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4. Otto kehrt heim. Leo VIII. stirbt im Frühling 965. Johannes XIII. Papst. Seine Familie. Seine Vertreibung. Otto rückt gegen Rom. Der Papst wird wieder aufgenommen. Barbarische Bestrafung der Aufständischen. Der Caballus Constantini. Klagestimme über den Fall Roms unter die Sachsen.
Nachdem Otto das Petersfest in Rom gefeiert hatte, verließ er die Stadt am 1. Juli 964, Benedikt V. mit sich führend, den er später nach Hamburg exilierte. Leo VIII. aber, unter so schwierigen Umständen in Rom zurückgeblieben, wurde im Frühling 965 durch den Tod aus seiner verzweifelten Lage erlöst. Die Römer wagten nicht mehr, sich zur Wahl eines Nachfolgers zu versammeln; sie schickten vielmehr Azzo und den Bischof Marinus von Sutri nach Deutschland, dem Kaiser die Papstwahl zu überlassen. Sie selbst hatten ihre Wünsche auf Benedikt V. gerichtet, den Mann ihrer Wahl, und gehofft, daß der Kaiser ihn jetzt bestätigen werde; doch Benedikt starb am 4. Juli 965 zu Hamburg, wo er unter der Aufsicht des Bischofs Adaldag ein heiliges Leben geführt hatte. Sein Tod befreite Otto von der Verlegenheit, den Römern ihre Bitte abzuschlagen; er entließ ihre Gesandten ehrenvoll und schickte mit ihnen die Bischöfe Otger von Speyer und Liutprand von Cremona nach Rom.
Die Wahl fiel hier auf den Bischof von Narni, der am 1. Oktober 965 den Stuhl Petri bestieg. Johann XIII., Sohn des gleichnamigen Bischofs desselben Orts, war im Lateran erzogen worden, wo er alle klerikalen Grade erstiegen und durch Gelehrsamkeit sich Ansehen erworben hatte. Auf der Novembersynode ein Ankläger Johanns XII., hatte er die Absetzung Leos VIII. unterzeichnet, zu dessen Erhebung er wohl widerwillig gestimmt haben mochte. Seine römische Familie war vornehm, er selbst ein nächster Verwandter der Senatrix Stephania, die er später mit Palestrina belehnte und deren und des Grafen Benedikt Sohn desselben Namens er mit Theodoranda, der Tochter des Crescentius vom Marmornen Pferde, vermählte, worauf er ihn zum Rector der Sabina erhob. Das Geschlecht der Crescentier begann gerade jetzt nach dem Sturze des Hauses Alberichs seine glänzende Laufbahn; Johann XIII. selbst erhob dasselbe, um an ihm eine Stütze gegen den Adel zu finden, den er sich sofort verfeindete. Durch engen Anschluß an den Kaiser versuchte er, sich vom Einfluß der Optimaten zu befreien, aber die Folge davon war eine Verschwörung gegen ihn. An ihre Spitze stellte sich der Stadtpräfekt Petrus, und die plötzliche Erwähnung dieses berühmten Amtes lehrt, daß es vom Kaiser wiederhergestellt war. Mit ihm, einem damals, wie es scheint, sehr mächtigen Mann, waren Roffred, Graf der Campagna, der Vestiarius Stephan, viele vom Adel, viele von den Popolanen. Die Bannerführer der Miliz ergriffen den Papst am 16. Dezember, warfen ihn in die Engelsburg und entführten ihn darauf nach Kampanien, wohl in Roffreds Schloß. Der Aufstand hatte einen demokratischen Charakter, denn die Führer des gemeinen Volks ( Vulgus Populi) traten mit dem Stadtpräfekten besonders hervor; es galt wiederum die Befreiung Roms vom päpstlichen Regiment wie vom Fremdenjoch, da der Verlust des Wahlrechts Rom in fortdauernde Revolutionen stürzen mußte. Allein auch dieser Ausbruch der Verzweiflung nahm ein tragisches Ende.
Otto kam im Herbst 966 nach Italien; er bestrafte erst die rebellische Lombardei, wo der unglückliche Adalbert noch einmal den Kampf gewagt hatte, um dann wieder nach Korsika zu fliehen und unstet in der Welt umherzuwandern. Als der Kaiser weiter nach Rom zog, bewirkte seine Annäherung hier eine Gegenrevolution. Johannes, Sohn des Crescentius, erhob sich mit den Anhängern des vertriebenen Papsts; Roffred und Stephan wurden erschlagen, der Präfekt in die Flucht gejagt, der Papst zurückgerufen. Johann XIII. befand sich damals im Schutz des Grafen Pandulf von Capua, wohin er entronnen oder entlassen sein mochte. Mit capuanischem Geleit betrat er die Sabina, wo sein Neffe Benedikt, Schwiegersohn des Crescentius vom Marmornen Pferde, Graf war; von hier zog er in die Stadt am 12. November, nach einem Exil von zehn Monaten und achtundzwanzig Tagen.
