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4. Italienische Poesie. Verdienste Bembos um die italienische Sprache. Molza. Tebaldeo. Bernardo Accolti. Beazzano. Vittoria Colonna. Veronika Gambara. Berni und die burleske Poesie. Pietro Aretino. Alemanni. Ruccellai. Ariosto. Trissino. Das Drama. Die Komödie. Die Calandra Bibienas. Versuche der Tragödie.
Klassizismus, Kunst ohne Natur, schöne sinnliche Form ohne Seele sind die Grundzüge der Renaissancepoesie der Italiener überhaupt, so daß sie auch ihre Dichtung in der Volkssprache beherrschen. Die Leidenschaft für das Lateinische hatte im XV. Jahrhundert das Leben der italienischen Sprache bedroht, doch wurde die Gefahr schon durch Lorenzo Medici, Poliziano und Pulci entfernt. Die lingua volgare war ein volltönendes Saitenspiel geworden, dessen melodischen Zauber eine bewußte Kunst regelte. Selbst Ciceronianer verschmähten es nicht mehr, italienisch zu dichten. Sogar ihr Haupt Bembo erwarb sich um die grammatische Durchbildung des Italienischen nicht geringe Verdienste. Er hatte auch für die aldinische Ausgabe Dantes im Jahr 1502 den Text besorgt, und so sehr erwachte der Stolz auf diesen Dichterheros wieder, daß zur Zeit Leos Florenz die Asche Dantes von Ravenna zurückfordern und in einem Denkmal beisetzen wollte. Wenn noch im Jahre 1530 Romolo Amaseo in einer Rede vor Karl V. zu Bologna das Italienische als Pöbelsprache betrachtete, so war dies nur noch eine pedantische Albernheit. Man durfte es als einen Reichtum preisen, daß man in zwei Sprachen zugleich schöpferisch war, von denen jede als national galt. Die eine war die große Weltsprache der Kirche, der Politik, des Rechts und der Wissenschaft und zugleich die Sprache vornehmer und stilvoller Schönheit, worin das geistige Leben des Altertums auf wundersame Weise wieder in Fluß gekommen war, die andere gehörte dem Pulsschlage der Gegenwart und dem Vaterlande an. Die besten Dichter Italiens findet man nicht unter den Latinisten, ebensowenig die besten Geschichtschreiber. Das neue Theater endlich erklärte, trotz Plautus und Terenz, die Sprache des Volks als die naturgemäße des Dramas.
Es gab kaum einen gebildeten Italiener, der nicht Sonette, Madrigale und andere Verse geschrieben hätte. Eine zahllose Menge von Rimatoren überfüllt die Literatur des XVI. Jahrhunderts. Sie sind nicht mehr Poeten der Renaissance, sondern schon des Verfalls nach Dante und Petrarca. Man wird überhaupt bemerken, daß in derselben Zeit, wo die Kunst der Italiener ihre Gipfel erstieg, deren schöne Literatur verfiel. Sie beherrschten zwar eine Zeitlang den literarischen Geschmack Europas, aber ihr Einfluß schwand, sobald sich dieser national befreite. Die italienische Lyrik des XVI. Jahrhunderts ist ideenlos und gedankenarm. Es ist weder die Leidenschaft des Herzens noch der Tiefsinn des Geistes in ihr, welcher Problemen des Lebens nachforscht.
Das überwiegende Stilbedürfnis erzeugte jene Sonetten-Schablone, worin die Empfindung zur Sklavin eines Modells wird. Eine solche nationale, stets bereite Ausdrucksform besitzt, wie man richtig bemerkt hat, ihren Vorzug, aber sie hat auch ihren Nachteil als Manier. Nur Nachahmer waren die Lyriker des XVI. Jahrhunderts. Petrarca war ihr Idol, während Dante, zu tief und zu groß für dies frivole Zeitalter, nur im Hintergrunde blieb. Man erklärte Petrarca in zahllosen Schriften und ahmte seinen Platonismus nach. Bembo galt als Erneuerer der italienischen Lyrik, doch in seinen Gedichten war er nur der Chorführer fader Sonettisten. Es ist meist faunisch lüsterne, nichtige Monsignoren-Reimerei oder verpriesterte Höflingslyrik, die uns im Zeitalter des üppigen Prälatentums begegnet. Wenn die Lyrik überall ein Spiegel der Zeiten ist, so muß man sagen, daß die Epoche Leos X. eine grenzenlose Flachheit des Empfindens und Denkens offenbart. Nirgends erhob sich eine große Dichterseele im Schmerz über den Untergang der Nation. Es gab keinen Savonarola unter den Poeten Italiens: sie besangen ihre Mäzene und Phrynen und dichteten Schäferspiele und Abenteuer von Rittern, während die Freiheit Italiens starb. Und doch hatte Dante vor ihnen gelebt und selbst Petrarca für die Leiden seines Vaterlandes eine laute Stimme gehabt. Man hat Mühe, in so vielen Gedichten der Zeit einige patriotische Verse zu entdecken. Ihrer gibt es mehrere zur Zeit des kraftvollen Julius, während unter Leo auch die Muse weibisch ward.
