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2. Wesen Hadrians VI. Enkevoirt und andere Flamländer. Reformversuche. Tiene und Caraffa. Abberufung Manuels. Der Herzog von Sessa Botschafter Karls. Lannoy Vizekönig in Neapel. Unglückliche Lage Hadrians. Seine Reformversuche scheitern. Fortschritte der Reformation. Chieregati. Der Nürnberger Reichstag. Fall von Rhodos. Hadrian sucht seine Neutralität zu bewahren. Intrigen Soderinis. Hadrian tritt der Liga des Kaisers bei. Beginn des Feldzugs Franz' I. Verrat Bourbons. Hadrian VI. stirbt September 1523.
Hadrian VI. war ein schöner und stattlicher Mann, gemessen und ernst, doch leutselig. Er sprach wenig, nicht Italienisch, das Lateinische mit einem für die Italiener barbarischen Akzent. Sein Leben blieb, wie es in seiner Heimat gewesen war, das eines Heiligen. Dieser Papst, so berichteten Venetianer, erhebt sich lange vor Tagesanbruch; er betet, geht dann wieder schlafen bis zur Morgenröte, liest die Messe und bleibt noch mehrere Stunden im Gebet; später läßt er die Messe von seinem Kaplan lesen; dann gibt er Audienzen. Er ist einsilbig. Bei jeder großen oder kleinen Angelegenheit antwortet er zuerst »videbimus«. Er will jeden Tag viel studieren, nicht bloß lesen, sondern schreiben und verfassen: das lenkt ihn von seinen Amtsgeschäften ab. Für seinen Tisch gibt er täglich einen Dukaten aus, den er abends mit eigner Hand aus der Tasche zieht und dem Kammerdiener mit den Worten reicht: das ist für morgen. Es kocht für ihn und besorgt Wäsche und Bett eine Frau, die er aus seiner Heimat mitgebracht hat.
Im Vatikan wurde es still wie in einem Kloster. Den Schwarm der Parasiten, der Poeten, Künstler und Gelehrten sah man dort nicht mehr. Die angefangenen Arbeiten Raffaels in der Sala Constantins blieben liegen; Giulio Romano, Pierin del Vaga, Giovanni von Udine, Sebastiano und andere wurden dem Hunger preisgegeben, wie Vasari mit Übertreibung sagt. Hadrian haßte alles schöngeistige Wesen; er verstand die Reinheit des lateinischen Ausdrucks zu würdigen, aber von Verskünstlern wollte er nichts wissen. Dem einzigen Jovius gab er das Bistum Como, weil er Geschichtschreiber und nicht Poet sei. Die Terentianer, die Schauspieler und Hofdichter Leos X., selbst der gefeierte Marone, wurden mit Schimpf aus dem Vatikan gejagt. Die Akademiker wanderten ins Exil oder sie verbargen sich. Sadoleto ging nach Carpentras, Castiglione nach Mantua. Nach der Sonne Leos X. schien den Lateinern kimmerische Nacht auf Rom zu lagern. Das dürre Wesen dieses scholastischen Pedanten und diese glanzvolle freie Kultur der Stadt widersprachen einander bis zur Unertragbarkeit. Es gab keinen Italiener von Geist und Bildung, der nicht die Thronbesteigung Hadrians als den Untergang für alles Edle betrachtet hätte. Selbst Bembo, der schon vor dem Tode Leos Rom verlassen hatte, urteilte so. Die Poeten bedeckten das Grab dieses Papsts mit Distichen voll Sehnsucht nach seiner goldenen Zeit. Andere schrieben die gemeinsten Satiren auf den Fremdling, seinen Nachfolger.
