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3. Romfahrt Karls des Großen. Parlament in der St. Peterskirche. Gericht Karls über die Römer und den Papst. Der Reinigungseid Leos. Kaiserwahl Karls durch die Römer. Die Erneuerung des westlichen Reichs. Krönung Karls des Großen zum Kaiser durch den Papst im Jahre 800. Ansichten über die Rechtsquelle und der Begriff des neuen Imperium.
Der König hatte dem Papst zugesagt, selbst nach Rom zu kommen und hier das Weihnachtsfest des Jahres 800 zu feiern. Er ging im August nach Mainz; nachdem er dort seinen Großen erklärt hatte, welche Pflichten ihn nach Italien und Rom riefen, wurde der Aufbruch angesagt. Noch in Frankreich hatte der König Alcuin aufgefordert, ihn zu begleiten; den würdigen Mann hielt Kränklichkeit oder seine Liebe zum Kloster des heiligen Martin in Tours zurück, und Karl warf ihm scherzend vor, daß er die rauchgeschwärzten Hütten dieser Stadt den goldschimmernden Palästen Roms vorziehe. Der Abt von St. Martin gab seinem Könige die Muse zur Begleitung, die ihm ahnungsvoll zurief, daß Rom, das Haupt der Welt, der Gipfel der höchsten Ehre, die Schatzkammer der Heiligen, ihn als Lenker des Reichs und als Patron erwarte; daß es sein Beruf sei, dort sein Tribunal aufzustellen, Frieden zu stiften, den Papst durch Richterspruch wieder einzusetzen und endlich mit dem Willen Gottes über den Erdkreis zu gebieten.
Karl zog mit seinem Heer nach Ravenna, blieb in dieser Stadt sieben Tage, rückte dann nach Ancona, und nachdem er hier den König Pippin mit einem Teil der Truppen gegen Grimoald, den widerspenstigen Herzog von Benevent, geschickt hatte, setzte er selbst seinen Weg weiter fort. Das Herannahen des gewaltigsten Mannes der Zeit, welcher mit seinem Schilde Rom und die Kirche deckte, regte die Stadt auf, indem er den einen als schrecklicher Strafrichter, den andern als Retter erschien, alle aber ungewöhnliche Ereignisse erwarteten.
Am vierzehnten Meilenstein der Nomentanischen Straße lag damals noch der alte Ort Nomentum, schon seit dem vierten Jahrhundert Sitz eines Bischofs; hier war Leo mit Klerus, Miliz und Volk hinausgezogen, den König feierlich zu begrüßen. Es war der 23. November. Karl hielt dort Rast und speiste mit dem Papst; nachdem sich Leo in einer ersten Unterredung dessen versichert hatte, was in Rom geschehen sollte, kehrte er in die Stadt zurück, um hier am folgenden Tage seinen Richter zu empfangen. Der König blieb die Nacht in Nomentum; am 24. November brach er nach der Stadt auf. Er hielt seinen Einzug nicht durch das Nomentanische Tor, sondern zog längs den Mauern hin und dann über die Milvische Brücke, um so zuerst nach dem St. Peter zu gelangen, wo ihn der Papst auf den Stufen der Basilika erwartete und in den Aposteldom führte.
