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2. Innocenz III. in seinem Verhältnis zum deutschen Kronstreit. Otto vom Hause Welf und Philipp von Schwaben. Die Kapitulation von Neuß. Der reichsrechtlich anerkannte Kirchenstaat und dessen Umfang. Proteste der Partei Philipps gegen die Einmischung des Papsts in die Königswahl. Krönung des Petrus von Aragon in Rom.
Größere Schwierigkeiten als der Kirchenstaat und Sizilien bot Innocenz das Deutsche Reich dar. Eine zwiespältige Königswahl nach Heinrichs VI. Tode und die Berufung der Parteien machten den Papst zum Protektor des Kaisertums. Der Mehrheit der deutschen Wahlfürsten trat die Partei der Welfen entgegen, die Feindin der staufischen Erbmonarchie und die Verbündete Englands, dessen König der von Heinrich VI. gedemütigte Richard war. Der junge Otto, Sohn Heinrichs des Löwen und der englischen Prinzessin Mathilde, Schützling und Vasall seines Oheims Richard, der ihn zum Herzog von Aquitanien und zum Grafen von Poitou gemacht hatte, erhob mit englischen Mitteln und durch die erkauften niederrheinischen Bischöfe sein Haus aus dem Verfall, in welchen es die Hohenstaufen gestürzt hatten. Am 12. Juli 1198 krönte ihn Adolf von Köln in Aachen zum Könige. Aber die meisten und größten Fürsten hatten schon im März den jungen Philipp von Schwaben erwählt; am 8. September wurde dieser Bruder Heinrichs VI., der Gemahl der byzantinischen Kaisertochter Irene, der Witwe Rogers III. von Sizilien, in Mainz gekrönt.
Wenn sich Philipp, um die Krone dem staufischen Hause zu erhalten, aus dem Vormunde Friedrichs in den Usurpator seiner Rechte verwandelte und die Fürsten sich über den Eid hinwegsetzten, welchen sie Heinrichs kleinem Sohne bereits im Jahre 1196 geschworen hatten, so konnten sie durch die Verhältnisse entschuldigt werden; und wenn Innocenz III. die Rechte seines Schützlings nicht wahrte, so durfte er mit vollem Grunde sagen, daß er nur die Pflicht überkommen habe, Friedrich in seinem sizilianischen Erbe zu schützen, während Philipp der von Heinrich VI. bestellte Vormund in Deutschland war. Wie Gregor VII. bediente sich auch er eines Kronstreits, um das Papsttum auf Kosten des Reiches zu erhöhen, und jenes war durch Einheit stark, dieses durch Spaltung gelähmt. Die Akten des großen Reichsprozesses zeigen, mit welchem staatsmännischen Verstande Innocenz aus ihm den höchsten Gewinn zu ziehen wußte. Im Angesicht irdischer Machtverhältnisse wäre es wahrhaft töricht, von einem Papst zu verlangen, daß er den Vorteil seiner Kirche einer idealen Gerechtigkeit hätte aufopfern sollen. Innocenz mußte sich vorweg dem Sohne Heinrichs des Löwen zuneigen, dessen Haus als Stütze der Kirche galt. Wer wird ihn tadeln, wenn er die Hohenstaufen für immer zu entthronen und an ihre Stelle die Welfen zu setzen wünschte? »Ich kann Philipp«, so sprach er voll Aufrichtigkeit, »nicht begünstigen, ihn, der nur eben erst das Patrimonium der Kirche an sich riß, sich Herzog von Tuszien und Kampanien nannte und behauptete, daß seine Gewalt bis zu den Toren Roms, ja bis nach Trastevere reiche.« Durfte er die Erhebung Friedrichs befördern? Der Sohn Heinrichs VI. würde Sizilien mit dem Reiche wieder verbunden haben. Die Päpste bekämpften die staufischen Entwürfe, durch Unterwerfung Italiens und Aufhebung des Kirchenstaats die Reichsgewalt herzustellen und eine Erbmonarchie zu stiften, was der Lieblingsplan Heinrichs VI. gewesen war. Sie durften ein erbliches Kaisertum nicht entstehen lassen, nicht um idealer Vorstellungen willen, wonach das Reich dem Geburtsrecht einer Dynastie entzogen, dem päpstlichen Wahlreich ähnlich und nur mit den »Frömmsten und Weisesten« als Kaisern besetzt sein sollte, sondern aus Furcht, daß ein starkes Deutschland alle anderen Länder und auch die Kirche erdrücken würde. Die Päpste waren die naturgemäßen Feinde der monarchischen Einheit Deutschlands wie Italiens. Es ist daher nicht schwer, die Ansicht zu erraten, welche Innocenz III. leitete, wenn er den Wahlfürsten vorstellte, daß Deutschland nie zum Erbreich werden dürfe.
