vaterstadt des den Hohenstaufen feindlichen Hauses Conti, in dieser Zeit oft das Theater von Papstwahlen, wurde wiederum der Mittelpunkt aller kirchlichen Geschäfte. Von hier aus sollte den Dingen im Königreich Gestalt gegeben werden. Die Regentschaft für seinen jungen Sohn hatte dort der sterbende Konrad IV. nicht Manfred, sondern dem Markgrafen Berthold von Hohenburg übertragen, einem Verwandten seiner Gemahlin Elisabeth. Berthold war General der deutschen Kriegsvölker in Apulien, mächtig und angesehen solange als Konrad lebte, aber als Fremder verhaßt und seiner Aufgabe nicht gewachsen. Er versuchte, Frieden mit dem Papst zu schließen. Seine Boten, unter ihnen Manfred selbst, kamen nach Anagni, um die Anerkennung der Rechte Konradins zu bitten, welchen das Testament seines Vaters dem Schutz der Kirche empfohlen hatte. Doch Innocenz forderte die unbedingte Auslieferung Siziliens. Als eine von ihm gesetzte Frist abgelaufen war, bannte er am 8. September Manfred, Friedrich von Antiochien, Berthold von Hohenburg und dessen Bruder nebst andern Ghibellinen. Seinen Neffen, den Kardinal Wilhelm Fieschi, hatte er zum Legaten für Sizilien ernannt und ihm aufgetragen, Truppen bei Ceprano zu versammeln. Er gab ihm Vollmacht, Geld von römischen Banken aufzunehmen und dafür alle Kirchengüter in der Stadt und Campagna zu verpfänden; Geld aus allen vakanten und nicht vakanten Stühlen mit Güte oder Gewalt zu ziehen; Geld zu schaffen aus einer Steuerauflage Siziliens und aus der Einziehung der Güter aller Ghibellinen, die sich der Kirche nicht unterwerfen würden.
Berthold, durch den Bann entmutigt, übergab die Regentschaft Manfred, der sie nach einigem Sträuben auf das Dringen der sizilianischen Großen übernahm. Seine Lage war jedoch mißlich genug: viele Herren und Städte erklärten sich offen für den Papst. Ohne Mittel, den Krieg zu führen, sah der junge Fürst für den Augenblick keinen andern Weg der Rettung als Unterwerfung unter die Kirche. Er bot sie Innocenz IV. durch den Grafen Galvano Lancia, seinen Oheim, in Anagni, worauf der Papst voll Freude am 27. September einen Vertrag vollziehen ließ: Manfred trat als Vikar eines großen Teils des neapolitanischen Festlandes in die Dienste des Heiligen Stuhls und empfing außer Tarent und andern ihm von Friedrich II. vergabten Gütern auch die Grafschaft Andria als erbliches Kirchenlehen. So doppelsinnig handelte der Papst, der sich durch feierliche Verträge England verpflichtet und dem König Heinrich III. geschrieben hatte, daß er seinen Vertrag mit Edmund auch nach Konrads IV. Tode aufrecht halte und die Eroberung Siziliens durch englische Waffen ins Werk gesetzt zu sehen wünschte. Mit keinem Wort wurde dieser englischen Unterhandlungen gedacht, aber in einem Rundschreiben erklärte Innocenz, daß er Konradin die Krone Jerusalems und das Herzogtum Schwaben erhalten wolle und daß die Sizilianer in die Formel des der Kirche zu leistenden Huldigungseides die Worte aufnehmen sollten: unbeschadet des Rechts des Kindes Konrad.
Manfred durchschaute die Absicht des Papsts, ihn erst unschädlich zu machen, um sich dann seiner zu entledigen. Die Not zwang ihn, als Lehnsmann der Kirche an der Grenze Latiums zu erscheinen, sobald Innocenz IV., umgeben von einem Schwarm rachevoller Exilierter Siziliens, aus Anagni aufgebrochen war, vom Königreiche Besitz zu nehmen. Der Sohn Friedrichs führte in Person, des Papsts Pferd am Zügel haltend, den Todfeind seines Geschlechts über die Lirisbrücke in das Erbland seiner Ahnen. Die Apulier empfingen zwar den Papst mißtrauisch, doch sie waren des Regiments der Deutschen und Sarazenen satt. Die Städte hofften Gemeindefreiheit, welche so wenig Konrad IV. wie Friedrich II. geduldet hatte, und vor allem Befreiung von dem Druck der neuen Auflagen Friedrichs und der unerträglichen Kollekten; sie unterwarfen sich daher der Kirche, unter deren Schutz viele Kommunen, namentlich in Sizilien selbst, ein republikanisches Regiment errichtet hatten. Die Barone ihrerseits hofften die hohe Gerichtsbarkeit und andere Privilegien wiederzuerlangen; sie huldigten dem Papst in Capua. Dasselbe taten die Brüder Hohenburg; diese Herren überließen ihren Gefährten Manfred seinem Schicksal, um dafür von der Kirche Lehen zu empfangen.