Karl berief Geistliche, Adel und Bürgerschaft, Römer und Franken zu einer Versammlung. Dies Parlament, eine Synode in der Form eines Gerichts, trat am 1. Dezember im St. Peter zusammen. Der König, mit der Toga und Chlamys des Patricius bekleidet, saß neben dem Papst; zu ihren Seiten hatten ringsum die Erzbischöfe, Bischöfe und Äbte Platz genommen, während die Geistlichen niederer Grade und der gesamte Adel der Römer und Franken aufrecht standen. Karl sagte ihnen, daß er gekommen sei, die gestörte Ordnung der Kirche herzustellen, die an ihrem Oberhaupt begangenen Frevel zu bestrafen und zwischen den Römern als den Klägern und dem Papst als dem Beschuldigten Gericht zu halten. Vor dem Tribunal des Patricius sollten nochmals die Klagen, welche die empörten Römer gegen den Papst erhoben hatten, gehört und das Schuldig und Nichtschuldig über diesen ausgesprochen werden. Die richterliche Befugnis Karls war unbestritten; alle fränkischen Bischöfe erkannten in ihm das allgemeine Haupt der Kirche; der Papst, welcher sich bereits der Untersuchung seiner Machtboten gestellt hatte, war wie jeder andere Römer sein Untertan und erschien als solcher vor dem Tribunal seines Richters. Es ist unzweifelhaft, daß sich Leo III. diesem Tribunal unterworfen hat. Die fränkischen Chronisten erklären es unumwunden, nur das Buch der Päpste verschleiert den Prozeß. Es sagt, daß die Bischöfe sich einmütig erhoben und erklärten: »Wir erdreisten uns nimmer, den Apostolischen Stuhl, der das Haupt aller Kirchen Gottes ist, zu richten. Denn wir selbst werden von ihm und seinem Stellvertreter gerichtet, über jenen jedoch ist niemand Richter, und also ist es Gebrauch seit alters her. Wir gehorchen dem Kanon gemäß dem, was der oberste Richter für gut erachtet.« Der Papst habe hierauf gesagt: »Ich folge dem Beispiel meiner Vorgänger im Pontifikat, und ich bin bereit, mich von den falschen Anklagen, welche Ruchlosigkeit gegen mich erhoben hat, zu reinigen.'
Es war unter anderem das Beispiel des Pelagius, auf welches sich Leo III. berufen konnte. Von einem Teil der Römer beschuldigt, bei dem Tode seines Vorgängers Vigilius die Hände mit im Spiel gehabt zu haben, hatte sich jener Papst öffentlich im St. Peter durch einen Eid gereinigt, unter den Augen des Narses, welcher damals als Patricius die Majestät des Kaisers vertrat. Leo tat das gleiche, aber erst nachdem die Form des Rechts erfüllt, das heißt die Stimme seiner Ankläger nochmals von Karl gehört worden war. Sie brachten ihre Beschuldigungen vor, konnten sie jedoch nicht erweisen, und Karl entschied sich nun für die Ansicht der Bischöfe, welche, jeden Richterspruch ablehnend, dem Papst anheimgegeben hatten, den Reinigungseid zu leisten. Das geschah an einem der folgenden Tage nach der ersten Versammlung; wie bei dieser hatten sich im St. Peter alle Bischöfe und Optimaten der Stadt und des Königs vereinigt, und das Volk der Römer erfüllte in dichtgedrängten Scharen die Schiffe der Kirche. Der Papst bestieg jene Kanzel, auf der einst Pelagius gestanden hatte, die heiligen Evangelien in der Hand, und sprach die Reinigungsformel.
»Es ist bekannt, o geliebte Brüder, daß Übeltäter gegen mich aufgestanden sind und daß sie mich und mein Leben mit schweren Beschuldigungen gekränkt haben. Um dies zu erkennen, ist der allergnädigste und erlauchte König Karl zugleich mit den Priestern und seinen Großen in diese Stadt gekommen. Deshalb reinige ich, Leo, Pontifex der heiligen römischen Kirche, von niemandem gerichtet noch gezwungen, sondern aus freiem Willen mich in eurer Gegenwart vor Gott, der das Gewissen kennt, vor seinen Engeln und vor dem heiligen Petrus, dem Apostelfürsten, in dessen Anblick wir stehen, daß ich weder die Verbrechen, die man mir vorwirft, verübt, noch zu verüben befohlen habe, und ich rufe Gott des zum Zeugen an, vor dessen Gericht wir einst erscheinen werden und vor dessen Augen wir hier stehen. Und dies tue ich nicht durch irgendein Gesetz genötigt, noch willens, dies als Gebrauch oder Beschluß in der heiligen Kirche meinen Nachfolgern und Brüdern Mitbischöfen irgend aufzulegen, sondern um euch sicherer von ungerechtem Verdacht zu befreien.«
Nachdem Leo diese Erklärung mit einem Eide bekräftigt hatte, stimmte die Geistlichkeit das Tedeum an; der beschuldigte Papst ließ sich wieder fleckenlos auf dem Stuhle Petri nieder, und seine Ankläger oder die vorher zum Tode verurteilten Aristokraten Paschalis, Campulus und ihre Mitverschworenen wurden dem Henker überliefert. Aber der Papst zog es vor, ihnen zu verzeihen, weil er mit Grund fürchtete, den Haß der Römer durch die Hinrichtung der Verwandten Hadrians, so angesehener Männer, zu vermehren. Auf seine Fürbitte verbannte Karl die Schuldigen nach Frankreich, denn dies Exil war jetzt an die Stelle der einst üblichen Verbannung nach Byzanz getreten.
