Ferdinand Gregorovius
Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter
Ferdinand Gregorovius

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Fünftes Kapitel

1. Belisar in Ravenna. Sein schlaues Verfahren mit den Goten. Totila wird König 541. Seine schnellen Erfolge. Sein Zug nach dem Süden. Er erobert Neapel. Er schreibt an die Römer. Er bricht nach Rom auf. Er erobert Tibur. Zweite gotische Belagerung Roms im Sommer 545. Belisar kehrt nach Italien zurück. Der Hafen Portus. Das Gotenlager.

Die Geschichte der Stadt erlaubt uns nicht, weder den abziehenden Goten auf der Flaminischen Straße zu folgen noch jene hartnäckigen Kämpfe in Tuszien, in der Aemilia und in Venetien zu schildern, in denen Belisar mit bewundernswertem Genie sowohl die Verzweiflung der Feinde als die Widerspenstigkeit der kaiserlichen Generale bezwang. Zweiundzwanzig Monate nach dem Abzuge der Goten von Rom konnte endlich der große Feldherr seinen Einzug in das feste Ravenna halten, am Ende des Jahrs 539. Die Krone Italiens, welche ihm die Besiegten angetragen, zum Scheine annehmend, hatte er diese getäuscht, um jene dem Kaiser zu bewahren; als er nach Konstantinopel sich einschiffte, nahm er die Schätze des Palasts Theoderichs und den Gotenkönig mit sich, welcher in die Gefangenschaft des kühnen Johannes gefallen war. Die Erzählung, daß Vitiges von Ravenna nach Rom geflohen, in der Basilica Iulii in Trastevere den Altar umfaßt und sich dann nach eidlicher Versicherung seines Lebens den Feinden überliefert habe, scheint eine Sage zu sein.

Aber das Reich des großen Theoderich war noch nicht vernichtet. Wenn der schnelle Untergang der Vandalen in Afrika erstaunen macht, so hat der glänzende Wiederaufschwung der Goten nach einem so tiefen Fall gerechte Ansprüche auf Bewunderung. Dieses tapfere Volk hatte in der Bestürzung die Waffen vor einem Helden, seinem Überwinder, niedergelegt, treuherzig hoffend, daß er fortan als König über sie und Italien herrschen werde. In dieser Erwartung getäuscht, erhob es sich, obwohl von 200 000 streitbaren Kriegern auf nur ein paar tausend herabgeschmolzen, und stellte seine Nationalehre wie sein Reich durch fast beispiellose Kämpfe wieder her, welche seinen endlichen Untergang mit unvergänglichem Ruhm verherrlicht haben.

Noch war Belisar nicht in See gegangen, als die in Pavia stehenden Goten dem Uraias, einem Neffen des Vitiges, die Krone anboten: er setzte sie auf das Haupt des tapfern Ildibad, den er aus Verona herbeigerufen hatte. Der neue Gotenkönig schickte Gesandte nach Ravenna, Belisar zu erklären, daß er selbst kommen werde, den Purpur zu seinen Füßen abzulegen, wenn er sein gegebenes Versprechen, die Krone Italiens anzunehmen, erfüllen wolle. Ein minder besonnener Mann würde kaum der Lockung widerstanden haben, sich zum Könige Italiens aufzuwerfen. Die Kraft und das Genie Belisars würde auf dem Throne Ravennas einige Jahre lang ruhmvoll geglänzt, doch ihn nicht behauptet haben. Wenn es den Gotenkönigen nicht gelang, ihr Königreich zu sichern, obwohl dasselbe auf der Macht eines ganzen Volksstammes oder doch einer zahlreichen Kriegerkaste ruhte, wie sollte dies Belisar gelingen, welcher zu gleicher Zeit den Widerspruch der Goten, der Italiener und der Byzantiner würde zu bekämpfen gehabt haben? Statt sich zum Rebellen gegen den Kaiser aufzuwerfen, schiffte sich der ruhmgekrönte Feldherr ruhig nach Konstantinopel ein, um den Oberbefehl im Persischen Kriege zu übernehmen, und er überließ den Generalen Bessas und Johannes die Angelegenheiten Italiens. Kaum war er auf der See, als diese sich zum Verderben der Griechen wendeten, und in kurzer Zeit erschreckte den Kaiser Justinian ein neuer Gotenheld, der dem furchtbaren Hannibal ähnlich wurde.

