Ferdinand Gregorovius
Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter
Ferdinand Gregorovius

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2. Urban II. Clemens III. im Besitz von Rom. Urban II. wirft sich den Normannen in die Arme, die ihn nach Rom führen. Seine trostlose Lage in der Stadt. Die Vermählung Mathildes mit Welf V. Heinrich IV. kehrt nach Italien zurück (1090). Die Römer rufen Clemens III. wieder in die Stadt. Die Rebellion des jungen Konrad. Urban II. bemächtigt sich Roms.

Urban II. war Franzose von edler Geburt, aus Chatillon in der Nähe von Reims, einst Mönch und Prior in Cluny. Seinem Reformeifer und seiner theologischen Bildung hatte er im Jahre 1078 das Kardinalbistum Ostia zu verdanken gehabt. Von Heinrich IV. war er eine Zeitlang gefangengehalten, und es scheint, daß er ihm nicht zu schroffe Ansichten entgegenstellte. Als Legat in Deutschland, wo er sich befand, während Gregor VII. aus Rom befreit wurde, hatte er sich tief in alle kirchlichen und politischen Verhältnisse eingeweiht; sein Verstand war mächtiger als der des Desiderius, sein Geschick als Redner und Diplomat anerkannt, und die katholische Partei sah in ihm den Mann, welcher auf der Bahn Gregors VII. vorwärts gehen und zu den erschöpften Mitteln des Kampfs voll Klugheit neue auffinden werde. Er selbst verkündigte sofort der Christenheit, daß er im Geiste Gregors Papst sein wolle; aber seine Stellung war schwierig: in Deutschland, wo seit Heinrichs Rückkehr der Bürgerkrieg nie aufgehört hatte, war eben (im Jahr 1088) der zweite Gegenkönig Hermann nach seiner Unterwerfung unter den Kaiser gestorben, und die Sachsen, ja fast alle päpstlichen Bischöfe neigten sich immer mehr diesem zu. Seit 1087 befand sich der junge König Konrad, Heinrichs Sohn, in der Lombardei, und endlich drohte der Kaiser selbst wieder zu kommen, Mathilde zu vernichten und Clemens III. dauernd in Rom zu befestigen.

Die Stadt war in dessen Besitz; während dieser Zeit des Regiments von Gegenpäpsten und Gegenpräfekten lag sie in schrecklichster Anarchie. Rom bot nichts dar als Szenen täglichen Straßenkampfs, die Tyrannei roher Magnaten und das Elend eines bettelhaften Volks in einer schutthaufenähnlichen Stadt.

Es war, als hätte Gregor VII. das Schicksal des Exils über eine lange Reihe seiner Nachfolger verhängt; denn seit ihm finden wir deren viele fast immer auf der Flucht und in der Verbannung – ein sonderbarer, in der Geschichte der Päpste bisher nicht gesehener Zustand. Urban II. mußte sich fast das ganze Jahr 1088 in Unteritalien aufhalten, wo die Brüder Roger und Boëmund in grimmigem Erbfolgekampf miteinander lagen, bis es ihrem Oheim Roger von Sizilien und dem Papst gelang, sie zu versöhnen. Das Papsttum fristete sein Leben von dem zweifelhaften Schutz normannischer Fürsten, und es war auch ein Normannenheer, welches Urban II. im November 1088 nach Rom führte. So wurde die Stadt wiederum der Kampfplatz zweier Päpste, welche sie straßenweise einander abkämpften, sich gegenseitig verfluchten und abwechselnd verjagten.

