Ferdinand Gregorovius
Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter
Ferdinand Gregorovius

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2. Johann VI. Papst 701. Der Exarch Theophylactus kommt nach Rom. Die italienischen Milizen rücken vor die Stadt. Herstellung des Klosters Farfa. Gisulf II. von Benevent fällt in die Campagna ein. Johann VII. Papst 705. Justinian II. besteigt wieder den Thron von Byzanz. Das Oratorium Johanns VII. im St. Peter. Das Schweißtuch der Veronika. Subiaco hergestellt.

Der Papst Sergius starb am 7. September 701, und nach einer kurzen Vakanz folgte ihm der Grieche Johannes VI. am 30. Oktober 701 im Pontifikat. Damals war Kaiser Tiberius Apsimar, welcher vier Jahre zuvor den Usurpator Leontius vom Throne gestürzt hatte. Wir kennen nicht die Ursachen, die seine feindselige Stellung zu Rom erklären: wir wissen nur, daß er den Exarchen Theophylakt von Sizilien dorthin schickte und daß die Milizen aus den italienischen Provinzen sofort zum Schutze nach Rom zogen. Das Nationalgefühl der Lateiner war erwacht, die Herrschaft der Byzantiner ihrem Falle nah. Jene Milizen lagerten vor den Mauern der Stadt, wo das Volk selbst in Aufruhr war; aber der Papst rettete den Exarchen; er befahl, die Tore zu schließen, und seine Abgesandten bewogen die Italiener zum Abzuge. Sein maßvolles Verhalten zeigte, daß er ein kluger und vorsichtiger Mann war. Die damaligen Päpste besaßen noch keine weltliche Stellung, obwohl sie bereits mehr Einfluß auf die italienischen Verhältnisse hatten als der Exarch. Sie bekannten sich fortwährend als die Untertanen des Kaisers, traten mit weiser Vermittlung in jeder Revolution auf und hielten an der legitimen Autorität des Reiches fest. Denn die verfrühte Losreißung Italiens von Konstantinopel, wo jetzt der Sitz der römischen Reichsgewalt war, würde nur der Vorteil der Langobarden geworden sein, und diese bedrohten gerade damals wieder Rom.

Die Wildheit dieses Volks hatten die milde Natur und die Bildung Italiens allmählich gezähmt; vom Arianismus zum katholischen Glauben bekehrt, waren seine Fürsten und Bischöfe die eifrigsten Förderer des römischen Kultus geworden. Sie bauten Kirchen und Klöster, worin langobardische Mönche die Wissenschaften pflegten. Am Ende des VII. Jahrhunderts entstand auch Farfa wieder, welches einst das Schicksal Monte Cassinos erlitten hatte. Der Herzog Faroald von Spoleto war der tätigste Beförderer des Aufbaues dieser Abtei, die, obwohl in der römischen Sabina gelegen, doch zum langobardischen Dukat Spoleto gehörte. Die dortigen Herzöge waren überhaupt Rom minder gefährlich als die von Benevent.

Wir kennen nicht die Veranlassung, welche den mächtigen Gisulf II. antrieb, im zweiten oder dritten Jahre Johanns VI. in das römische Gebiet einzufallen. Er besetzte hier Sora, Arpino und Arce, verwüstete die Landschaften am Liris mit Feuer und Schwert und lagerte sich bei Horrea. Johann aber bewog ihn durch reiches Lösegeld zum Abzuge. Die genannten Städte waren als Grenzorte streitig, und auch später scheinen sie nicht zum Dukat Benevent gerechnet worden zu sein. Als sie Gisulf eroberte, standen sie wahrscheinlich entweder unter der Verwaltung des römischen Befehlshabers oder wie Terracina und Gaëta unter dem Patricius Siziliens. Sora wird von Paul Diaconus ausdrücklich als eine Stadt der Römer bezeichnet, und diese sind bei ihm, wie beim Procopius, stets die Griechen. Das alte Latium auf dem linken Ufer des Tiber reichte landwärts bis zum Liris und drüber hinaus zu jenen Grenzstädten, meerwärts bis Terracina.

Auch bei dieser Gelegenheit ist weder von einem kaiserlichen Dux noch von Senatoren in Rom die Rede, sondern wieder ist es der Papst, welcher statt des griechischen Befehlshabers handelt, den Frieden durch seine Geistlichen vermittelt und mit dem Schatz der Kirche erkauft. Johann VI. starb im Januar 705 und hinterließ den Stuhl Petri dem Sohn eines Griechen Platon, welcher am 1. März als Johann VII. ordiniert wurde.

