Ferdinand Gregorovius
Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter
Ferdinand Gregorovius

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2. Leo IV. wird Papst. Brand im Borgo. Liga von Rom, Neapel, Amalfi und Gaëta gegen die Sarazenen. Der Seesieg bei Ostia im Jahre 849. Leo IV. erbaut die Civitas Leonina . Ihre Mauern und Tore. Die Distichen auf ihren Haupttoren.

Die Wahl des neuen Papsts fiel auf Leo, den Kardinal der Vier Gekrönten, einen Römer langobardischer Abkunft, den Sohn Radoalds. Noch lag der Sarazenenschrecken auf der Stadt. Die schnelle Ordination des Erwählten wurde deshalb vom Volk begehrt, und Leo IV. empfing sie, ohne daß die Zustimmung des Kaisers abgewartet wurde. Die dringende Not konnte die Römer bei diesem entschuldigen, zumal sie ihn durch ein Schreiben ihres Gehorsams versicherten.

Die Aufregung vermehrten ein Erdbeben und eine Feuersbrunst, welche das Sachsenviertel in Asche legte und den Porticus des St. Peter zerstörte. Das Feuer fand an den Häusern der Fremdlinge Nahrung, die entweder aus ihrer nordischen Heimat den Gebrauch der Schindeldächer nach Rom gebracht hatten oder ihn hier vorfanden; denn in den Zeiten ihres Verfalls kehrte die Stadt gleichsam in ihre primitiven Zustände zurück. Der fromme Glaube schrieb die Rettung der Basilika den Gebeten Leos zu, welcher den Flammen durch das Zeichen des Kreuzes Einhalt gebot. Die Erinnerung dieses Brandes des Borgo erhielt sich lange in der Stadt; Raffael hat sie durch ein Freskogemälde in einem Zimmer des Vatikans verewigt, welches den Namen sala dell' incendio führt.

Die reiche Beute Roms lockte unterdes die Piraten Afrikas zu einer neuen Unternehmung. Während die Römer ihre Mauern befestigten und das Viertel St. Peters verschanzten, wurde ihnen die Rüstung einer großen sarazenischen Flotte in Sardinien gemeldet. Es war im Jahre 849. Zum Glück kam eine Liga der südlichen Seestädte zustande, die erste in der Geschichte des Mittelalters. Amalfi, Gaëta und Neapel, um diese Zeit schon durch Handel blühend und von Byzanz fast unabhängig, vereinigten auf die dringende Einladung des Papsts ihre Galeeren und schlossen einen Bund mit ihm. Sie stellten ihre Schiffe vor Portus auf, das Erscheinen der Sarazenenflotte abzuwarten, und meldeten dann nach Rom, daß sie heransegle. Der Papst ließ den Admiral Caesarius und andere Kapitäne in die Stadt kommen, wo sie im Lateranischen Palast ihre Bundestreue beschwören mußten. Dann zog er an der Spitze der römischen Miliz nach Ostia, die Flotte und das Heer einzusetzen. Dieser Hafen belebte sich von mutigen Kriegerscharen wie zur Zeit des Belisar und Totila. Es galt die Rettung Roms von dem furchtbarsten aller Feinde des Christentums. Leo reichte den Streitern in der Basilika S. Aurea die Kommunion, warf sich dann auf die Knie nieder und betete: »Gott, der du den auf den Fluten wandelnden Petrus aus dem Versinken erhobst, der du Paulus, als er zum drittenmal Schiffbruch litt, aus dem tiefen Meer gezogen, erhöre uns gnädig und verleihe um der Verdienste beider willen den Armen dieser Gläubigen Kraft, welche wider die Feinde deiner Kirche streiten, auf daß der gewonnene Sieg deinem heiligen Namen bei allen Völkern zum Ruhm gereiche.«

