Ferdinand Gregorovius
Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter
Ferdinand Gregorovius

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2. Der Papst Vigilius wird nach Byzanz berufen. Die Goten fangen die sizilische Getreideflotte auf. Not in Rom. Der Diaconus Pelagius geht als Gesandter in das Gotenlager. Verzweifelter Notschrei der Römer vor Bessas. Entsetzliche Zustände in der Stadt. Belisar kommt nach Portus. Verunglückter Versuch, Rom zu entsetzen. Totila zieht in Rom ein, 17. Dezember 546. Anblick der öden Stadt. Plünderung. Rusticiana. Milde Totilas.

Damals war der Papst Vigilius nicht in der Stadt. Nachdem sein Vorgänger Silverius auf sein ränkevolles Betreiben mit Zustimmung Belisars auf die Insel Palmaria gebracht und dort verhungert war, hatte nicht nur die Kirche, sondern auch Justinian diesen ruchlosen Vigilius als Papst anerkannt. Er war hierauf mit der Kaiserin Theodora in Zwist geraten, weil er die Beschlüsse des Papsts Agapitus gegen Anthimus und die Sekte der Akephaler aufzuheben sich weigerte, und endlich hatte die von Justinian befohlene Verdammung einiger Lehrsätze des Origenes zu dem Drei-Kapitel-Streit Veranlassung gegeben. Vigilius wurde nach Konstantinopel berufen und reiste dorthin im November 545, gewaltsam aus der Kirche St. Caecilia aufs Schiff gebracht und von den Römern mit Haß und Verwünschungen begleitet.

Er hielt sich lange in Sizilien auf, wo er sich noch befand, als Totila Rom belagerte. Von den großen Patrimonien, welche die römische Kirche auf der Insel besaß, schickte er Getreide nach dem Tiberhafen. Die Goten wußten darum; sie legten sich an der Mündung des Flusses ins Versteck. Die Griechen, welche sie vom Kastell beobachtet hatten, gaben, als die Proviantflotte einlaufen wollte, um nach Portus zu rudern, den Matrosen durch Schwenken ihrer Mäntel Zeichen, umzukehren; man hielt das auf den Schiffen für Winke, sich zu nähern, und die ganze Getreideflotte Siziliens fiel in die Hände der Goten. Mit ihr waren auch viele Römer und Valentin, welchen der Papst in Sizilien zum Bischof von Silva Candida ernannt und als seinen Vikar nach Rom geschickt hatte. Vor Totila gebracht und ausgefragt, beschuldigten ihn die Goten der Lüge, und der Unglückliche wurde mit dem Verlust beider Hände gestraft. Diesen Fang machten die Belagerer, nach der Berechnung des Procopius, am Ende des elften Jahres des Kriegs, also im Frühling 546.

Die Hungersnot in der Stadt erreichte jetzt einen nicht mehr erträglichen Grad. In ihrer Verzweiflung wandten sich die Römer an den Diaconus Pelagius, einen hochangesehenen Mann, der kurz vorher aus Byzanz, wo er Nuntius des Vigilius gewesen, zurückgekehrt war und sein großes Vermögen unter das Volk verteilt hatte. Er versah während der Abwesenheit des Papstes dessen Stelle und übernahm bereitwillig die Gesandtschaft ins Lager Totilas, um vom Könige eine Frist zu verlangen, nach deren Verlauf die Stadt sich zu ergeben versprach, wenn sie keinen Entsatz erhielt. Pelagius konnte sich bei dieser schwierigen Mission des Papstes Leo erinnern, der einst auf derselben Straße nach Portus hinausgegangen war, um das Erbarmen des Vandalenkönigs anzurufen. Der Gotenkönig empfing den würdigen Gesandten mit Auszeichnung, aber er ersparte ihm vorweg weitläufige Reden, indem er erklärte, alles bewilligen zu wollen außer drei Dingen: keine Fürsprache werde er anhören weder für die Sizilianer, noch für die Mauern Roms, noch für die Zurückgabe übergelaufener Sklaven. Denn Sizilien habe zuerst verräterisch die Griechen aufgenommen; die Mauern Roms verhinderten eine offene Feldschlacht und zwängen die Goten die Anstrengung, die Römer die Not der Belagerung zu leiden; endlich dürfe die den Sklaven der Stadt zugesagte Treue nicht gebrochen werden. Pelagius wandte sich seufzend um und kehrte nach Rom zurück.

