Ferdinand Gregorovius
Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter
Ferdinand Gregorovius

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Fünftes Kapitel

1. Zustände Roms. Tiberüberschwemmung im Jahre 791. Hadrian stellt die Stadtmauern her. Er restauriert die Aqua Traiana, die Claudia, Jobia und Aqua Virgo. Seine Sorge um die Kolonisation der Campagna. Verhältnisse der Kolonen. Die Domuskulte Hadrians. Capracorum.

Preiswürdiger als die rastlose Bemühung Hadrians, den jungen Kirchenstaat zu vergrößern, ist seine Sorge um das Wohl des römischen Volks gewesen. Er wurde der Wiederhersteller und Erneuerer Roms, und das zu sein, gestatteten ihm die vermehrten Mittel des Kirchenschatzes und der Frieden, den das Land genoß.

Die Stadt war alt und verrottet; die Kirchen, die Mauern, die Wasserleitungen, die Flußufer verlangten eine gründliche Restauration. Im Dezember 791 war Rom wieder durch eine Tiberüberschwemmung verheert worden. Der Fluß riß das Flaminische Tor ein und wälzte dessen Trümmer bis zu einem Bogen auf der Via Lata, welcher Tres Falciclas genannt wurde. Er zerstörte auch den alten Porticus Pallacinae bei S. Marco und bedrohte die Brücke des Antoninus, die heute Ponte Sisto heißt. Den Tiber freilich haben weder die alten Kaiser noch die Päpste gebändigt; seine Fluten verwüsteten immer wieder die Stadt, weil man nichts mehr für die Reinigung des Flußbettes oder die Aufdämmung der Ufer tat.

Hadrian hatte wahrscheinlich schon vor 791 die Mauern und Türme Roms restauriert. Obwohl bereits von Gregor III. eine solche Wiederherstellung begonnen worden war, so war sie doch nicht gründlich gewesen, oder die letzte Belagerung unter Aistulf hatte die Stadtmauern stark beschädigt. Jetzt aber unternahm Hadrian ihre vollständige Erneuerung. Das Landvolk aus allen Patrimonien der Kirche, alle Stadtgemeinden Tusziens und Latiums, die Römer selbst mußten Hand anlegen und streckenweise die Mauern bauen, so daß seit den Zeiten der alten Kaiser die ewige Stadt nie mehr eine gleiche Menge Volks in ihrem Dienst beschäftigt hatte. Rom war jetzt neu befestigt, wenn auch nicht so stark und so kunstvoll mehr als zur Zeit Aurelians. Es waren diese Hadrianischen Mauern und ihre 387 Türme, die ein Scholast am Anfange des IX. Jahrhunderts sah und zählte, ehe noch Leo IV. das vatikanische Gebiet ummauert hatte. Man mag sich übrigens vorstellen, wieviel durch jenen Bau an städtischen Altertümern verloren ging. Kein kaiserliches Edikt schützte mehr die antiken Monumente; sie gaben wehrlos ihre Quadersteine her, und in die Kalkgruben warf man Marmorfragmente von Tempeln und Theatern, Bruchstücke der herrlichsten Reliefs und Statuen massenweise hinunter, um Gips zu gewinnen.

Ein nicht geringeres Verdienst erwarb sich derselbe Papst durch die Wiederherstellung einiger Aquädukte. Nachdem Rom zweihundert Jahre lang nach Wasser geschmachtet hatte, erhob sich Hadrian als ein Moses und tränkte sein Volk wieder. Wir sahen, daß seit den Gotenzeiten außer der Trajana kaum ein anderer Aquädukt hergestellt worden war. Diese Wasserleitung, welche aus Quellen am Sabatinischen See (Lago di Bracciano) dreißig Millien weit nach dem Janiculus geleitet war, hieß zur Zeit Hadrians bereits Sabatina, und sie lag wieder in Trümmern. Den Brunnen des St. Peter und das Bad für die Osterpilger mußte man deshalb durch Wasser versorgen, welches man mühsam in Fässern herbeibrachte. Hadrian stellte die Trajana wieder her; weil wir annehmen, daß sie durch das Kriegsvolk Aistulfs zerstört worden war und in der Lebensbeschreibung Hadrians gesagt wird, sie sei vor ihrer Herstellung schon zwanzig Jahre außer Gebrauch gewesen, so setzen wir diese Restauration ins Jahr 775.

