Ferdinand Gregorovius
Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter
Ferdinand Gregorovius

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Zweites Kapitel

1. Stefano Porcaro und die römische Demokratie. Das Konklave. Nikolaus V. Seine Vergangenheit. Erlöschen des Schisma und des Basler Konzils 1449. Die Ruhe im Kirchenstaat hergestellt. Tod des Herzogs Visconti 1447. Sforza erringt den Thron von Mailand 1450.

Gleich nach dem Tode Eugens drohte eine demokratische Bewegung in Rom auszubrechen, deren Führer der Ritter Stefano Porcaro zu sein hoffte, ein schwärmerischer Mann, von Ruhmsucht glühend, begeistert für das Ideal der Vergangenheit, doch unklar über die Gegenwart. Er war von altem Popolanengeschlecht, änderte aber seinen Namen in Porcius, weil er von den Catonen abzustammen wünschte.

Seine Fähigkeiten hatten die Aufmerksamkeit Martins V. erregt, dessen Fürsprache er das Amt des Volkskapitäns in Florenz verdankte. Nachdem er dasselbe 1427 und 1428 rühmlich verwaltet hatte, bereiste er Frankreich, Deutschland und andere Länder, worauf er im Jahre 1431 mit seinem Jungen Bruder Mariano nach Rom zurückkehrte. Obwohl er ein Anhänger der Colonna war, machte ihn doch Eugen IV. im Jahre 1433 zum Podestà Bolognas, und auch diese Stelle verwaltete er mit Auszeichnung. Während der Revolution Roms im Jahre 1434 war Porcaro als Vermittler zwischen dem Papste und dem römischen Volk nach Florenz gegangen und hierauf noch in demselben Jahre erst Podestà in Siena und dann von Eugen in gleicher Eigenschaft nach Orvieto geschickt worden. Auch hier erwarb er sich während des Jahrs 1436 die Liebe der Bürger und das Lob des Patriarchen Vitelleschi wie des Papsts.

Poggio, Leonardo Aretino und Traversari, Ciriaco und Manetti, Niccoli und andere Männer aus den wissenschaftlichen Kreisen in Florenz und Rom ehrten Porcaro als einen klassisch gebildeten Römer von glänzenden Eigenschaften, die ihn zum Lieblinge aller derer machten, die ihm nahe kamen. Man bewunderte seine antikisierenden Reden, weil sie von kühner Leidenschaft für bürgerliche Freiheit durchdrungen waren.

Porcaro lebte in mittelmäßigen Verhältnissen im Hause seiner Familie bei S. Giovanni della Pigna, welches sich noch heute erhalten hat. Er hoffte auf eine Gelegenheit, wo er eine Umwälzung durchführen konnte, und glaubte sie gekommen, als Eugen IV. gestorben war. Damals versammelte sich der römische Volksrat in Aracoeli, der alten Senatskirche, die noch Eugen im Jahre 1445 als solche bestätigt hatte. Man besprach die Forderungen, welche in bezug auf die geschmälerten Privilegien der Stadt an das Kardinalskollegium zu stellen seien. Porcaro hielt eine Rede; er nannte es eine Schmach, daß die Enkel der Scipionen zu Priesterknechten herabgesunken seien; Rom solle sich in ein vertragsmäßiges Verhältnis zum Papste setzen, da doch kleine Gemeinden ihre Unabhängigkeit gegen eine Abgabe an die Kirche behaupteten. Manche Römer waren mit den Grundsätzen Porcaros einverstanden; die Ideen des Cola di Rienzo von der Majestät des römischen Volks lebten noch fort. Auch Niccolò Signorili, der Sekretär des Senats zur Zeit Martins V. hatte sie wieder ausgesprochen. Wenige Jahre zuvor hatte auch Valla in seiner Kritik der Schenkung Constantins die weltliche Gewalt des Papsts über Rom mit unerhörter Kühnheit bestritten und die Säkularisation des Kirchenstaates verlangt.

Porcaro wurde durch einige erschreckte Stadträte und den Erzbischof von Benevent, Astorgio Agnesi, den Governator der Stadt, in seiner Rede unterbrochen, während andere ihn ermunterten, fortzufahren. Das Parlament trennte sich in Aufregung. Ein zweites hatte keinen besseren Erfolg. Furcht vor den Waffen des nahen Alfonso hinderte zum Schmerze Porcaros jede patriotische Handlung der Bürgerschaft. Der König von Neapel würde eine Volkserhebung benutzt haben, um in Rom einzurücken, von wo ihn die Kardinäle entfernt halten wollten. Ein Dekret derselben verbannte alle Barone aus der Stadt, welche ruhig blieb. Das Kapitol wurde dem Prokurator des Deutschritterordens zur Hut übergeben.

