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1. Unkultur Roms im XII. Jahrhundert. Das justinianische Recht. Das kanonische Recht. Die Sammlung des Albinus. Der Liber Censuum des Cencius. Die Fortsetzungen des Buchs der Päpste. Mangel an römischen Geschichtschreibern. Die Beschreibung des St. Peter von Mallius, des Lateran von Johann Diaconus.
Das geistige Leben Roms blieb auch während des ganzen XII. Jahrhunderts halb barbarisch wie zuvor; die fortgesetzten Kämpfe der Kirche mit den Kaisern oder dem römischen Volk und ein fast beständiges Exil der Päpste während der heftigsten Revolutionen in der Stadt erklären diese Tatsache zur Genüge.
Ausgezeichnete Männer saßen im XII. Jahrhundert auf dem Heiligen Stuhl, doch unter den sechzehn Päpsten, welche jenes ausfüllten, waren nur vier, und nicht die größten, Römer von Geburt. Mehrere von ihnen hatten ihre Bildung im Auslande, namentlich in Frankreich erhalten, wo Paris in der Zeit Abälards die hohe Schule der Dialektik und Theologie geworden war. Wir haben die genaue Verbindung Roms mit Frankreich schon seit dem Franzosen Urban II. bemerkt. Wenn früher der Orden von Cluny sie vermittelte, so machte im XII. Jahrhundert die große Reorganisation des Mönchtums unter Bernhard von Clairvaux sie noch fester und dauernder. Politische wie kirchliche Verhältnisse verbündeten das Papsttum eng mit einem Lande, welches ihm fortdauernd ein gastliches Asyl bot. Ganz Italien überhaupt, Deutschland feindlich abgewendet, stand im geistigen Verkehr mit Frankreich, und es ist für diese Periode sehr bezeichnend, daß das größte damalige Genie der Italiener, der scholastische Theologe Petrus Lombardus, nicht allein in Paris lehrte, sondern dort auch als Bischof starb (1160).
Die einander feindlichen Einflüsse zweier berühmter Franzosen jener Zeit sahen wir in Rom wirken: ein Schüler St. Bernhards bestieg den Heiligen Stuhl; ein Schüler Abälards lieh der Stadt seine Begeisterung für neue politische Ideen. Wenn früher ein Kardinal klagte, daß Armut die Römer verhindere, fremde Schulen zu besuchen, woher sie in Unwissenheit blieben, so war dies schon in der ersten Hälfte des XII. Jahrhunderts anders geworden. Manche Söhne des Adels gingen nach Paris, um zu studieren. In Rom selbst förderte weder die Anwesenheit des gelehrten Bernhard, noch die Stiftung seines Klosters ad aquas Salvias, noch die französische Bildung mehrerer Päpste die Wissenschaft. Die Akten der Konzile und alle sonstigen Berichte zeigen in diesem ganzen Jahrhundert nichts, was für die Pflege der Literatur ausdrücklich geschehen wäre; denn eine löbliche Verordnung Alexanders III. vom Jahre 1179, an jeder Kathedralkirche unentgeltliche Schulen für Geistliche und arme Schüler einzurichten, ist nur allgemeiner Natur.
Calixt II. fand Rom in einer Verwilderung, die seine Verzweiflung erregen mußte. Andere gebildete Päpste wurden durch die Kürze ihrer Regierung oder ihren Kampf mit der Kommune an jeder dauernden Sorge für geistige Bildungsanstalten gehindert. Seit den Reformpäpsten umgab sich der Heilige Stuhl mit den besten Kräften der Kirche, und das Kardinalkollegium zählte immer Männer unter sich, die durch theologisches Wissen hervorragten; doch diese gehörten selten Rom an. Kein Talent von Bedeutung hat die Stadt in keinem Fache der Kultur während des XII. Jahrhunderts erzeugt, und keine Schule von Ruf hat dort geblüht.