Diese Vorgänge beschloß eine der folgenreichsten Handlungen der Geschichte: die Krone der römischen Imperatoren wurde dem Frankenkönige aufs Haupt gesetzt. Dreihundertundvierundzwanzig Jahre waren verflossen, seit Abgesandte des römischen Senats vor dem Kaiser Zeno erschienen, um die Insignien des Reichs in seine Hände niederzulegen, erklärend, daß Rom und das Abendland keines eigenen Kaisers mehr bedürfe. Eine so lange Zeit wechselnder Geschicke und immer tieferen Verfalles war hingegangen, während welcher die byzantinischen Imperatoren fortfuhren, Italien als eine Provinz zu regieren. Die Pietät des Menschengeschlechts hielt an der Idee des römischen Kaiserreiches fest, und selbst noch bis in die letzten Jahre des VIII. Jahrhunderts verehrte das befreite Italien und das Abendland den Schatten desselben in dem Titel der byzantinischen Kaiser. Die Institutionen des Altertums, auf denen der Thron der Cäsaren geruht hatte, waren hingeschwunden; doch der Begriff des Reiches dauerte fort. Es war die geheiligte Form, in der sich seit Jahrhunderten die Einheit der menschlichen Republik und auch der sichtbaren Kirche dargestellt hatte. Die Germanen, welche das abendländische Imperium zerstört hatten, erneuerten es jetzt, nachdem sie in die römische Zivilisation und den Schoß der Kirche aufgenommen worden waren. Diese Kirche, deren Gesetze bereits das Abendland umfaßten, erzeugte das Römische Reich gleichsam aus sich selber wieder als die politische Form ihres weltbürgerlichen Prinzips und jener geistlichen Einheit, in welcher der Papst so viele Völker zusammengefaßt hatte. Seine Suprematie über alle Kirchen des Abendlandes konnte außerdem nur durch den Kaiser und das Reich vollkommen zur Anerkennung gebracht werden. Die Erneuerung des Reichs wurde durch die furchtbare Macht des Islam notwendig, welche nicht nur Byzanz bedrängte, sondern auch von Sizilien und Spanien her selbst Rom bedrohte. Die griechischen Kaiser konnten das Abendland mit dem Morgenlande vereinigt regieren, solange die römische Kirche schwach war, Italien in Abgestorbenheit lag und der germanische Westen von gesetzlosen Barbaren schwärmte. Sie vermochten es nicht mehr, als die Kirche selbständig, Italien seiner Nationalität sich bewußt und Europa zu dem mächtigen Frankenreich vereinigt war, an dessen Spitze ein großer Monarch stand. So erzeugte sich die Idee, Karl zum Kaiser auszurufen, und so wurde jener Plan ausgeführt, mit dem einst im Beginne des Bilderstreits die empörten Italiener Leo den Isaurier bedroht hatten. Das Abendland beanspruchte jetzt die Besetzung des Kaisertums. Dieses war freilich in Byzanz seit langen Zeiten rechtlich geworden; aber Byzanz war nur die Tochter Roms, und von Rom aus war das Imperium ausgegangen: hier hatten die Cäsaren ihren Sitz gehabt. Die erhabene Mutter des Reichs nahm daher nur ihre Rechte zurück, wenn sie jetzt wie in alten Zeiten die Kaiserkrone dem mächtigsten Gebieter des Westens darbot. Gleichzeitige Chronisten warfen einen Blick auf die damalige Welt und fanden, daß die kaiserliche Gewalt, welche seit Constantin bei den Griechen in Konstantinopel erst den geteilten, dann den alleinigen Sitz gehabt hatte, nicht mehr von einem Manne getragen