Die berühmte Schrift, welche er als Erwägung des Reichsprozesses nach Deutschland schickte, entwickelte alle seine Gründe für und wider die Prätendenten mit meisterhafter Kunst. Im übrigen war seine Sprache überall die Gregors VII. und Alexanders III., deren kühne Anschauungen von der Papstgewalt er noch steigerte. Wenn die Päpste in der karolingischen Zeit, wo sie kaum noch das bescheidene Gewand der Bischöfe abgelegt hatten, das Reich als die theokratische Weltordnung auffaßten, worin die sichtbare Kirche in bürgerlichen Gesetzen zur Gestalt kam, so erniedrigten die Päpste seit Gregor VII. dieses Reich zum Begriffe bloß materieller Gewalt, und sie wollten im Kaiser nichts mehr sehen als den von der Kirche investierten ersten Vasallen, der zu ihrem Schutz sein plumpes irdisches Schwert zu ziehen und als weltlicher Richter die Ketzerei niederzuschlagen habe. Während die Kirche Gottes, das heißt das Papsttum, die das Universum erleuchtende Sonne war, kreiste nach der Ansicht der Priester das Reich nur als trüber Mond in der dunstigen Sphäre der Erdennacht, und dies geschickte Spiel mönchischer Phantasie drang wie eine astronomische Wahrheit in das Vorstellen der Welt. Die Kirche erhob sich als eine erhabene Geistesmacht, als das Weltideal, und das Reich sank wie im Begriff, so in der Wirklichkeit nieder. Die feine Philosophie der Päpste erwog den Ursprung der Fürstengewalt und gelangte dabei zu Ansichten, die man heute demokratisch nennt. Doch jeder Kaiser voll Selbstgefühl mußte sich gegen Ansichten auflehnen, welche die Grundsätze Hildebrands wiederholten: daß die königliche Gewalt tief unter der priesterlichen stehe; daß der Papst als Stellvertreter Christi, »durch welchen Könige herrschen und Fürsten regieren«, Herr des Erdkreises sei; daß das Amt der Fürsten als eine den Juden auferlegte Strafe von der Tyrannei Nimrods, das Priesteramt allein von Gott stamme; daß der Papst Richter und Besteller des Reiches sei, weil dieses durch die Kirche von Byzanz auf das Frankenland übertragen worden und weil der Kaiser seine Krone nur vom Papst empfange; daß dem Prinzip und Zweck gemäß das Imperium dem Heiligen Stuhl gehöre; kurz, daß der Papst beide Schwerter, das weltliche wie das geistliche, besitze – ein Grundsatz, gegen den sich später die Forderung Dantes von der Trennung beider Gewalten so energisch erhoben hat.
