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4. Benedikt XI. Papst. Seine verzweifelte Lage. Er hebt die Erlasse seines Vorgängers auf. Gentilis Orsini und Luca Savelli Senatoren. Die Colonna wiederhergestellt. Benedikt XI. erhebt Prozeß gegen den Frevel von Anagni und stirbt 1304. Langer Wahlstreit. Rachekrieg der Gaëtani in der Campagna. Clemens V. Papst. Der Heilige Stuhl wird in Frankreich festgehalten.
An der Bahre Bonifatius' VIII. standen die Kardinäle, auch wenn sie den Lebenden gehaßt hatten, erschüttert und tief nachdenklich über den Sturz der päpstlichen Macht, welchen dieser Tote ihnen darstellte. Die Stadt war in Waffen; die Freunde der Colonna blickten wieder den Orsini herausfordernd ins Angesicht, und die Verhältnisse der Parteien änderten sich mit einem Schlage. Durch die Porta Maggiore rückten Neapolitaner ein; denn Karl II. kam, von den letzten Vorgängen herbeigerufen, nebst seinen Söhnen Robert und Philipp mit Truppenmacht gerade am Tage, da Bonifatius starb; selbst Friedrich von Sizilien hatte Schiffe nach Ostia geschickt, als er von der Not des Papsts hörte. Der König von Neapel wollte die Neuwahl beherrschen. Die Kardinäle vereinigten sich indes im St. Peter und wählten hier ohne Kampf einen gemäßigten Mann, den Kardinalbischof von Ostia, schon am 22. Oktober zum Papst. Er stieg am 1. November auf den Heiligen Stuhl.
Die kurze Regierung Benedikts XI. erweckt den tiefsten Anteil, weil sie den Übergang zur avignonesischen Periode bildet. Er selbst würde als ein Mann der Versöhnung neben Bonifatius VIII. so schön dastehen wie Gregor X. neben Clemens IV., wenn sein sanftmütiges Wesen der Ausdruck ruhiger Kraft, nicht furchtsamer Schwäche gewesen wäre. Nicolaus Boccasini, Sohn eines Notars in Treviso, war als Jüngling Lehrer im Hause eines edlen Venetianers gewesen, dann Dominikaner geworden und durch Kenntnisse wie Tugenden in der Kirche emporgekommen. Bonifatius VIII. selbst hatte ihn zum Kardinal gemacht, und wir sahen ihn pflichtgetreu in Anagni neben seinem Wohltäter ausharren, als andere Kardinäle diesen verlassen hatten. Was sollte in so verzweifelter Lage der neue Papst tun? Durfte er aus der kalten Hand seines Vorgängers die Waffe nehmen, um sie von neuem gegen dessen siegreiche Feinde zu schleudern? Die Völker – dies hatten Sizilien und Frankreich gezeigt – verachteten schon das geistliche Schwert; die Blitze des Lateran zündeten nicht mehr. Der Überfall in Anagni und die geringe Bewegung, welche er in Italien hervorrief, machten eine aufregende Gewißheit klar: daß alle jene guelfischen Grundlagen der päpstlichen Macht verwittert waren, daß diese im italienischen Volk ihren Halt verloren hatte. Das Papsttum, welches die Kaisergewalt zu zerstören vermochte, hatte sich Italien entfremdet und stand wie in der Luft. Die hilflose Einsamkeit Benedikts XI. in jenen Tagen der Enttäuschung muß in Wahrheit schrecklich gewesen sein.