wurde. Denn zwei Jahre vor der Mißhandlung Leos war auch die Würde des Kaisers in der Person Constantins VI. geschändet worden. Die Römische Republik wurde von einem ruchlosen Weibe, welches den eigenen Sohn hatte blenden lassen, von Irene, tyrannisiert, und weil dem so war, so erschien der Thron des Reichs überhaupt leer. Es wurde demnach die vakante Krone Constantins auf den fränkischen Monarchen übertragen, weil er selbst bereits Rom, das Haupt des Reichs, und viele andere Sitze des alten Imperium besaß. Eine so wichtige Handlung, durch die Vorstellungen der Zeit und die Bedürfnisse des Abendlandes notwendig geworden, aber den byzantinischen Rechten gegenüber eine Revolution, konnte schwerlich das Werk des Augenblicks, sondern nur das Resultat geschichtlicher Tatsachen und aus ihnen gereifter Entschlüsse sein. Darf man zweifeln, daß die Kaiserkrone längst das Ziel Karls des Großen und das Ideal seiner in römischen Anschauungen lebenden Freunde gewesen war? Er selbst kam offenbar nach Rom, sie zu holen, oder doch eine letzte Entschließung darüber zu fassen, und während seines Aufenthalts in Frankreich hatte sich der Papst bereit erklärt, diese große Umwälzung vollziehen zu helfen. Die Päpste hatten sich nur zögernd von der byzantinischen, legitimen Reichsgewalt losgesagt; sie hatten sie noch anerkannt, als die Frankenfürsten bereits zur Macht in Italien gelangt waren. Die Not aber gebot ihnen, sich diesen in die Arme zu werfen, ihnen die Stellung des Patricius in Rom einzuräumen; sie selbst hatten dafür zum Gewinn den Kirchenstaat von ihnen erhalten, und diesen konnte nur eine immer bereite fränkische Intervention zu ihren Gunsten schützen. Die Vertreibung des Papsts aus Rom, dessen Dominus er geworden war, gab endlich den Ausschlag. Unter diesen Voraussetzungen mußte Leo III. die Besitznahme der Reichsgewalt durch eine abendländische Dynastie, das streng katholische Königshaus der Pippiniden, geschehen lassen, welches sein Vorgänger Stephan gesalbt hatte, von dessen Glaubenseifer sich die lateinische Kirche Schutz und von dessen Macht sich die Christenheit Verteidigung gegen Barbaren und Heiden versprach, während von Byzanz nichts anderes zu erwarten war als die Fortsetzung der justinianischen Despotie und der dogmatischen Ketzerei. Alles dies war seit lange reiflich erwogen worden.
Man darf annehmen, daß die geistlichen Freunde Karls die eifrigsten Förderer dieses Planes waren, welchen der Papst vielleicht nicht mit gleichem Enthusiasmus betrieb. Alcuin war vorher darin eingeweiht gewesen, wie dies seine Briefe beweisen; die fränkischen Boten aber hatten sich ein Jahr lang in Rom aufgehalten und sich ohne Zweifel mit den Römern verständigt, auf deren Wahlstimme es hauptsächlich ankam. Denn sie waren es, welche aus dem alten Wahlrecht des Senats und Volks Karl zu ihrem Patricius erwählt hatten, und sie wählten ihn jetzt aus demselben Recht zu ihrem Kaiser. Nur weil er Kaiser der Römer und Roms war, wurde er auch Kaiser des Reichs überhaupt. Ein Beschluß des römischen Adels und Volks ging unzweifelhaft der Krönung voraus, und Karls Ernennung zum römischen Kaiser geschah durch die drei hergebrachten Wahlkörper, völlig nach dem Muster einer päpstlichen Wahl.