Alles an Hadrian, Abstammung und Art zu sein, widerte die Römer an. Statt mit dem Füllhorn der Freigebigkeit, stand er da im Vatikan, die Sparbüchse in der Hand. Man schrie über seinen Geiz, als er der Verschwendung des Hofes Einhalt tat. Er fand nichts als Schulden vor, im Schatze kaum 3000 Dukaten. Nun bedrängten ihn die Gläubiger seines Vorgängers täglich mit Geschrei. Die zahlreiche Dienerschaft des Palastes entließ er. Als sich die Stallknechte seiner Gnade empfahlen, fragte er, wieviel ihrer Leo X. gehabt habe; auf die Antwort »hundert« bekreuzte er sich: vier seien genug. Seine eigene Bedienung hatte er mit sich gebracht; zwei Kammerdiener besorgten das Nötigste, »Flamländer, stupide Menschen wie von Stein«. Sein Vertrauter war Enkevoirt, den er bald zum Datar machte, und dieser war beeinflußt von den Kardinälen Monte und Soderini. Außerdem schenkte er seine Gunst Johann Winkel, seinem Referendar, und seinem Sekretär Dietrich Hesius. Bald wurde auch ein in Rom geborener Deutscher, Peter mit Namen, einflußreich: er trat in den Dienst des Papsts als Stubenkehrer, ward Kammerdiener und fing an, Enkevoirt zu beherrschen. Hadrians Sekretär war Cisterer, ein junger Mann, der heimlich im Dienste des kaiserlichen Botschafters stand, welchem er die Geheimnisse des Papsts verriet.
Riesige Aufgaben fand Hadrian vor: er sollte Italien den Frieden geben, die Großmächte versöhnen, den Kreuzzug gegen die Türken zustande bringen, welche bereits Belgrad erstürmt hatten; er sollte die Ketzerei in Deutschland und der Schweiz bezwingen und der Kirche die rettende Reform geben. Er begann mit dem Versuch, die Dataria von den Mißbräuchen der Indulgenzen zu reinigen und Verbesserungen in der kirchlichen Verwaltung zu machen. Zwei Männer von frommer Gesinnung rief er deshalb zu sich, den Vicentiner Gaëtanus Tiene und Giampietro Caraffa, welchen er in Spanien kennengelernt hatte, den späteren Paul IV.
Dringend war auch die Beruhigung des Kirchenstaats. Die Spanier, welche Hadrian mit sich gebracht hatte, schickte er nach der Romagna, wo sie Rimini den Malatesta entreißen sollten. Schon in Spanien hatte er die Boten Alfonsos freundlich aufgenommen. Da er erkannte, daß nur die Selbstsucht seiner Vorgänger diesen Herzog zum Kriege getrieben hatte, hob er die Bullen Leos X. auf, bestätigte Alfonso in Ferrara und verhieß ihm sogar die Rückgabe Reggios und Modenas. So wurde, was für Karl V. wichtig genug war, der Grund des Bündnisses zwischen dem Herzog und Frankreich entfernt.
Hadrian wollte keine Partei ergreifen, sondern neutral bleiben; sein heißester Wunsch war der Türkenkrieg, denn seit Monaten belagerte Soliman Rhodos, den Schlüssel des Mittelmeers. Aber die Mächte wollten nichts vom Frieden wissen. Schon am 19. Juni 1522 hatten Karl V. und Heinrich VIII. zu Windsor ein Bündnis wider Frankreich entworfen, und jener hoffte, auch den Papst zum Beitritt zu einer neuen Liga zu bewegen. Manuel, bereits abgerufen, weil er selbst dies dringend begehrt hatte, aber noch in Rom geblieben, die Ankunft seines Nachfolgers abzuwarten, scheiterte in allen seinen Bemühungen. Er achtete diesen Papst gering; dem Kaiser schilderte er ihn als schwach und unentschlossen, nannte ihn einen Knauser, ohne alle Kenntnis der Geschäfte; bei Gelegenheit des üblichen Empfanges der Chinea, des Tributs für Neapel, habe er sich wie ein Kind benommen. Mit Frankreich unterhandle er schon seit seiner Abreise von Spanien; es widerstrebe ihm, einem solchen Papst im Namen des Kaisers die Huldigung zu leisten, er habe daher den Vizekönig von Neapel und den Herzog von Sessa gebeten, dies an seiner Stelle zu tun. Obwohl sich Hadrian nach seiner Ankunft dem ausgezeichneten Staatsmanne freundlich gezeigt hatte, war dieser doch ein Dorn in seinem Auge. Er nannte ihn aus kleinlichem Groll seinen und der Kirche Feind und behauptete sogar, daß er dies sei, weil er durch seine Erwählung zum Papst die 100 000 Dukaten verloren habe, die ihm Farnese für seine Wahl versprach. Manuel verließ Rom am 13. Oktober im Zorn und willens, einen Bruch zwischen dem Papst und Kaiser herbeizuführen. Sein Nachfolger, Don Luis de Corduba, Herzog von Sessa, setzte die diplomatischen Bemühungen fort, unterstützt von Charles de Lannoy, dem neuen Vizekönig von Neapel seit dem am 10. März 1522 erfolgter Tode Cardonas. Dieser Niederländer, Sohn des Jean de Lannoy, Herrn von Maingoval, zu Valenciennes um das Jahr 1487 geboren, war der erklärte Liebling Karls und seit 1515 in seinem Hofdienst. Er hatte ihn gerade aus Rücksicht auf Hadrian nach Neapel geschickt, weil er diesem von Flandern her befreundet war. Aber Lannoy und Sessa fanden dieselben Schwierigkeiten wie Manuel; sie rieten dem Kaiser, erst Enkevoirt zu gewinnen und die Umgebung Hadrians, seine Kämmerer und Sekretäre zu bestechen. Den Papst selbst fand Sessa ganz verändert, bleich und abgemagert.