Der junge Neffe Ildibads, Totila, befehligte in Treviso einen gotischen Heerhaufen, als ihm die Ermordung seines Oheims durch einen gepidischen Bluträcher gemeldet wurde. Bestürzt gab der Jüngling alles verloren; er bot dem Constantinus, der in Ravenna befehligte, die Stadt Treviso an. Er hatte zum Zweck der Unterhandlung eben griechische Gesandte empfangen, als Boten aus dem Lager seines eigenen Volks in Pavia vor ihn traten und ihn auf den Thron beriefen. Der verwirrte junge Krieger nahm die Krone, und die Goten hörten zu gleicher Zeit den Tod des Usurpators Erarich und die Wahl Totilas am Ende des Jahrs 541. Sofort erfaßte ein enthusiastischer Geist dies Kriegervolk, und alles veränderte sich wie mit einem Zauberschlage.

Ein Jahr reichte für Totila hin, sich durch die Bezwingung vieler Städte diesseits und jenseits des Po furchtbar zu machen, und schon im Frühling 542 (mit welchem Procopius, der nach Frühlingen zählt, das achte Jahr des gotischen Krieges beginnt) konnte er nach Tuszien hinunterziehen. Er setzte über den Tiber, aber schob es auf, die Gräber seines Volks an den Mauern Roms zu rächen, und eilte erst mit kluger Voraussicht nach Samnium und Kampanien, um sich dort durch die Eroberung der wichtigeren Städte zu sichern. Sein Name ging bereits als Schrecken vor ihm her. Es war auf diesem Zuge, daß der junge Held den heiligen Mönch Benedikt im Kloster zu Monte Cassino besuchte und seine Vorwürfe und Prophezeiungen vernahm: »Du tust viel Böses, hast viel Übles getan, stehe jetzt von der Ungerechtigkeit ab. Du wirst über Meer gehen, in Rom einziehen, neun Jahre wirst du herrschen, im zehnten wirst du tot sein.«

Benevent nahm er im ersten Anlauf, warf die Stadtmauern nieder, eilte fort, ließ die Trompeten vor Neapolis blasen, schlug sein Lager vor dieser Stadt auf, und sie bedrängend, schickte er zugleich fliegende Reiterscharen nach Lukanien, Apulien und Kalabrien aus. Alle diese schönen Provinzen gaben sich und den gesammelten Schatz der kaiserlichen Steuern willig in die Gewalt der Goten zurück, deren junger König den Landmann schonte, während von Ravenna bis nach Hydruntum hinab die griechischen Beamten Städte und Äcker gierig aussogen. Die Italiener erkannten bereits, wie töricht sie gewesen waren, die gerechte Herrschaft der Goten mit der unersättlichen Despotie der Byzantiner zu vertauschen. Alexandros verwaltete damals die Finanzen Italiens in Ravenna, ein gewissenloser Vampyr, welchen die witzigen Griechen wegen seiner Geschicklichkeit, die Goldstücke zu beschneiden, Psalidion, das heißt die Schere, nannten; und die Befehlshaber in den Hauptstädten (der geldgierige Bessas befehligte in Rom) standen ihm in Erpressungen nicht nach. Procopius bemerkt ausdrücklich, daß damals alle von Theoderich bestimmten Getreideauslieferungen für die Bürger Roms eingegangen waren und daß ihre Aufhebung durch Alexander von Justinian genehmigt worden war. Weil auch die byzantinischen Kriegsknechte um ihren Sold betrogen wurden, geschah es, daß sie haufenweise zu den Goten übergingen, wo sie reichlich Nahrung und Lohn erhielten.

Neapel, durch Hunger aufs Äußerste gebracht, öffnete im Frühling 543 die Tore und gab Totila Gelegenheit, die Welt noch mehr als durch seine Kriegstaten durch seine Tugenden zur Bewunderung hinzureißen. Er sorgte wie ein Vater oder Arzt für die Neapolitaner: den Heißhungrigen ließ er vorsichtig Speise und Kräfte wiedergeben, sie durch gieriges Verschlingen nicht zu töten. Ihr Eigentum, die Ehre ihrer Weiber schützte er; großmütig gab er dem Griechen Konon und seinen Truppen, welche der Kapitulation gemäß sich einschiffen sollten, aber von Widerwinden zurückgehalten wurden, Wagen, Pferde und Zehrung und ließ sie unter gotischem Geleit nach Rom ziehen. Dann warf er, wie er mit allen andern eroberten Städten zu tun pflegte, die Mauern Neapels auf den Boden; Roms eingedenk, an dessen Wällen die Nation der Goten zugrunde gegangen war, schien er den Befestigungen der Städte Vernichtung geschworen zu haben. Wenn er sie niederreißen ließ, so sagte er den Goten, er tue dies, damit sich kein Feind darin festsetze, und den Bürgern, damit er sie für immer von den Qualen der Belagerung befreie.

Von Neapel aus schickte Totila Briefe an den römischen Senat, welchen er sich bereits dadurch verpflichtet hatte, daß er in Cumae aufgefangene Patrizierfrauen mit Artigkeit zurücksandte.