Die Römer versammelten sich mit Geschrei; ihre Abgeordneten begaben sich nach dem verödeten Palatin, und sie sagten den griechischen Befehlshabern mit Worten, welchen der Hunger eine schreckliche Beredsamkeit verlieh: »Die Römer flehen euch an, sie nicht als Freunde gleichen Stammes noch als Mitbürger gleicher Gesetze, sondern als besiegte Feinde und Kriegssklaven zu behandeln. Gebt denn euren Gefangenen Brot! wir sagen nicht Ernährung; nein, nur die notdürftigsten Brocken, daß wir unser Leben zu eurem Dienste fristen können, wie es Sklaven geziemt. Dünkt euch dies zuviel, so erlaubt uns, frei auszuziehen, damit ihr euch die Mühe erspart, eure Knechte zu begraben; und ist auch dieses Begehren noch zu viel, wohlan! so gebt uns aus Erbarmen allengesamt den Tod!« Bessas antwortete: Nahrungsmittel habe er nicht für sie; sie fortzulassen sei gefährlich; sie zu töten aber gottlos; Belisar nahe zum Entsatz heran. Und er entließ die ohnmächtigen Redner zu dem verhungerten Volk, welches draußen mit Gier und Stumpfsinn ihrer harrte.

Es erhob sich keine Hand, den Elenden niederzustoßen. Bessas und Konon, von gemeiner Habsucht beherrscht, zogen die Belagerung in die Länge, um aus dem Hunger des Volkes Gold zu prägen. Sie wucherten schamlos mit dem Getreide in den Speichern, und selbst die griechischen Soldaten entzogen den Anteil ihrem Munde, um ihn in Geld zu verwandeln. Denn die reichen Römer zahlten für einen Medimnus oder kleinen Scheffel Korn sieben Goldstücke, und wer nicht vermögend war, Getreide zu kaufen, hielt sich hochbeglückt, wenn er ein gleiches Maß von Kleienmehl um 1¾ Goldstücke erstand. Fünfzig Golddenare gab man mit Freuden für ein Rind, wenn dies aufgetrieben wurde. In der Stadt war nichts als Wucher, welcher verkaufte, und Hunger, der kaufte und verschlang. Als die Goldstücke hingegeben waren, sah man die edlen Römer ihr kostbarstes Hausgeräte zu Markte tragen und in Korn verwandeln, während die Armen an den Mauern oder an den Ruinen der Säulenhallen, wo einst die Kaiser ihre trägen Vorfahren reichlich gefüttert hatten, das Kraut ausrauften, sich den Magen zu füllen. Endlich ging das Korn aus bis auf den kleinen Vorrat, welchen Bessas für sich selbst aufbewahrt hatte, und Reiche wie Arme machten sich mit gleich großer Gier an Gras und Nesseln, welche sie kochten und verschlangen. Man konnte Römer, hohläugigen Gespenstern ähnlich, auf den öden Plätzen der Stadt umhertaumeln und, die Nesseln noch im Munde, plötzlich tot niederstürzen sehen. Auch die Natur versagte zuletzt das bittere und gemeine Gras; und so endeten viele ihre Pein durch freiwilligen Tod. Unter den schrecklichen Auftritten jener Tage hat Procopius nur einen einzigen Fall bemerkt, der nicht minder erschütternd ist als die Szene aus dem Hungerturm des Ugolino. Es war ein Vater von fünf Kindern; von ihnen, die sich nach Brot schreiend an sein Kleid hefteten, bedrängt, ließ er keinen Seufzer hören, sondern er befahl ihnen ruhig; ihm zu folgen. Wie er an die Tiberbrücke kam, verhüllte er als ein echter Römer sein Antlitz in sein Gewand und stürzte sich dann kopfüber in den Fluß, während seine Kinder und die Römer ihm mit Stumpfsinn zusahen.