Achtzehn Kardinäle versammelten sich am 4. März 1447 in der Minerva. Dies Konklave hat Piccolomini anziehend beschrieben. Er war noch als Orator Friedrichs III. in Rom und nebst den Gesandten Aragons und Cyperns mit der Bewachung der Konklavepforten beauftragt. Er bemerkte dabei einige lächerliche Gebräuche, die er abgeschafft zu sehen wünschte. Jedem Kardinal wurden die Speisen in einer mit seinem Wappen bemalten Kiste zugebracht, die man Cornuta nannte; zwei seiner Diener trugen sie, zwei andere gingen ihr vorauf, und ihr folgte eine Prozession von Klerikern und Schmarotzern, die »Familie« des Kardinals. Diese Kisten wandelten durch Rom wie ebensoviele Leichenbegängnisse, und Piccolomini spottete über die Höflinge, welche jetzt statt dem abwesenden Kardinal seinem Speisekasten Ehrfurcht bezeugten.

Nach der Tiara trachtete Nicolaus von Capua, der aus seinem Exil zurückgekehrt war. Er starb bald aus Schmerz über seine Enttäuschung. Ein altes Wort sagt in Rom: wer als Papst ins Konklave tritt, kommt als Kardinal heraus. Die Wahrheit davon erfuhr auch Prospero Colonna; die Faktion seines mächtigen Hauses, welches nach dauernder Herrschaft in Rom strebte, verrechnete sich; denn ganz unverhofft erlangte der Erzbischof von Bologna und Kardinal von S. Susanna am 6. März die Majorität. Als Capranica dies Ergebnis sah, wodurch ein armer, kaum erst zum Kardinal ernannter Priester Papst wurde, zählte er erschreckt die Wahlzettel noch zweimal durch: sie fanden sich in Richtigkeit, und der ehemalige Schulmeister von Sarzana empfing die Huldigungen seiner Kollegen als Nikolaus V. Prospero Colonna verkündigte die Wahl dem Volk; dies hielt ihn irrig selbst für den Papst. Die colonnische Partei jubelte, die orsinische bewaffnete sich voll Furcht. Die Wahl Prosperos hätte Rom unfehlbar in die alte Parteiwut zurückgestürzt; die Wahl eines gleichgültigen Papsts beruhigte die Stadt. Nach altem Gebrauch plünderte man sofort, erst den Palast Prosperos, darauf auch den des Kardinals von Capua, endlich den des wirklichen Papstes, wo indes wenig Beute zu machen war.

Die Römer betrachteten voll Verwunderung die Gestalt des kleinen, dürren und blassen Magisters mit dem häßlichen vorstehenden Munde und den schwarzen blitzenden Augen, wie er jetzt aus dem Konklave, geführt von den Gesandten Deutschlands und anderer Mächte, auf einem weißen Zelter nach dem St. Peter ritt. Aber bald fanden sie Gelegenheit, seine Tugenden in den Himmel zu erheben.

