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5. Reskript Konrads II. wegen des römischen Rechts im päpstlichen Lande. Sein glorreicher Zug nach Süditalien, seine Rückkehr. Benedikt IX., ein Knabe aus dem tuskulanischen Hause, wird zum Papst erhoben. Ruchloses Leben dieses Menschen. Schreckliche Zustände der Welt überhaupt. Die Treuga Dei. Benedikt IX. flüchtet zum Kaiser. Soziale Revolution in der Lombardei. Aribert von Mailand. Der Kaiser setzt Benedikt IX. wieder in Rom ein. Er zieht nach Unteritalien; er stirbt 1039.
Die kurze Anwesenheit Konrads in der Stadt beschränkte sich nicht auf die üblichen Privilegien für Klöster, die wir von ihm lesen. Wahrscheinlich gehört derselben Zeit ein kaiserliches Reskript an, worin er auf Grund des beständigen Streites zwischen langobardischen und römischen Richtern bestimmte, daß fortan in Rom wie im römischen Staat in Fällen, wo bisher langobardisches Recht zur Anwendung gekommen war, nach dem Gesetzbuche Justinians gerichtet werden solle. So erlosch die Konstitution Lothars vom Jahre 827, und das römische Recht wurde zum wirklichen Territorialrecht erhoben; ein vollständiger Sieg der römischen Nationalität über die eingedrungenen germanischen Elemente, die sich überhaupt in dieser Zeit in Italien zu zersetzen begannen, während die altrömischen Munizipalformen unter jährlich gewählten Konsuln emporkamen und die fremden Einrichtungen verdrängten.
Konrad begab sich anfangs April nach Unteritalien, wo er das Ansehen des Reiches befestigte. Er kehrte dann über die Marken Spoleto und Camerino zurück, und schon am 24. Mai befand er sich in Verona. Sein kriegsgeübter Arm, seine gebietende Strenge, seine Gerechtigkeit nötigten Italien Furcht und Achtung vor dem Herrscher ab, dessen schneller Zug der Triumph eines Cäsars gewesen war. Sein eigenes Volk empfing ihn mit dem stolzen Selbstgefühl, daß jenes unruhige Italien eine untertänige Provinz des Reichs geworden sei.
Johann XIX. herrschte seither ruhig in Rom. Das Papsttum wie die Stadt blieb in der Gewalt seiner Familie, und diese konnte auch nach seinem Tode den Heiligen Stuhl mit einem ihrer Glieder besetzen; aber die Christenheit mußte der Anblick eines Knaben erschrecken, der von seinem Vater in die Papstgewänder gesteckt, von den Kardinalbischöfen feierlich gekrönt und auf dem Stuhl des Apostels als Stellvertreter Christi aufgepflanzt wurde. Der berüchtigte Johann XII. war mit achtzehn Jahren Papst, jedoch Theophylakt oder Benedikt IX. aus derselben Familie zählte kaum zwölf Jahre. Welch ein Zustand der Welt, wo die Völker ein Kind als Regierer der Kirche geduldig hinnahmen, die Könige es anerkannten, die Bischöfe sich nicht schämten, von ihm die Weihe, die Zeichen ihrer Würde oder Bullen zu empfangen! Das Papsttum schien seinen kirchlichen Begriff zu verlieren, der bischöfliche Stuhl Petri sich in den Sitz eines Grafen zu verwandeln; wenigstens unterschied ihn nichts mehr von jener schmählichen Verfassung der Bistümer dieser Zeit in allen Ländern, auf deren Sitze große Fürsten- und Adelsgeschlechter ihre Mitglieder oder Geschöpfe, bisweilen wirkliche Kinder erhoben. Eine moralische Finsternis senkte sich auf die Kirche nieder. Wenn es früher Zeiten gab, wo Christus in seinem Tempel schlief, schien er jetzt das geschändete Heiligtum völlig verlassen und dem frechen Simon Magus preisgegeben zu haben.