Die klimatische und die moralische Luft Roms machten Hadrian krank; die Hindernisse, welche sich seinen edlen Absichten entgegenstellten, beugten ihn nieder. Seine Natur fand sich nicht in die schlauen Künste Welschlands und in das Treiben von Höflingen, bei denen alles Tun feine Berechnung der Selbstsucht war. Vom Lethe Roms wollte er nicht trinken. Er näherte sich keinem Kardinal. außer vielleicht Campeggi, der im Vatikan wohnte. Er mißtraute allen Italienern, und da die Flamländer die römischen Zustände nicht zu behandeln wußten, wurde er fast immer betrogen. Es gab wohl auch ernste Männer, welche die Notwendigkeit einer Reform erkannten, wie Aegidius, Caraffa, Giberti, Chieregati, doch diese vereinzelten Kräfte waren nicht ausreichend. Nach der Ansicht Hadrians sollte kein Prälat mehr als eine Pfründe haben; der Ämterverkauf, der Gnaden- und Bullenhandel, das Protektionswesen sollten aufhören, kurz Simon Magus aus seinem eingewohnten Sitz vertrieben werden. Mit gutem Beispiel war der Papst vorangegangen: einem seiner Neffen hatte er noch in Spanien ein Benefiz von siebzig Dukaten erteilt; als er um mehr bat, gab er ihm ein anderes von hundert, aber er zog das erste zurück. Man fand in Rom diese Verleugnung der Verwandtenliebe hart und grausam. Tausende forderten Benefizien, denn sie besaßen ihre Anwartschaften darauf und hatten diese bezahlt. Zur Zeit Leos X. hatte man für beinahe drei Millionen Dukaten Ämter verkauft, welche 348 000 Dukaten Rente abwarfen und 2550 Personen Stellen gaben. Als Hadrian durch eine Bulle alle Anwartschaften aufhob, erbitterte er mehr Menschen als jene Tausende; ein Placentiner lauerte ihm eines Tages voll Wut auf, ihn zu ermorden, und er stieß sich dann selbst den Dolch in die Brust. Als der Papst das Ablaßwesen, die Einkünfte der Datarie und Kanzlei beschränken wollte, rief er nur einen Sturm der Entrüstung hervor: »Rom ist nicht mehr Rom. Von einer Pest befreit, sind wir in eine größere gefallen. Dieser Papst kennt niemand; nicht ein Gnadengeschenk wird gesehen; alles ist voll Verzweiflung.« Bald erkannte Hadrian, daß die Abschaffung der Mißbräuche in der Kurie eine Unmöglichkeit sei, denn diese waren zu tief gewurzelt; auch ruhte auf ihnen ein großer Teil der Papstgewalt. Der reiche Kardinal von Santi Quattro, Lorenzo Pucci, der böse Dämon Leos X. in allen Finanzkünsten, verfocht mit Heftigkeit das Ablaßwesen, und andere stellten dem Papst so viele Gründe von praktischem Gewicht vor, daß er sich in tausend Zweifeln verstrickt sah.