Dem Könige Frankreichs gegenüber sah er sich ohne Verbündete und wehrlos; das Deutsche Reich besaß weder die Kraft mehr, noch am wenigsten den Willen, das geschwächte Papsttum mit den Waffen wiederaufzurichten. Zum erstenmal hatte sich eine ganze Nation in allen ihren Ständen gegen die Forderungen eines Papsts erhoben, und dieser Widerstand war unbesiegbar. Benedikt XI. vermochte nichts, als sich schnell zurückzuziehen; er war es, nicht Bonifatius VIII., welcher das Papsttum von der weltlichen Macht überwunden bekannte. Es kapitulierte wie eine erstürmte Burg. Diese Wandlung in der Zeit ist aufregend wie der Anblick jeder wahrhaften Größe, welche in ihr vergeht. Zwar mußte Benedikt etwas tun, um den Schimpf zu strafen, den die Kirche erfahren hatte, doch er tat dies ohne Nachdruck und zögernd. Er erhob am 6. November Prozeß gegen die Räuber des Kirchenschatzes in Anagni und forderte die Rückgabe des Raubes. Es ist nicht bekannt, ob dies irgend Erfolg hatte. Die Colonnesen, deren manche schon triumphierend in die Stadt gekommen waren, begehrten die Tilgung des ihnen von Bonifatius angetanen Unrechts; der Papst sprach sie am 23. Dezember mit Ausnahme Sciarras vom Banne los, setzte sie in ihre Familiengüter ein und gab ihnen Palestrina wieder, obwohl mit dem Verbot, diese Stadt ohne seine Erlaubnis neu aufzubauen. Die Kardinäle Jakob und Peter, aus ihrem Versteck bei Perugia und in Padua zurückgekehrt, verlangten die Herstellung ihrer Würde und riefen, als ihnen der Papst dies abschlug, von neuem den Schutz des Königs von Frankreich an.
Philipp selbst erlangte ohne Mühe die Aufhebung der Maßregeln Bonifatius' VIII.; denn Benedikt war sogar gezwungen, ihm damit entgegenzukommen. Der König, welcher seinen Anteil an dem Frevel in Anagni leugnete, stellte die Forderungen des Siegers an den Besiegten. Statt daß der Papst den Prozeß gegen ihn fortsetzte, drohte Philipp, gegen den toten Bonifatius ihn fortzuführen; die Stimme Frankreichs verlangte ein Konzil, wie die Verurteilung aller Handlungen jenes Papsts, und Benedikt beugte einer offenen Niederlage vor, indem er, ohne die Gesandtschaft Philipps abzuwarten, alle Sentenzen zurücknahm, die Bonifatius über das königliche Haus und Frankreich verhängt hatte. Die Bullen vom 13. Mai 1304, in welchen er die Akte seines Vorgängers aufhob, um Frankreich mit der Kirche wieder auszusöhnen, waren die Todesurteile des politischen Papsttums überhaupt. Sie bezeichnen den Rückzug desselben aus der weltgebietenden Stellung und den Wendekreis seiner Geschichte. Ein seltsames Verhängnis schien nun Cölestin V. an Bonifatius VIII. zu rächen; denn dieser war als Gefangener gestorben wie jener, und seine Nachfolger vernichteten seine Dekrete, wie er einst die Akte Cölestins ausgelöscht hatte. Benedikt XI. hob sogar die Konstitutionen auf, die sein Vorgänger zum Schutz der städtischen Freiheiten erlassen hatte, und er zeigte sich dadurch so kleinlich, als Bonifatius großmütig gewesen war.