Die große Revolution, welche die jahrhundertealten Rechte der Byzantiner vernichtete, sollte nicht als die willkürliche Tat weder des Königs noch des Papsts, sondern als ein Akt Gottes selbst, sodann als legale Handlung der Christenheit erscheinen, der das Römervolk und das Parlament aller in Rom versammelten Geistlichen, Großen und Bürger sowohl der Germanen als der Lateiner Ausdruck gab. Die fränkischen Chronisten selbst sagen, daß Karl durch die Wahl des römischen Volkes Kaiser ward, oder sie beziehen sich auf das gesamte Parlament der beiden vereinigten Nationen und führen alle Handelnden der Reihe nach so auf: der Papst, die ganze Versammlung der Bischöfe, Geistlichen und Äbte, der Senat der Franken, alle Großen der Römer und das übrige christliche Volk.
Der Beschluß der Römer und Franken wurde Karl in Gestalt einer Bitte kundgegeben. Soll man glauben, daß er sich wie einst Augustus den Schein gab, die höchste Würde nicht annehmen zu wollen, bis er dazu durch die vollendete Tatsache gezwungen wurde? Darf man die Erklärung eines so frommen und heldenhaften Mannes, daß er mit der Kaiserkrone überrascht worden und die Kirche St. Peters nicht würde betreten haben, wenn er die Absicht Leos gekannt hätte, geradezu für Heuchelei erklären? War nicht Karls Sohn Pippin vom Kriege gegen Benevent ausdrücklich nach Rom berufen worden, um der Kaiserkrönung beizuwohnen? Man hat diese Widersprüche dadurch aufzulösen gesucht, daß man mit Einhard behauptet, Karl sei durch die Rücksicht auf Byzanz bedenklich gemacht, er habe seine Zustimmung noch nicht erteilt und seine Anerkennung als Kaiser zuvor durch Unterhandlungen mit den Griechen zu gewinnen gesucht; er sei demnach durch die ihm in bezug auf den Zeitpunkt ungelegene Krönung wirklich überrascht worden. Diese Ansicht hat einige Wahrscheinlichkeit für sich, aber sie betrifft nur den flüchtigen Moment der Krönung selbst. Denn in seine Erhebung zum Kaiser hatte Karl längst eingewilligt, und sie war für die Zeit seiner Anwesenheit in Rom festgestellt. Seine Freunde erwarteten sie mit Bestimmtheit.
Der Akt selbst wurde ohne Vorbereitung und Pomp vollzogen, um allen weiteren Bedenken ein Ende zu machen. Dies war die Absicht des Papsts schon deshalb, weil er dabei als die Hauptperson erschien und durch die Krönung und Salbung das höchste Recht an die Kirche zu bringen gedachte. Denn er, ihr Oberhaupt, war es jetzt, welcher den durch die Römer und Franken Gewählten wirklich zum Kaiser machte. Nichts war einfacher, nichts unscheinbarer als dieser welthistorische Akt. Karl lag am Weihnachtstage vor der Konfession des St. Peter im Gebet; als er sich erhob, setzte ihm Leo, als wäre er von göttlicher Eingebung ergriffen, eine goldene Krone aufs Haupt, und das versammelte Volk rief auf dieses Zeichen, welches es erwartete und deshalb verstand, die Akklamation der Cäsaren: »Karl, dem frömmsten Augustus, dem von Gott gekrönten großen und Friede stiftenden Kaiser der Römer Leben und Sieg!« Zweimal wurde dieser Zuruf wiederholt; der wichtigste Augenblick, welchen Rom in Jahrhunderten erlebte, riß das Volk zu einem Sturm begeisterter Empfindungen hin, während der Papst, als ein anderer Samuel, den neuen Cäsar des Abendlandes und seinen Sohn Pippin salbte. Hierauf umkleidete er Karl mit dem kaiserlichen Mantel und adorierte das von Gott durch seine Hand gekrönte Haupt des Römischen Reichs, indem er vor ihm niederkniete. Die Feierlichkeit beschloß die Messe, worauf Karl und Pippin an die Kirchen schon bereitgehaltene Geschenke darbrachten, der Basilika St. Peters einen silbernen Tisch mit köstlichen Gefäßen aus Gold, der Kirche St. Pauls ähnliche Gaben, der Lateranischen Basilika ein goldenes, mit Edelsteinen besetztes Kreuz, der S. Maria Maggiore nicht minder wertvolle Geschenke.