Diese Kirchenfürsten blickten nur mit Ironie auf den Pedanten im Vatikan. Sie jagten, spielten und tafelten ihm zum Trotz nach wie vor. Als die venetianischen Oratoren zur Obedienz nach Rom kamen, nahm Cornaro, ein leidenschaftlicher Jäger, seinen Oheim Matteo Dandolo mit auf eine Jagd, woran hundert Reiter teilnahmen. Der Kardinal ritt ein kostbares andalusisches Pferd. Er lud die Venetianer zu einem Gastmahl in sein Haus; man zählte dabei nicht weniger als 75 Gänge von je dreierlei Art Speisen, die mit großer Schnelligkeit gewechselt wurden. Man speiste auf prachtvollem und massenhaftem Silber. Die besten Musiker ließen Lauten, Violinen und Lironen hören; Gesang gabs drinnen und draußen. Weniger schwelgerisch war das Gastmahl im Venetianischen Palast bei Grimani, weil man wegen des Sonnabends nur Fische aß; doch ward bemerkt, daß ein einzelner Stör achtzehn Dukaten kostete und die Menge edler Weine unzählbar war. Man tafelte sechs Stunden lang. So ging es an den Tischen der Kardinäle zu, während der edle Papst jeden Abend seinem Kammerdiener einen Dukaten reichte mit den Worten: das ist für morgen. Hadrian und dieser üppige Prälatenhof erschienen der eine als die Satire des andern.
Was er auch tat, man fand es unerhört. Die Flotte zum Türkenkriege zu rüsten, legte er, statt Ablässe auszuschreiben, einen Zehnten auf den Kirchenstaat und forderte einen halben Dukaten von jeder Feuerstelle. Das erbitterte. Einsichtige erkannten seine Gerechtigkeit und sein Gewissen; aber sie lächelten über seine Unkenntnis Roms: »Man kann von ihm sagen, was Cicero von Cato sagte: er benimmt sich wie ein Gesetzgeber im Idealstaat Platons, nicht wie einer in dem Räubervolk des Romulus.« Seine Lage war nicht minder unglücklich als jene des Paschalis, »des guten Papsts«, zu seiner Zeit. Er wurde die Zielscheibe des boshaften Witzes und der Gegenstand schändlicher Verleumdung. Bei dem Gefühl seiner Schwäche verwundeten ihn die Satiren der Römer, welche Julius belächelt hatte. Eines Tages brachten ihn die witzigen Ausfälle des zuchtlosen Pasquino so sehr auf, daß er diesen steinernen Schwätzer in den Tiber wollte werfen lassen; lächelnd bemerkte ihm der Herzog von Sessa, daß Pasquino auch im tiefsten Wasser als Frosch zu reden fortfahren würde. Dies Wort rettete vielleicht den berühmten Torso und brachte den Herzog bei den Römern in Gunst. Als man Hadrian die Gruppe des Laokoon zeigte, wandte er sich hinweg: »Das sind Götzenbilder der Heiden.« Das Belvedere machte er unzugänglich; alle dorthin führenden Türen ließ er bis auf eine vermauern, und zu dieser gelangte man nur durch seine eigenen Zimmer. »Ich fürchte«, so schrieb Negri, »daß der Papst eines Tages tun wird, was St. Gregor soll getan haben, daß er alle diese Statuen, die lebendigen Zeugen der Größe und des Ruhms der Römer, zu Kalk zerschlagen wird für den Bau St. Peters.«
Wenn Hadrian unfähig war, auch nur seine nächste Umgebung zu reformieren, wie sollte er die Kirche selbst verbessern, wie endlich der deutschen Kirchenspaltung Herr werden? Seit dem Reichstage zu Worms war Luther versteckt auf der Wartburg; doch seine Schriften bewiesen, daß sein kühner Geist am Leben sei. Im März 1522 trat er wieder furchtlos unter sein Volk: er kam nach Wittenberg. Niemand wagte, das Wormser Edikt auszuführen, niemand Hand an den großen Mann zu legen, der die Geister Deutschlands beherrschte. Die Bewegung griff dort mächtig um sich: Klöster hoben sich selbst auf, Geistliche nahmen Weiber, die Messe ward abgeschafft.