Nach dieser Feierlichkeit kehrte Leo in die Stadt zurück, und schon am folgenden Tage zeigten sich die sarazenischen Segel vor Ostia. Die Neapolitaner steuerten ihnen mutig entgegen, ihre Galeeren griffen tapfer an. Aber die entbrennende Seeschlacht trennte und verwirrte ein plötzlicher Sturm; die feindlichen Schiffe wurden zerstreut oder versenkt. Viele Mauren litten an den Tyrrhenischen Inseln Schiffbruch und wurden dort niedergemacht; viele gerieten in die Gewalt der römischen Hauptleute. Man richtete sie in Ostia hin oder führte sie in Ketten nach Rom. Wie einst die Griechen Siziliens nach dem großen Siege bei Himera sich der gefangenen Karthager beim Bau der Tempel in Agrigent und Selinus bedient hatten, so zwangen jetzt die Römer jene Sarazenen zum Frondienst beim Bau ihrer vatikanischen Stadt. Rom hatte wieder Kriegssklaven und nach vierhundert Jahren einen Triumph erlebt. Der Augenzeuge dieser Begebenheiten schweigt freilich von den Waffentaten der Römer in dem glorreichen Seegefecht, dessen Held der junge Caesarius war. Wenn jene mit Schiffsschnäbeln geschmückte Säule des Duilius, die Tiberius hatte erneuern lassen, noch unter den Ruinen des alten Forum aufrecht gefunden ward, so verstand wohl kein Römer mehr weder ihre Bedeutung noch ihre Inschrift, und der Sieg bei Ostia, an welchem ohne Zweifel auch päpstliche Galeeren teilgenommen hatten, wurde in den Kirchen Roms unter festlichen Dankgebeten als ein Mirakel des Apostelfürsten gefeiert. Fast sieben Jahrhunderte später bildete Raffael diesen Seesieg in demselben vatikanischen Saal des Brandes ab, ein halbes Jahrhundert aber nach der Vollendung dieses Bildes wurde der Ruhm, doch keineswegs die Bedeutung der Schlacht bei Ostia durch die Taten eines römischen Admirals bei Lepanto erneuert, worauf die Römer wieder mohammedanische Kriegsgefangene an ihren morschen Stadtmauern Fronarbeit leisten sahen wie zur Zeit Leos IV.

Schon ein Jahr vor jener Seeschlacht war die Wiederherstellung der Mauern begonnen worden. Die drohende Gefahr bewirkte Wunder, der Papst zeigte den größten Eifer, indem er die Werke besichtigte und zur Eile trieb. Alle Tore wurden verstärkt und mit Riegeln versehen; fünfzehn gefallene Türme neu gebaut, zwei am Portuensischen Tor an beiden Flußufern so errichtet, daß eine Kette zwischen ihnen ausgespannt werden konnte. Aber das ruhmvollste Unternehmen Leos war die Befestigung des vatikanischen Gebiets – ein Ereignis in der Geschichte der Stadt, wodurch die Civitas Leonina entstand, ein neuer Teil Roms und eine neue Festung, die in den folgenden Jahrhunderten von großer Wichtigkeit wurde.

Als der Kaiser Aurelian Rom ummauerte, war das Bedürfnis, den Vatikan einzuschließen, nicht vorhanden. Dies Gebiet blieb völlig offen und außerhalb der Stadt. Auch nachdem dort der Dom St. Peters entstanden war, um ihn her Klöster, Hospitäler, Wohnungen mancher Art, und an der linken Seite die Fremdenkolonien sich niedergelassen hatten, dachte noch kein Papst daran, diesen Bezirk durch Mauern zu schützen. Denn die bisherigen Feinde Roms waren Christen gewesen. Erst Leo III. faßte diesen Plan; hätte er ihn ausgeführt, so würde die Basilika von den Sarazenen nicht geplündert worden sein. Die von ihm begonnenen Werke waren durch Schuld der inneren Unruhen ins Stocken geraten und von den Römern, welche sich des Materials bemächtigten, abgetragen worden. Jetzt nahm Leo IV. nach der Plünderung den Plan wieder auf und schritt mit Energie an seine Ausführung. Er legte ihn dem Kaiser Lothar vor, ohne dessen Zustimmung er ein so großes Werk nicht zu unternehmen wagte, und dieser unterstützte ihn bereitwillig mit Geldmitteln. Hierauf wurde der kostspielige Bau so verteilt, daß die einzelnen Orte des Kirchenstaats, alle Domänen der Kirche wie der Stadtgemeinde und die Klöster einen bestimmten Teil davon übernahmen.