Rom konnte Gelehrte und Künstler fördern, aber dem Dichtergeist nur Sklavenfesseln bieten. Talente, die sich von jenem salbenduftenden Zynismus Roms als Schmarotzer und Salonpoeten der Kardinäle fesseln ließen, mußte man beklagen. Es gab manche, die unter andern Verhältnissen Größeres würden geleistet haben, so Francesco Maria Molza, ein edler Modenese, vielleicht der begabteste der Dichter jener Zeit. Er lebte lange in Rom unter Julius, dann am Hofe Leos und später bei den Kardinälen Hippolyt Medici und Alessandro Farnese. Im Jahre 1548 starb er nach einem wüsten Leben an der gallischen Krankheit. Er war ein sehr gelehrter Mann, Dichter in beiden Sprachen; den meisten Beifall fand sein Hirtengedicht: »Die Tibernymphe«, worin er seine römische Geliebte Faustina Mancini verherrlicht hat.
Als Improvisator glänzte der Ferrarese Antonio Tebaldeo, ursprünglich Arzt, ein Nachfolger Serafinos, der Orpheus am Hofe Leos X. Raffael versetzte ihn unter die Dichter seines Parnaß, wo er dem Apollo die Züge eines andern berühmten Improvisators, des Giacomo Sansecondo, gab. Es gibt kein Volk, welches für die Virtuosität lichtblitzender Geistesgegenwart so empfänglich wäre als die Italiener. Der Enthusiasmus, welchen Bernardo Accolti erregte, zeigte, wie ausgebildet ihr Sinn für die augenblickliche Produktion in künstlerischer Sprachform war. Dieser geniale Aretiner begeisterte als Jüngling den Hof Urbinos durch Improvisationen zur Laute und riß dann Leo X. und ganz Rom zum Entzücken hin. Wenn er sang, strömte das Volk zum Vatikan, dessen Türen der Papst weit auftun ließ. Accolti nannte sich mit olympischem Selbstbewußtsein Unico Aretino, aber so nennt ihn auch bewundernd Ariost. Leo X. beschenkte ihn so reich, daß er sich den Titel eines Herzogs von Nepi kaufte, der jetzt besser einen Dichterfürsten schmückte, nachdem ihn unter Alexander VI. ein zweijähriger Bastard Borgia getragen hatte. Er starb um 1534. Seine erotischen Poesien und epigrammatischen Volkslieder (Strambotti) wetteiferten mit denen Serafinos und Tebaldeos, zumal verlieh ihnen der persönliche Vortrag den musikalischen Zauber des begeisterten Augenblicks. Heute lebt Accolti nur noch literargeschichtlich fort. Er dichtete auch die romantische Komödie Virginia in Oktaven nach einer Novelle Boccaccios, woraus Shakespeare dieselbe Fabel für sein »Ende gut, alles gut« entnommen hat. Die Virginia verhält sich zum Stücke Shakespeares wie der Blumenkeim zur vollen Blume, aber sie überrascht doch durch geniale Dichterkraft und ein oft hinreißendes Gefühl. Unter den Renaissancekomödien ist sie schon durch ihre glückliche Fabel ein wahrhafter Edelstein.
Tebaldeo, Molza, Bembo, Accolti und der Sonettist Agostino Beazzano, Bembos Freund, sind die namhaftesten italienischen Dichter jener Epoche aus dem Kreise Roms. In ihn trat erst später Vittoria Colonna, die Tochter Fabrizios. Die Gemahlin Pescaras, die Freundin Michelangelos, verdunkelte manche ihrer Zeitgenossen weniger durch wirkliches Talent als durch den Glanz ihres Hauses und den Ruhm ihres Gatten. Ihre Gedichte werden deshalb noch gelesen. Sie sind der Religion, der Liebe, der Treue und der Freundschaft geweiht und tragen trotz der Nachahmung Petrarcas das Gepräge einer selbständigen, sittlich edlen Natur. Neben ihr glänzte Veronika Gambara, Tochter des Grafen Gianfrancesco Gambara aus Brescia und Gemahlin Gibertos, Herrn von Correggio, welchen sie frühe verlor. Sie gehört nicht dem römischen Literaturkreise an, da sie ihr Leben teils in Bologna, teils in Correggio zubrachte, wo sie im Jahre 1550 starb.