Als sich Deutschland erhob, das Joch Roms abzuwerfen, konnte das Papsttum diesen Abfall eines Volks nicht mehr wie eine Rebellion bändigen. Es selbst war moralisch gebrochen und in seinen Grundlagen erschüttert. Die Wissenschaft, der Buchdruck, die Aufklärung und Kritik, die Macht der öffentlichen Meinung, die kirchlichen wie nationalen Bedürfnisse rüsteten die deutsche Reformation mit unbesiegbaren Waffen aus. Die römische Kirche besaß keine gleich starken oder stärkeren mehr; es sei denn, daß sie versuchte, Deutschland durch kühne und wirkliche Reformen zu versöhnen. Der Papst wollte den lutherischen Streit mit Gerechtigkeit schlichten, ihn durch Ausgleich der Lehrsätze vermitteln. Die Kardinäle lachten zu solchen Plänen. »Die Ketzerei«, so sagte eines Tages Soderini, »hat noch niemand mit Reformen erstickt; mit Kreuzzügen und Aufstachlung der Fürsten und Völker wird sie umgebracht.« Wenn aber je ein Papst die Verschuldigung seiner Vorgänger erkannte, so war es Hadrian VI. Er haßte Luther als Ketzer, und doch sah er ein, daß die Ursachen dieser Ketzerei nicht in ihm, einem einzelnen Menschen, sondern in der ganzen Verfassung der Kirche, in dem Mißbrauch der geistlichen Gewalt begründet waren.
Der Reichstag war in Nürnberg versammelt, auf Grund der drohenden Gefahr, welcher Ungarn nach dem Falle Belgrads ausgesetzt blieb. Durch ein Breve in der heftigsten Sprache ermahnte jetzt Hadrian die Stände, gegen Luther einzuschreiten, dem kaiserlichen Edikt Geltung zu verschaffen; wie einst in Bullen Friedrich II. und König Manfred mit den Sarazenen zusammen als Feinde der Christenheit bezeichnet waren, so wurden jetzt Luther und der Sultan Soliman mitsammen aufgeführt. Nach Nürnberg schickte der Papst einen ausgezeichneten Mann als Nuntius, Francesco Chieregati, Bischof von Teramo. In den merkwürdigen Anweisungen, die er ihm mitgab, bekannte er wörtlich wie folgt: »Wir wissen, daß bei diesem Heiligen Stuhl seit Jahren viel Abscheuliches geschehen, Mißbräuche im Geistlichen, Überschreitung der Mandate und daß alles ins Arge verkehrt worden ist. Kein Wunder, wenn die Krankheit vom Haupt zu den Gliedern, von den Päpsten zu den unteren Prälaten herabstieg. Wir alle und die Geistlichkeit sind auf ihren Wegen abgewichen; niemand hat seit langem Gutes getan, ja nicht einer; deshalb ist es not, daß wir alle Gott die Ehre geben, unsre Seelen vor ihm demütigen und jeder zusehe, woher er gefallen ist.« Er befahl seinem Legaten, dem Reichstag zu erklären, daß er zuerst die römische Kurie, »von welcher wohl all dieses Verderben ausgegangen«, reformieren, in der Kirche nur tugendhafte Männer erheben, alle Mißbräuche abstellen wolle, um so mehr als die ganze Welt diese Reformation mit Sehnsucht erwarte. Er beteuerte, daß er lieber Privatmann geblieben als Papst geworden wäre und dieses Amt nur aus Gottesfurcht und Rücksicht auf die drohende Kirchenspaltung übernommen habe.
In Wahrheit, man muß weit in die Vergangenheit der Kirche zurückgehen, um einen Papst zu finden, der mit so reinen Absichten auf den Heiligen Stuhl gestiegen war. Oftmals dachte er mit Sehnsucht an die Zeiten Hadrians I. und Karls des Großen. Es galt ihm als eine Fügung des Himmels, daß er Papst wurde, während sein Zögling und Landsmann Kaiser war. Viele hofften deshalb die Beilegung des deutschen Schisma durch eine katholische Reformation. Doch die Vermittlungsvorschläge Hadrians kamen zu spät. Die Stände in Nürnberg lehnten die Ausführung des Wormser Edikts als unmöglich ab, weil sie Bürgerkriege veranlassen würde, da das deutsche Volk durch die Lehren Luthers über die Mißbräuche der römischen Kurie neu aufgeklärt worden sei. Sie entwarfen die hundert Beschwerden des deutschen Volks wegen des Bruchs der Konkordate: sie forderten ein freies christliches Konzil in einer Stadt Deutschlands, um zu beschließen, »was in göttlichen, evangelischen und andern gemeinnützigen Sachen notwendig anzuwenden sei«; bis zu welcher Frist von Luther und dessen Anhängern nichts solle gelehrt werden als das heilige Evangelium und bewährte Schrift nach echtem christlichem Verstande. Dies Gutachten des Ausschusses war von unermeßlicher Tragweite; es entschied den Sieg der Reformation.