Jenes Zeitalter ist durch das Wiederaufleben der römischen Rechtskunde merkwürdig. Es ist freilich nur eine Fabel, daß die Pisaner den einzigen in Italien erhaltenen Codex der Pandekten im Jahre 1135 in Amalfi erbeuteten und daß dieser Fund die Renaissance der Rechtswissenschaft veranlaßt hat. Die Kenntnis der Gesetze Justinians war in Italien niemals verschwunden. Seit dem XI., vollends im XII. Jahrhundert erwachte aber das Studium des Rechts zu neuer Kraft. Wir sahen den Kaiser wie die Republiken sich auf die Gesetze Justinians berufen, um ihre Ansprüche zu begründen. Die italienische Munizipalverfassung verleugnete ihre historische Entstehung, um ihre Ursprünge im römischen Recht zu suchen. Man sollte glauben, daß Rom der naturgemäße Boden für die Pflege dieser Wissenschaft hätte sein müssen, denn gerade hier war das justinianische Recht niemals durch germanische Invasion ausgelöscht worden. Seit der Konstitution Lothars vom Jahre 824 und dann seit den Ottonen minderten sich die fremden Nationalrechte in der Stadt, bis unter Kaiser Konrad das römische Recht das allein herrschende wurde. Der Iudex Romanus hieß so von diesem, und fortwährend mußte dasselbe in Schulen gelehrt werden. Dies geschah nach Kompendien seit alter Zeit. Wenn nun andere Städte Italiens mit Eifer das Studium der justinianischen Gesetze förderten, hatte dann der auf dem Kapitol wiederhergestellte Senat nicht um so mehr Veranlassung dazu? Sollte nicht in der Zeit Arnolds gerade diese Disziplin einen Aufschwung genommen haben? Die Senatoren, welche an Konrad schrieben, zeigten sich auch mit den alten Rechtsbegriffen wohl vertraut. Ebenso bewiesen die Mönche der Abtei Grottaferrata ihre Kenntnis des justinianischen Rechts, als sie im Jahre 1140 gegen das Grafenhaus von Tusculum beim Papst Klage erhoben. Es ist daher unmöglich zu denken, daß es in Rom nicht gelehrte Glossatoren auch der Pandekten gegeben habe. Allein eine große Schule des Rechts ist hier nicht entstanden. Diesen Ruhm erwarb sich die schon im XII. Jahrhundert von Friedrich I. gepflegte Universität Bologna, wo gefeierte Rechtslehrer wie Irnerius, Bulgarus, Martinus, Jacopus und Hugo Schüler aus allen Ländern an sich zogen und eine neue Wissenschaft begründeten.
Die sehr bestimmte Scheidung der Stadt in zwei Rechtskörper, den zivilen und kanonischen, könnte bei dem großen Übergewicht der kirchlichen Elemente die Unbedeutsamkeit der römischen Juristenschule erklären, aber selbst das kanonische Recht wurde vorzugsweise in Bologna gelehrt. Hier hatte Gratianus, ein Toskaner, um 1140 die bisher vollständigste Sammlung von Kirchengesetzen angelegt. Dies berühmte Gesetzbuch des Mittelalters steht heute, wo die Kritik die in ihm enthaltenen Erdichtungen längst entlarvt hat, als der Rechtskoloß der Barbarei und Finsternis da, in welche die Menschheit so lange Jahrhunderte gebannt lag. Es verfälschte die Rechtsbegriffe von Kirche und Staat, nur um dem Papsttum die Herrschaft der Welt zu sichern.
Sammlungen anderer Art sind wichtig für die Kenntnis des zivilen Haushalts der Kirche jener Zeit. Gerade damals wurde das Bedürfnis lebhaft gefühlt, alles festzustellen, was zu den Regalen des Heiligen Stuhls gehörte, welche von so vielen Seiten her bestritten wurden. Die Päpste ließen alle Urkunden sammeln, die sich auf ihr Dominium Temporale seit seiner Stiftung bezogen. Die Archive des Lateran, ältere und neuere Sammlungen gaben sie freilich nur lückenhaft her, denn viele waren verschwunden, andere gefälscht. Von den ältesten Verwaltungsregistern der Kirchendomänen vor Pippins Zeit hat sich nichts erhalten. Wir bemerkten die erste derartige Sammlung des Kardinals Deusdedit; als nun wegen des Streits um das mathildische Erbe und der Ansprüche der Stadt Rom auf die Regale St. Peters das Papsttum seinen Besitz in Gefahr sah, sammelte man in größerem Umfang die urkundlichen Belege der Rechte des Heiligen Stuhls. Dies geschah zuerst unter Lucius III. durch einen Kleriker Albinus.
Seine umfassende Arbeit wurde im Jahre 1192 von Cencius aufgenommen, einem Römer vom Geschlecht der Savelli, Kämmerer unter Clemens III. und Cölestin III. Der Zuname Camerarius dieses Mannes, welcher nachmals Papst Honorius III. wurde, lehrt, daß die päpstliche Finanzverwaltung bereits von dem Vorstande der apostolischen Kammer unter diesem Titel geleitet wurde. Cencius trug das Rentenbuch der Kirche zusammen, worin alle Einkünfte der lateranischen Kammer aus allen Provinzen vermerkt sind. Der ältere Liber Censuum des Albinus beginnt daher mit dem »Provinciale« oder der geographischen Übersicht der Provinzen und Städte des ehemaligen Römischen Reichs. So war der Orbis Romanus der Notitia zum Orbis Ecclesiasticus geworden, und die geographischen Register des alten kaiserlichen Rom setzte der päpstliche Lateran fort.