Innocenz IV. hielt seinen Einzug in Neapel am 27. Oktober. Die hartnäckige Feindin der Hohenstaufen, das Mailand Süditaliens, empfing den Papst mit aufrichtigen Ehren und anerkannte willig seine Herrlichkeit. Er sah das Königreich der Normannen ohne Kampf unter das Regiment der Kirche zurückkehren und hoffte, es darin festzuhalten. Aber der lebhafte Geist Manfreds durchbrach plötzlich die Unnatur erniedrigender Verhältnisse; Mißtrauen und Verrat umgaben ihn, die Mißachtung der mit Innocenz hereingekommenen verbannten Barone und neuen Günstlinge beleidigte ihn; das hochfahrende Auftreten des Kardinallegaten, welcher von ihm den Eid der Treue forderte, während von den Rechten Konradins nicht mehr die Rede war, klärte ihn über seine Zukunft auf, und die zufällige Tötung eines ihm feindlichen Großen durch seine Leute zwang ihn, an seine schnelle Rettung zu denken. Die Flucht Manfreds aus Acerra, sein nächtlicher Ritt durch die Gebirge Apuliens, sein plötzliches Erscheinen in Lucera mitten unter den rettenden Moslem, sein männliches Auftreten im Feld, seine ersten Siege, der Übertritt apulischer Städte, die gänzliche Unfähigkeit der päpstlichen Führer bieten ein anziehendes Schauspiel von Kühnheit, Glück und Umwandlung der Verhältnisse dar. Am 2. Dezember zersprengte Manfred die Feinde bei Foggia. Der Legat floh aus Troja; sein Heer löste sich auf; er selbst eilte, die Kunde dieser Unglücksfälle dem Papst nach Neapel zu bringen.
Innocenz befand sich dort krank in einem Palast, welcher dem berühmten Petrus de Vinea gehört hatte. Hier starb er am 7. Dezember 1254. Sein im Tode, wie man erzählt, zwischen Reue und Zorn wechselndes Gemüt oder das ihm zugeschriebene Abschiedswort ans Leben spricht das Urteil seiner Zeitgenossen über ihn aus. Weinende Nepoten umringten mit roher Ungebärde sein Sterbelager; er rief ihnen zu: Was jammert ihr, Elende? Habe ich euch nicht reich genug gemacht? Der englische Chronist erzählt von einer Vision nach des Papsts Tode; ein boshafter Kardinal sah Christus zwischen Maria und einer edlen Frau stehen, welche das Abbild der Kirche in Händen trug, während der kniende Innocenz um Vergebung seiner Sünden flehte. Die ehrwürdige Matrone klagte ihn dreier Hauptvergehen an: daß er die Kirche zur Sklavin gemacht, den Tempel Gottes in eine Wechslerbank verwandelt und Glauben, Gerechtigkeit und Wahrheit, die Grundpfeiler der Kirche, erschüttert habe. Der Heiland sagte zu dem Sünder: gehe und empfange den Lohn deiner Taten; und so ward er hinweggeführt.