Wie St. Petrus die Trajana, so machte der Täufer Johannes die Claudia wieder fließen. Im VIII. Jahrhundert Roms wäre der Wunsch, Thermen zu besitzen, eine unerhörte Anwandlung heidnischer Schwelgerei gewesen, und selbst der äußerste Mangel war lange Zeit von der Hauptstadt der Christenheit ertragen worden, bis sich der Schrei nach Wasser in der unerträglichen Vorstellung Luft machte, daß die Taufbecken der Kirchen leer seien. Einige Wasserleitungen der Imperatoren wurden daher für den Dienst Gottes wiederhergestellt, um als österlicher Born aus den Kirchen hervor auf die Häupter der Täuflinge oder die Füße müder Pilger niederzuströmen.

Die Claudia, der gepriesenste Aquädukt Roms, kam 38 Millien weit aus den Bergen Subiacos; am 1. August des Jahres 52, am Geburtstage des Kaisers Claudius, war sie vollendet worden. Ihre Bogen übertrafen alle andern so sehr an Höhe, daß die Quellen nach dem Ausdruck Cassiodors auf die Stirn der Hügel Roms niederfallen konnten. Sie erreichte nach einem gewundenen Lauf die Stadt am Pränestischen Tor (Porta Maggiore); aus ihrem Kastell in den Gärten des Freigelassenen Pallas führten sie die Aquädukte Neros nach dem Coelius, wo sie am Tempel des Claudius endete. Von dort sendete sie Arme nach dem Aventin und Palatin aus und tränkte demnach den Hauptteil Roms. Seit Constantin hatte sie das Baptisterium des Lateran versorgt, bis die Goten Heilige und Volk ihrer beraubten. Irgendein Vorgänger Hadrians muß sie bereits in einigen Stand gesetzt haben, denn es heißt im Leben dieses Papsts, sie habe ein kärgliches Wasser nach der Stadt fließen lassen, bis er sie so völlig herstellen ließ, daß sie reichlich wie im Altertum floß.

Eine dritte von Hadrian hergestellte Wasserleitung wird Jobia genannt, und diese findet sich mit demselben Namen an der Via Appia bemerkt. Der vierte Aquädukt war die berühmte Aqua Virgo. Sie entsprang an der Via Collatina, acht Millien vor Rom; nachdem sie die Stadt am Pincius neben dem Murus Ruptus erreicht hatte, ging sie unter diesem Hügel fort und verbreitete sich dann in Kanälen und auf Bogen durch das ganze Marsfeld. Agrippa war ihr Gründer gewesen; ihr Name, der Sage nach ihr beigelegt, weil ein junges Mädchen diese herrliche Quelle dürstenden Soldaten gezeigt hatte, erhielt sich bis ins XV. Jahrhundert, wo er dem Namen Trevi Platz machte. Hadrian stellte die Aqua Virgo so reichlich wieder her, daß sie allein fast die ganze Stadt versorgen konnte; das Marsfeld, für welches sie nötig war, mußte damals bereits ziemlich stark bevölkert sein.