In tiefer Bestürzung beschwor Hadrian die Fürsten, zumal Friedrich, Luther nicht ferner zu schützen, der Ketzerei nicht mehr Nachdruck zu geben in jenem Sachsenlande, welches einst Karl der Große zum Christentum bekehrt habe. Der Kurfürst wies den Internuntius ab. Karl V. selbst hatte keine Macht über die Stände des Reichs; auch erkannte er, daß die Reformation diplomatisch auszubeuten sei. Am 31. Oktober forderte er vom Papst die Bewilligung der Annaten und Zehnten zum Türkenkrieg, und er versprach auch, der Ketzerei Luthers mit Nachdruck entgegenzutreten.
Schon zu Augsburg hatten die Stände gegen den Türkenzehnten protestiert; Flugschriften gingen um, welche sagten, daß der Türkenkrieg nur ein Deckmantel römischer Erpressung sei; nicht in Asien, sondern in Rom seien überhaupt die Türken zu suchen. Luther selbst sprach sich in diesem Sinne aus. Nichts kam unter den Mächten wider den Feind der Christenheit zustande. Unerhört flehten die Johanniterritter das Abendland an um die Rettung der Insel Rhodos; nur drei Schiffe sandte der Papst, und diese kamen zu spät. Nach langer heldenmütiger Verteidigung fiel Rhodos, und über Myriaden von Leichen zog der furchtbare Soliman in dieses Bollwerk der Christenheit ein, an deren heiligem Weihnachtsfest. Das war ein tödlicher Schlag für Hadrian. Nun schrieb man seiner Saumseligkeit dreist dieses Unglück zu, wie man den Fall von Byzanz Nikolaus V. zugeschrieben hatte. Seit 1309 waren die Johanniter im Besitz dieser Insel gewesen; jetzt verließen sie Rhodos am 1. Januar 1523; der Rest ihrer tapfern Schar schiffte sich unter dem Ordensmeister Philipp Valliers de l'Isle Adam über Candia nach Italien ein. Sie stiegen am Ende des Juni bei Bajae ans Land, und im Juli hielt der Großmeister seinen traurigen Einzug in Rom.
Hadrian sah überall nichts als Untergang. Nun bemühte er sich, den Kaiser, Frankreich und England zu einem Waffenstillstand zu verpflichten, und auch das gelang ihm nicht, denn Franz I. wollte seine Ansprüche weder auf Mailand noch auf Neapel aufgeben, Karl V. der Liga gegen ihn nicht entsagen. Und schon war der Kaiser nahe daran, Venedig und Ferrara zu sich herüberzuziehen, während er hoffte, endlich auch den Papst zum Beitritt zu bewegen. Am 29. November schloß er mit Alfonso einen Vertrag: er erteilte ihm die Investitur seiner Staaten, nahm ihn in kaiserlichen Schutz und versprach ihm die Wiederherstellung in Modena und Reggio, welche Leben des Reichs seien. Sein Gesandter Girolamo Adorno wirkte für ihn in Venedig, unterstützt vom englischen Orator Richard Pace. Noch aber versagte Hadrian seine Mitwirkung zu irgendeiner Frankreich feindlichen Handlung. Es gelang ihm damals, am Anfange des Jahres 1523, die Romagna zu beruhigen, die Malatesta zum Verzicht auf Rimini zu zwingen. Jetzt eilte auch Francesco Maria nach Rom, wo ihm der Papst am 27. März die Belehnung mit Urbino und dann auch die Stadtpräfektur wiedergab. Nur Modena und Reggio wollte er Alfonso nicht zurückgeben; in alle seine andern Rechte hatte er den Herzog wiederhergestellt.