Endlich gaben die Befehlshaber die Erlaubnis, aus der Stadt zu gehen, für eine noch zuletzt erpreßte Summe Geldes, und so leerte sich Rom; aber die elenden Flüchtlinge, welche draußen Nahrung suchen gingen, raffte die Anstrengung des Weges haufenweise hin, und nach griechischem Bericht auch das Schwert der Feinde, eine Grausamkeit, von der wir jedoch die Goten freizusprechen Grund haben. »So weit hatte das Schicksal«, ruft Procopius aus, »Senat und Volk der Römer herabgebracht!«

Die Ankunft Belisars im Tiberhafen schien den Dingen plötzlich eine andere Wendung geben zu wollen. Er war von Hydruntum abgesegelt, hatte nur die Mannschaft Isaaks mit sich genommen und dem General Johannes befohlen, durch Kalabrien zu marschieren und die Appische Straße zu gewinnen; er selber wollte ihn in Portus erwarten und zusehen, ob er mit den wenigen Truppen Rom entsetzen könne. Es war die höchste Zeit. Als er im Tiberhafen anlangte, fand er, daß die Goten zwischen diesen und Rom ein Hindernis geworfen hatten, welches zu überwinden notwendig, aber schwierig war. Neunzig Stadien unterhalb der Stadt hatte Totila den Fluß durch eine Brücke aus gewaltigen Baumstämmen überquert und hüben und drüben zwei hölzerne Türme aufgerichtet. Kein Schiff mochte dies Bollwerk sprengen, dem es sich nur dann erst nähern konnte, sobald eine eiserne Kette durchrissen war.

Belisar mußte diese Brücke zerstören, wenn er Truppen und Getreide in die Stadt bringen wollte. Er wartete noch einige Zeit auf die Ankunft des Johannes, aber diesem kühnen General hatten die Goten in Capua den Weg verlegt. Er forderte Bessas in der Stadt auf, einen gemeinschaftlichen Angriff auf das gotische Lager zu machen, aber der Befehlshaber regte sich nicht, und die Besatzung lag starr und müßig auf den Wällen Roms. Nun beschloß Belisar, seinem Genie zu vertrauen. Auf jede Weise wollte er versuchen, die Getreideschiffe in die Stadt zu bringen, und sein Plan war kühn und großartig. Zweihundert Dromonen oder Lastschiffe belud er mit dem Proviant und machte ein jedes zugleich zu einer schwimmenden Burg; denn ihren Bord umgab er mit Planken, in welche Schießscharten eingeschnitten waren. Indem er sie auf dem Strom in Reihen ordnete, sollte ihr Zug von einer schwimmenden riesigen Brandmaschine angeführt werden. Sie bestand aus einem hölzernen Turm, der auf zwei verbundenen Flößen ruhte, die feindlichen Brückentürme an Höhe überragte und oben eine bewegliche, mit Brennstoffen angefüllte Barke trug.

Am Tage des Unternehmens übertrug Belisar dem General Isaak das Kastell Portus und die Sicherheit seines Weibes und gab ihm den Befehl, die Hafenstadt nicht zu verlassen, sollte er selbst hören, daß er in größter Not oder gar gefallen sei. Zugleich stellte er an beiden Mündungen des Flusses Truppen in Verschanzungen auf und befahl dem Fußvolk, auf dem portuensischen Ufer die Transportschiffe zu begleiten.

Er selbst stieg in die erste Dromone und gab das Zeichen, sich in Bewegung zu setzen. Die Ruderer arbeiteten gegen den Niederfluß des Tiber auf zwanzig Schiffen mit gewaltiger Anstrengung, und man zog vom Ufer her die Brandmaschine langsam vorwärts. Die gotische Wache an der eisernen Kette wurde überwältigt, die Kette selbst durchbrochen, und mit verdoppelter Gewalt ruderte man gegen die Brücke. Das Brandschiff legte sich an den einen der Türme, schüttete den Feuerkahn von oben her aus und setzte jenen in Flammen. Zweihundert Goten und ihr Hauptmann Osdas kamen kläglich um. Ein wütender Kampf entspann sich jetzt um die Brücke selbst, gegen welche die Dromonen andrängten, während das Fußvolk sie vom Ufer bestürmte und die aus ihrem Lager herbeigeeilten Goten sie verteidigten. Das Schicksal Roms hing von wenigen Augenblicken ab, und vielleicht wäre es schnell entschieden worden, wenn Bessas aus der Stadt einen Ausfall gemacht hätte.