Die Civitas Leonina wurde im Jahre 848 begonnen, 852 vollendet. Das vatikanische Gebiet oder der Porticus des St. Peter ward so umschlossen, daß die Mauer vom Hadrianeum, an welches sie sich lehnte, die Höhe des Vatikanischen Hügels seitwärts anstieg, dann im Bogen den St. Peter umkreiste und gerade herabgehend wieder den Fluß erreichte. Diese Mauern aus Lagen von Tuff und Ziegelsteinen hatten die Höhe von beinahe 40 Fuß und eine entsprechende Dicke. Vierundvierzig starke Türme bewehrten sie. Ihre Bauart kann man noch heute an dem dicken runden Eckturm erkennen, der auf der höchsten Erhebung des Vatikans steht. Drei Tore führten in die neue Stadt: zwei in der Mauerlinie, die vom Grabmal Hadrians auslief, nämlich ein kleineres an diesem Kastell, Posterula St. Angeli genannt, die spätere Porta Castelli, und ein großes nahe bei der Kirche S. Peregrino, daher Porta St. Peregrini, später Viridaria, Palatii und St. Petri genannt. Es war das Haupttor der Leostadt, durch welches auch die Kaiser ihren Einzug hielten. Das dritte Tor verband die neue Stadt mit Trastevere. Es hieß Posterula Saxonum, vom Sachsenviertel, woran es lag, und stand auf der Stelle der heutigen Porta di S. Spirito. Dieser fast hufeisenförmige Mauerring Leos IV. ist noch heute an einigen Stellen erhalten und kenntlich, im Borgo am Gange Alexanders IV., neben der Münze oder dem päpstlichen Garten bis zu dem dicken Eckturm, in der Linie der Porta Pertusa und wo diese von einem andern Eckturm zur Porta Fabrica hinbiegt. Aber die späteren Anlagen des neuen Borgo, die Bastionen der Engelsburg und jene von S. Spirito haben die Mauern Leos durchbrochen und hie und da vertilgt. Indem der neuere große Mauerumkreis des Vatikans seit Pius IV. die alte Leostadt umschloß, erfuhr diese im kleinen das Schicksal der alten Servischen Mauern in ihrem Verhältnis zu denen Aurelians.

Als Leo sein Werk vollendet hatte, nannte er die neue Stadt: Civitas Leonina. Die Stadt Rom, welcher jetzt die Päpste den Stempel ihrer Herrschaft aufdrückten, hatte in Jahrhunderten kein größeres Fest gefeiert als die Einweihung jener Mauern am 27. Juni 852. Der ganze Klerus umzog barfuß, das Haupt mit Asche bestreut, die Wälle mit Gesang. Vorüberwandelnd sprengten die sieben Kardinalbischöfe Weihwasser auf die Mauern; an jedem Tor ward angehalten, und jedesmal flehte der Papst Segen auf die neue Stadt herab. Als der Umzug beendigt war, verteilte Leo Gold, Silber und seidene Pallien zum Geschenk an Adel, Volk und Fremdenkolonien.

Die neue Gründung wurde durch Inschriften verherrlicht. Die Päpste hatten solchen Gebrauch von den römischen Vorfahren, den inschriftslustigsten unter den Völkern, überkommen, und noch las man die Aufschriften über den Toren des Honorius. Aber schon seit Narses war man von dem epigrammatischen Charakter des alten Rom abgewichen. Man setzte nun wie in den Kirchen über jedes der drei Tore Distichen, deren Latein sehr barbarisch ist. Von diesen sind zwei in späteren Abschriften erhalten.

Über dem Haupttor des St. Peregrinus:

        Der du kommest und gehst, o Wandrer, beschaue den Prachtbau,
    Welchen mit freudigem Sinn Leo der Vierte gebaut.
Schön von behauenem Marmor erglänzen die ragenden Zinnen,
    Menschenhänden gelang's, bietet gefällig sich dar.
Denkmal ist es der Zeit Lothars, des Caesar Invictus,
    Denkmal ist es des Papsts, welcher so Großes erschuf.
Traun nicht schädigen's wohl Böswilliger stürmende Kriege,
    Nie wohl ferner erlaubt's irgend Triumphe dem Feind.
Roma, Haupt du der Welt, Glanz, Hoffnung, goldene Roma,
    Hehre, du bist's, in dem Werk zeiget dich also der Papst.
        Dieser Stadt hier ward vom Namen des Gründers
        Leonina der Name.

Über dem Tor des Kastells:

Römer und Frank, ihr langobardischen Pilger und alle,
    Die dies Werk ihr beschaut, preist es mit würdigem Lied.
Feierlich hat es der gute geweiht, Papst Leo der Vierte,
    Seinem Volke, der Stadt, siehe, zu bleibendem Heil.
Mit dem erhabenen Fürsten Lothar hat freudig vereint er
    Dies vollendet, es strahlt hoch sein herrlicher Ruhm.
Die mit dem Bande der Liebe umschlang ehrwürdige Treue
    Führe zur himmlischen Burg gern der allmächtige Gott.
        Civitas Leonina ihr Name.

In der neuen Stadt, welche der Papst dem Heiland dargebracht und St. Peter und Paul als Beschützern empfohlen hatte (mit ihrem Abbilde ließ er sich auf Altardecken darstellen) fuhren die Peregrinen fort zu wohnen, und es wurden wohl auch Römer oder Trasteveriner durch Vorteile bewogen, sich dort anzusiedeln. Ihre Gründung macht Epoche sowohl in der monumentalen Geschichte des mittelalterlichen Rom als in den Annalen der päpstlichen Herrschaft, welche zum erstenmal das städtische Pomoerium erweitert hatte.


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