Ein Vorgang machte unterdes auf Hadrian solchen Eindruck, daß er den Wünschen des Kaisers nachgab. Unter den Kardinälen war ihm mit der Zeit Francesco Soderini nähergekommen. Er war das Haupt der französischen Partei, der erbitterte Feind Medicis, welcher sich in Florenz befand, wo er den Staat regierte. Soderini hatte dort erst eine Verschwörung gegen das Leben des Kardinals angezettelt, die indes enthüllt ward; er unterhandelte mit dem Hofe Frankreichs, plante einen Kriegszug gegen Florenz, einen Anschlag auf Sizilien, wohin Franz I. eine Flotte schicken sollte. Briefe, die er an seinen Neffen Giuliano Soderini, Bischof von Saintes, schrieb, kamen in die Hände Medicis und durch diesen an den Herzog von Sessa. Das hatte die Folge, daß der Papst den ihm mißliebigen Medici nach Rom berief. Er zog hier mit 2000 Pferden ein, eingeholt von der ganzen Kurie, dem Adel und vielem Volk, selbst von ehemaligen Feinden, wie den Petrucci und Baglioni, selbst vom Herzog von Urbino, der damals den Venetianischen Palast bewohnte. In Medici, dem mächtigsten Manne des Heiligen Kollegium, begrüßte man bereits den künftigen Papst. Sein Hof in der Cancellaria schien der wirkliche Hof des Papsts zu sein. Hadrian empfing den Kardinal mit großer Auszeichnung, besprach sich mit ihm und willigte in den Sturz seines Gegners. Am 27. April rief er Medici, Sessa und Soderini in den Vatikan; es gab einen heftigen Auftritt; denn diese drei Herren gerieten in lebhaften Wortwechsel, da sich der beschuldigte Kardinal verteidigte. Auf Befehl Hadrians führte ihn der Hauptmann der Wache in die Engelsburg. Der alte Soderini gedachte der Katastrophe zur Zeit Leos X. und glaubte, daß seine letzte Stunde geschlagen habe; die Nahrung verweigerte er, bis der Burgvogt sie mit ihm teilte. Drei Kardinäle verhörten ihn bei mildester Behandlung, doch seine Geständnisse überwiesen ihn des Hochverrats. Der Herzog von Sessa riet sogar dem Kaiser, die Hinrichtung des Schuldigen zu verlangen.
Diese Enthüllungen waren es, die einen Bruch zwischen dem Papst und Frankreich hervorbrachten. Franz I. erfuhr kaum die Gefangennahme des Kardinals, als er seine Gesandten von Rom abrief und den päpstlichen Nuntius festsetzen ließ. Nun gab Hadrian den Vorstellungen Lannoys und Sessas Gehör. Man vernahm von den Rüstungen des Königs und seinem Beschluß, nach Italien zurückzukehren, wo ihm nur das feste Cremona geblieben war. Der Papst befand sich in peinvoller Aufregung. Man hielt ihn schon für sterbend. Am 13. Juli schrieb Karl seinem Botschafter: für den Fall des Todes solle er alles daran setzen, Medici zur Wahl zu bringen. Sollte Hadrian seinen besten Grundsätzen entsagen, um wie seine Vorgänger einer Kriegspartei sich anzuschließen? Nichts fruchteten die Mahnungen an Franz I., höchstens in einen zweimonatlichen Waffenstillstand wollte dieser willigen. Auf die Drohung mit dem Bann antwortete er, daß er Hadrian behandeln wolle, wie einst Philipp Bonifatius VIII. behandelt hatte. Er erschien dem Papst als das alleinige Hindernis des Türkenkrieges, und kummervollen Herzens entschloß sich Hadrian, dem Bündnis zwischen Karl und England beizutreten.
Der Kaiser war dessen froh. Auch Venedig unter dem Dogen Andrea Gritti trat zu ihm. Erst wurde am 29. Juli die Liga zwischen Karl, dem Erzherzog Ferdinand, England, Mailand und Venedig abgeschlossen, dann brachen Medici und der von Neapel herbeigeeilte Vizekönig den letzten Widerstand des Papsts, so daß er am 3. August 1523 dem Bündnisse beitrat. Folgenden Tags wurde diese Liga zum Schutze Italiens gegen alle Feinde in S. Maria Maggiore feierlich ausgerufen. Der Kardinal Pompeo, das Haupt der Kaiserlichen, gab den Gesandten und Kardinälen ein Gastmahl in seinem Palast, während der Papst in den Gärten Mellini speiste, und hier zog er sich ein Fieber zu. Es war ein trauriger Tag für Hadrian, als er doch vom römischen Lethe hatte trinken müssen. Europa stand jetzt in einem furchtbaren Bunde wider Frankreich, denn gegen Franz I. und nicht gegen Soliman war diese Liga gerichtet.