»Diejenigen«, so schrieb der Gotenkönig, »welche ihre Nächsten aus Unwissenheit oder Vergessenheit kränken, haben ein Recht auf die Nachsicht der Beleidigten. Denn die Ursache ihres Vergehens entschuldigt sie. Wenn aber jemand wissend beschädigt, so bleibt ihm kein Milderungsgrund seines Vergehens: denn er muß mit Recht nicht allein die Schuld der Tat, sondern auch der Absicht tragen. Darum sehet zu, ob ihr wegen dessen, was ihr an den Goten verübt habt, noch irgendeine Entschuldigung findet. Denn was von beiden habt ihr für euch, die Unkenntnis der Wohltaten Theoderichs und Amalasunthas oder die Zeit, welche diese ins Vergessen dahinnahm? Keins von beiden ist möglich. Denn weder in geringen Dingen, noch vor langer Zeit, sondern in den höchsten Gütern und eben jetzt erst haben sie euch Gunst erwiesen. Die Art aber, wie die Griechen um ihre Untertanen bemüht sind, werdet ihr entweder vom Hörensagen oder aus eigener Erfahrung kennen, während ihr selbst bereits erfahren habt, in welcher Weise die Goten die Italiener behandeln. Und dennoch habt ihr jene, so scheint es, mit vorzüglicher Gastfreundschaft aufgenommen. Welche Gastfreunde aber ihr geehrt habt, wißt ihr wohl, wenn euch die Rechenkunst des Alexandros irgend bekannt ist. Ich will nicht von den Truppen und ihren Führern sprechen, durch deren Wohlwollen und Hochherzigkeit ihr soweit gekommen seid, während sie selbst dadurch soweit gebracht sind. Möge niemand von euch wähnen, daß ich diese Schmach aus jugendlichem Ehrgeiz auf sie werfe, noch daß ich, als ein Barbarenkönig, großprahlend rede. Denn ich sage nicht, daß die Bezwingung solcher Männer ein Werk unserer Tapferkeit sei, sondern ich versichere, daß sie die Strafe für die an euch begangenen Frevel ereilt hat. Und wie, wäre es nicht das Unsinnigste von der Welt, daß ihr selbst, während sie Gott um euretwillen straft, bei ihren Mißhandlungen ausdauern wolltet, statt euch diesen Übeln zu entziehen? Gebt euch demnach einen Grund, das zu entschuldigen, was ihr den Goten Übles getan, uns aber einen, euch zu verzeihen. Und ihr werdet ihn haben, wenn ihr, nicht das Äußerste des Krieges abwartend und auf nichtigen Rest von Hoffnung trotzend, das Bessere erwählt, eure gegen uns verübten Unbilden wiedergutzumachen.«

Diesen Brief ließ Totila durch gefangene Römer den Senatoren zustellen, und weil der General Johannes ihnen die Antwort untersagt hatte, sandte der König noch mehrere Schreiben versöhnlichen Inhalts nach Rom, wo sie das Volk in Abschriften und Plakaten auf den belebtesten Plätzen mit gemischten Gefühlen las. Die griechischen Befehlshaber argwöhnten Einverständnisse der arianischen Priester in Rom mit den Goten und verjagten sie sämtlich aus der Stadt; wenig später verbannten sie auch den Patrizier Cethegus nach Centumcellae, welcher mit der schon zweifelhaften Ehre eines Princeps des Senats bekleidet war.

Nachdem Totila ganz Kampanien unterworfen hatte, brach er am Ende des Winters zwischen 543 und 544 nach Rom auf. Die Kunde, daß der Kaiser Justinian Belisar vom Persischen Kriege abberufen und ihm zum zweitenmal den Oberbefehl in Italien übertragen habe, ängstigte ihn nicht; denn im Norden wie im Süden hatte er sich durch starke Grundlagen gesichert; und er wußte außerdem, daß die Streitkräfte des großen Feldherrn gering waren.

Belisar kam, und während er noch an den Küsten des Adriatischen Meers mit Anwerbung von Truppen die Zeit verlor, erschien der Gotenkönig in der Nähe Roms. Die feste Stadt Tibur gewann er durch Verrat. Hier lag die isaurische Besatzung mit den Eingeborenen in Streit, und diese ließen nachts den Feind ein. Die Goten behandelten Tibur schonungslos. Sie erstachen die Bürger, selbst den Bischof und die Geistlichkeit, und Procopius bedauerte den Tod eines Tivolesen Catellus, der damals unter den Italienern hohes Ansehen genossen hatte. Tivoli war übrigens auch von Goten bewohnt. Die älteste Urkunde des dortigen Bistums, eine der ältesten überhaupt, die es gibt, ist die Schenkung, welche der Gotengraf Valila der von ihm gestifteten Kirche St. Maria in Cornuta zu Tivoli am 17. April 471 gemacht hatte. Totila ließ in Tibur eine Besatzung zurück, machte sich hierauf zum Herrn des obern Laufs des Tiberflusses und schnitt dadurch den Römern die Verbindung mit Tuszien ab.