Innocenz IV., den letzten hervorragenden Papst des Mittelalters aus der Schule Innocenz' III., hat sein Sieg über das staufische Reich berühmt gemacht. Ein gewissenloser Priester, das entschiedene Parteihaupt der guelfischen Richtung seiner Zeit, listig mit Verträgen spielend, vor nichts zurückschreckend, was ihm der eigene Vorteil gebot, so erfüllte er die Welt mit Empörung und Bürgerkrieg und zog er die Kirche tief in die weltlichen Dinge herab, die er zu heiligen stempelte. Jeder Mensch von freiem Urteil kann nur mit Widerwillen auf den Zustand eines beständigen Feldlagers oder Diplomatenkabinetts oder eines Geldgeschäftes blicken, in welchen Innocenz die Kirche versetzte, und er wird Mühe haben, das Urteil über ihn durch den Charakter seiner Zeit zu mildern. Dieser Papst kam als Erbe der Leidenschaften Gregors IX. und seiner Vorgänger zur Gewalt und übernahm die Aufgabe, die ausgeartete Kirche gegen große, nicht minder gewissenlose Gegner zu verteidigen. Als Kardinal war er um seiner Einsicht und Gelehrsamkeit willen von Friedrich II. geehrt, als Papst machte ihn die Natur der Dinge zu seinem unerbittlichen Feinde. »Ich habe«, so sagt der größte Geschichtschreiber jener Epoche, »in den Annalen der Menschheit nie von einem gleich unerbittlichen Haß gehört, als es der zwischen Innocenz IV. und Friedrich war«. Diese ererbte Parteileidenschaft brannte nicht minder stark in der Seele eines Papsts als im Herzen eines Kaisers oder eines Kriegers wie Ezzelin. Wenn sie den Gestalten jenes Jahrhunderts voll hochfliegendem Ehrgeiz, voll Freiheitsglut und edlem Bürgerstolz, voll Priesterhochmut und Tyrannenlust, wenn sie dem Wesen der Republiken und Herrschenden den Charakter streitbarster Männlichkeit und verschlagensten Arglist verleiht, so mildert sie freilich auch ihre Verbrechen und Untugenden.
Der Tod des Papsts, Manfreds Sieg bei Foggia, die Zerstreuung des Heers, dessen Trümmer der Kardinal Fieschi eben nach Neapel führte, machten die Kardinäle bestürzt. Die Sarazenen, so hieß es, nahten schon, das heilige Kollegium aufzuheben. Nur jener Kardinal und der mit ihm nach Neapel gekommene Berthold hinderten eine schimpfliche Flucht und erzwangen die schnelle Wahl.
Die Geschichte der Päpste liebt unmittelbare Widersprüche von Charakteren. Auf Innocenz III. folgte der sanfte Honorius III., auf Innocenz IV. Alexander IV., ein Papst, der mit Kriegen nichts zu tun haben wollte, ein stark beleibter Herr, gütig, gerecht und gottesfürchtig, jedoch geldgierig und schwach. Rainald, Bischof von Ostia und Velletri, wurde am 12. Dezember 1254 in Neapel gewählt und am 27. als Alexander IV. geweiht. Mit ihm bestieg wieder ein Mann aus jenem Haus der Conti den Heiligen Stuhl, welches die Hohenstaufen bereits durch zwei große Päpste bekämpft hatte. Er war ein Neffe Gregors IX., gebürtig aus Jenna in der Diözese Anagni, einem Baronalkastell über der wilden Schlucht des Anio, der dort entspringt.
Mit wenigem Talent begabt, versuchte sich der neue Papst auf dem gefährlichen Wege weiterzubringen, welchen Innocenz IV. und die Verhältnisse ihm vorgezeichnet hatten. Er warb sich Freunde durch Schenkungen, er bestätigte die Lehen seines Vorgängers den Brüdern Berthold, Otto und Ludwig von Hohenburg und fügte ihnen noch, sie von der Sache Manfreds zu trennen, das Herzogtum Amalfi hinzu. Er unterhandelte, obschon erfolglos, mit Manfred selbst, dessen baldiges Erscheinen vor Neapel man fürchtete. Er schickte sogar Briefe nach Deutschland, die den kleinen Konradin seines Wohlwollens versicherten, aber bald darauf sandte er am 9. April 1255 die Bulle nach England, worin er die Belehnung Edmunds endgültig bestätigte und diesem Prinzen die Investitur mit Sizilien, dem Erbe Konradins, gab. So ging Alexander IV. in dem Labyrinth der Politik seines Vorgängers weiter fort. Ganz wie dieser verwandelte er das Gelübde Heinrichs III. zum Kreuzzuge gewissenlos in die Pflicht der Eroberung Siziliens, und er forderte selbst den König von Norwegen auf, statt nach dem heiligen Grabe nach Neapel zu ziehen, um den englischen König durch seine Waffen zu unterstützen. Die Kriege ihrer Hauspolitik wurden demnach von den Päpsten fortdauernd zu frommen Kreuzzügen erklärt.
Die Geldverlegenheit der erschöpften Kirche war groß. Heinrich III. versprach alles und leistete nichts mehr. Als nun der Papst die Hoffnung schwinden sah, Manfred das Königreich Sizilien zu entreißen, worin derselbe von Konradin oder von dessen Vormundschaft als Regent anerkannt war, verließ er Neapel, ging im Juli nach Anagni und war am Ende des November in Rom. Hier hatte unterdes eine sehr wichtige Umwälzung stattgefunden.