Unter der Regierung dieses Papsts stellte sich das friedliche Verhältnis zu den Langobarden wieder her. Der König Aribert gab der römischen Kirche sogar urkundlich die Güter in den Cottischen Alpen zurück, welche seine Vorgänger in Besitz genommen hatten. Die mit goldenen Lettern geschriebene Schenkungsurkunde, eine der ältesten dieser Art, ward nach Rom gesandt. Drohend wurden dagegen die Verhältnisse zu Konstantinopel, denn hier gelang es im Herbst 705 dem vertriebenen Justinian II., sich wieder in Besitz des Throns zu setzen. Er flüchtete von Cherson, wo er in der Verbannung gelebt hatte, nach den Donaumündungen zum Könige der Bulgaren und bemächtigte sich mit dessen Hilfe Konstantinopels. Hierauf schwelgte er im Blute seiner Feinde, die er zu Tausenden spießen, köpfen und blenden ließ. Der furchtbare Rhinotmetus (so wurde Justinian von den Griechen genannt, nachdem ihm die Nase abgeschnitten worden war) hatte kaum sein Reich wiedererlangt, als er sich der Beschlüsse des Trullanischen Konzils erinnerte: er schickte sie mit zwei Metropoliten nach Rom, daß sie der Papst unterzeichne. Johannes verweigerte zwar die Unterschrift, aber er setzte sich dem Tadel der Orthodoxen aus, weil er nicht den Mut hatte, diese unkanonischen Artikel zu verdammen. Sein Lebensbeschreiber erblickte in diesem Vergehen sogar die Ursache seines Todes, der im Oktober 707 erfolgte.

Johann VII. werden einige Bauten in Rom zugeschrieben, welche zum Teil mit merkwürdigen Lokalsagen in Verbindung stehen. Er errichtete eine Kapelle im St. Peter, die er mit Musiven bedecken ließ. Diese Gemälde machten damals so großes Aufsehen, daß sie als der schönste Schmuck des Doms galten, und in der Tat waren sie die höchste Kunstleistung jener Zeit. Die Mitte nahm das Bildnis der Jungfrau ein. Zu ihrer Rechten stand der Papst, den viereckigen Rahmen ums Haupt, das Abbild der Kapelle in Händen. Noch heute sieht man in den Grotten des Vatikan den Rest dieser Figur und die alte Inschrift. Musive bedeckten auch die Wände des Oratorium, darstellend die Predigten Petri in Jerusalem, Antiochia und Rom, den Fall des Simon Magus, den Tod St. Peters und Pauls, ferner die Geschichte des Heilands von seiner Geburt bis zur Hinabfahrt zum Limbus. Die Technik dieser Mosaiken zeigte schon den tiefsten Verfall, aber der Gedanke, eine ganze Kapelle musivisch auszuschmücken und das Drama des Christentums in einer Folge von Handlungen zu entwickeln, war für jene barbarische Zeit so kühn, daß er unserer Aufmerksamkeit wert ist. Als im Jahre 1639 die Kapelle Johanns VII. nach einer Dauer von 900 Jahren niedergerissen wurde, kam daraus ein Rest der Mosaiken nach S. Maria in Cosmedin, wo dies ehrwürdige Denkmal (es zählt mehr als elf Jahrhunderte) in der Sakristei eingemauert ist. So roh dasselbe ist, trägt es doch die Zöge einer für uns kaum noch verständlichen Zeit frommer Einfalt und gläubiger Kindlichkeit.

Johann VII. soll in jener Kapelle das Schweißtuch der Veronika niedergelegt haben, welches dort im X. Jahrhundert und sicherlich schon seit geraumer Zeit verehrt wurde. Auch sieht man noch heute in den Grotten des Vatikan eine auf die Veronika bezügliche Inschrift Johanns VII. Weil nun dies Tuch im Mittelalter als unschätzbares Kleinod der Stadt galt, muß seine Legende hier erzählt werden.