Wie der Kampf um die Brücke unentschieden hin- und herwogte, brachte ein Bote die Nachricht nach Portus, die Kette sei gesprengt und jene genommen. Voll Begier, am Ruhm des Sieges teilzuhaben, vergaß jetzt Isaak die Befehle Belisars: er setzte nach Ostia über, raffte einen Haufen Reiter zusammen und sprengte gegen das Lager der Feinde auf jener Seite. Im ersten Anlauf überrannte er diese, nahm ihre Schanzen und machte sich ans Plündern. Aber die Goten kehrten zurück, warfen die Eingedrungenen wieder heraus und nahmen den tollkühnen General gefangen. Zum Unglück ereilte das Gerücht von Isaaks Gefangenschaft Belisar noch während des Kampfes um die Brücke. In seiner Bestürzung vernahm er den wahren Zusammenhang nicht, sondern glaubte, Portus selbst, seine Kassen, sein Weib, alle Mittel des Kriegs seien in die Hände des Feindes gefallen. Er ließ sofort zum Rückzuge blasen und Schiffe wie Truppen in Eile auf Portus zurückziehen, um den Hafen wiederzuerobern. Als er dort ankam, erstaunte er, keinen Feind, sondern seine eigenen sorgsamen Wachen auf den Zinnen des Kastells zu sehen; sein Schmerz um diese Verblendung war so groß, daß er in ein hitziges Fieber fiel, und man seinen Tod erwartete.

So war der Entsatz gescheitert, und Belisar vermochte nicht, den Ruhm seiner ersten Verteidigung Roms durch eine zweite zu verdoppeln. Tiefe Ruhe trat ein; in Portus lag Belisar krank; die Lager der Goten blieben still; die verteidigungslose Stadt ein zugesperrtes Grab. Die Mauern Aurelians, welche die ungeheure Öde, aus der das Volk entwichen war, umschlossen, schienen allein noch Rom zu bewachen. Auf den Zinnen kaum ein Posten, kaum hie und da Streifscharen, welche die Runde machten; wer schlafen wollte, schlief; kein Hauptmann störte ihn. In den Straßen nur wenige Hungergestalten; Bessas im Palast Gold aufhäufend, und Totila unentschlossen in seiner Schanze, das erhabene Rom anblickend, wo die blutigen Schatten seines Volks ihn vom Sturm auch jetzt noch abzuschrecken schienen.

Isaurische Wachtposten am Asinarischen Tor verrieten endlich Rom. Sie ließen sich mehrmals nachts an Stricken die Mauer herab, kamen ins gotische Lager und forderten den König auf, das Tor einzunehmen. Die Kundschaft eigener Krieger überwand das Mißtrauen Totilas. In einer Nacht ließen sich vier starke Goten auf die Zinnen hinaufziehen, sprangen in die Stadt und öffneten das Asinarische Tor; hierauf zog das gotische Heer in aller Ruhe ein. Es war der 17. Dezember 546.

Aus Vorsicht hielt Totila sein Heer, da es noch finster war, auf dem Lateranischen Felde aufgestellt. Aber ein Tumult erscholl bereits in der Stadt, und der großmütige König ließ die ganze Nacht hindurch die Trompeten blasen, daß die Römer zur Flucht aus den Toren oder in die Kirchen Zeit fänden. Die griechische Besatzung entwich auf das erste Geschrei mit den Führern Bessas und Konon, und wer von den Senatoren noch ein Pferd besaß, folgte ihnen nach; darunter war Decius und vielleicht auch Basilius, der letzte Konsul des Reichs, während die Anicier Maximus und Olybrius, Orestes und andere Patrizier im St. Peter Schutz suchten. Was sich in die Kirchen zu schleppen Kraft fand, tat es. Als nun die Goten am hellen Morgen durch die Straßen Roms zogen, empfing sie die grauenvolle Stille einer menschenöden Wüste. Procopius sagt ausdrücklich, in der ganzen Stadt seien nur 500 vom Volk zurückgeblieben, welche mit Mühe in die Tempel flohen, da alle übrigen entweder schon vorher aus Rom entwichen oder durch Hunger umgekommen waren. Dies erscheint kaum glaublich; die Zahl 500 ist vielleicht mit 10 zu vervielfältigen, aber die Angabe jenes Zeitgenossen beweist immer, auch wenn sie übertrieben ist, wie grenzenlos die Verödung Roms geworden war.