Urban saß auf der Tiberinsel hinter dem Schilde des Pierleone, machtlos und so arm, daß ihm die Matronen Roms Almosen reichten. Mit feiner Kunst spann er jedoch rastlos Gewebe der List, in denen er seine Feinde fing. Clemens dagegen beherrschte noch den größten Teil der Stadt, aber er mußte sein unseliges Los beklagen, das ihn verdammte, mit übermenschlicher Anstrengung einen Titel zu behaupten. Er sehnte sich vielleicht aufrichtig, den Rest seines Lebens in der bescheidenen Sphäre seines Erzbistums zu beschließen. Urban II., Heinrich IV., Mathilde, die Welt verlangten nach dem Frieden, doch die Macht des Verhängnisses, welches alle Parteien auf sich geladen, wodurch ein ganzes Geschlecht unauflöslich verwirrt worden war, trieb sie blindlings weiter und fügte Ränke zu Ränken und Schuld zu Schuld. Heinrich selbst war schon geneigt, mit der Kirche sich zu versöhnen, nur die gebannten Bischöfe, die mit Clemens III. standen oder fielen, hielten ihn zurück, und ein wichtiges Ereignis zwang ihn sogar, nochmals nach Italien in den Kampf zu ziehen.

Als Urban II. erkannte, daß die geschwächte mathildische Partei zum Vertrage mit Heinrich geneigter wurde, als er die siegreiche Rückkehr des Kaisers fürchtete, gelang es seiner Geschicklichkeit, der Gräfin einen neuen Gemahl und der Kirche einen von selbstsüchtigen Zwecken beseelten Kämpfer zu geben. Welf IV., Sohn des Markgrafen Azzo II. von Este und der Kunigunde, einer Schwester des letzten der schwäbischen Herzöge aus dem Hause Welf, war im Jahre 1055 Erbe eben dieses Hauses geworden und hatte sein Vaterland Italien mit Deutschland vertauscht, während sein Bruder Fulco dort die Linie Este fortsetzte. Er hatte sich mit der Tochter des Bayernherzogs Otto vermählt und dies Herzogtum seines rebellischen Schwiegervaters im Jahr 1071 vom König Heinrich zu Lehen erhalten. Nachdem er dessen Fahne verlassen, wurde er sein heftigster Gegner und der eifrigste Anhänger Gregors. Selbst noch in der letzten Zeit war er Haupt und Seele der römischen Partei in Deutschland, und am 11. August 1086 hatte er bei Bleichfeld unweit Würzburg Heinrich aufs Haupt geschlagen. Aber auch dieser tapfere Kriegsheld würde, ermüdet, mit dem Kaiser sich vertragen haben, wenn nicht sein Ehrgeiz für die Vergrößerung seines Hauses in Italien plötzlich Nahrung gefunden hätte. Sein junger Sohn Welf V. wurde zum Opfer der Politik eines ländergierigen Vaters und eines schlauen Papsts ersehen, denn beide bestimmten ihn zum Gemahl der Gräfin Mathilde. Nicht die Reize der zweiundvierzigjährigen Fürstin, aber ihre Güter waren begehrenswert; selbst Robert, der Erbe Wilhelms von England, warb um ihre Hand, doch sie reichte sie dem jungen Welf. Die Vermählung wurde im Jahr 1089 vollzogen; Welf gab der katholischen Partei in Italien sofort neue Kraft, und Heinrich mußte in dies Land wieder hinabsteigen.

Als dieser Mann von hundert Schlachten im Frühjahr 1090, begleitet von den beiden Hohenstaufen Friedrich und Konrad, die Alpen herabkam, fand er sich gegenüber dieselbe Gräfin Mathilde, die er schon jahrelang bekämpft hatte. Die große Fürstin, deren Banner jetzt ein achtzehnjähriger Jüngling, ihr Gemahl, trug, war gleich ihm zu ruhelosem Kriegsleben verdammt, und wenn wir die unermüdliche Tatkraft an einem Kaiser bewundern, der um sein Reich kämpfte, so ist die fanatische Ausdauer eines kinderlosen Weibes fast rätselhaft. Wir schildern nicht Heinrichs mannhafte Kriege in Lombardien, noch den hartnäckigen Widerstand Mathildes, die von ihren murrenden Vasallen zum Frieden gedrängt, mit weiblichem Starrsinn ihn verschmähte; unsere Aufmerksamkeit ist auf die Stadt Rom gerichtet, doch das Schauspiel der Zustände bleibt sich immer gleich. Obwohl Clemens von den wankelmütigen Römern vertrieben worden war, konnte Urban doch nicht Herr der Stadt werden, vielmehr mußte er unstet in Unteritalien wandern, wo er die normannische Freundschaft sich zu erhalten suchte. Selbst Jordan von Capua benutzte die Verwirrung, um römische Gebiete an sich zu reißen; er hatte sich fast der ganzen Campagna bemächtigt, als ihn der Tod am 20. November 1090 in dem volskischen Pipernum traf. Während nun Urban in Melfi, in Troja und Benevent Synoden versammelte, fielen auch die Römer wieder von ihm ab. Die Fortschritte Heinrichs nach einem mißglückten Friedensversuch des alten Welf wirkten auf sie, so daß sie sich ihm wieder zuwendeten. Sie bemächtigten sich im Jahre 1091 der Engelsburg durch Überfall, verjagten die päpstliche Besatzung und wurden nur mit Mühe abgehalten, das Kastell zu schleifen. Dann riefen sie Clemens III. aus dem Lager Heinrichs wieder in die Stadt.

