Ferdinand Gregorovius
Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter
Ferdinand Gregorovius

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Fünftes Kapitel

1. Beginnende Suprematie des Papsts. Der Kirchenstaat. Die pseudoisidorischen Dekretalen. Nikolaus I. stirbt im Jahre 867. Hadrianus II. Lambert von Spoleto überfällt Rom. Die Feinde Hadrians in Rom. Frevel des Eleutherius und Anastasius und ihre Bestrafung.

Die persönliche Schwäche der Nachfolger Karls, ihre erbärmlichen Leidenschaften, ihre Streitigkeiten um die Monarchie, welche das Lehnswesen unrettbar zerstörte, hatten um diese Zeit die Autorität des Papstes sehr gesteigert. Seine heilige Würde traf bei Nikolaus I. mit einem so kühnen Geist zusammen, wie ihn nur wenige Päpste besessen haben. Vornehme Geburt, Wohlgestalt, Bildung, soviel als die Zeit sie bot, vollendeten seine Person, und seit Gregor dem Großen war kein Papst auch durch das Glück, welches die Kraft an sich zieht, gleich ausgezeichnet gewesen. Ihm gelang es, das Königtum wie das Bistum zu brechen; und das abgeschwächte Kaisertum sank in dem erblosen Ludwig, welcher es in mannhafte, doch kleine und endlose Kriege in Unteritalien gleichsam begrub, zu immer wesenloserem Schein herab. Aber im Papsttum erhob sich der Gedanke der geistlichen Universalmonarchie, welche später Gregor VII. aufrichtete, Innocenz III. vollendete. Der Begriff von Rom als dem moralischen Zentrum der Welt lebte in unzerstörbarer Tradition fort. Je mehr nun dies Kaisertum Einheit und Macht verlor und je weniger fähig es ward, den politischen Mittelpunkt der christlichen Völkergemeinde zu bilden, um so leichter wurde dem Papsttum der Anspruch, die Seele und das Prinzip der christlichen Republik zu sein, zu deren wandelbaren Organen die weltlichen Herrscher heruntersanken.

Aus Not der Umstände wie aus einem großen geschichtlichen Triebe hatte das Papsttum die römische Kaisermacht erneuert, und kaum war sie geschaffen, als der geheime Kampf des geistlichen Systems gegen das politische begann. Wenn der römische Kaiser als christlicher Monarch zu herrschen vermochte wie Constantin und Theodosius, wenn jede Autonomie in den Provinzen erloschen war, dann würde der Papst die Herrschaft mit ihm geteilt haben, indem er ihm die mühsame weltliche Verwaltung überließ und sich selbst die geistliche nahm. Aber die Triebkraft der menschlichen Natur erzeugte in der Monarchie Karls eine Fülle abgesonderter Gewalten, welche alle dem Papsttum wie dem Kaisertum feindlich gegenübertraten: die Nationalitäten, die Landeskirchen, Nationalherzöge, Nationalbischöfe, die Könige, die Rechte und Freiheiten, die Privilegien und Immunitäten jeder Art – Kräfte der natürlichen Besonderung und der germanischen Individualität, die den Systemen den Krieg erklärten. Sie schwächten das Kaisertum, weil seine Einheit doch nur mechanisch war und seine Basis materieller und wandelbarer Natur blieb. Aber das unteilbare moralische Prinzip des Papsttums konnte trotz vorübergehender Niederlagen ihrer dennoch Herr werden; weder durch die Zeit unterbrochen, noch durch politische Umwälzungen innerlich berührbar, siegte es immer wieder über seine Gegner, das Königtum, das Bistum, das Kaisertum. Denn der Glaube der Menschheit selbst, welcher die einzige unwiderstehliche Gewalt im Irdischen ist, begriff es als überirdische Quelle jener und als die unverrückbare Achse der geistigen Welt.