Der junge Theophylakt war Neffe seiner beiden Vorgänger und Sohn des Pfalzgrafen und Konsul Alberich. Sein Vater eilte nach dem Tode Johanns XIX. im Januar 1033, seinem Hause die beiden höchsten Gewalten zu sichern; Waffen und Gold halfen ihm leicht dazu in Rom, wo alles feil stand und der Klerus nach dem Ausspruche des späteren Papstes Victor III. in grenzenloser Barbarei lebte. Der Knabe nahm als Benedikt IX. ungehindert Besitz vom Lateran, am Anfange des Jahres 1033. Er hatte drei Brüder: Gregor, Petrus und Oktavian, von denen der erste älter als er selbst muß gewesen sein, denn er bemächtigte sich sofort der patrizischen Gewalt. Man darf sich deshalb wundern, warum nicht dieser Gregor zum Papst gemacht wurde. Vielleicht mochten die Römer geduldiger in einem Kinde ihren Bischof, als das Haupt ihrer weltlichen Regierung anerkannt haben. Aber diese Frechheit der Grafen von Tusculum stürzte doch die Macht ihres Hauses, welche ein kindischer Papst nicht behaupten konnte. Sein Bruder Gregor wurde also an die Spitze des städtischen Regiments gestellt; doch nannte er sich aus Furcht vor dem Kaiser nicht Patricius, sondern nur Konsul und wahrscheinlich auch Senator aller Römer.
Sobald der junge Papst seine auf dem Stuhl Petri erwachsenden Leibeskräfte fühlte, begann er ein schamloses Leben zu führen. Einer seiner Nachfolger im Pontifikat, Victor III., erzählte, daß Benedikt IX. in Rom raubte und mordete; er gestand, daß er schaudere zu sagen, wie verrucht und scheußlich sein Leben gewesen sei. Ein anderer Zeitgenosse, Rudolf Glaher, Mönch von Cluny, hat die häßliche Gestalt dieses Ungeheuers auf dem Hintergrunde seiner Zeit gemalt, wo Pest und Hungersnot ganz Europa verheerten. Eine moralische wie physische Epidemie hatte die Welt ergriffen. Man muß die Chronisten jener Zeit lesen, um einen Begriff davon zu haben. Solchen Schrecknissen entsprang jedoch das menschenfreundliche Gesetz vom Gottesfrieden, die Treuga Dei, welches zuerst von Bischöfen Südfrankreichs erlassen wurde. Diese tröstlichste Wohltat des damaligen Menschengeschlechts ist ein schöner Ruhm der Kirche, denn sie bewies dadurch, daß selbst in so furchtbaren Zuständen die heilige Flamme der Liebe auf ihrem Altar nicht ganz erloschen war. Doch die Fülle der Ernten, die zufällig eintrat, machte die Völker schnell genug jene Plagen vergessen, und der fromme Mönch beklagte die Schwäche der menschlichen Natur, die sich aus dem kaum überstandenen Strafgericht Gottes wieder in jeden Frevel stürzte, wobei die Großen und der Papst die eiligsten in der Reihe waren.
Mit Benedikt IX. erreichte das Papsttum den äußersten Grad des sittlichen Verfalls. Die damaligen Zustände Roms würden wahrscheinlich selbst die Epoche Johanns XII. mildern oder die spätere der Borgia an Schändlichkeit überbieten, vergliche man genau eine mit der andern. Doch nur ein ungewisser Schimmer fällt in jene Zeit, wo ein Papst, knabenhafter als Caligula, lasterhaft wie Heliogabalus, der Stellvertreter Christi war. Wir erblicken undeutlich die Kapitäne in Rom, verschworen, den jugendlichen Verbrecher beim Fest der Apostel am Altar zu erwürgen, während sich die Sonne verfinsterte, der dadurch verbreitete Schrecken vielleicht die Tat hinderte und Benedikt Zeit zur Flucht fand. Die Faktion der Crescentier mag bei diesem Tumult am tätigsten gewesen sein; aber die Absicht mißlang, und derselbe Papst sollte zum Verderben Roms und zur Schmach der Kirche noch lange Jahre leben. Er ging später (im Jahre 1037) zum Kaiser nach Cremona, sich seines Schutzes zu versichern; wo und wie er bis dahin gelebt hat, ist unbekannt.
