Ferdinand Gregorovius
Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter
Ferdinand Gregorovius

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6. Heinrich ermannt sich. Rudolf von Schwaben Gegenkönig. Heinrich kehrt nach Deutschland, Gregor nach Rom zurück. Fall der letzten Langobarden-Dynastien in Süditalien. Rückblick auf das Volk der Langobarden. Robert leistet Gregor den Lehnseid. Wilhelm der Eroberer und Gregor. Der Papst anerkennt Rudolf und bannt Heinrich nochmals. Wibert von Ravenna Gegenpapst. Wendepunkt.

Der mannhafte Entschluß, die Würde des Königtums wiederherzustellen, befestigte sich in der Seele Heinrichs; er erkannte seine Aufgabe, und mit dem Mut eines Helden ergriff er sie. Die letzte Hälfte seines Lebens zeigt uns diesen Fürsten als heroischen Kämpfer gegen die römische Papstmacht, wie es dies nach ihm die Hohenstaufen wurden, deren Geschlecht er selbst die Herzogswürde Schwabens verliehen hat.

Die deutschen Rebellen hatten den Papst nach Forchheim geladen, wo man im März über den König urteilen wollte. Gregor forderte ihn daher auf, sich dort zu stellen, ihm selbst, dem Vertrag in Canossa gemäß, frei Geleit zur Reise zu geben. Der ausweichende Heinrich suchte diese zu hindern, und der Papst schickte nun seine Legaten nach Deutschland. Seine Absicht mußte sein, nicht den gedemütigten König zu vernichten, sondern ihn als Vasallen dem Heiligen Stuhl zu unterwerfen und zum Verzicht auf das Investiturrecht wie zur Anerkennung aller andern päpstlichen Gebote zu zwingen. Aber die plötzliche Wahl eines Gegenkönigs verwirrte seine Pläne; denn am 13. März 1077 wurde Rudolf von Schwaben in Gegenwart der päpstlichen Legaten zum deutschen Könige gewählt und Heinrich für abgesetzt erklärt. Die Aufstellung des Gegenkönigs, an welcher keinen Teil gehabt zu haben Gregor später mit feierlichem Schwur versicherte, führte einen ungeahnten Umschwung in allen Dingen herbei und brachte alle bisher stockende Handlung in Fluß. Sie zerstörte den Vertrag von Canossa und machte die Widersacher Heinrichs in Deutschland zu Rebellen des Königs, welchen doch der Papst absolviert hatte. Diesem freilich schrieb die Klugheit vor, sich einstweilen unentschieden zu halten und die vorteilhafte Stellung eines Schiedsrichters über zwei Könige auszubeuten, von denen er keinen anerkannte; denn so brachte ein fast wunderbarer Wechsel der Gewalt das Deutsche Reich in die Lage, in welcher sich das Papsttum unter Heinrich III. befunden hatte.

Heinrich mußte nach Deutschland zurückeilen, dort um seine Krone zu kämpfen. Er bestellte den Erzbischof Tedald von Mailand und Dionysius von Piacenza zu seinen Vikaren in Italien und zog im April über die Alpen heim. Das Vaterland, welches er so unköniglich verlassen hatte, betrat er jetzt erst als König wieder. Seine schöne, männliche Gestalt, seine fürstliche Art, Kraft und Kühnheit traten erst jetzt aus ihrer Hülle hervor und machten ihn den ruhmvollsten Kaisern des Deutschen Reiches ebenbürtig.

Gregor hörte unterdes in den Burgen Mathildes das Kampfgeschrei der trotzigen Lombarden, mit denen Heinrich sich ausgesöhnt hatte. Privilegien, die er gab, stärkten die junge Freiheit der Städte, und Italien fürchtete die Herrschbegier eines großen Papsts mehr als die Reichsoberhoheit eines geschwächten Königs. Die Lombarden aller Städte, die ganze Romagna standen zur Fahne Heinrichs; sie verlegten Gregor die Alpenpässe, nahmen seine Legaten gefangen und wollten schon im Mai die Beschlüsse von Piacenza auf einem Ronkalischen Tag erneuern und den Papst absetzen. Nur die Truppen Mathildes hinderten sie, ihn mit den Waffen anzugreifen.