Jede antike Form nahmen die Italiener auf: die Satire, das lehrende Gedicht, das Epos und Drama. Ihr scharfer Verstand konnte sie wohl zur Ausbildung der Satire befähigen, doch herrscht hier die Neigung zur Posse und Zote vor; und selbst die Satiren Ariostos sind nur mittelmäßige Produkte ohne plastische Charakterzeichnung und echt künstlerischen Stil. Francesco Berni aus Toskana, lange zu Rom im Dienst Bibienas lebend, sodann Günstling Gibertis, begründete die burleske Poesie. Mit ihm wurde auch der zuchtlose Giovanni Mauro aus Friaul namhaft, welcher gleichfalls als Prälatenhöfling in Rom lebte. Wenn man diese »scherzenden« Gedichte liest, muß man entweder über die Nichtigkeit ihrer Gegenstände lachen oder vor dem Abgrund der Unsittlichkeit erschrecken, den sie frech entschleiern. Schamlose Nacktheit brandmarkte einen großen Teil der Literatur Italiens in jener Zeit. Sie ist Hetärenliteratur, eine moralische Syphilis am geistigen Organismus der Nation. Diese Unzuchtschwelger waren oft Geistliche und lasen Messe am Altar. Giovanni della Casa, der Verfasser des schmutzigen Capitolo del Forno, starb als Erzbischof von Benevent und war Inquisitor in Venedig. Teofilo Folengo, der Begründer der maccaronischen Poesie, war Benediktiner. Der rohe Bandello, dessen Novellen noch heute jedes Freudenmädchen entzücken können, war Dominikanermönch und starb als Bischof von Agen.
Mehrmals erschien Pietro Aretino als literarischer Abenteurer in Rom unter Julius, Leo und Clemens VII., ohne hier festen Fuß zu fassen. Der von Geist phosphoreszierende Sumpf der Verderbtheit Italiens stellt sich in diesem einen Menschen dar, dem Cesare Borgia der Literatur des XVI. Jahrhunderts. Er ist ein Phänomen der Unsittlichkeit, wie es in keinem Volk zu irgendeiner Zeit gesehen ward. Man weiß kaum, was man hier mehr bestaunen muß, diese zynische Frechheit oder die Macht dieses Journalisten und die Vergötterung, die er seinem Jahrhundert abzwang. Eine Nation, worin ein so unwissender, schamloser, jedem käuflicher Bettler als Tyrann den Thron der Literatur einnahm und von allen Großen der Welt, die er verachtete und brandschatzte, gefürchtet und geehrt wurde, bewies, daß jede sittliche Quelle ihres Lebens vergiftet und daß die Knechtschaft ihr notwendiges Los war. Der Verfasser der gräßlichen Raggionamenti schrieb mit derselben Feder das Leben der Jungfrau Maria und andere Schriften religiösen Inhalts, und ein Papst, Julius III., umarmte und küßte ihn und machte ihn zum Ritter von St. Peter.
Zwei Florentiner wurden durch musterhafte Lehrgedichte berühmt, Lodovico Alemanni durch seinen »Landbau« und der geistvolle Giovanni Ruccellai durch »Die Bienen«. Nur der letzte trat in die Kreise Roms. Er war Vetter Leos X., Sohn des gelehrten Bernardo, wurde Priester, aber nicht Kardinal. Leo bediente sich seiner in diplomatischen Geschäften. Nach des Papsts Tode verließ Ruccellai Rom, wohin er unter Clemens VII. zurückkehrte. Er starb als Kastellan der Engelsburg.