Der Gegenpapst konnte, sooft er in Rom war, einige schismatische Kardinäle und die von ihm erhobenen suburbanen Bischöfe zu Synoden versammeln, die indes wirkungslos blieben. Gegenbischöfe zerrissen das Landgebiet Roms, und von den Campagna-Grafen erkannten noch immer fast alle Clemens III. an, denn diese Herren benutzten das Schisma, um die Kirche zu berauben. Während desselben befand sich die geistliche wie weltliche Verwaltung Roms meist in Wiberts Händen; auch Urban hatte freilich sein Ministerium, seine Richter, seinen Präfekten, aber sie waren machtlos, und drinnen wie draußen wurden noch immer gerichtliche Akte mit der Epoche Clemens' III. gezeichnet. Urban mußte sich begnügen, seinen Gegner von Benevent aus, wo er im März 1091 ein Konzil versammelte, zu verfluchen, aber er blieb von der Stadt ausgeschlossen und konnte in diesem wie im folgenden Jahre die Weihnachten nur vor ihren Mauern feiern, während Clemens sie im St. Peter beging.

Der Fall Mantuas (im April 1091) und anderer Städte, die Entmutigung der mathildischen Partei, der Abfall Roms machten die Katholischen bestürzt: sie sannen darauf, dem Kaiser einen neuen furchtbaren Feind zu erwecken. Die List der Priester, der jetzt bis zum Fanatismus gesteigerte Haß eines Weibes und die Habsucht des alten Welf schmiedeten einen frevelvollen Plan. Seit mehreren Jahren war der junge Konrad, Heinrichs ältester Sohn, sein Statthalter in Italien; dem Vater an Wesen ungleich, hatte er von ihm nur den Wankelmut des Temperaments, nichts von seiner leidenschaftlichen Kraft geerbt. Alle Zeitgenossen schildern ihn als schön, sanft und friedlichen Künsten geneigt. Schon seit langem hatten die Pfaffen das Herz des Jünglings umgarnt, welchen der endlose Kampf schreckte, die Rohheit der Umgebung Heinrichs anwiderte, der Kirchenfluch drückte. Die Grundsätze des Vaters billigte der Sohn wahrscheinlich nicht, und die Sinnlichkeit, welcher sich jener hingab, zerstörte die kindliche Ehrfurcht, die er ihm schuldig war. Konrad ließ sich zur Empörung reizen; der Vater ahnte sein Vorhaben und setzte ihn fest; der Sohn entfloh zu Mathilde, die ihn frohlockend empfing. Die Empörung, wozu sie ihn trieb, entkleidete diese erlauchte Frau des Glanzes, welcher ihre Laufbahn bis dahin umgeben hatte. Die Genialität der Jugend war von ihr gewichen. Mathilde in Canossa zur Seite ihres Freundes Gregor, bittend für den gedemütigten König Heinrich, ist eine Achtung gebietende Erscheinung, aber 16 Jahre später, zur Seite ihres knabenhaften Gemahls, den Sohn eben jenes Königs als Empörer unter ihre »breiten Flügel« nehmend, ist sie schon eine abschreckende Gestalt. Sie sandte ihn zum Papst, der den Verräter am eigenen Vater lossprach. Zugleich war Welf tätig, einen lombardischen Bund gegen Heinrich zu vereinigen; der Abfall Konrads riß viele Städte mit sich fort; Mailand, einst Mittelpunkt der kaiserlichen Partei, Lodi, Piacenza, Cremona erklärten sich für ihn und schlossen mit dem jungen Herzog Welf und der Gräfin Mathilde einen Bund auf zwanzig Jahre. Hierauf wurde Konrad im Jahr 1093 in Mailand zum König Italiens gekrönt.