Heere rüstete man mit Eifer aus; den Marchese von Mantua machten der Papst und die Florentiner, den Herzog von Urbino die Venetianer an Stelle des Teodoro Trivulzio zum Generalkapitän. Längst gerüstet war auch Franz I.; der Abfall Venedigs schreckte ihn nicht. Nur der Verrat des Connetable hatte ihn gehindert, sein Heer schon im Sommer über die Alpen zu führen. Karl von Bourbon, der mächtigste Dynast in Frankreich, war vom Haß der Königinmutter verfolgt, deren Hand er nach dem Tode seiner Gemahlin verschmähte; Prozesse der Krone bedrohten ihn mit dem Verlust seiner besten Länder; Stolz und Rachsucht trieben ihn in das Lager Karls V. Einem heimlichen Vertrage gemäß sollte er Eleonora, die verwitwete Königin von Portugal, des Kaisers Schwester, zur Gemahlin erhalten; auf allen Seiten sollte Frankreich angegriffen, endlich zwischen England, dem Kaiser und Bourbon geteilt werden. Der Connetable täuschte seinen König durch heuchlerische Verstellung und rettete sich am Anfang des September 1523 in die Schweiz, um dann als Verräter seines Vaterlandes unter den Fahnen des Kaisers wider seinen Herrn zu kämpfen. Als der König schon auf dem Marsch nach Italien zu Lyon die Flucht Bourbons vernahm, blieb er selbst voll Argwohn in Frankreich; sein Heer aber ließ er unter Bonnivet vorwärtsziehen. Es erreichte Susa in den ersten Tagen des September.
Voll Kummer blickte Hadrian auf den beginnenden Krieg in der Lombardei, welcher alle seine Absichten, den europäischen Frieden, den Kreuzzug, das Reformkonzil zerstörte. Er erkrankte auf den Tod. Als sein Ende gewiß war, drangen die Kardinäle an sein Lager; sie forderten mit rohem Ungestüm, daß er angebe, wieviel Geld und wo er dies verwahre; sie behandelten den Papst nicht wie einen Sterbenden, sondern wie einen Verbrecher auf der Folter. Hadrian VI. verschied am 14. September 1523, an demselben Tage, als die französische Armee den Ticino überschritt, um auf Mailand zu ziehen.
Die Spanier und die Flamländer schrien, daß der Papst vergiftet worden sei: man öffnete die Leiche und fand keine Spuren von Gift. Nicht einmal der Tod Alexanders VI. war mit solcher Freude in Rom begrüßt worden. Die ausgelassene Jugend bekränzte die Haustüre des päpstlichen Arztes und heftete darauf die Inschrift: »Dem Befreier des Vaterlandes der Senat und das Volk von Rom.« Nun war die flamländische Finsternis gewichen, und die mediceischen Tage konnten wiederkehren. »Würde dieser grimmigste Feind der Musen, der Beredsamkeit und alles Schönen länger gelebt haben, so hätten sich die Zeiten gotischer Barbarei erneuern müssen«: das schrieb noch später Valerianus.
Sehr unglücklich war Hadrian VI., welchen Natur und Neigung für gelehrte Studien oder das Kloster bestimmt, der Zufall aber in einer schrecklichen Zeit auf den Papstthron geführt hatte, wo er ein vortrefflicher Priester, doch für die unwürdige Kurie ein unerträglicher Papst war. Wenn geistliche Tugenden, gepaart mit Wissen und Verstand, für die Stellung des Oberhauptes der Kirche in jener Zeit nicht mehr ausreichten, so bewies das, wie ausgeartet die Kirche geworden war, in welcher nur noch glänzende Herrscher oder verschlagene Staatsmänner als große Päpste erscheinen konnten. Das Schicksal Hadrians VI., des letzten deutschen und ausländischen Papsts, spricht die Inschrift seines Grabmals aus: »Wieviel kommt es darauf an, in welche Zeit auch des besten Mannes Tugend fällt.« Das Grabmal setzte ihm in der Kirche dell' Anima zu Rom Enkevoirt, den der sterbende Papst zum Kardinal ernannt hatte, und dies war seine einzige Kardinalsernennung überhaupt.
Das furchtbare Strafgericht, welches unter Hadrians Nachfolger über das Papsttum und Rom hereinbrechen sollte, lehrte alsbald die frivolen Spötter über den flamländischen Barbaren, ihn selbst und seine edle Absicht wie seine Einsicht in die Quelle aller Übel achten.