Bald darauf traf auch Otto ein. Obwohl ihn die Stadt ohne Widerstand aufnahm, schonten sie doch seine Truppen diesmal nicht; wir zweifeln nicht, daß sie geplündert und mit dem Blut erschlagener Bürger befleckt wurde. Der erbitterte Kaiser beschloß, die Häupter der Rebellion mit Strenge zu züchtigen. Die angesehensten Schuldigen, Männer, die den Titel Konsul führten, wurden nach Deutschland verbannt. Zwölf Führer des Volks, in alten Handschriften mit dem verderbten Wort Decarcones bezeichnet, wohl die Kapitäne der Regionen Roms, büßten ihre Freiheitslust am Galgen; mehrere wurden hingerichtet oder geblendet. Barbarisch und bizarr wie die Zeit war die Strafe des Stadtpräfekten Petrus, welcher als Gefangener in die Verliese des Lateran geschleppt worden war. Der Kaiser überlieferte ihn dem Papst, und Johann ließ ihn auf dem Lateranischen Platz an der Reiterstatue des Marc Aurel, dem »Caballus Constantini«, bei den Haaren aufhängen. So taucht bei dieser seltsamen Gelegenheit ein berühmtes Monument der Alten plötzlich aus dem Dunkel der Zeit auf.
Dies ausgezeichnete Kunstwerk dauert noch als die schönste Zierde des Kapitols. Wer es dort betrachtet, wird von Ehrfurcht ergriffen, bedenkt er das Alter von fast siebzehn Jahrhunderten, die an diesem ehernen Kaiser vorübergegangen sind, welcher mit ausgestrecktem Arm so ernst und majestätisch zu Rosse sitzt und vielleicht noch so dasitzen wird, wenn eine gleichlange Geschichte wird in Trümmer gegangen sein. Entstanden auf dem Gipfel der Cäsarenmacht, sah diese Reiterstatue den Fall des Reichs, die Entwicklung des Papsttums in Rom. Goten, Vandalen, Heruler, Byzantiner, Deutsche zogen an ihr mordend und plündernd vorüber und verschonten sie. Der räuberische Constans II. betrachtete sie und entführte sie nicht. Um sie her stürzten Tempel und Basiliken, Säulenhallen und Standbilder nieder, sie selbst blieb unversehrt wie der vereinsamte Genius der großen Vergangenheit Roms. Nur der Name schwand von ihr, denn nachdem die Reiterfigur Constantins am Severusbogen untergegangen war, ward sie auf den Namen dieses Kaisers getauft, dem die Kirche so viel verdankte. Man heftete an dies Kunstwerk eine rohe Sage seines Entstehens. Rom, so erzählten sich die Pilger, wurde einst am Lateranischen Tor von einem fremden Könige belagert, als die Stadt von Konsuln regiert war. In dieser Bedrängnis bot sich ein riesiger Waffenträger oder ein Bauer zum Befreier dar, aber er forderte als Lohn 30 000 Sesterzien und eine goldene Reiterstatue zum Denkmal seiner Tat. Der Senat bewilligte ihm das. Er bestieg ein ungesatteltes Pferd, eine Sichel in der Hand: da er wußte, daß jener König nachts unter einem Baume seine Not verrichtete, was ihm eine Eule kundtat, die dann zu schreien begann, so ergriff er denselben, während die Römer auf das feindliche Lager ausfielen und viele Schätze erbeuteten. Der Senat gab dem Befreier den Lohn und ließ ein Pferd von vergoldetem Erz ohne Sattel machen, obenauf aber den Reiter darstellen, die rechte Hand ausgestreckt, mit der er den König gefangen hatte. Auf dem Haupt des Pferdes wurde das Bild der Eule befestigt, der König selbst mit gebundenen Händen abgebildet und unter den Huf des schreitenden Rosses gelegt.
Die Reiterfigur Marc Aurels stand also im X. Jahrhundert noch wohlbehalten auf dem Lateranischen Felde, dem Campus Lateranensis. Die dortige Basilika war die Stiftung Constantins, das Patriarchium sein Palast gewesen, man glaubte daher, daß auch jenes Reiterbild diesen großen Kaiser vorstellte. In den Lateran flüchteten sich überhaupt einige Erinnerungen und Denkmäler des alten Rom, und schon im X. Jahrhundert muß die bronzene Gruppe der kindersäugenden Wölfin in einem dortigen Saal aufgestellt worden sein, worin unter dem Vorsitz des kaiserlichen Missus Gericht gehalten wurde und der von ihr ad Lupam hieß.