In Nikolaus wurde das Bewußtsein von der Monarchie Roms persönlich. Obwohl man behaupten darf, daß der Besitz des Kirchenstaats und der Stadt, welchen das Kaisertum bestätigt hatte, in betreff des geistlichen Primats unwesentlich sei, so muß man doch gestehen, daß er die Absichten des Papsttums mächtig fördern half, denn er verlieh ihm eine unschätzbare Unabhängigkeit auf einem unschätzbaren Lokal. Der Besitz eines großen Königreichs irgendwo anders in der Welt hätte dem Papst nimmer die Grundlage geboten, wie sie ihm sein kleines Land mit der Hauptstadt Rom gab. Zur Zeit Nikolaus' I. waren die Patrimonien St. Peters noch unbeschädigtes Eigentum der Kirche, und ihr Schatz war unermeßlich reich. Seine Vorgänger hatten Städte gegründet, Heere und Schiffe ausgerüstet, eine italienische Liga geschlossen, Rom verteidigt und gerettet, und er selbst herrschte wie ein König über das schönste Land von Ravenna bis nach Terracina herab. Man sagt, daß er zuerst unter den Päpsten mit der Tiara gekrönt ward, die indes erst der unbegrenzte Stolz späterer Nachfolger mit einer dreifachen Krone umgab. Dem monarchischen Geist eines solchen Mannes war die Krone nichts Fremdes, aber er sah in ihr mehr als das Symbol des weltlichen Staats, welchen die Kirche besaß und bald verlor. Die falsche Schenkung Constantins leistete den Ansprüchen der Päpste guten Dienst, und der Umfang, den dies dreiste Machwerk jenen gab, bezeichnete zugleich die Ausdehnung der Ideen des Papsttums überhaupt. Doch wichtiger waren die Pseudoisidorischen Dekretalen, welche jene Länderschenkung in sich aufnahmen. Diese merkwürdigen Erdichtungen vieler Briefe und Dekrete alter Päpste, eingestreut in eine Sammlung von Konzilienakten, die man dem berühmten Isidor von Sevilla unterschob, entstanden in der Mitte des IX. Jahrhunderts, und Nikolaus war der erste Papst, der sich ihrer als eines Codex päpstlicher Rechte bediente. Sie statteten nämlich die Kirche mit solchen Privilegien aus, welche sie vom Staat völlig befreiten; sie setzten die königliche Gewalt tief unter die päpstliche, selbst unter die Würde der Bischöfe, aber sie erhoben zugleich den Papst als unerreichbar von den Beschlüssen der Landessynoden hoch über das Bistum und stellten ihn als höchsten Richter der Metropolitane und Bischöfe dar, deren Amt und Gewalt, dem königlichen Einfluß entzogen, dem päpstlichen Gebot unterworfen sein sollte. Mit einem Wort. sie schrieben dem Papst die Diktatur in der kirchlichen Welt zu. Nikolaus I. erkannte in diesen Dekretalen die brauchbarsten Waffen für den Kampf gegen die Könige und die Landessynoden, und über beide Mächte hatte er triumphiert, während der Kaiser, welcher die Gefahr einsah, die dem politischen Prinzip drohte, endlich nur den Zuschauer des päpstlichen Sieges machen konnte.

Als nun dieser große Papst am 13. November 867 starb, brachte sein Tod einen tiefen Eindruck hervor. Die Welt gab ihm das Zeugnis, daß sie ihn gefürchtet und bewundert hatte; nur die von seinen Blitzstrahlen waren getroffen oder bedroht worden, erhoben froh ihr Haupt, Freiheit und Vernichtung der päpstlichen Dekrete hoffend.

Die Wahl der Römer vereinigte sich auf Hadrian, den greisen Kardinal von St. Marcus, des Talarus Sohn, aus dem Geschlecht Stephans IV. und Sergius' II. Die in der Stadt anwesenden Gesandten des Kaisers, die es übel bemerkten, daß man sie nicht zur Wahlversammlung eingeladen hatte, wurden mit der Erklärung beschwichtigt, daß das Recht der Krone nicht geschmälert sei, denn die Konstitution schreibe zwar die kaiserliche Bestätigung des Gewählten vor, nicht aber dessen Wahl unter den Augen der Legaten. Sie beruhigten sich dabei; der Kaiser selbst bestätigte die Wahl, und Hadrian II. wurde am 14. Dezember zum Papst geweiht.

Er ehrte den Antritt seines Pontifikats durch eine Amnestie. Schon zur ersten Messe ließ er einige von seinem Vorgänger exkommunizierte Geistliche zu, darunter den berüchtigten Kardinal Anastasius, und auch Theutgaud von Trier, welchem reuigen Sünder er verzieh und eine Zelle im Kloster St. Andreas auf dem Clivus Scauri zur Wohnung gab. Einige des Hochverrats angeklagte Prälaten schmachteten im Exil; der Kaiser hatte zumal die Bischöfe von Nepi und Velletri in die Verbannung geschickt, und man merkte daraus seine volle imperatorische Gewalt. Hadrian erbat ihre Wiederherstellung. Andere Römer vom Laienstande waren als Majestätsverbrecher in die Galeeren gesteckt worden; der Papst erwirkte auch ihre Befreiung. Es scheint, daß während der Sedisvakanz falschen oder begründeten Anklagen bei den kaiserlichen Missi mancher Mann zum Opfer fiel. Das jedesmalige Interregnum brachte schon damals anarchische Zustände hervor und begünstigte die Tyrannei der Mächtigen. Den Beweis dafür gab ein höchst auffallendes Ereignis. Kurz vor der Weihe Hadrians hatte Lambert, Herzog von Spoleto, die Stadt überfallen. Mit den Unzufriedenen in Rom einverstanden, wo viele mächtige Langobarden und Franken wohnten und selbst den Herzogstitel führten, und vielleicht noch ohne Kenntnis von der Anerkennung der Wahl, wagte er einen Schritt, der seine Befugnisse weit überstieg. Denn diese verliehen nach der Reichskonstitution dem Herzoge von Spoleto allerdings das Recht, beim Tode des Papsts die Neuwahl zu überwachen, und überhaupt erscheint der spoletanische Herzog in dieser Epoche als ein Vizekönig in römischen Angelegenheiten. In die unverteidigte Stadt einrückend, benahm sieh Lambert wie ein Eroberer. Er zog Güter des Adels ein, die er an Franken verkaufte oder verschenkte; er plünderte Kirchen und Klöster, er ließ es geschehen, daß seine Krieger römische Mädchen aus Stadt und Umgebung entführten. Dann zog er wieder ab. Der Papst schickte Klagebriefe an den deutschen Kaiser und tat alle Franken und Langobarden in den Bann, welche Lambert gerufen oder mit ihm die Stadt geplündert hatten. Dieser Überfall offenbarte die nahe Auflösung des karolingischen Reichs, er leitete die Zeit wüster Verwirrung Italiens, der Kämpfe der Herzöge um Rom und des Faktionenkrieges in der Stadt selber ein, welche wir bald zu schildern haben.