Der Papst warf auch einen fürsorgenden Blick auf die römische Campagna. Hier war der Landbau durch den Untergang des Langobardenreichs vor neuen Verheerungen gesichert worden; er hätte sich beleben können, wenn ihn nicht der Mangel eines freien Bauernstandes niederhielt. Kirchen, Klöster und Hospitäler hatten allmählich große Grundstücke im Stadtgebiet an sich gezogen. Auch Familien städtischen Adels besaßen in ihm noch immer bedeutende Güter, und selbst die Zünfte in Rom hatten dort Eigentum. Die Äcker der Kirche wurden von ihr selbst bewirtschaftet, aber meist an Privatpersonen in Pacht gegeben. Ein Zufall hat das Register der Verpachtungen Gregors II. bewahrt, in einem Auszuge, welchen im XI. Jahrhundert ein Kardinal angelegt hat – eine unschätzbare Urkunde, die uns mit dem Umfange der päpstlichen Patrimonien und auch mit manchen Örtlichkeiten bekannt macht. Die Grundstücke wurden von Kolonen bebaut, Menschen halbfreien Zustandes, welche nur mit dem Boden selbst verkauft werden durften, also servi terrae waren. Sie galten als Freie im Gegensatz zu den Sklaven, obwohl sie öfters mit ihnen unter dem allgemeinen Namen »Familia« begriffen wurden. Aus den Verhältnissen dieser erbuntertänigen Bauern ergaben sich für sie verschiedene Titel: Originarii, die auf dem Boden des Gutsherrn Geborenen; Conditionales, welche einem Vertrage gemäß Leistungen zu entrichten hatten; Tributales, Adscriptitii und censibus adscripti, weil sie persönlich steuerpflichtig waren; Mansuarii, weil sie in der Massa oder dem Mansus lebten. In Urkunden des VIII. Jahrhunderts werden Frondienste oft opera, xenia oder angaria genannt, und das letztere Wort ging in die Sprache überhaupt als Bezeichnung für Last und Plage über. So benannte man die Arbeitspflicht oder die Anzahl wöchentlicher Frontage mit Handdienst und eigenem Ochsengespann solcher Dienstleute, welche zu Tagelöhnern herabgekommen waren. Die Wohnungen der Ackerbauern hießen casales, casae, casae coloniciae oder insgesamt colonia, und curtis oder Gehöft ist ein gewöhnlicher Ausdruck jener Zeit.

Wir lernten schon aus Briefen Gregors im allgemeinen die Zustände der Kolonen kennen, und die vielen Urkunden der Abtei Farfa, Schenkungen oder Tausch von Gütern betreffend, zeigen uns die Landbauern in den althergebrachten Verhältnissen. Wenn die Steuerpächter ( conductores) oder die Verwalter ( actores), endlich die obersten Aufseher der Patrimonien ( rectores) gerechte Männer waren, konnten die Kolonen auf einem Boden, der unerschöpflich war, ein nicht zu hartes Los tragen, obschon sie selbst nebst Weibern und Kindern als Inventarium der Güter behandelt wurden. Die Nachrichten über die Justizpflege und den Strafcodex mangeln uns freilich, und in einer barbarischen Zeit werden die Bauern nicht hinlänglichen Schutz beim Gesetz gefunden haben. Übler noch waren die servi, die Leibeigenen, daran, die durch keine Rechte der Person geschützt wurden. Es geschah oft, daß sie von den Gütern entliefen, sich in Wäldern oder Gebirgen zu verbergen, wie sie sich früher in die Klöster gerettet hatten, bis ihnen die Flucht in den Mönchsstand untersagt worden war. Doch finden sich viele Beispiele von Freilassungen; der Begriff libertas lebte noch im VIII. Jahrhundert, und noch wurde Sklaven mit der Freiheit feierlich das römische Bürgerrecht erteilt. Wenn Privatpersonen zu ihrem »Seelenheil« Klöstern ihre Güter schenkten, bewog sie das Erbarmen oft, ihre Sklaven freizulassen, und dies war das verdienstlichste unter allen Werken der Frömmigkeit.

Wir haben bereits der Errichtung von Domuskulten durch den Papst Zacharias gedacht; diese Wirtschaften sollten zur Bevölkerung der Campagna beitragen und aus ihnen mit der Zeit Flecken entstehen. Einige entwickelten sich dazu, doch nur vorübergehend, denn Malaria wie räuberischer Überfall wurden ihnen oft genug verderblich. Hadrian ließ im allgemeinen die Güter des städtischen und suburbanen Patrimonium der Kirche neu einleiten. Er legte sechs Domuskulte an, zwei mit Namen Galeria, sodann Calvisianum, St. Edistius, Leucius und Capracorum. Das erste Galeria lag an der Via Aurelia bei Silva Candida und ist nicht mit dem etrurischen Ort gleichen Namens an der Via Clodia zu verwechseln. Wo heute der Ponte a Galera als Name einer Tenuta besteht, lag am zwölften Meilenstein der Aurelia die zweite Domusculta Hadrians desselben Namens. Sie umfaßte Grundstücke auch auf der Tiberinsel nebst einem Kloster St. Laurentius. Die Insula sacra, wie sie noch Procopius nannte, oder portus Romani, wird bisweilen im Buch der Päpste mit dem unerklärlichen Namen Arsis genannt. Die kirchlichen Bauten verfielen auf ihr; selbst die Basilika des heiligen Hippolytus, welche ehemals von zahlreichen Pilgern besucht worden war, ging in Ruinen, während die alten Tiberhäfen, Portus und Ostia, zur Zeit Hadrians im Sumpf versunken lagen.