Gregor blieb noch einige Monate in Oberitalien, dann sah er, daß es ihm unmöglich sei, Deutschland zu erreichen. Als er im September nach Rom zurückkehrte, mußte er sich bekennen, daß er in ein Labyrinth geraten sei, daß der Kampf mit dem deutschen Königtum, welchen er schnell zu beendigen gehofft hatte, nun erst beginnen werde. Zwar fand er die Stadt ruhig, aber die Fortschritte der Normannen ängstigten ihn. Heinrich gab sich Mühe, ihn durch so furchtbare Feinde zu bedrängen, und der feine Robert Guiscard hielt sich mit großer Gewandtheit unentschieden zwischen ihm und dem Papst. In seinen Plänen weder durch einen Romzug noch durch eine päpstliche Unternehmung mehr gestört, machte er sich an die Unterwerfung Kampaniens, wo ihm Amalfi Gelegenheit gab, seine Waffen gegen Gisulf von Salerno zu kehren, seinen eigenen Schwager, einen grausamen Despoten, den wärmsten Freund Gregors. Vergebens suchte der Papst dessen Fall abzuwenden; denn Robert schloß mit Richard von Capua, seinem bisherigen Nebenbuhler, ein Bündnis, dann belagerte er im Mai 1077 Salerno, eroberte diese Stadt und zwang auch Gisulf in der Zitadelle zur Ergebung. Der letzte Langobardenherrscher, der Sohn des einst so glänzenden Waimar, erhielt das armselige Leben und die Freiheit der Person; der Papst nahm ihn in Rom auf, wo er ihn in seinem Dienst verwendete und zum Rector der römischen Campagna machte.

So verschwanden die Langobardenstaaten in Süditalien. Die Zähigkeit dieses Volksstammes war wunderbar; obwohl seine alte Sprache im romanischen Idiom unterging, dauerte doch sein Blut in den Geschlechtern fort, die sich voll Stolz von den Eroberern unter Alboin herleiteten. Noch bis tief ins XII. Jahrhundert sind die Urkunden Süditaliens mit altlangobardischen Namen erfüllt wie Machenolf, Landolf, Pandolf, Adenolf, Gisulf oder wie Marald, Castelmann, Romuald, Audoald, Musand, Ademar, Lidtus, Arechis, Radelgrim, Adelbert, Adelfar, Radelchis, Wiselgard, Roderich. Dies germanische Volk, welches der Ruhm schmückt, ein wesentlicher, edler Bestandteil der italienischen Nation zu sein, hatte sich in seiner Eigenart ein halbes Jahrtausend lang erhalten, durch sein Recht beschützt, das weise Könige mitten in der Barbarei den Italienern gegeben hatten; und dies Recht erlosch erst seit der Mitte des XII. Jahrhunderts. Wir haben oft bemerkt, daß Jahrhunderte hindurch Langobarden an der Spitze des geistigen und politischen Lebens Italiens standen; und noch in so später Zeit waren die Gräfin Mathilde, Gregor VII. und Victor III. Zierden dieses Stammes.

Auch Benevent wollte Robert an sich reißen, während Richard Neapel belagerte. Den Vorwand bot ihm das Asyl, welches Gisulf in Rom gefunden hatte, die Gelegenheit der Tod Landulfs VI., des kinderlosen letzten Fürsten und Lehnsmannes des Papsts in jener Stadt. Er belagerte diese Ende 1077 und beunruhigte durch Streifzüge die römische Landschaft, die Mark Ancona und Spoleto. Allein Benevent leistete mannhaften Widerstand; wenn Robert der Bannfluch Gregors nicht erschütterte, so machte doch die päpstliche Staatskunst die Fürsten Capuas wankelmütig. Richard starb vor Neapel im April 1078, mit der Kirche versöhnt. Sein Sohn Johann begriff, was ihm der Papst vorstellen ließ, daß die Erfolge Roberts ihn selbst vernichten würden. Er hob die Belagerung Neapels auf, leistete in Rom den Vasalleneid, verbündete sich mit den Beneventern, zerstörte Roberts Lager, rief die Barone Apuliens und Kalabriens zur Empörung auf und zwang dadurch Guiscard, sich mit dem Papste zu vergleichen. Gregor zeigte sich nachgiebig, denn er bedurfte des normannischen Schutzes gegen Heinrich, mit dem er öffentlich zum zweitenmal gebrochen hatte und der sich schon zum Kriegszug rüstete. Es ist wohl nur eine Fabel, daß er den gefürchteten Normannenhelden mit der Aussicht auf die Kaiserkrone anlockte, doch bot er ihm Vorteile genug. Robert Guiscard, der ihm persönlich zu Ceprano am Liris den 29. Juni 1080 den Lehnseid schwor, stand von Benevent ab, welches nun für immer ein päpstlicher Besitz wurde, aber Gregor drang nicht auf die Wiederherstellung Gisulfs, er ließ vielmehr Salerno und Amalfi, selbst Teile der Mark Fermo, Besitzungen St. Peters, einstweilen in der Gewalt des Eroberers, den er sodann mit Apulien, Kalabrien und Sizilien belieh. Dafür verpflichtete sich der Herzog zum jährlichen Zins und zum Schutz der Kirche, wie er das schon Nikolaus II. gelobt hatte.