Während die Erwähler Ottos das Reich ohne Rücksicht auf die Folgen dem päpstlichen Tribunal unterwarfen, erhoben sich die Fürsten auf Philipps Seite voll Argwohn gegen die Einmischung des Papstes in die Kaiserwahl. Sie wiesen ihn in seine Grenzen zurück; sie drohten sogar, ihren König mit Waffengewalt zur Krönung nach Rom zu führen. Der Papst antwortete ihren Protesten, daß er das Wahlrecht der Fürsten nicht bestreite, aber daß sie selbst anzuerkennen hätten: wie das Recht, den Erwählten zu prüfen und zum Kaiser zu erheben, dem Papst gebühre, welcher ihn salbe, weihe und kröne. So hatte sich das geschichtliche Verhältnis vom Kaiser zum Papst im Lauf der Zeit in sein völliges Gegenteil verkehrt.
Drei Jahre lang hielt Innocenz sein Urteil zurück, während Deutschland allen Furien des Bürgerkrieges ausgesetzt blieb; dann erklärte er sich am 1. März 1201 für den Sohn Heinrichs des Löwen. Die Römer erinnerten sich alter Ansprüche auf die Kaiserwahl, aber nur um die päpstliche Entscheidung anzuerkennen; denn der Welfe wurde auf dem Kapitol zum Könige der Römer ausgerufen.
Der Preis Ottos für seine Anerkennung war der Verzicht auf die alte Kaisergewalt in dem größten Teile Italiens und die Bestätigung der Selbständigkeit des neuen Kirchenstaats. Er unterwarf sich einer von ihm geforderten Erklärung zu Neuß am 8. Juni. Dort wurden zum erstenmal die Grenzen des Kirchenstaats fast ganz so festgestellt, wie sie bis auf die jüngste Umwälzung gedauert haben. Derselbe sollte das Land von Radicofani bis Ceprano, den Exarchat, die Pentapolis, die Mark Ancona, den Dukat Spoleto, die mathildischen Güter und die Grafschaft Brittenoro umfassen, »mit anderen umliegenden Ländern, wie sie viele Privilegien der Kaiser seit Ludwig bezeichnet hatten«. Otto schwor, der Kirche Sizilien zu erhalten, ohne dabei der Rechte Friedrichs zu erwähnen; in bezug auf die zwei italienischen Städtebündnisse und auf Rom sich nach dem Willen des Papstes zu richten. Dies war von Wichtigkeit, weil der Papst jeden kaiserlichen Einfluß auf den Lombardenbund zu beseitigen gedachte. Der unterwürfige Welfe überging die Rechte des Reichs mit Schweigen. Die deutschen Lehnsfürstentümer in der Romagna und den Marken, die nie zuvor bezweifelten Rechte des Reichs auf Spoleto und Ancona, alle Anstalten Heinrichs VI., die Kaisergewalt in Italien und Rom herzustellen, wurden mit diesem Aktenstück beseitigt. Es gab allen von Innocenz vollzogenen Umwälzungen die rechtsgültige Bestätigung. Die berühmte Kapitulation von Neuß wurde demnach die erste authentische Grundlage für die praktische Herrschaft des Papsts im Kirchenstaat. Alle folgenden Kaiser haben sie anerkannt; und so verwandelten sich die früheren unerweisbaren Schenkungen seit Pippin in eine Urkunde von unbestreitbarer Echtheit. Darf man im Angesicht dieses großen Dokuments noch zweifeln, daß unter allen Gründen, welche Innocenz für Otto stimmen machten, der stärkste die Überzeugung war, daß Philipp ihm nimmer so bedeutende Zugeständnisse würde bewilligt haben, als sie der schwächere Welfe zu geben bereit sein mußte?