Den höchsten Ruhm erlangten die Italiener im romantischen Epos. Nach Pulci und Bojardo erreichte dies in Ariosto seine Blüte und schloß im Gedicht Tassos ab, dem formvollendeten Meisterwerk italienischer Sprache. Auf beide große Epiker gründete sich die Bewunderung der italienischen Poesie, ehe Dante wieder auflebte. In Ariosto wurde der schöpferische Geist der italienischen Malerei zum Gedicht. Sein farbenstrahlendes Zauberspiel Orlando, an sich charakterlos und gedankenleer, entsprach durchaus der Zeit Leos X. Es ist das Spiegelbild des in sinnlichem und geistigem Luxus ausgeschwelgten Italiens, das entzückende, verführerische, musikalisch-malerische Dichterwerk des Verfalls, wie einst das Gedicht Dantes der Spiegel der männlichen Kraft der Nation gewesen war. Jenes mediceische Kultur-Bacchanal begleitete Ariosto mit einer poetischen Girandole; ihre sinnverwirrende Feuer- und Lichtflut ist eins der prächtigsten Phänomene des italienischen Geistes, in welchem die reale Welt des Nationallebens sich aufgelöst hat. Das Gedicht Dantes ist ein unerschöpfter Lebensquell für den Geist der Nation geworden, ihr poetisches Evangelium; die Dichtungen Ariostos und Tassos haben solche fortbildende Wirkung nicht erzeugt: sie sind nur die schönsten Zierraten der italienischen Literatur. Zur Zeit Julius' II. sahen wir Ariosto in Rom in einer gefährlichen Sendung; dann kam er, Leo X. zu beglückwünschen, aber er gewann von seinem Freunde Medici nichts als ein Druckprivilegium, und nach wenigen Tagen verließ er Rom, wohin er nie mehr zurückkehrte. In einigen Satiren erklärte er, daß ihm die Freiheit bei mäßigem Dasein mehr wert sei als die goldne Sklaverei des römischen Hofdienstes, doch würde sich vielleicht seine Ansicht geändert haben, wenn ihm der Papst eine Stellung geboten hätte. Der Orlando erschien im Jahre 1516 in vierzig Gesängen zu Ferrara, dann vollständig ebendaselbst 1532, ein Jahr vor des Dichters Tode.
Während Leo X. nicht versuchte, dies glänzende Talent festzuhalten, lebte Trissino hochgeehrt an seinem Hof. Dieser vielseitige gelehrte Vicentiner war ein reicher und unabhängiger Mann, der dem Papst als Diplomat manche Dienste leistete. Durch ein Nationalepos auf festem geschichtlichen Boden, nach dem Muster Homers, wollte er den Ruhm Ariostos übertreffen, und zwanzig Jahre klassischer Studien verwandte er auf »Das von den Goten befreite Italien«. Dies Erzeugnis prosaischer Gelehrsamkeit und sklavischer Nachahmung hat nur eine papierne Fortdauer erlangt. Aber der edle Trissino konnte sich mit dem müheloser erworbenen und wohlverdienten Ruf als Dramendichter trösten.
Den Aufschwung des Dramas in Italien begünstigten viele Bedingungen: die Leidenschaft für Schaudarstellung, reiche Festlichkeit des Lebens, Mitwirkung aller Künste, Bildung und Geschmack, Mannigfaltigkeit von Charakteren in Klassen und Persönlichkeiten, die Öffentlichkeit und Beweglichkeit der Sittenzustände, höchste Begabung für Mimik und Vortrag und bei vollkommner Sittenlosigkeit vollkommene Freiheit der Zensur für den Komödiendichter. In Wahrheit ist auch die Renaissance des Theaters eine große kulturgeschichtliche Tat der Italiener. Sie bildeten die Schauspielkunst und die Formen des Dramas aus und wurden die Lehrmeister der europäischen Bühne. Die Mysterien, die schäferliche Komödie, das Intrigenstück, die romantische Tragikomödie, das ernste Schauspiel und Trauerspiel, das Maskenspiel, die dramatische Improvisation, die Oper: alle diese Gattungen versuchten die Italiener in einer Fülle von Talenten, welche, wie das geistreiche Wesen in diesem Renaissancetheater, doch bewundernswert ist. Ihre Stücke zählen im XVI. Jahrhundert, zumal im Lustspiel, nach Tausenden, und doch brachte die italienische Bühne keinen Shakespeare hervor. Der große Brite aber benutzte den Novellenschatz und auch das Drama der Italiener wie ein Bergmann, der das reine Gold zu spüren weiß. Ihrem dichterischen Geist scheint eine der Grundkräfte zu mangeln, ohne welche sich die dramatische Leidenschaft nicht sittlich vertiefen kann. Diese Kraft ist die Philosophie des Dichters. Die Selbständigkeit mangelte stets. Die Überlieferung des Altertums, lateinische Gelehrsamkeit und formale Kunst blieben Feinde der volkstümlichen Entwicklung des italienischen Dramas.