Der Stolz des Normannen wich der Klugheit und seinen auf die Eroberung Griechenlands gerichteten Entwürfen; er nahm die päpstliche Investitur »von Gottes und St. Peters Gnaden«, und seither mußten sich die Könige beider Sizilien mehr als 600 Jahre lang als Vasallen des Heiligen Stuhls bekennen. Gregor forderte eine gleiche Lehnspflicht auch vom Könige Englands, Wilhelm dem Eroberer, der sich zu derselben Zeit, als seine Stammesgenossen Süditalien eroberten, Britanniens bemächtigt hatte. Die Päpste hofften, in England dasselbe Spiel zu spielen, welches ihnen in Italien glückte, denn auch dort sollten die normannischen Räuber das Land erobern, um es dann von Rom zu Lehen zu tragen. Wilhelm war daselbst mit päpstlicher Ermächtigung eingefallen, das Banner St. Peters in der Hand, und daraus leitete die römische Kurie ihre oberherrlichen Rechte auf England her, aber der König lächelte über die Ansprüche Gregors und wies sie in einem lakonischen Brief zurück.

Unterdes war der Papst zur Entscheidung in betreff Heinrichs gedrängt worden, welchen schon im November 1077 der Kardinallegat Bernhard in Deutschland von neuem gebannt hatte. Die erbitterten Sachsen hatten den Papst bestürmt, Rudolf endlich anzuerkennen, Heinrich endlich zu verwerfen. Er tat dies auf der römischen Synode im März 1080; er erklärte Heinrich des Deutschen Reichs und Italiens verlustig, verfluchte wie ein Zauberer seine Waffen, erkannte Rudolf feierlich als König und rief die Apostel Petrus und Paulus an, der Welt zu zeigen, daß sie die Macht besäßen, nicht allein im Himmel zu binden und zu lösen, sondern auch auf Erden Reiche, Fürstentümer, Grafschaften, Besitzungen jeder Art zu geben und zu nehmen. Hier trübte überspannte Leidenschaft schon den Geist Gregors.

Die Wirkung dieses zweiten Bannes war nicht mehr jener des ersten gleich, denn Heinrich stand jetzt als kriegsgewohnter Fürst in Wagen, während sich ganz Norditalien für ihn erhob. Er versammelte neunzehn Bischöfe seiner Partei am 31. Mai zu Mainz, wo sie den Papst zum zweitenmal für abgesetzt erklärten. So wiederholte sich auf beiden Seiten dasselbe Verfahren, nur ging Heinrich jetzt mit Recht einen Schritt weiter. Am 25. Juni 1080 ließ er von vielen Bischöfen Italiens zu Brixen Wibert von Ravenna zum Papst erwählen. Sein Kampf gegen Gregor bekam dadurch auch einen kirchlichen Charakter; wie ihn der Papst in Deutschland durch das Gegenkönigtum bedrängte, so führte er das Gegenpapsttum wider ihn ins Feld. Ravenna aber war ein Land, welches einem Gegenpapst viel Nachdruck geben konnte. Seit dem X. Jahrhundert hatten die dortigen Patriarchen, alte Widersacher der Päpste, eine fürstengleiche Macht erlangt; der Exarchat, die älteste Provinz des karolingischen Kirchenstaats, war sodann im Lauf der Zeit völlig von Rom gelöst und ein Besitz der Erzbischöfe Ravennas geworden, welche die Grafen in den einzelnen Städten als ihre eigenen, bald erblichen Vasallen belieben, während sie selbst das alte Besitztum der Päpste nicht von diesen, sondern von den Kaisern zu Lehen trugen.

Ein so alter, in alle Weltverhältnisse tief eingeweihter Gegner Gregors, wie Wibert war, mußte notwendig als Gegenpapst auf dem Kampfplatz erscheinen. Er war hier gefährlicher, als es Cadalus hatte sein können. Vornehme Geburt, Gelehrsamkeit, staatsmännischer Verstand zeichneten ihn aus. Sein Ehrgeiz strebte seit langem nach der Tiara, die er Gregor zu entreißen gedachte; jetzt hatte er den Titel eines Papsts und mußte sich Weihe und Macht aus dem fernen St. Peter holen. Er ging sofort von Brixen in die Lombardei, und der König selbst, welcher im kommenden Jahre seinen Romzug antreten wollte, wandte sich gegen die Sachsen. Er verlor im Oktober die mörderische Schlacht an der Elster, aber er wurde zugleich von seinem Gegner befreit. Rudolf fiel; der Winter ging hin; und das Frühjahr 1081 sah Heinrich mit Heeresgewalt die Alpen herabziehen, den Feind in Rom zu züchtigen.

Hier ist der Wendepunkt in der Geschichte Heinrichs und Gregors. Denn auf die Flut, welche den kühnen Papst bisher emporgetragen hatte, folgte die Ebbe des Geschicks, seine lange Bedrängnis in Rom, sein Fall und sein Tod im Exil. Aber das wunderbare Genie dieses Mannes glänzt, nicht am mächtigsten, doch vielleicht am klarsten in der Periode des Niederganges, bis sein Stern vom Horizont der Geschichte einsam und groß in das Meer der Zeit versinkt.


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