Benedikt XI., bedrängt von den Faktionen der Gaëtani und Colonna und von den Orsini beherrscht, genoß in Rom keines ruhigen Augenblicks. Kaum waren die Colonna in ihre bürgerlichen Rechte wieder eingesetzt, so erschienen sie, Schadenersatz fordernd, auf dem Kapitol, wo Gentile Orsini und Luca Savelli Senatoren waren. Benedikt, von niemand gefürchtet, alle fürchtend, wünschte seinen Sitz irgendwo in Sicherheit zu nehmen; er verließ Rom nach dem Osterfest, ging nach Montefiascone, nach Orvieto, nach Perugia. Erst hier in der Hauptstadt des guelfischen Umbriens faßte er den Mut, mit einem Prozeß gegen alle diejenigen hervorzutreten, welche an dem Überfalle in Anagni teilgenommen hatten. Er sprach über Nogaret, Rainald von Supino, Sciarra Colonna und eine Reihe anderer den Bannfluch aus und lud sie vor sein Tribunal. Dies erregte einen Sturm unter den Schuldigen, welche ihre Freveltat mit Bonifatius begraben glaubten. Auch Philipp der Schöne, den die Stimme der Welt und der Abscheu Benedikts still oder laut als den Urheber des Sturzes jenes Papsts bezeichneten, wurde von der Bulle schweigend mitbetroffen. Am 7. Juni veröffentlichte Benedikt dies Dekret; am Anfang des Juli war er tot. Man sagt, daß er in Feigen vergiftet wurde; doch das ist sicherlich Erdichtung. Benedikt XI., zwischen den Pflichten, die Kirche durch Nachgiebigkeit zu retten und zugleich ihre Ehre zu wahren, vom Gefühl seiner Ohnmacht erdrückt, starb in Perugia als der letzte italienische Papst vor einer Reihe von Franzosen. Hinter seinem Grabe liegt Avignon.
Die Kardinäle versammelten sich schon am 10. Juli, das Dekret Gregors X. nicht achtend, im erzbischöflichen Palast Perugias zur schwierigsten der Wahlen. Sie blieb fast ein Jahr lang streitig. Zwei Parteien spalteten das Kollegium, die italienische unter Mattheus Orsini und Francesco Gaëtani; die französische unter Napoleon Orsini und Nicolaus von Prato. Napoleon war einer der mächtigsten Männer der Kirche und unermeßlich reich, Sohn Rinaldos, Enkel des berühmten Senators Mattheus Rubeus, Kardinal seit 1288. Seine ghibellinische Richtung hatte er längst kundgegeben, und man wagte sogar, ihm nachzusagen, daß er mit dem französischen Kardinal Le Moine vereint dem unglücklichen Benedikt Gift habe mischen lassen. Im Hintergrunde dieses Konklave stand König Philipp, begierig, einen Papst durchzusetzen, der sich seinem Willen unterwarf. Während die Kardinäle in Perugia haderten, war Rom und Latium vom wilden Faktionskriege voll. Die Nepoten Bonifatius' VIII. zogen mit katalanischen Söldnern in der Campagna umher, Rachekrieg führend gegen die Barone, welche den Sturz ihres Oheims herbeigeführt hatten. Die Colonna kämpften zugleich gegen sie und die Orsini, weil sich dies Geschlecht in Besitz von manchen ihrer Güter gesetzt hatte; sie erschienen wiederholt klagend vor dem Senat, und dieser dekretierte, daß die Colonna wiederherzustellen seien, weil ihre Verfolgung das Werk des Hasses und der Bosheit Bonifatius' VIII. gewesen sei; er vernichtete alle Verleihungen colonnischer Güter durch jenen Papst und verurteilte Petrus Gaëtani wie dessen Söhne in den Schadenersatz von 100 000 Goldgulden. Aber die Gaëtani wehrten sich als tapfere Männer; dies Nepotengeschlecht blieb auch nach dem Sturze seines Oheims mächtig; es besaß in der Stadt den Turm der Milizen, vor dem Appischen Tor das feste Grabmal der Metella; seine Vasallen standen in 19 Kastellen Latiums in Waffen und in vielen Schlössern bei Viterbo und im Patrimonium; es hatte in Toskana große Lehen, im Königreich Neapel die Grafschaften Caserta und Fundi mit 32 Kastellen. Der Rachekrieg zwischen Gaëtani und Colonna wütete daher noch lange Jahre fort, bis der König Robert von Neapel Friede unter ihnen stiftete.
