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3. Romanus Papst. Theodorus II. Papst. Nach dessen Tode sucht Sergius sich des Papsttums zu bemächtigen und wird vertrieben. Johannes IX. Papst 898. Sein Dekret wegen der Konsekration des Papsts. Seine Bemühung, das Kaisertum Lamberts zu kräftigen. Tod Lamberts. Berengar König Italiens. Die Ungarn in Italien. Ludwig von der Provence Prätendent. Tod Johanns IX. im Juli 900.
Im September oder Oktober 897 folgte auf Stephan im Pontifikat Romanus, ein Mann von ungewisser Herkunft, der schon nach vier Monaten starb. Auch sein Nachfolger, Theodor II., den man als Sohn des Photius, aber als Römer bezeichnet, trug nur zwanzig Tage die Tiara. Unter den wenigen Handlungen, welche diesem Papst nachgerühmt werden konnten, ehrte ihn die feierliche Bestattung der Leiche des Formosus. Tiberfischer fanden sie eines Tags; man trug die Reste dieses Mannes, der weder im Leben noch im Tode Ruhe gefunden hatte, in den St. Peter, und fromme Menschen erzählten, daß sich die Heiligenbilder der Kapelle, in welche sie gebracht wurde, ehrfurchtsvoll verneigt hatten. Auch ließ Theodor durch eine Synode die von Formosus ordinierten Geistlichen wiederherstellen. So hatte sich unter diesem Papst die Gegenpartei Stephans nochmals der Gewalt bemächtigt; zwar versuchten die Aristokraten der andern Faktion, sie nach dem frühen Tode Theodors aufs neue an sich zu reißen, aber ohne Erfolg. Sie stellten schon damals mit Hilfe des Markgrafen Adalbert von Tuszien jenen mächtigen Kardinal Sergius als Papst auf: jedoch die Partei des Formosus überwog, und der mit seinen Anhängern aus der Stadt vertriebene Sergius floh wieder in sein tuszisches Exil.
Unter Umständen, deren Kunde uns nicht erreicht hat, wurde Johann IX. im Frühjahr oder Sommer 898 ordiniert. Er war von germanischem Stamm, Sohn Rampoalds von Tibur, Benediktiner und Kardinaldiaconus. In seiner Regierung von zwei Jahren zeigte er Mäßigung und Verstand. Das tiefe Schweigen, in welches die Geschichte der Stadt zu sinken beginnt, wird durch zwei seiner Konzile unterbrochen, deren wichtige Akten erhalten sind. Ihre kurze Regierung hatte Romanus und Theodor verhindert, die Kirche von dem Frevel jener Leichensynode völlig zu reinigen. Aber Johann IX., der von Formosus zum Priester geweiht worden war, versammelte ein Konzil im St. Peter. Die Bischöfe und Presbyter, welche die Synodalbeschlüsse Stephans unterzeichnet hatten, wurden vorgeladen; sie behaupteten, von jenen Frevlern zur Unterschrift gezwungen worden zu sein, warfen sich vor dem Papst nieder und baten um Gnade. Es wurde ihnen verziehen, doch die Grabesschänder, die Sergianer (sie standen in Tuszien unter Waffen und warteten als Vertriebene auf eine Gelegenheit, Rom zu überfallen) wurden nochmals exkommuniziert. Die Akten der Leichensynode wurden verdammt, und (man liest es mit Befremden) es ward nötig befunden, für die Zukunft jedes Gericht über einen Toten zu untersagen. Die Synode stellte das Andenken des Formosus glänzend her, bestätigte seine Erwählung zum Papst und anerkannte seine Ordinationen.