Als der unglückliche Kaiser die Flucht, den Abfall, die Krönung seines Sohnes erlitt, verschloß er sich schwermutsvoll in seine einsame Burg, und verzweifelnd wollte er sich in sein Schwert stürzen. Welche Vergehen immer ihn schändeten (seine wütenden Feinde erfanden und übertrieben sicher viel) und welche Schuld immer er an dem Abfalle des Sohnes zu tragen hatte, sein Los war hart genug. Auch seine zweite Gemahlin Praxedis oder Adelais von Rußland floh aus Verona zu Mathilde und enthüllte, von den Priestern dazu angereizt, als unglückliche Barbarin schamlos, doch nicht schuldlos die Mysterien ihres ehelichen Lagers auf zwei Kirchenversammlungen vor der ganzen Welt.

Der Umschwung der Dinge erlaubte Urban II., am Ende November 1093 nach Rom zu kommen. Sein Gegner befand sich nicht mehr hier, sondern im Lager Heinrichs, aber die Wibertisten behaupteten den Lateran, die Engelsburg und andere feste Punkte. Urban mußte sich daher in der Wohnung der Frangipani verschließen. Diese Familie hielt standhaft zu den rechtmäßigen Päpsten; sie hatte sich neben St. Maria Nova auf den Trümmern des Tempels der Venus und Roma verschanzt, und unter dem Palatin hütete sie einen gewaltigen Turm, welcher Turris Cartularia hieß und ursprünglich den Päpsten gehörte. Der Titusbogen war in diese Baronal-Festung gezogen und öffnete oder schloß ihren Eingang über der Via Sacra. Hier wohnte Urban im Schutze des Konsuls Johann, Sohnes des Cencius, Enkels des Leo Frangipane, der um das Jahr 1000 Stifter dieses berühmten Geschlechts geworden war. Die Lage des von Schulden erdrückten Papsts war kläglich; der Abt Gottfried von Vendôme, damals in Angelegenheiten seines Klosters in der Stadt, wurde von seinem Zustande gerührt; er verkaufte, was er besaß, riß ihn aus der Verlegenheit und gab ihm Geld, womit er den von Clemens III. bestellten Kapitän des Lateran Ferrucius bestach. Urban zog um Ostern 1094 in den Palast der Päpste ein und setzte sich zum erstenmal auf den lateranischen Thron, auf welchem nach dem Urteil des Abts seit langer Zeit kein katholischer Papst mehr Platz genommen hatte.

Es ist ein sehr dunkles Bild des Verfalles des Papsttums, welches Urban II. darstellt, ein bedrängter Greis, der mit dem Gelde eines fremden Abts die päpstliche Residenz erkauft hat, wo er nun im öden Lateran dasitzt, umgeben von rohen Parteimännern, von nicht minder verwilderten Bischöfen, blickend auf die Trümmer von Kirchen und Straßen, Denkmäler Gregors VII., blickend auf das totenstille, schmutzige, von einem zerlumpten, meuchelmörderischen, unglücklichen Volk bewohnte Rom. Gibt es ferner viele so traurige Schauspiele in der Geschichte als jenes, welches der Kaiser Heinrich IV. in derselben Zeit darbietet, wo er, mit selbstmörderischen Gedanken um den Abfall seines Sohnes sich härmend, in einer lombardischen Burg verschollen lebte, während ringsumher alle Provinzen von Feuer und Schwert nicht minder verwüstet lagen, als sie es zur Zeit der Gotenkriege gewesen waren – all dies Wirkungen des Investiturstreits und die Denkmäler des siebenten Gregor.


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