An der Ardeatina stand fünfzehn Millien vor Rom Calvisianum, wahrscheinlich eine antike Villa des Geschlechts dieses Namens. Das Gebiet der alten Latiner und Rutuler, ehemals durch ansehnliche Orte wie Lavinium und Ardea belebt, war damals verödet, und um so mehr mußte Hadrian wünschen, dort eine Kolonie zu gründen. Ihr Ort kann nicht bestimmt angegeben werden; auch die Stelle der Domusculta Edistius ist unbekannt. Eine Landkirche dieses Namens stand am XVI. Meilenstein der Ardeatina, und sie hatte Hadrian zum Mittelpunkt seiner Anlage gemacht. Wir haben schon bemerkt, daß die Campagna an Landkirchen damals reicher war als jetzt; auch die Kirche St. Leucius am V. Meilenstein der Flaminia diente als Mittelpunkt einer hadrianischen Landwirtschaft.

Die berühmteste dieser Anlagen war Capracorum. Das Gebiet Vejis, das reichste des römischen Tusziens, war noch durch die Ruinen jener alten Nebenbuhlerin Roms ausgezeichnet, aber so verödet, daß der Vejentanische Acker mit der Zeit nach dem benachbarten Nepi genannt wurde. Dort besaßen die Eltern Hadrians einen Fundus Capracorum, und aus ihm beschloß der Papst eine Kulturwirtschaft zu stiften, deren Mittelpunkt eine Kirche sein sollte, die er dem heiligen Petrus erbaute. Er selbst zog mit dem Klerus und Adel hinaus, seine Kolonie einzuweihen. Sie war ganz sein Werk und den edelsten Zwecken bestimmt. Nicht sollten daraus Mönche eines Klosters gespeist, noch Lampen an der Gruft eines Toten erhalten werden, sondern ihr Ertrag fiel den Armen zu. Das Landgut bot Korn, Gemüse und Wein dar, welche Produkte in die Speicher des Lateran niedergelegt wurden. Die Eichenwälder ernährten eine große Zahl von Schweinen, und ihrer hundert wurden jährlich in den Gehöften geschlachtet und nach dem Lateran abgeliefert. Täglich zogen hundert Arme der Stadt nach dem bischöflichen Palast und empfingen aus dem Segen Capracorums, vom Boden des alten Veji, die Wohltat des würdigen Papsts, ein jeder Mann ein Pfund Brot, eine Flasche Wein und eine Schüssel Suppe mit Fleisch. Dies Mahl verzehrten sie im Porticus des Palasts, und sie betrachteten dann mit Wohlbehagen die Farbengemälde, welche solche Armenspeisungen an den Wänden der Halle darstellten.

Die Kolonie Hadrians gedieh so schnell, daß sie ein fester Ort wurde. Schon 50 Jahre nach ihrer Gründung konnte ihr Leo IV., als er den Borgo des Vatikan ummauern ließ, eine angemessene Fronleistung dabei zuweisen. Die Kolonen Capracorums erbauten nämlich ein Stück Mauer zwischen zwei Türmen, wie es die alte Inschrift noch heute sagt. Sie nennen sich darin Militia, und das ist für eine Kolonie auffallend, da die Milites freie Bürger sein mußten. Aber die Bedrängnis durch die Sarazenen schuf Mauern um Capracorum und zwang die Landleute, sich zu bewaffnen; viele wurden frei, freie Leute aus der Umgegend zogen in den festen Ort, dessen Bürger sie wurden, und so entstand aus einer Landwirtschaft ein Kastell mit eigener Miliz. Der Turm, Hof ( curtis) oder das Kastell Capracorum (denn mit diesen drei Namen wird die Kolonie abwechselnd seit dem XI. Jahrhundert genannt), verlor sich mit dem XIII. spurlos aus der Geschichte.


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