Der zehnte Kanon desselben Konzils bestimmte, daß die Weihe des neuerwählten Papsts fortan nur in Gegenwart kaiserlicher Legaten stattfinden dürfe. Demnach forderten die blutigen Tumulte bei der Wahl Johanns und seiner Vorgänger dies Zugeständnis selbst noch an eine schattenhaft gewordene Kaisergewalt. Außerdem hatten die freundlichen Beziehungen zwischen Johann IX. und Lambert ihren Anteil daran. Denn die Zustände Roms zwangen Johann, sich an das Kaisertum anzuklammern, dessen Gewalt er herzustellen wünschte, weil er sonst den Untergang des Papsttums voraussah. Und furchterregend müssen jene Zustände gewesen sein, wenn sie ihm dieses Dekret abzwangen. Der junge Kaiser Lambert gebot nach dem Abzuge Arnulfs ohne Widerspruch in Italien; vor seinem Nebenbuhler Berengar sicher, hoffte er sich des Reichs in Ruhe zu bemächtigen, und Johann war aufrichtig bemüht, ihn darin zu unterstützen; er bestätigte ihn auf derselben Synode als Kaiser, er schmeichelte ihm und den Italienern sogar mit der Erklärung, daß die von Formosus vollzogene Salbung des »Barbaren« Arnulf als erzwungen für nichtig zu betrachten sei. Die Blicke Johanns waren nicht mehr auf Deutschland gerichtet, wo Arnulf dem Tod entgegensiechte, nicht mehr auf das verwirrte Frankreich; und so erschien ihm der glänzende Lambert als der einzige Bürge der Ruhe und Sicherheit.
Noch in demselben Jahre 898 sahen sich beide Männer in Ravenna, wo der Papst eine Synode von 74 Bischöfen hielt, und diese war durch einige Konstitutionen in betreff der imperatorischen Gewalt wichtig. Danach sollte kein Römer gehindert werden, an dieselbe zu appellieren und sich von ihr das Recht zu holen; wer einem Römer das verwehrte oder ihn deshalb an seinen Gütern beschädigte, wurde dem weltlichen Gericht verfallen erklärt. Das kaiserliche Tribunal sollte demnach zum Schutz der Schwachen gegen die Anmaßung der Großen hergestellt werden, und man darf mit Grund annehmen, daß der Kaiser seinen Missus wieder nach Rom schickte. Zugleich wurde der Vertrag mit der Kirche erneuert, den schon Guido mit ihr abgeschlossen hatte. Der Kirchenstaat, die Hoheitsrechte des Papsts in seinen Landen und in Rom wurden bestätigt. Lambert versprach, die widerrechtlich eingezogenen Patrimonien herauszugeben; er sagte auch dem Papst seinen Schutz gegen die verbannten Römer zu. Dieser beklagte auf derselben Synode die grenzenlose Verwüstung der Provinzen, die er auf seiner Reise nach Ravenna mit Augen gesehen hatte, sowie den Einsturz der Lateranischen Basilika; er beschwerte sich, daß seine Leute, ausgeschickt, Balken zum Neubau zu fällen, durch die Aufrührer daran gehindert worden seien; er seufzte, daß die Einkünfte der Kirche erschöpft, daß nicht einmal so viel übrig geblieben sei, um Kleriker und Dienstleute des päpstlichen Hofes zu besolden oder den Armen Almosen zu reichen. So weit war der römische Staat herabgesunken, und das in nur 40 Jahren, denn so lange war es her, daß die Päpste Millionen aus ihrer Kammer nahmen, neue Städte zu erbauen, denen sie, wie Pompejus oder Hadrian, ihre eigenen Namen gaben.
Der kräftige Lambert hatte aufrichtigen Frieden mit Rom gemacht, wo er auf rühmliche Weise die Kaisergewalt erneuerte, und der Papst hatte zwar notgedrungen, aber nicht minder aufrichtig ihn im Imperium zu befestigen gesucht. Mit lebhafter Teilnahme betrachten wir daher die Bemühungen beider, das Chaos Italiens zu ordnen und, von allen Einflüssen des Auslandes frei, zum erstenmal ein selbständiges Reich in italienischen Grenzen zu gestalten. Diese Pause der Ruhe, welche das unglückliche Land genoß, schien die Bürgschaft einer besseren Zukunft in sich zu tragen, und der jugendliche Geist des Kaisers war von kühnen Hoffnungen erhoben. Aber ein unglücklicher Zufall zerstörte plötzlich diesen schönen Traum.