Dies waren seine Einleitungen zur Belagerung Roms, aber er schob sie auch jetzt noch auf, um zuvor die Eroberung vieler Städte Etruriens, Picenums und der Aemilia zu unternehmen, worüber das Jahr 544 und ein Teil des folgenden verstrich. Erst im Sommer 545 lagerte er sich vor Rom.

Hier stand Bessas mit 3000 Mann. Belisar hatte ihm zur Unterstützung zwei tüchtige Hauptleute geschickt, den Perser Artasires und den Thraker Barbation, mit dem strengen Befehl, keinen Ausfall auf die Feinde zu wagen. Aber kaum zeigten sich die Goten vor den Mauern, als diese Führer sie angriffen. Sie wurden geschlagen und retteten sich nur mit wenigen in die Stadt, worauf kein Ausfall mehr gemacht wurde.

Die zweite gotische Belagerung Roms ist auf merkwürdige Weise von der ersten verschieden; sie erinnert an jene des Westgoten Alarich. Während Vitiges sein Heer in sieben festen Lagern aufgestellt und die Mauern, welche einer der größten Feldherrn aller Zeiten verteidigte, unablässig bestürmt hatte, betrieb Totila die Einschließung Roms mit solcher Ruhe, daß er sich sogar Zeit nahm, von seinem Lager aus andere Kriegsoperationen in der Aemilia auszuführen. Er begnügte sich vorderhand, die Zufuhren zu hindern, denn oberhalb beherrschte er den Fluß, und den Entsatz von der Meeresseite machte eine Flotte, die er in den Gewässern Neapels aufgestellt hatte, zweifelhaft. Auch hatte er die Befehlshaber in Rom nicht zu fürchten; ihre Unfähigkeit und Nachlässigkeit zeigte sich in der Folge so groß, daß Totila die Stadt würde mit Sturm genommen haben, wenn er seine Streitkräfte daran hätte wagen wollen. Aber die Erinnerung an das Schicksal des Vitiges schreckte die Goten von den Mauern zurück, und ihre kleine Anzahl mußte jeden Verlust doppelt empfindlich machen.

Unterdes war Belisar untätig in Ravenna. Er hatte den Kaiser dringend aufgefordert, ihm Hilfstruppen zu schicken, und während diese langsam zusammengebracht wurden, verwünschte der unglückliche Held sein Los, aus der Ferne zusehen zu müssen, wie sein Ruhm mit dem Schauplatze selbst, wo er ihn errungen hatte, verlorenging. Er klagte sich der Unklugheit an, weil er in Ravenna geblieben war, statt sich mit den wenigen Truppen, die er besaß, nach Rom zu werfen, und Procopius, der dieser Anklage beizustimmen scheint, mildert sie durch eine philosophische Betrachtung über das Schicksal, welches die besten Entschlüsse der Menschen in das Gegenteil verkehrt, wenn es seine dunklen Pläne verfolgen will. Nun eilte Belisar nach Epidamnum, dort die Truppen des Johannes und Isaak anzunehmen, und sandte darauf Valentin und Phokas in die Tibermündung, die Besatzung von Portus zu verstärken. Denn der römische Hafen war noch in der Gewalt der Griechen, und Totila hatte bisher nicht versucht, dieses wichtige Kastell ihnen zu entreißen – ein Umstand, welcher die Belagerung Roms in die Länge zog. Als jene Führer Portus erreichten (es befehligte darin der General Innocentius) fanden sie jedoch die Goten als Herren des untern Laufs des Stromes; denn zwischen der Stadt und dem Hafen hatte Totila sein Lager aufgeschlagen, acht Millien von Rom entfernt, im Campus Meruli, dem Amselfeld. Diese Stellung an der Straße von Portus war mit Einsicht gewählt, weil hier alle vom Meer kommenden Zuzüge abgehalten wurden; und da die Goten die Appische, Lateinische und Flaminische Straße beherrschten, konnten die Griechen nur von der Tibermündung her den Entsatz Roms versuchen.

Valentin und Phokas meldeten dem General Bessas ihre Ankunft und forderten ihn auf, gegen das gotische Lager zu derselben Zeit auszufallen, wo es die Truppen von Portus im Rücken angreifen würden. Aber Bessas wollte nichts unternehmen, und der vereinzelte Angriff jener endete mit völliger Niederlage und Flucht.


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