Konrad war im Winter 1036 nach Italien gezogen, wohin ihn eine sehr merkwürdige Bewegung in der Lombardei gerufen hatte. Das Lehnssystem erfuhr eine innere Revolution. Die kleineren Vasallen oder die Valvassoren, welche von den Herzögen, Grafen, Bischöfen und Äbten ihre Güter zu Lehen trugen, empörten sich gegen deren Tyrannei; sie verlangten eine bleibende Ordnung des Besitzstandes, zu ihnen gesellten sich die Eigentümer, die lehenlos und frei auf ihren Erbgütern saßen und deren Freiheit durch die Bischöfe fortdauernd bedroht war. Der Lombarde Aribert, seit 1018 Erzbischof von Mailand, der mächtigste Fürst Norditaliens, Lehnsherr über viele Städte und Vasallen, ein hochfahrender und kräftiger Mann, war die Veranlassung zum Ausbruch dieser lange vorbereiteten gesellschaftlichen Krisis, welche sich bald allen Ständen mitteilte und das Deutsche Reich in Mitleidenschaft zog. Die Freien und die Lehnsritter empörten sich gegen diesen Erzbischof und schlossen einen lombardischen Verband; jener aber rief endlich den Kaiser herbei, und Konrad hatte wohl längst eine Gelegenheit gewünscht, den großen Bischof zu demütigen, welcher in der Lombardei eine Macht besaß, die dem Reiche gefährlicher werden konnte, als es jene des Nationalkönigs Arduin gewesen war. Aribert weigerte sich, auf dem Tage in Pavia dem Urteil Konrads zu gehorchen, und der Kaiser ließ ihn und drei andere Bischöfe ohne Prozeß verhaften. Die plötzliche Gefangennahme des größten Prälaten Italiens erregte unglaubliches Aufsehen und eine tiefe Erbitterung gegen den Kaiser, welcher nun den Italienern als ein gewalttätiger Tyrann erschien. Der Gefangene entkam nach Mailand, und der Haß dieser und anderer Städte gegen die deutsche Reichsgewalt machte ihn sofort zum Vertreter der italienischen Nationalität. So begann der erste siegreiche Nationalkrieg der Stadt Mailand und ihrer Verbündeten gegen die deutschen Könige.
Es war während dieser Bewegung Norditaliens und nachdem Konrad das Lehnsgesetz erlassen hatte, welches den Vasallen die Erblichkeit ihrer Güter zugestand, daß Benedikt IX. in Cremona vor ihm erschien. Der erste Monarch des Abendlandes mußte sich herablassen, einen lasterhaften Knaben zu ehren, weil er Papst war und er selbst einen Papst brauchte. Benedikt oder seine Räte forderten den Kaiser auf, nach Rom zu kommen und ihn auf den Heiligen Stuhl wieder einzusetzen. Für die Gewähr dieser Bitte sprach er die Exkommunikation gegen den geächteten Mailänder Erzbischof aus, welche Konrad verlangte. Den Kaiser riefen nicht allein die Angelegenheiten Roms, sondern auch die Verwirrungen in Apulien, wo der wieder eingesetzte Fürst Pandulf IV. von Capua weit und breit Städte bezwang, das kaiserliche Kloster Monte Cassino plünderte und die römische Landschaft bedrohte.
Konrad brach demnach im Winter 1037 nach dem Süden auf; aus dem empörten Parma, das er als qualmenden Schutthaufen hinter sich ließ, zog er nach Perugia und feierte die Ostern 1038 in Spello mit dem Papst. Es ist ungewiß, ob Benedikt IX., nachdem er Cremona verlassen hatte, nach Rom zurückgegangen war, ob er als eben Vertriebener den Kaiser aufsuchte oder schon als Flüchtling ihn erwartete. Genug, Konrad führte oder sandte ihn nach Rom zurück. Wenn der Kaiser ein Ohr für die Klagen gehabt hätte, welche die Römer gegen Benedikt erhoben, so müßte er sich geweigert haben, diesem jungen Frevler seinen Arm zu leihen, aber der Gedanke, die römische Kirche aus so heillosen Zuständen zu befreien, lag ihm fern; er hatte nur politische Absichten; besonders kam es ihm darauf an, die deutsch gesinnte Partei der Tusculanen in der Gewalt zu erhalten und sich der päpstlichen Puppe zu seinen Zwecken zu bedienen. Der dankbare Benedikt warf einen Bannstrahl nach dem Haupt des stolzen Aribert, welcher hinter den dreihundert Türmen Mailands über diese kindische Anstrengung lächelte, und Konrad, der vielleicht dem Elenden eine Besatzung in Rom zurückließ, zog weiter nach Monte Cassino. Am 13. Mai traf er in Capua ein, woraus sich Pandulf geflüchtet hatte; er gab dies Herzogtum dem Fürsten Waimar von Salerno und belehnte den Normannen Rainulf mit Aversa. Diese Stadt, im Jahre 1030 von jenem Bandenführer im Dienst des Herzogs Sergius von Neapel gegründet, wurde der Keim des entstehenden Normannenreichs in Unteritalien. Die Pest brach in Konrads Heer aus und trieb ihn schon im Sommer zurück. Er selbst brachte den Tod mit sich nach Deutschland, wo er am 4. Juni 1039 starb.