Thomas Parentucelli war der Sohn eines Chirurgen aus Sarzana und am 15. November 1397 geboren. Frühe seines Vaters beraubt, studierte er in Lucca und Bologna; er schulmeisterte dann in den Häusern der Strozzi und Albizzi zu Florenz, ging wieder nach Bologna und erwarb die Gunst des dortigen Bischofs und späteren Kardinals Nicolaus Albergati. Er blieb dessen Hausmeister zwanzig Jahre lang und begleitete ihn auch nach Florenz, als die Kurie dort ihren Sitz hatte. Er trat in die innigste Verbindung mit den literarischen Kreisen dieser Stadt, deren Mäzen der große Cosimo Medici war. Ohne Genie zu besitzen, glänzte Parentucelli durch lebhaften Geist, Redefertigkeit und ein so starkes Gedächtnis, daß er ganze Werke von Dichtern, Gelehrten und Philosophen sich eingeprägt hatte. Piccolomini sagte von ihm: »Was ihm unbekannt ist, liegt außerhalb der menschlichen Wissenschaft«; und immerhin besaß dieser größte Bücherkenner seiner Zeit ein Wissen, welches fast den Umfang der damaligen Bildung umfaßte. Von Cosimo unterstützt, für den er die Bibliothek in S. Marco ordnete, sammelte und kopierte er Handschriften und Bücher. Als sein Gönner Albergati, den er auf seinen Legationen nach Deutschland, Frankreich und England und zum Basler Konzil begleitet hatte, im Jahre 1443 zu Siena starb, trat er in die Dienste Landrianis. Auch dieser Kardinal starb bald darauf, und jetzt stieg Parentucelli in der Kirche auf. Eugen machte ihn zum Vizekämmerer, dann im Jahre 1444 zum Bischof von Bologna; er übertrug ihm mit Carvajal die wichtige Legation in Deutschland zur Sprengung des Kurfürstenbundes. Als Kardinäle zogen beide Legaten im Dezember 1446 in Rom ein. Wenige Monate später hielt Parentucelli Eugen IV. die Leichenrede, und er selbst ward sein Nachfolger. Aus Pietät gegen Albergati nannte er sich Nikolaus V. Am 18. März 1447 wurde er geweiht und gekrönt.

Wenn früher Faktionen, kirchliche Richtungen oder politische Einflüsse Päpste geschaffen hatten, so schien es jetzt die Wissenschaft zu sein, welche der Welt den Papst gab. Der Humanismus stieg mit Nikolaus V. auf den Stuhl Petri, und die Zeitgenossen begrüßten darin eine neue Ära, worin Tugend und Weisheit zur Herrschaft kamen. Die Erhebung eines unscheinbaren Gelehrten zum Papst war ein Ereignis. »Es wird«, so sagte Nikolaus V. selbst zu seinem Freunde, dem Florentiner Buchhändler Vespasiano, »den Stolz vieler verwirren, daß ein Priester, der nur zum Glockenläuten gut war, Papst geworden ist, und hätte das wohl das Florentiner Volk geglaubt?« Die Studien über Bücher und Papier hatten ihn bleich und kränklich, doch nicht grämlich gemacht. Seine unansehliche Gestalt hatte nichts von der Würde Eugens; aber dieser vom Podagra geplagte Toskaner war voll von attischem Witz, leicht in Flammen, leicht besänftigt, Feind aller Zeremonien, jedem zugänglich, ein einfacher Mensch, der Verstellung unfähig.

Gesandte von Städten und Fürsten kamen, dem neuen Papst Glück zu wünschen. Er beantwortete ihre Reden mit der Meisterschaft eines Sophisten. Florenz schickte seine edelsten Männer, Piero Medici, den Sohn Cosimos, Giannozzo Manetti, Neri Caponi, Agnolo Acciajoli, die mit 120 Pferden ihren prachtvollen Einzug hielten. Nikolaus gab ihnen, als wären sie Gesandte einer Großmacht, feierliche Audienz, um so die Republik Florenz und Cosimo zu ehren. Die Rede des ihm längst befreundeten Manetti währte fünf Viertelstunden; der Papst schien dabei zu schlafen, aber er beantwortete das oratorische Kunststück so genau, als hätte er es selbst verfaßt gehabt. Die Beredsamkeit war damals, wo Cicero und Quintilian wieder auflebten, eine der wichtigsten Künste in Kirche und Staat; eine glänzende Rede konnte zum Ereignis werden; der Lebensbeschreiber Nikolaus V. behauptet sogar, daß seine Rede bei der Leichenfeier Eugens die Kardinäle bestimmte, ihn zum Papst zu wählen. Bald ging ein Ruf durch die Länder, Rom habe einen Mann zum Papst, der an Geist, Wissen und Liberalität nicht seinesgleichen finde, und in der Tat waren es diese Eigenschaften, welche Nikolaus V. das Entgegenkommen der Welt gewannen.