Ludwig befand sich damals in Unteritalien. Er hatte ein allgemeines Aufgebot der italienischen Vasallen erlassen, um die Sarazenen in Bari anzugreifen, und war gerade im Begriff, von Lukanien aus diesen Feldzug zu beginnen, Die Klagen der Römer erreichten ihn dort, aber es fehlte ihm die Zeit, vielleicht auch der Wille, Lambert durch Entsetzung zu bestrafen, was er erst im Jahre 871 und aus andern Gründen tat.

Hadrian II. wurde durch schreckliche Erlebnisse in der ersten Zeit seines Pontifikats schwer geprüft. Seine Feinde, Anhänger des verstorbenen Papsts, gönnten ihm die Tiara nicht; sie verbreiteten den Glauben, er wolle die Akte des Vorgängers, durch welche dieser die päpstliche Macht so hoch gehoben hatte, aus Menschenfurcht vernichten. Er eilte, diese Stimmen zu unterdrücken; er beschwichtigte die römisch Gesinnten durch die Versicherung, daß er die Bahn Nikolaus' I. nie verlassen werde, und gewann sie durch ein öffentliches Gebet für ihn und die feierliche Anerkennung seiner Dekrete; er befahl, die Basilika, welche jener angefangen hatte, zu vollenden. Indem er die Freunde seines Vorgängers beruhigte, erbitterte er dessen Feinde, welche ihm den doppelsinnigen Namen Nicolait gaben.

Unter dieser auf die Franken sich stützenden Partei ragten der Kardinal Anastasius und sein Bruder Eleutherius hervor, Männer vom höchsten Adel, Söhne des reichen Bischofs Arsenius, der es nicht verschmerzte, daß sein Sohn durch Leo IV. exkommuniziert, durch Nikolaus I. um die Tiara gebracht worden war. Hadrian hatte eine Tochter aus rechtmäßiger Ehe vor seinem Eintritt in den geistlichen Stand; Papst geworden, verlobte er das Mädchen einem edlen Römer. Aber Eleutherius, von Liebe oder von Haß entflammt, entführte die Braut und vermählte sich mit ihr. Der beschimpfte Papst, unvermögend, den Mächtigen zu strafen, der sich in seinem festen Palast verschanzt hielt, schickte dringende Schreiben an den Kaiser, ihn um Absendung seiner Boten bittend, den Frevler zu richten. Zugleich eilte der Vater des Räubers nach Benevent, die habgierige Kaiserin durch seine Schätze zu gewinnen, aber er wurde dort vom Tode überrascht. Die kaiserlichen Missi kamen jetzt nach Rom, und Eleutherius wurde von so rasender Wut erfaßt, daß er die Tochter des Papsts und ihre Mutter Stephania, welche ihr Kind freiwillig oder gezwungen begleitet hatte, erstach. Die Kaiserlichen ergriffen den Mörder und enthaupteten ihn.

Unter dem Eindruck dieser Vorgänge versammelte der unglückliche Hadrian eine Synode. Er erneuerte gegen Anastasius, dem man nicht mit Unrecht Anteil am Verbrechen seines Bruders zuschrieb, die Exkommunikation, indem er ihm mit dem Anathem drohte, wenn er weiter als 40 Millien von der Stadt sich entfernen oder irgendeine kirchliche Verrichtung sich anmaßen sollte. Der Kardinal empfing dies Dekret am 12. Oktober 868 in der Basilika Santa Prassede und schwor, sich ihm zu unterwerfen. Jene Ereignisse lehrten, zu welchem Trotz der römische Adel sich bereits vermaß. Von der kaiserlichen Autorität damals noch gezügelt, mußte er die Herrschaft über den Päpstlichen Stuhl an sich reißen, sobald jene selbst in Rom erloschen war.


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