Seneca und vor allem Plautus und Terenz, für welche sich Pomponius Laetus so eifrig bemüht hatte, erlangten eine Macht über das späte Zeitalter, die vielleicht diejenige in ihrem eigenen überbot. Sie wurden in zahllosen Übersetzungen und Nachahmungen verbreitet und zu Schutzgöttern von hundert Akademien. Ihre Lustspiele führte man überall auf. Jetzt war es ein Papst, der darin den Ton angab und für das Theater eine Epoche herbeiführte. Alte und neue Stücke wollte Leo X. zuerst dargestellt sehen. Der Vatikan war zuzeiten des glänzendste Schauspielhaus Europas. Auch in andern Palästen wurde gespielt, und kaum gab man ein Fest, ohne ein Schauspiel aufzuführen. Mit unglaublicher Verschwendung wurde im September 1513 das Theater auf dem Kapitol ausgestattet, wo man zu Ehren des zum römischen Patrizier ernannten Julian Medici mythologische Szenen und den Poenulus des Plautus gab. Vor 2000 Zuhörern ließ Leo im März 1519 die Suppositi des Ariost aufführen, wozu Raffael die Szene gemalt hatte. Die Zwischenakte füllte Musik; auch gab man die Moresca, ein Ballett.
Die Schauspieler waren meist Akademiker, in der Schule des Pomponius herangebildet. Man rühmte einzelne, wie Inghirami und den Dichter Gallus. Francesco Cherea, der Terenzianer, glänzte am Hofe Leos durch die Kunst seiner Komik. Auch in Akademien anderer Städte war die Kunst der Rolle so sehr entwickelt, daß die Schauspieler Gastvorstellungen gaben. Die Komiker der Akademie dei Rozzi in Siena ließ Leo jährlich nach Rom kommen. Die Zuchtlosigkeit dieser Stücke war grenzenlos. Wenn wir keine andern Zeugnisse vom geistigen Leben der Italiener im XVI. Jahrhundert besäßen als ihre Lustspiele, so müßten wir urteilen, daß der sittliche Verfall dieses Volks vollkommen jenem der Zeiten des altrömischen und byzantinischen Theaters gleich war. Diese Lustspiele bewegen sich meist nur um Verführung und Ehebruch und die gemeinsten Zwecke der Sinnenlust, und doch bildeten sie die ausgesuchte Ergötzung der besten Stände. Päpste, Fürsten, Geistlichkeit und Adel brachten sie mit Begeisterung in Szene. Leo schwelgte in ihrem Genuß, ohne jemals Scham oder Übersättigung zu empfinden. Man mag es begreifen, wenn er sich an gemeinen Späßen der Hofnarren erfreute, wenn er einen Mönch auf der Theaterszene prellen ließ, weil er eine schlechte Komödie verfaßt hatte, und man kann mit Jovius auch ohne seine boshafte Nebenabsicht solche alberne Laune durch den Zeitgeist entschuldigen. Aber man wird doch Mühe haben, das ganze kritiklose Verhalten des Oberhaupts der Kirche zum Theater seiner Zeit zu erklären. Denn seine eigenen Zeitgenossen, selbst Enthusiasten des Altertums, bebten davor bisweilen zurück. Dies sind, um nicht Erasmus zu nennen, die Worte Gyraldis: »O Zeiten, o Sitten! der ganze Schmutz der alten Szene ist wiedergekehrt; überall spielt man die Fabeln: was einst wegen seiner Unmoral der Sinn aller Christen verbannt und vernichtet hat, das rufen jetzt die Priester, selbst unsre Päpste, von den Fürsten nicht zu reden, öffentlich auf das Theater zurück. Ja die Geistlichen selbst trachten voll Ehrgeiz nach dem Ruhm des Schauspielernamens.« Der Verfasser einer der unzüchtigsten Komödien trug den Kardinalspurpur mit um so größerer Ehre, weil er eben ihr Autor war.