Man bemerkt in dem Rentenbuch, daß der Zins auffallend gering war, aber die Menge der Tributpflichtigen machte die Summe groß. Die meisten Renten zog der Papst von Kirchen und Klöstern in aller Welt, die unter seinem Schutz und Rechte standen und dafür eine jährliche »Pension« zahlten, dann von Bischöfen, Fürsten, Herren, Kastellen, die unter verschiedenen Titeln pflichtig waren. Das große Register dieser direkten Abgaben ist daher im höchsten Maße lehrreich.
Außerdem enthält der Liber Censuum Pachtverträge vom VIII. Jahrhundert an; die Schenkungen und Privilegien seit den Karolingern; die Lehnseide der Normannen; Verträge mit Fürsten, Herren und Städten; Verträge der Päpste mit den Kaisern und der Stadt Rom; Schwurformeln von Bischöfen, Richtern, Senatoren, Burgvögten; den Ordo Romanus oder das Ritualbuch, die Aufzeichnung aller Zeremonien und Vorschriften, die auf Kirchenfeste, Wahl und Weihe der Päpste und Bischöfe, die Krönung der Kaiser und Könige Bezug haben; Stücke aus den Regesten der Päpste; eine Papstchronik; und selbst die Mirabilien oder die Beschreibung der Stadt Rom finden sich beim Benedikt, Albinus und Cencius aufgenommen.
So ist in diesen Arbeiten ein reiches Material oft schlecht kopiert und formlos aufgehäuft. Für die Geschichte der Stadt sind sie unschätzbar; denn weil die Regesten der Päpste jener Jahrhunderte untergingen und weil sich auch diese, wie die Briefe Gregors VII. zeigen, nur auf die geistlichen Angelegenheiten bezogen, so wäre ohne jene Sammlung das Verhältnis des Papsttums zum Kirchenstaat meist dunkel geblieben. Durch sie allein ist uns der Haushalt der Päpste, das Verwaltungs- und Lehnswesen und mancher andere praktische und historische Zustand deutlich gemacht. Die Sammlungen des Albinus und Cencius sind daher die bedeutendsten Grundlagen zu einem diplomatischen Codex über das Dominium Temporale der Päpste und deshalb von unzerstörbarem Wert.
Von eigentlicher Geschichtschreibung ist auch in diesem Jahrhundert in Rom nicht die Rede. Sie beschränkte sich auf die amtliche Fortführung der bekannten Kataloge der Päpste. Indes, so einseitig auch das Leben derselben im XII. Jahrhundert beschrieben worden ist, sind diese Arbeiten doch wegen ihrer amtlichen Natur kostbar genug; hie und da wurden sie von mithandelnden Männern der Kurie verfaßt. Die großen Begebenheiten erhöhten zuweilen den Geist dieser Historiographen, so daß sie die herkömmliche Weise der Kataloge verließen und ihrer Arbeit mehr Fülle gaben. Das Leben der Päpste von Victor III. bis auf Honorius II. verfaßten Petrus und Pandulf von Pisa, ihre Zeitgenossen. Sie erheben sich weit über alle ihre Vorgänger, die am Pontifikalbuch geschrieben haben; namentlich sind die Biographien Paschalis' II. und Gelasius' II. durch die Menge von Tatsachen ausgezeichnet, in der einfachen Kürze bisweilen völlig dramatisch und sehr anziehend, weil die Verfasser erlebt hatten, was sie schilderten.
Das Schisma Anaklets II. machte den Arbeiten jener Biographen ein Ende, denn beide ergriffen die Partei des Gegenpapsts. Die Fortsetzung des Papstbuches seit Innocenz II. nahm deshalb wieder den alten katalogischen Charakter an; und erst das Leben Hadrians IV. und die so wichtige Regierung Alexanders III., doch nur bis zum Frieden von Venedig, sind von einem kundigen Zeitgenossen ausführlicher dargestellt.