Als die Goten endlich die Straßen dieser eroberten Stadt durchzogen, um welche her ihr Volk in noch frischen Gräbern lag, hatten sie jede Veranlassung zu schonungsloser Rache; aber Rom war so leer, daß nicht einmal ihr Haß Nahrung fand, und in so namenloses Elend gesunken, daß es sich in einen Gegenstand des Mitleids auch für unmenschliche Barbaren hätte verwandeln müssen. Die Rachlust der Goten befriedigte sich damit, 26 griechische Soldaten und 60 Römer aus dem Volke niederzuhauen, und Totila eilte, sein erstes Dankgebet in Rom am Apostelgrabe darzubringen. Dem herrlichen Sieger trat auf den Stufen der Basilika der Diaconus Pelagius entgegen, das Evangelium in den Händen und mit dem Ruf: »Herr, schone der Deinen!« Totila sagte dem Priester: »Also kommst du, o Pelagius, doch als ein Flehender?« Und dieser antwortete ihm: »Gott hat mich zu deinem Knecht gemacht, und so schone du, o Herr, in der Folge deiner Knechte.« Der junge Held tröstete den Gedemütigten mit der Versicherung, daß die Goten das Leben der Römer schonen würden, aber er gab seinen Kriegern, welche dies begehrten, die unglückliche Stadt als Beute preis.

Rom erfuhr eine unblutige Plünderung, denn die verlassenen Häuser gaben ihr Eigentum willig her. Die Stadt war nicht mehr reich wie zur Zeit Alarichs, Geiserichs oder noch Ricimers; die ergrauten Paläste der alten Geschlechter standen zum Teil schon lange ausgestorben, und nur wenige schmückten noch Kunstwerke und kostbare Bibliotheken. Doch fand sich noch manche Beute in den Patrizierhäusern, und der Cäsarenpalast lieferte in die Hände des Gotenkönigs alle jene Haufen Goldes, welche Bessas dort zusammengescharrt hatte. So viele Edle noch in ihren Palästen zurückgeblieben waren, schonte man; sie alle hatten Anspruch auf das tiefste Mitleid, sah man sie in zerrissenen Sklavenkleidern von Haus zu Haus gehen und von ihren eigenen Feinden um Gottes willen einen Bissen Brot erbetteln. In so kläglicher Erscheinung zeigte man den Goten auch eine erlauchte Frau, die vor allen des Erbarmens wert war: Rusticiana, des Symmachus Tochter und die Witwe des Boëthius, hatte während der Belagerung ihre Habe zur Linderung der allgemeinen Not dahingegeben, und die edle Matrone durfte nicht erröten, wenn sie jetzt, ein Gegenstand für Tränen, als Bettlerin umherging, ihr schicksalvolles Leben noch kurze Zeit zu fristen. Die Goten zeigten sie einer dem andern, sagten sich mit Erbitterung, daß jenes Weib aus Rache um ihren Vater und Gatten die Standbilder Theoderichs habe umstürzen lassen, und sie verlangten den Tod der edlen Witwe. Aber Totila ehrte das Unglück der Tochter und Gemahlin so berühmter Männer, und weder ihr noch irgendeiner Römerin durfte ein Leid geschehen. So groß war seine Milde gegen alle ohne Unterschied, daß er die Bewunderung und Liebe selbst der Feinde genoß, und diese von ihm sagten, er habe mit den Römern wie ein Vater mit seinen Kindern gelebt.


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