Er übernahm die Kirche unter günstigen Verhältnissen, die Union mit Deutschland hatte sein Vorgänger abgeschlossen, und auch der Kirchenstaat war seiner Herstellung nahegebracht. Voll vom Gefühle der päpstlichen Autorität, doch ohne Leidenschaft für rein kirchliche Angelegenheiten, nur darauf bedacht, sich für seine Pläne, Bücher zu sammeln und Rom umzubauen, freizumachen, beruhigte der humanistische Papst sein Gewissen, indem er die Gebrechen der Kirche umschleierte. Der Wiener Separatvertrag vom 17. Februar 1448 bestätigte die Verträge Eugens mit dem Kaiser, und diese erlangten als die Aschaffenburger Konkordate für das ganze Reich Gültigkeit, zum großen Nachteil der deutschen Kirche, in welcher die zugestandenen Reformen bald illusorisch wurden. Hierauf erlosch das Schisma. Felix V. legte am 7. April 1449 seine Tiara nieder: der letzte Gegenpapst, vertragsmäßig mit der Würde eines Titularkardinals von Santa Sabina getröstet, starb zu Genf am 7. Januar 1451 und hinterließ der Welt eins der merkwürdigsten Beispiele der Verwandlungen, welche Glück oder Torheit an Sterblichen vollziehen. Das schattenhafte Konzil leistete zu Lausanne Obedienz und löste sich daselbst auf am 25. April 1449. Achtzehn Jahre lang hatte es, erst mit mächtigem Geist für die Reform der Kirche gekämpft, erst die Papstgewalt bezwungen, dann die Welt durch ein Schisma abgestoßen, dann mit schwächeren Waffen den Kampf fortgeführt, bis es der Geschicklichkeit römischer Legaten, der Selbstsucht Friedrichs III. und der Gleichgültigkeit einer noch nicht hinlänglich gereiften Zeit erlag. Aleman, der tragische Held dieses Konzils, starb, vom Schmerz zerbrochen, auf seinem Bischofssitze zu Arles am 16. September 1450, als ein Heiliger verehrt.

So sah Nikolaus V. die düstersten Wolken zerstreut, die sich über dem Vatikan gesammelt hatten. Die furchtbare Macht der Reformation, welche seit den Tagen in Pisa und Konstanz sich gegen die gregorianische Papstkirche erhoben, war noch einmal zurückgedrängt worden, und das Papsttum, ganz verblendet durch diesen Erfolg, im Bewußtsein seiner Größe schwelgend, trieb der Umwandlung entgegen, zu welcher es der Verlust seiner höheren Aufgaben, die politische Lage Italiens und seine eigene Herstellung drängten. Es verwandelte sich in eine italienische Großmacht. Es trat in seine glänzendste Epoche als weltlich-geistliches Fürstentum, in seine dunkelste als christliches Priestertum.

In Rom kam Nikolaus V. alles mit Freundlichkeit entgegen. Der Stadt gab er ein Privilegium, wodurch ihre Selbstverwaltung gesichert wurde: nur römischen Bürgern sollten die Magistrate und die Stadtpfründen gegeben, nur zum Nutzen Roms die städtischen Zölle verwendet werden. Eine geordnete Verwaltung im ganzen Kirchenstaat durchzuführen, war das Bemühen des Papsts, und dies wurde bald durch Erfolg belohnt. Er fand die apostolische Kammer tief verschuldet, deshalb suchte er das Steuersystem neu zu ordnen. Aus Dankbarkeit machte er Cosimo von Florenz zu seinem Schatzhalter.

Die Barone gewann er durch Milde. Er erlaubte den Wiederaufbau Palestrinas: diese Stadt erhob sich mit ihrer Kathedrale, ihrer Burg und dem Herrenhause langsam aus dem Schutt. Nikolaus verzieh auch Porcaro seine Reden auf dem Kapitol und ehrte bald die Talente des Demagogen durch Beförderung. Mit gleicher Großmut behandelte er Valla, den geistvollen Verächter des Priestertums; er berief ihn aus dem Exil nach Rom, wo er den großen Latinisten als Scriptor in die Kurie zog.

Nikolaus entwaffnete noch größere Feinde. Ein mildes Wort brachte Bologna zur Kirche zurück; dort hatte er lange gelebt und das Bistum der Stadt verwaltet. Sie anerkannte das päpstliche Regiment am 24. August 1447, aber sie blieb autonom unter der Regierung eines Rats von Sechzehn-Herren, während der päpstliche Legat eine nur beschränkte Stimme bei der Besetzung der städtischen Ämter erhielt. Das Haus der Bentivogli behauptete sich dort in der Signorie, auch nachdem Annibale im Juni 1445 von der Gegenpartei der Canedoli ermordet worden war; denn die Bolognesen holten den jungen Wollarbeiter Santi aus Florenz, welcher als Bastard des Ercole Bentivoglio galt, und machten ihn zum Vormund des Sohnes Annibales wie zum Rector ihrer Stadt, was sie nicht zu bereuen hatten. Die Regierung Santis war wider alles Erwarten eine vortreffliche.