Lambert war von Ravenna nach dem oberen Po gegangen in die Gefilde von Marengo oder Marincus, die zu jener Zeit von Wäldern bedeckt waren, worin der junge Kaiser gerne jagte. Ein Sturz vom Pferde zertrümmerte dort die Hoffnung Italiens mit einem Schlage. Der beklagenswerte Jüngling, der schönste und heldenmütigste Ritter seiner Zeit, hauchte seine Seele auf dem Felde aus, welches 900 Jahre später durch eine große Schlacht berühmt geworden ist. Es ließen sich Stimmen hören, die seinen Tod der Rache Hugos zuschrieben, des Sohns des Grafen Maginfred von Mailand, welchen Lambert hatte hinrichten lassen, aber sie beruhten nur auf einem Gerücht.
Der jähe Todesfall veränderte die Verhältnisse Italiens. Berengar eilte sofort von Verona nach Pavia, sich des lombardischen Königreichs zu bemächtigen. Eine Zeitlang lächelte ihm auch das Glück, denn viele Große anerkannten ihn, und der Tod des Kaisers Arnulf im November 899 befreite ihn von der Furcht vor dem bewaffneten Anspruch der Deutschen. Indes, obwohl er sich selbst der Freundschaft Adalberts von Tuszien versichert, obwohl die gebeugte Witwe Guidos und Mutter Lamberts sich mit ihm vertragen hatte, konnte dieser Fürst nicht sein Ziel erreichen. Guido und Lambert hatten so schnell die Kaiserkrone auf ihr Haupt gesetzt und sie so schnell mit dem Leben verloren; aber Berengar vermochte trotz jahrelanger Mühe nicht zu ihr zu gelangen. Selbst nicht unter so günstigen Umständen, als König Italiens, nach dem Erlöschen der Titel Lamberts und Arnulfs, durfte er diesen verhängnisvollen Reifen aus Rom holen. Die auffallende Tatsache beweist, daß bereits im Jahre 899 die Ungarn den ersten Einfall in Oberitalien machten und in demselben Jahre Ludwig von der Provence als Prätendent aufgestellt ward.
Die furchtbaren Horden der Magyaren brachen von ihren pannonischen Sitzen auf, die Zeiten Attilas zu erneuern; sie drangen im August 899 verwüstend in Oberitalien ein, und ihren Pfeilen erlag das Heer des tapfern, aber unglücklichen Berengar an der Brenta am 24. September. Die Folgen dieser Niederlage lasteten schwer auf Italien. Das verruchte Spiel der italienischen Politik, bald Deutsche, bald Franzosen, immer Fremde und Eroberer in das uneinige Land zu rufen, setzte sich seither beständig fort, und das schönste Gefilde Europas, die Lombardei, wurde zu dem großen Schlachtfelde der Geschichte, auf welchem die romanischen und die deutschen Nationen um den Besitz der modernen Helena bis zum heutigen Tage gekämpft haben. Die Freunde Lamberts, deren Zahl auch in Rom groß war, die Feinde Berengars, unter denen Adalbert von Tuszien hervorragte, standen zwischen jenem und der Kaiserkrone. Sie wandten ihre Blicke auf den jungen König der Provence, den Sohn Bosos und der Irmingard, welche Ludwigs II. Tochter gewesen war. Der Enkel eines berühmten Kaisers aus karolingischem Geschlecht konnte scheinbare Rechte der Legitimität geltend machen und auf einen großen Anhang unter den Grafen und Bischöfen zählen, die einem Einheimischen die Krone neideten. Ludwig kam im Jahre 900, nachdem ihm jene blutige Niederlage Berengars die größten Hindernisse aus dem Wege geräumt hatte.
Es ist ungewiß, ob er auch von Johann IX. gerufen worden war: die freundliche Aufnahme, die er in Rom unter des Papsts Nachfolger fand, zeigt wenigstens, wie schnell er die Römer gewann, welche sich noch dessen erinnerten, daß einst sein Vater Boso Johann VIII. ein Asyl gegeben und daß ihn dieser Papst gegen Berengar und Arnulf zum Könige Italiens aufgestellt hatte. Diese Ereignisse erlebte Johann IX. nicht mehr; er starb, trauernd über die Zerstörung seiner Hoffnungen, im Juli 900, nachdem er das Säkulum Karls des Großen geschlossen und das zehnte Jahrhundert eröffnet hatte, welches unter furchtbaren Leiden Roms das Römische Imperium deutscher Nation erzeugen sollte. Kein Denkmal redet von Johann IX. in Rom.