So legte Karl den Titel des Patricius der Römer ab und nannte sich fortan Imperator und Augustus. Der neue Titel konnte die Macht eines Herrschers nicht vermehren, welcher längst zuvor der Gebieter des Abendlandes gewesen war; aber er sprach die formelle Anerkennung dieser Alleinherrschaft Karls aus und stellte ihn vor der Welt in der ihm »von Gott verliehenen« Cäsarwürde dar, mit welcher er sich im größten Heiligtum der Kirche und in dem uralten Sitz der Weltmonarchie, in Rom, bekleidet hatte. In späterer Zeit, als das germanische Reich mit dem Papsttum in Kampf geriet, stellten die Kanonisten die Theorie auf, daß der Kaiser seine Krone nur von des Papsts Gnade empfange, und sie leiteten diese Investitur aus der Krönung Karls durch Leo III. her. Die Kaiser wiederum beriefen sich auf die Akklamation des Volks: »Dem von Gott gekrönten Kaiser der Römer Leben und Sieg«, und sie behaupteten, ihre Krone, das unveräußerliche Erbe der Cäsaren, nur von Gott zu tragen. Die Römer endlich erklärten, daß Karl diese Krone nur von der Majestät des römischen Senats und Volks empfangen habe. Der Streit um die Rechtsquelle des Imperium zog sich durch das ganze Mittelalter fort; er hat keine tatsächliche Veränderung in der Weltgeschichte erzeugt, aber er beweist das menschliche Bedürfnis, die Welt der Tatsachen auf ein prinzipielles Recht zurückzuführen, wodurch die Macht legalisiert wird. Der Papst Leo III. besaß so wenig das Recht, die Krone des Reichs, welches nicht sein war, zu vergeben, als Karl, diese sich zuzusprechen. Aber er betrachtete sich als den Repräsentanten des Reichs und des Römertums, und er besaß als Haupt der lateinischen Nationalität, noch mehr als anerkanntes geistliches Oberhaupt der christlichen Republik wohl die Macht, jene Revolution durchzuführen, welche ohne die Kirche unmöglich war. Die Welt betrachtete ihn als den heiligen Vermittler zwischen ihr und der Gottheit, und erst durch seine Krönung und Salbung empfing in ihren Augen das Kaisertum Karls die göttliche Bestätigung. Das Wahlrecht der Römer wiederum, in welcher Form immer es sich zur Geltung brachte, war unbestritten, und bei keiner späteren Kaiserwahl konnte es von so entschiedener juridischer Bedeutung sein. Wenn sich die Römer, von welchen der neue Augustus seinen Titel nahm, im Jahre 800 gegen die Erhebung Karls erklärt hätten, so würde der Frankenkönig entweder niemals Kaiser geworden sein, oder seiner imperatorischen Gewalt hätte, als einer Usurpation, auch der letzte Schein der Legalität gefehlt. Karl konnte daher weder als Kaiser gelten ohne den Willen des Papsts, noch ohne den der Römer. Jedoch neben diesen waren Mitwähler auch die Franken und die anderen durch die Fremdenscholen in Rom vertretenen Germanen; das ursprünglich ausschließliche Wahlrecht des römischen Senats und Volks, welches übrigens schon Karl nie als solches anerkannt hat, verlor seine Bedeutung, weil die Reichsgewalt fortan auf der germanischen Nation beruhte, von der doch die fränkischen und deutschen Könige gewählt wurden.