Dieser Dichter war der Freund Leos und Raffaels, Bernardo Dovizio aus Bibieria in Toskana. Im Jahre 1470 geboren, durch seinen Bruder Piero bei Lorenzo Medici eingeführt, wurde er der eifrigste Diener dieses Hauses. Er begleitete den Kardinal Giovanni ins Exil, wirkte für seine Papstwahl, erhielt den Purpur, wurde über Nacht reich und einer der angesehensten Staatsmänner Roms. Sein geistreiches und heitres Wesen und seine Lebenslust machten ihn beliebt. Am Hofe Leos war er der eigentliche Freudenmeister und Direktor aller Lustbarkeiten, zumal des Karnevals und Theaters. Nach einem in Genüssen hingebrachten Leben starb er am 9. November 1520. Dovizi, ein sehr mittelmäßiger Dichter, hatte schon zur Zeit Julius' II. seine Calandra, ein Stück in Prosa, geschrieben, eine Nachahmung der Menächmen des Plautus. Sie erregte als das erste und bahnbrechende italienische Lustspiel ein großes Aufsehen, so daß man sie bald an allen Höfen spielte. Leo hatte die heute kaum mehr begreifliche Naivität, dieses frivole Stück zu Ehren der Marchesa Isabella von Mantua im Vatikan aufführen zu lassen, wobei Balthasar Peruzzi die Szene gemalt hatte. Musik füllte die Pausen aus.
Die Calandra eröffnete die Reihe der gleich unzüchtigen Komödien Machiavellis, Ariostos, Aretinos und anderer Dichter, die sich mit Leidenschaft auf das Lustspiel warfen. Sie konnten hier sich zu Richtern über die Gebrechen ihres Zeitalters oder zu dessen Sittenmalern aufwerfen und deshalb unfehlbarer Wirkung sicher sein. Indes so geistreich und novellenhaft anziehend bisweilen der Inhalt und die Handlung dieser Komödien sind (weshalb sie Shakespeare reizten), so ist doch die Psychologie der Leidenschaft im italienischen Renaissance-Theater ein kaum erst erschlossenes Gebiet. Selbst die namhaftesten Komödiendichter standen noch in den Anfängen des sozialen Lustspiels. Sie griffen eigentlich nur die Motive der altrömischen Komödie wieder auf, deren Charaktere für moderne Menschen doch nur etwas Etruskisches und Maskenhaftes haben können.
In der Tragödie versuchten sich die Italiener mit Nachahmungen Senecas und mit Übersetzungen des Sophokles und Euripides. Aber der griechische Genius widerstrebte dem italienischen Volksgeist, welcher weder für die Hoheit, noch für die Fülle des hellenischen Wesens ein Sprachorgan besaß. Das älteste dieser Trauerspiele ist die Sophonisbe Trissinos, ein merkwürdiges Stück, glücklich und schöpferisch durch seinen stofflichen Griff, in der Behandlung dem Euripides nachgeahmt und der italienischen Literatur als edler tragischer Keim eingepflanzt, ohne daß er weitere Entwicklung fand. Die Sophonisbe soll im Jahr 1514 zu Vicenza aufgeführt worden sein; in Rom kam sie wohl unter Leo X. zur Darstellung. Wenig später gingen die Rosmunda Ruccellais und sein Orest in Szene; die erste Tragödie wurde vor Leo X. bei seiner Anwesenheit in Florenz im November 1515 aufgeführt. Die tragische Muse der Italiener ermattete bald nach diesen ersten Anstrengungen. Man ahmte sklavisch Euripides nach, selbst Trissino, und die Seneca-Tragödie überwucherte die Bühne mit thyestischen Greueln. Die Gräßlichkeit des Stoffs ertränkte das Gefühl in Schauder: so barbarisch wie das Trauerspiel wurde auch die Märtyrer-Malerei Italiens seit dem Ende des XVI. Jahrhunderts.
Bemerkenswert ist für das Theater, daß es sich von der Kirche loslöste, den Weg der geistlichen Mysterien verließ und vollkommen heidnisch und weltlich wurde. Die Italiener verwarfen christliche und biblische Stoffe für ihre Tragödie und griffen in das Altertum oder die Romantik zurück. Ihr Lustspiel machte Mönchtum wie Priestertum und die Kirchenmoral lächerlich. Das Theater der Renaissance konnte sogar als ein gründliches Mittel des Umsturzes des alten Glaubens erscheinen, und doch bewies es sich als die schwächste Kraft in bezug auf die Befreiung des Volks von Aberglauben und Hierarchie. Daß diese den Angriff der Komödie überstehen konnte, daß Mönche und Priester die ruhigen Mitlacher der Mandragola Machiavellis und ähnlicher Stücke bleiben durften, ist vielleicht der stärkste Beweis für die innere Gehaltlosigkeit des italienischen Dramas, welches das Leben nur äußerlich auffaßte und als ein künstliches Erzeugnis nur in der Sphäre des Gelehrtentums blieb.