Unterdes wurde zu Perugia ein Kompromiß gemacht: indem die italienisch gesinnten Kardinäle drei Wahlkandidaten von jenseits der Berge aufstellten, sollte die französische Faktion einen davon innerhalb vierzig Tagen zum Papst erwählen. Drei Franzosen, Anhänger Bonifatius' VIII. und Gegner Philipps, kamen auf die Wahlliste, worauf die französische Partei heimlich dem Könige meldete, daß sie Bertrand de Got, Erzbischof von Bordeaux, wählen wolle. Der König eilte, ihn aufzusuchen; der ehrgeizige Prälat verständigte sich mit ihm. Am 5. Juni riefen ihn die Kardinäle zum Papst aus. Es ist ungewiß, ob die Wähler dem französischen Kandidaten die Verpflichtung auflegten, nach Italien zu kommen. Vielleicht stellte sich damals noch niemand vor, daß die Wahl eines Franzosen gleichbedeutend sei mit der Auslieferung des Papsttums an Frankreich.
Bertrand de Got war der Sohn eines Edelmanns aus Villandraut in der Gassogne. Er hatte in Orleans und Bologna studiert und war im Jahre 1299 von Bonifatius VIII. zum Erzbischof von Bordeaux gemacht worden; da diese Stadt im Jahre 1303 sich dem Könige Englands unterworfen hatte, so stand auch ihr Erzbischof nicht in direkter Abhängigkeit des französischen Monarchen. Dies und die bisherige Selbständigkeit Bertrands gegenüber Philipp, wider dessen Verbot an alle französischen Prälaten er zum Oktoberkonzil des Jahres 1302 nach Rom gegangen war, mochte nicht ohne Einfluß auf seine Wähler gewesen sein. Aber sie täuschten sich, denn Bertrand war zum französischen Könige in freundliche Beziehungen getreten, und aus Begierde nach dem Papsttum ergab er sich ganz dem Willen Philipps, der allein ihm den Besitz der Tiara sichern konnte.
Statt nach Rom zu eilen, forderte der Gewählte seine Wähler auf, nach Frankreich zu kommen; sie vernahmen das mit Staunen; der überlistete Mattheus Orsini sagte voll Ahnung voraus, daß der Heilige Stuhl für lange Zeit in Frankreich bleiben werde; am 4. September 1305 starb er in Perugia. Am 14. November 1305 wurde Bertrand in St. Just zu Lyon als Clemens V. zum Papst gekrönt, im Beisein des Königs, Karls von Valois, des Herzogs Johann von der Bretagne und vieler französischer Großen. Bei der Krönungsprozession ereignete sich ein seltsames Unglück; eine Mauer fiel auf den Papst nieder; er stürzte vom Pferde; seine Krone rollte im Staube; ein prächtiger Karfunkel, ihr schönster Schmuck, verlor sich; zwölf Barone seines Gefolges wurden zerschmettert, Valois stark beschädigt und der Herzog der Bretagne starb sogar infolge seiner Wunden. Das Volk weissagte Unheil und finstere Zeiten.
Die kühnsten Träume des französischen Monarchen waren jetzt erreicht: ein williger Papst, dem er selbst die Tiara gegeben hatte, ein Franzose, war in Frankreich nach nur zwei Jahren der Nachfolger des gemißhandelten Bonifatius VIII. Er hielt ihn dort fest. So rächte sich die gegen Bonifatius von seinen eigenen Landsleuten verübte Schmach an Rom und Italien. Die Stellung des Papsttums hier war erschüttert und ohne jede Stütze; kein deutscher Kaiser schirmte es mehr; an seine Stelle war die Macht des französischen Königs getreten, in dessen Arme sich der Papst werfen mußte. Clemens V. schlug seinen Sitz abwechselnd in Lyon und Bordeaux auf und zog dann nach Avignon, wo die Päpste lange Zeit wohnen blieben, während die Weltstadt Rom, kaiserlos und papstlos, unter den Trümmern ihrer zwiefachen Größe in das tiefste Elend heruntersank.