Tiberius, von unheilbarem Aussatze befallen, erklärte eines Tags den Senatoren, daß er seine Zuflucht zum Himmel nehmen wolle, weil Menschenhilfe für ihn vergeblich sei. Er habe gehört, daß in Jerusalem ein göttlicher Wundertäter mit Namen Jesus lebe, und wolle, daß man denselben zu ihm nach Rom bringe. Er befahl dem Patrizier Volusianus, dorthin zu reisen und den großen Arzt Jesus einzuladen, ihn nach Rom an des Kaisers Hof zu begleiten. Stürme verzögerten die Ankunft des Abgesandten in Jerusalem um ein Jahr; als Volusian endlich dort eintraf, erklärte ihm Pilatus, er bedaure, nicht früher von der Absicht des Kaisers in Kenntnis gesetzt worden zu sein, denn die Juden hätten den Wundertäter ans Kreuz geschlagen. Da Volusian seinen Auftrag nicht ausführen konnte, war er froh, sich wenigstens in den Besitz eines Bildnisses Jesu zu setzen. Denn eine fromme Matrone Veronika hatte dem mit dem Kreuz belasteten Erlöser sein Antlitz mit ihrem Tuch getrocknet und der Heiland ihr zum Dank auf diesem den Abdruck davon zurückgelassen. Volusianus nahm Veronika und ihr Bildnis nach Rom und führte auf demselben Schiff auch Pilatus in Ketten mit sich. Als er vor den Kaiser trat, verdammte dieser den Landpfleger zum ewigen Exil nach der Stadt Ameria, das Schweißtuch aber ließ er vor sich bringen, und kaum hatte er es erblickt, als er in Tränen ausbrach und sich anbetend vor ihm niederwarf; alsbald wich auch der Aussatz von ihm. Veronika machte er reich, das Schweißtuch ließ er in Gold und Edelsteine fassen und in seinem Palast verwahren. Tiberius lebte nur noch neun Monate, in beständigem Gebet zu Christus und sein heiliges Bild verehrend.

Die berühmte Legende gehört in die Zahl derer, welche die heidnischen Kaiser Roms mit dem Christentum in Verbindung bringen. An Augustus, zu dessen Zeit der Heiland geboren wurde, heftete sich eine der schönsten Lokalsagen der Stadt, die wir später erzählen werden, und sein schrecklicher Nachfolger Tiberius, unter dessen Regierung Jesus gekreuzigt wurde, bot sich eben deshalb zum Gegenstand einer Legende dar. Diese entstand früher als jene, denn sie war schon zur Zeit des Eusebius und Tertullian in ihren Hauptzügen vorhanden. Es ist ungewiß, wann die Sage erfunden wurde, daß Tiberius, infolge seiner wunderbaren Heilung durch jenes Schweißtuch, Christus unter die Götter aufzunehmen gebot. Der Senat, so erzählt sie, weigerte sich, dem Kaiser zu gehorchen, er befahl vielmehr die Austreibung aller Christen aus der Stadt, worauf Tiberius in Wut geriet und viele Senatoren umbringen ließ. Diese Legende mag dem XII. Jahrhundert angehören, doch schon am Anfange des V. schrieb der Bischof Orosius, der noch nichts vom Schweißtuch wußte, daß Tiberius durch den Widerstand des Senats gegen die Erklärung Christi zu einem Gott aus dem sanftmütigsten Fürsten in einen grausamen Tyrannen sich verwandelt habe.

Die römische Legende setzte die Geschichte des Sudarium weiter fort. Veronika nämlich blieb nach dem Tode des Kaisers im Besitz ihres Schatzes, und als sie mit hundert Jahren starb, vererbte sie ihn auf den Bischof Clemens, dessen Nachfolger dies Heiligtum mit Ehrfurcht bewahrten, bis es von Bonifatius IV. im Pantheon niedergelegt ward. Endlich ließ es Johannes VII. in seiner Kapelle im St. Peter in einem marmornen Tabernakel verschließen.

Dieser Papst erwarb sich jedenfalls größere Verdienste um die Kirche durch die Wiederherstellung eines weltberühmten Klosters in der Campagna. Auch die Benediktinerabtei Subiaco, die älteste Stiftung Benedikts, hatte das Schicksal ihrer Kolonie Monte Cassino erfahren. Sie war im Jahre 601 von den Langobarden zerstört worden, und ihre Mönche hatten das Kloster St. Erasmus auf dem Coelius bezogen. Mehr als hundert Jahre lang blieb Subiaco verödet, bis Johann VII. die Abtei erneuerte.


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