Um dieselbe Zeit wurde auch der lange Kampf mit Sforza beigelegt, da dieser große Kriegsmann in neue Verhältnisse eintrat. Sein von Venedig bedrängter Schwiegervater bewog ihn, wieder in seine Dienste zu treten: er verkaufte dem Papst, um Truppen werben zu können, Jesi, seine letzte Stadt in der Romagna, und brach am Anfange des August 1447 von Pesaro nach der Lombardei auf. Da starb am 13. desselben Monats Filippo Maria, der letzte Visconti. Noch im Tode von Neid gequält, hatte er nicht seinen Schwiegersohn, sondern Alfonso von Neapel zum Erben eingesetzt. So behauptete wenigstens die Partei der Bracceschi in Mailand, welche jenem Könige anhing, und es ist ganz im Geiste Viscontis, wenn man ihm zutraut, er habe sich mit dem Gedanken getröstet, daß nach seinem Tode chaotische Verwirrung über Mailand hereinbrechen werde.

Wenn das deutsche Kaisertum noch in Kraft gewesen wäre, so würde es jetzt seine Rechte auf dies Reichslehen beansprucht haben. Frankreich warf längst verlangende Blicke nach dem Polande; es konnte einen Prätendenten aufstellen, den Sohn der Valentina Visconti und des Louis von Orléans, den Herzog Karl. Venedig aber rüstete sich, über das herrenlose Nachbarland herzufallen; und endlich sah Francesco Sforza, der Gemahl der einzigen Tochter des letzten Visconti, sein höchstes Ziel nahe vor Augen. Die Kraft und die Kunst, womit er dies erlangte, waren gleich bewundernswert. Nach dem Tode des Tyrannen erklärte die Bürgerschaft Mailands, daß die Monarchie als eine scheußliche Pest zu betrachten sei. Das Herzogtum zerfiel: alle Städte setzten Volksregierungen ein, schlossen sich entweder der Mailänder Republik an oder machten sich selbständig. Leider kam die Idee einer norditalischen Eidgenossenschaft nicht zur Ausführung. Als sich nun die Venetianer Lodis und Piacenzas bemächtigten, boten die Mailänder dem Grafen Sforza, welcher nur Cremona besaß, die Feldhauptmannschaft im Dienst ihrer Republik. Er ergriff sie begierig; jetzt war er rechtmäßig der General Mailands, aber in Wirklichkeit der Prätendent der Herzogskrone. Pavia ergab sich ihm, Piacenza nahm er mit Sturm. Er schlug die Venetianer am 15. September 1448 bei Caravaggio und erzwang von ihnen ein Bündnis mit der Verpflichtung, ihm zum Besitze Mailands zu verhelfen. Sie brachen den Bund und halfen den Mailändern, welche gegen den verräterischen Feldhauptmann ihre schwankenden Truppen unter Carlo Gonzaga und den Söhnen Piccininos ausschickten. Anarchie brach in der Stadt aus, als sie Sforza belagerte. Mailand, welches einst als Republik so machtvoll gewesen war, hatte lange Tyrannei zur Freiheit unfähig gemacht. Nachdem es zwei und ein halbes Jahr unter Sturm und Not das Schattenbild der alten Unabhängigkeit verteidigt hatte, sank es für immer in die Sklaverei zurück. Zum Herzog ausgerufen, zog Sforza, erst allein am 26. Februar 1450, dann am 25. März mit Bianca Visconti in den Palast seines Schwiegervaters ein. Dieser Tag gab ihm den Herkuleslohn eines heroischen Kriegerlebens voll Kampf mit allen Mächten Italiens, seit ihn sein Vater zuerst ins Waffenhandwerk eingeweiht hatte. Sforza wurde vom Volksgedränge mitsamt seinem Pferde fortgetragen; er brachte zu Roß als ein Held in dem herrlichen Dom seinen Dank dem Himmel dar. So stieg ein Condottiere auf einen Fürstenthron. Der Sohn des Bauern von Cotignola ward Stifter einer neuen Dynastie. Sie glänzt nur durch seinen Namen; minder glücklich, minder dauernd als jene der Visconti und von gleicher Frevelschuld voll, fand sie nach sechzig Jahren einen ruhmlosen Untergang.


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