Die römische Geschichtschreibung hat auch im ganzen XII. Jahrhundert nichts mehr hervorgebracht als diese Bruchstücke einer so gewaltigen Zeit. Weder in Klöstern der Stadt noch ihres Gebiets wurde, mit Ausnahme von Fossa Nova und von Subiaco, damals irgendeine Chronik verfaßt; Gottfried von Viterbo, der die Taten Friedrichs in einem Gedicht besang und eine Weltchronik unter dem Titel Pantheon zusammensetzte, gehört jener Stadt an, doch ist seine Familienherkunft unbekannt. Es ist sehr zu beklagen, daß namentlich die Umwälzung Roms keinen Annalisten gefunden hat, während doch das übrige Italien bedeutende Geschichtswerke hervorzubringen vermochte, und diese waren zum Teil Arbeiten gebildeter Staatsmänner in den emporblühenden Städten. Der Richter Falco schrieb 1140 die Chronik von Benevent; der Konsul Caffaro verfaßte im Auftrage seines Staats die Annalen Genuas; Bernardo Marangone schrieb die älteste Chronik von Pisa; zwei Richter aus Lodi, Otto und Acerbus Morena, und der Mailänder Sir Raoul beschrieben die Taten Friedrichs; Hugo Falcando verfaßte ein kostbares Bruchstück der normannischen Geschichte Siziliens (von 1154–1169). Mit solchen Männern wetteiferte leider in Rom kein Laie noch Geistlicher.
Priester verfaßten dagegen Schriften urkundlicher Natur über einige Kirchen. Die uralten Basiliken der Stadt haben im Laufe der Zeit ihre Historiographen gefunden gleich wie Königreiche, und welche mußten mehr Reiz haben als der St. Peter und Lateran? Petrus Mallius, Domherr des St. Peter, machte eine Beschreibung dieser Basilika und widmete sie Alexander III. Eine genaue Schilderung dieses Tempels im XII. Jahrhundert würde sehr wertvoll sein, doch die Schrift des Mallius ist nur eine dürre Häufung von Notizen. Sie geht auf die Erbauung unter Constantin zurück und verweilt mit Vorliebe bei Karl und seiner Schenkung des Kirchenstaats. Urkundliche Begründung der Rechte seines Doms ist für Mallius die Hauptsache, und dies wie die Aufzählung von Bauten und Weihgeschenken entnahm er dem Liber Pontificalis und den Regesten der Päpste. Geschichtliches und Statistisches, Ritualien, Beschreibungen, die Aufzählung päpstlicher Grabmäler, deren Inschriften er uns bewahrt hat, setzen seine kleine Schrift zusammen, und auch in ihrer Unvollkommenheit ist sie als die erste selbständige Monographie über den St. Peter merkwürdig und lehrreich.
Ihr Seitenstück ist die älteste Beschreibung der Lateranischen Basilika von Johannes, einem Kanonikus dieser Kirche; er verfaßte sie gleichfalls auf Befehl Alexanders III. Sie ist für die Geschichte des Lateran, namentlich seit dem Neubau Sergius' III., von nicht geringem Wert.
Diese Monographien lehnen sich an eine zwiefache literarische Gattung jener Zeit, die Ordines Romani oder Ritualbücher der Kirche und die Mirabilien. Mallius nahm von beiden einige Stücke auf. So beschreibt er nach ihnen den Vatikanischen Borgo und das Grabmal Hadrians. »In der Naumachie steht neben S. Maria in Transpontina das Grabmal des Romulus, welches Meta heißt; es war mit wundervollem Stein getäfelt, woraus das Treppenwerk des St. Peter gemacht worden ist. Es hatte um sich ein Travertinpflaster von zwanzig Fuß mit einer Kloake und seinem Blumengarten. Es hatte auch in seiner Nähe den Terebinthus des Nero von solcher Höhe, wie das Kastell des Kaisers Hadrian hoch ist, mit wundervollem Stein getäfelt. Dies Gebäude war rund mit zwei Kreisen wie das Kastell, ihre Ränder waren mit steinernen Tafeln gedeckt, die statt der Dachtraufen dienten. Neben diesem Bau war der Apostel Petrus gekreuzigt worden.«
»Dort ist auch das Kastell, welches die Memoria des Kaisers Hadrian war, wie in der Predigt des heiligen Papsts Leo vom Fest St. Petrus zu lesen ist, wo er sagt: die Memoria des Kaisers Hadrian. Es ist ein Tempel von wunderbarer Größe, ganz mit Steinen bekleidet und mit verschiedenen Historien geschmückt; ringsum mit ehernen Schranken umgeben, mit großen Pfauen und einem ehernen Stier; zu diesen Pfauen gehörten zwei von jenen, die jetzt im Brunnen des Paradieses stehen. An den vier Ecken des Tempels waren vier vergoldete Pferde von Erz; an jeder Fronte eherne Tore; mitten im Rundkreise stand das porphyrne Grabmal, welches jetzt im Lateran sich befindet und worin der Papst Innocenz II. begraben liegt. Sein Deckel ist im Paradies des St. Peter über dem Grabmal des Präfekten« (nämlich des Cinthius, des Freundes Gregors VII.).
Mallius entlehnte diese phantastische Beschreibung mit sehr geringer Veränderung aus den Mirabilien selbst.