Der Spruch des Papstes entrüstete die Patrioten in Deutschland. Die Anhänger Philipps protestierten gegen den Legaten Guido von Praeneste, der ihr Wahlrecht verletzt habe. »Wo habt Ihr Päpste und Kardinäle gehört«, so riefen sie, »daß Eure Vorgänger oder deren Boten sich in die Wahl der römischen Könige einmischten?« Sie erinnerten an das ehemalige Kaiserrecht auf die Papstwahl: denn früher waren es die Kaiser, welche die Päpste einsetzten, jetzt setzten die Päpste die Kaiser ein. Das römische Imperium wurde ein Schattenbild. Stolz und Vaterlandsgefühl waren durch die Erniedrigung des Reichs unter die Willkür päpstlicher Nuntien beleidigt, welche Deutschland in Verwirrung brachten, Bistümer und Länder spalteten, Philipp als gebannt verkündigten und alle Welt zum Abfall von ihm ermahnten. Der Bürgerkrieg wütete fort. Sieg war jetzt für Philipp das einzige Mittel, den Papst auch von seinem Recht zu überzeugen. Er verzweifelte nicht daran; aber die großen Versprechungen, die er Innocenz im Jahre 1203 machen ließ, fanden kaum ein halbes Gehör. Er knüpfte Verbindungen an mit der alten Partei Heinrichs VI. in Italien; im Jahre 1204 schickte er Lupold, den von ihm investierten, aber vom Papst verworfenen Erzbischof von Mainz in die Marken, die Anhänger Markwards zu bewaffnen. Dem Bischof gelang es, mehrere Städte auf seine Seite zu ziehen und bis in das Jahr 1205 den päpstlichen Truppen standzuhalten. Philipp verständigte sich außerdem mit den Feinden des Papsts in Unteritalien; auch Rom bot ihm Gelegenheit, Innocenz durch die Volkspartei zu belästigen.
Während man im Reich gegen das angemaßte Schiedsrichteramt des Papsts protestierte, zeigte dieser der Welt, daß es wirklich Könige gab, welche den Stellvertreter Christi als den Verleiher des Königtums freiwillig anerkannten. Der junge Petrus von Aragon, ein ritterlicher Glaubensschwärmer im Maurenkrieg, ein unerbittlicher Ketzervertilger, kam im November 1204 nach Rom, sich vom Papste krönen zu lassen, von ihm selbst dazu eingeladen, weil Innocenz zugleich die Vermählung Friedrichs mit Konstanze, der Schwester Peters, betreiben wollte. Die Könige von Aragonien hatten bisher nie eine Krönungszeremonie begehrt; ihr Enkel suchte sie aus Eitelkeit und bezahlte einen Flitter mit einem unschätzbaren Preis. Als er am 8. November auf der Insel bei Ostia landete, schickte ihm der Papst ein ehrenvolles Geleit entgegen, worunter sich auch der Senator der Stadt befand. Der Gast wurde im Palast des St. Peter beherbergt, aber seine Krönung (11. November 1204) fand nicht im heiligen Dome statt, sondern in der Basilika des St. Pancratius vor dem Tor. Der Kardinalbischof von Portus salbte, der Papst krönte ihn. Peter schwor, der römischen Kirche gehorsam zu bleiben und die Ketzerei auszurotten; in den St. Peter zurückgekehrt, legte er seine Krone am Apostelgrabe nieder, brachte sein Reich in aller Form als Weihgeschenk dem Apostelfürsten seines Namens dar und verpflichtete sich zu einem jährlichen Zins an den Heiligen Stuhl. Die Schwärmerei dieses Fürsten, der sich ohne Not zum Vasallen des Papsts machte, ist bezeichnend für das spanische Wesen schon jener Zeit; die Stände Aragons ziehen ihn bei seiner Rückkehr des Verrats an der Freiheit des Vaterlandes, und seine phantastische Handlung bot noch achtzig Jahre später einem Papst das Recht dar, Aragon als Lehnsherr dem Stamme Peters zu entziehen und einem Prinzen Frankreichs zu übertragen. Was indes bedeutete der Vasalleneid Aragons gegen den unermeßlichen Glanz, womit sich derselbe Papst Innocenz III. wenige Jahre später umgeben durfte, als ein Nachfolger jenes Wilhelm des Eroberers, welcher einst das Ansinnen Gregors VII., die Oberherrlichkeit des Heiligen Stuhls anzuerkennen, so ironisch zurückgewiesen hatte, als auch der König von England seine Krone aus den Händen eines päpstlichen Legaten als zinsbarer Vasall empfing!