Doch wir kehren zu dem an den Haaren hängenden Präfekten zurück. Wieder abgenommen, wurde der nackte Petrus rücklings auf einen Esel gesetzt, dessen mit einem Glöckchen versehenen Schweif er als Zügel ergreifen mußte. Auf sein Haupt legte man einen befiederten Schlauch, zwei ähnliche Schläuche befestigte man an seinen Schenkeln, und so wurde er durch Rom geführt. Man schickte ihn endlich über die Alpen ins Exil. Selbst an den Toten nahm man Rache, denn die Leichen des Grafen Roffred und des Vestiarius Stephan wurden auf kaiserlichen Befehl ausgegraben und vor die Stadt geworfen. Diese Strenge erregte Grausen und Wut in Rom, Aufsehen und Mitleid draußen und Haß bei allen Feinden des Kaisertums. Nur Johann XIII. hatte Grund, Otto zu danken; er nannte ihn den Befreier und Wiedersteller der untergehenden Kirche, den erlauchten, großen und dreimal gesegneten Kaiser. Die Römer jedoch konnten es niemals lernen, sich unter die Gewalt fremder Könige zu beugen, die mit ihren Heeren von den Alpen herabstiegen, um sich aus dem St. Peter eine Krone und den Titel zu holen, unter welchem sie ihre Stadt beherrschten. Sie unterwarfen sich mit schweigendem Groll der Macht des Sachsenhauses. Kein Poet stand unter ihnen auf, dem Schicksal der erlauchten Stadt Worte zu leihen, wie es einst die Vorfahren getan hatten. Nur der Mönch vom Soracte, welcher seine Chronik mit der Ankunft des ergrimmten Otto und seines »ungeheuren Heeres von Galliern« schließt, läßt ergriffen die Feder sinken und bricht in eine barbarisch stammelnde Klage aus, deren Gefühl indes verständlich zu uns redet.
»Wehe Rom! Denn von so vielen Völkern bist du unterdrückt und zertreten; du bist auch von dem Sachsenkönige gefangen, und dein Volk ist mit dem Schwert gerichtet, deine Stärke zu nichts geworden. Dein Gold und dein Silber tragen sie in ihren Säcken fort. Du warst Mutter, nun bist du zur Tochter geworden. Was du besaßest, verlorest du; deiner ersten Jugend bist du beraubt, zur Zeit des Papsts Leo bist du vom Ersten Julius zertreten worden. Du hast auf dem Gipfel deiner Macht über die Völker triumphiert, die Welt in den Staub geworfen, die Könige der Erde erwürgt. Du hast das Zepter und die große Gewalt geführt. Du bist vom Sachsenkönige ganz geplündert und gebrandschatzt worden. So wie es von einigen Weisen gesagt und in deinen Geschichten auch geschriebene gefunden wird: ehedem hast du die fremden Völker bekämpft und an allen Enden vom Norden bis zum Süden die Welt besiegt. Du bist vom Volk der Gallier in Besitz genommen; du warst allzu schön. Alle deine Mauern mit Türmen und Zinnen waren, wie es gefunden wird: du hattest 381 Türme, Kastelle 46, Zinnen 6800, deiner Tore waren 15. Wehe, Leonische Stadt, schon lange warst du genommen, jetzt aber bist du vom Sachsenkönig in Verlassenheit gestürzt.«
Dies ist die Klagestimme über den Fall Roms unter die Sachsen, welche ein unwissender Mönch am einsamen Berg Soracte erhob, von dessen Gipfel er, auf das schöne Gefilde herabblickend, alle die bewaffneten Züge der Völker beobachten konnte, die sich von Jahr zu Jahr vorüberwälzten, um die ewige Stadt zu stürmen und mit Schrecken zu erfüllen. Die Klage des Mönchs kann uns bei veränderten Zuständen Roms nicht mehr so ergreifen wie jene früheren Elegien, aber sie reiht sich doch an jene des Hieronymus nach dem Falle der Stadt unter die Goten, an jene Gregors während der langobardischen Bedrängnis, endlich an das rührende Klagelied über das unter das Joch der Byzantiner gestürzte Rom. Vergleicht man sie mit diesen Elegien, so erkennt man in ihrem entsetzlich barbarischen Ausdruck, wie tief im X. Jahrhundert auch die Sprache und Wissenschaft der Römer gesunken waren.