Eine andere Streitfrage wurde in derselben Folgezeit erhoben: nämlich ob das Imperium im Jahre 800 von den Griechen auf die Franken durch den Papst übertragen worden sei; denn so stellten dies die Verfechter des päpstlichen Investiturrechtes dar. Wenn es feststeht, daß Leo III. weder die ausschließliche Gewalt noch das Recht besaß, als Papst dem Frankenkönige die Krone des Reichs zu geben, so ist damit zugleich entschieden, daß er dies auch nicht von den Griechen auf die Franken übertragen konnte. Der Ausdruck selbst der »Translation des Reichs« enthält nur eine halbe Wahrheit. Denn als der große Plan gefaßt wurde, Karl zum Kaiser zu erheben, dauerte noch der Begriff der Einheit des Reichs als Dogma so mächtig fort, daß man an eine Trennung des Westens vom Osten gar nicht denken konnte. Karl sollte vielmehr den nach dem Sturze Constantins VI. als leer betrachteten Thron des allgemeinen Reiches einnehmen, nicht als Gegenkaiser, sondern als Kaiser überhaupt, als Nachfolger Constantins und Justinians. Er selbst dachte, so hieß es, an eine Vermählung mit Irene. Das Reich sollte auf eine neue Dynastie, die fränkische, nicht auf das Volk der Franken übertragen werden, und es ist mehr als wahrscheinlich, daß sowohl Karl als Leo an die Möglichkeit glaubten, die Unteilbarkeit des Reichs wie der Kirche zu bewahren. Indes ihre Hoffnung war ein Wahn. Das neue Kaisertum blieb abendländisch; es erlangte nie mehr den Zusammenhang mit dem Osten, den das alte zur Zeit des Honorius und seiner Nachfolger besessen hatte. Die erbitterten Griechen betrachteten es stets als Usurpation; sie klagten, daß jenes alte Band zwischen Rom und Byzanz das große Frankenschwert zerhauen habe, und daß die schönere Tochter Konstantinopolis von der altersgrauen Mutter Roma für immer getrennt worden sei. Eine tiefe Kluft schied fortan Morgenland und Abendland. Kirche, Staatseinrichtungen, Wissenschaft und Kunst, Sitte und Lebensform, selbst die Erinnerungen trennten sich in Ost und West. Das griechische Reich ward orientalisch und erstarrte in einer rühmlichen, aber peinvollen Fortdauer von noch sechs Jahrhunderten; das Römische Reich entfaltete sich zu einer ungeahnten Fülle des Völkerlebens im Abendlande.
Tatsächlich war demnach das Römische Imperium erneuert worden. Im Vorstellen der Menschen erschien seine alte Form wiederhergestellt; doch dies war nur scheinbar, denn der Geist darin war neu. Nicht allein war der politische Lebensstoff dieses Reichs wesentlich germanisch, sondern es selbst wurde mit einem kühnen Zuge aus der Sphäre bloß staatlicher Ursachen gerückt und an den göttlichen Willen geknüpft, als dessen Lehen es bald aufgefaßt ward. Es stellte sich als eine Theokratie dar. Die Kirche, das Reich Gottes auf Erden, erschien als sein innerstes Lebensprinzip; es selbst war die zivile Form davon, sein katholischer Leib. Ohne sie war das Reich unmöglich; nicht mehr die römischen Gesetze, sondern die Institutionen der Kirche bildeten das feste Gefüge und das Band, welches die abendländischen Völker umschlang und zur christlichen Gemeinde machte, deren Häupter der eine Kaiser und der eine Papst waren. Die Bildung des Altertums, das Wesen der Religion, Kultus, Sittengesetz, Priestertum, die römische Sprache, die Feste, der Kalender, kurz alles, was die Nationen als Gemeingut besaßen, kam von der Kirche her. Die römische Idee der Weltrepublik als der Einheit des Menschengeschlechts fand nur in ihr die sichtbare Gestalt. Der Kaiser ward ihr Oberhaupt und Schirmvogt, ihr Mehrer und Ordner, der weltliche Vikar Christi. Zu den Völkern und Staaten, die er in seinem Reich vereinigte und die seine Zivilgewalt freiwillig oder gezwungen anerkannten, stand er eigentlich fortan in demselben Verhältnis wie der Papst zu den Landeskirchen und Metropoliten, ehe ihm die völlige Zentralisation der Kirche gelang. Der neue abendländische Cäsar besaß bald nach Karl dem Großen weder eine wirkliche Territorialmacht noch eine Staatsgewalt; seine imperatorische Majestät ruhte vielmehr auf einem völkerrechtlichen Dogma als internationale Autorität. Sie war eine Idealmacht, welcher die praktischen Grundlagen fehlten.
Das Hervortreten des theokratischen Prinzips im Abendlande, welches sich von der antik-römischen Reichsidee schied, bewirkte es, daß sich im Lauf der Zeit die Kirche selbst oder ihr Papst, der geistliche Vikar Christi, als die allein herrschende Macht entwickelte. Die mystische Anschauungsweise der realen Welt im Mittelalter, welche uns heute als eine sophistische Spielerei mit Symbolen erscheint, konstruierte sich das Universum wie den Menschen aus der Verbindung von Seele und Leib, und das in langen Kämpfen erfochtene Dogma von den beiden Naturen Christi, der irdischen und der göttlichen, wurde auch auf die politische Verfassung der Menschheit angewendet, was dem Papst nur zum Vorteil gereichen konnte. Denn die Kirche war die Seele, das Reich nur der Leib des einen Christentums; der Papst war der Vikar Christi in allen göttlichen und ewigen Verhältnissen; der Kaiser nur dessen Vikar im Reiche der vergänglichen und irdischen Materie; jener die alles belebende Sonne, dieser nur das kleinere Licht, der die Erdennacht durchwandelnde Mond. Der Dualismus zwischen Kaiser und Papst wurde zum Prinzipienkampf, und die im Jahre 800 neugeschaffene Welt des Abendlandes begann sich in die Gegensätze des Latinismus und Germanismus zu spalten, um welche sich die ganze Geschichte Europas bewegt hat und noch bewegt. Aber diese Gegensätze waren zur Zeit Karls des Großen kaum erst als Keime sichtbar. Seine kaiserliche Majestät machte wie die der alten Imperatoren den Glanz des Bischofs von Rom, der ihn adoriert hatte, erblassen, und dieser Bischof war wie jeder andere in seinem Reiche sein Untertan. Karls Kaiserkrönung besiegelte nach dem langen Sturm der Völkerwanderung gerade die Versöhnung der Germanen mit Rom, den Bund zwischen der antiken und der neuen, der lateinischen und der deutschen Welt. Deutschland und Italien wurden fortan die Träger der Weltkultur. Sie blieben für lange Jahrhunderte in Wechselwirkung aufeinander, während neben ihnen aus der Mischung beider Rassen andere blühende Nationen entstanden, in denen hier das lateinische, dort das germanische Grundelement überwog. Alles Völkerleben wurde fortan in ein großes konzentrisches System von Kirche und Reich zusammengebunden, und aus ihm entsprang die gemeinschaftliche abendländische Kultur. Dies Doppelsystem hielt die Menschheit jahrhundertelang mit einem so festen Zauber umstrickt, daß die politische Weltordnung des Altertums sich an Macht und Dauer nicht mit ihm vergleichen kann.
Weltgeschichtliche Augenblicke treten nicht in ihrer eigenen Zeit als solche hervor, sondern sie empfangen ihren Namen erst von einem folgenden Geschlecht. So geschah es auch mit jener Krönung Karls des Großen. In den Annalen der Menschheit gibt es kaum einen andern Moment, der sich vor dem Blick später Zeiten als ein gleich hoher Gipfelpunkt darstellt. Es ist ein Augenblick geschichtlicher Schöpfung, wo aus der Auflösung des Altertums und der Flut der Völkerwanderung sich ein fester Kontinent erhebt, auf welchem sich fortan die Geschichte Europas weniger aus mechanischen Gesetzen der Macht als aus einem entschieden geistigen Prinzip gestaltet hat.