Ferdinand Gregorovius
Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter
Ferdinand Gregorovius

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3. Rückkehr Johanns XII. Leo VIII. entflieht. Er wird auf einem Konzil abgesetzt. Rache Johanns an seinen Feinden. Er stirbt im Mai 964. Die Römer wählen Benedikt V. Otto führt Leo VIII. nach Rom zurück. Benedikt V. wird abgesetzt und exiliert. Unterwerfung des Papsttums unter den deutschen Kaiser. Das Privilegium Leos VIII.

Johann XII., eilig in die Stadt zurückgerufen, kam mit einem Heer von Freunden und Vasallen, und Leo VIII. sah sich Augenblicks verlassen. Mit wenigen Begleitern floh er nach Camerino zum Kaiser. Dieser hatte bereits Berengar und Willa, die sich ihm in S. Leo ergeben, nach Bamberg geschickt, und die letzten Anstrengungen Adalberts konnten ihm nicht furchtbar sein, aber er zog dennoch nicht gleich nach Rom, vielleicht, weil er viele Truppen entlassen hatte und erst neue zusammenziehen mußte. Indes nahm Johann XII. grimmige Rache an seinen Feinden. Er versammelte am 26. Februar ein Konzil im St. Peter. Unter den sechzehn dort anwesenden Bischöfen befanden sich elf von denen, die seine Absetzung unterzeichnet hatten; sie konnten mit Recht oder Unrecht ihre Teilnahme am Konzil Ottos als erzwungen darstellen und die Kardinäle das gleiche tun, und sowohl die geringe Zahl der Geistlichen auf der Synode Johanns als ihre Beteiligung an zwei sich aufhebenden Konzilien zeigte, in welcher heillosen Verwirrung sich die römische Kirche befand. Johann erklärte, daß er durch die Gewalt des Kaisers in ein zweimonatiges Exil getrieben, jetzt auf seinen Stuhl zurückgekehrt sei; er verdammte die Synode, die ihn abgesetzt hatte. Die Bischöfe von Albano und Portus bekannten sich schuldig, Leo unkanonisch gesegnet zu haben; sie wurden suspendiert. Sico von Ostia, der ihm alle kirchlichen Weihen erteilt hatte, ward aus dem Priesterstande gestoßen.

Nachdem Johann XII. Leo verdammt hatte, rächte er sich an vielen namhaften Gegnern; dem Kardinal Johann ließ er Nase, Zunge und zwei Finger abschneiden, dem Protoscriniar Azzo eine Hand abhauen. Beide waren seine Legaten gewesen, als er Otto zum Romzuge eingeladen hatte. Den Bischof Otger von Speyer ließ er geißeln, aber er zähmte doch seine Rachlust soweit, daß er ihn dann zum Kaiser sandte, welchen er nicht zu sehr reizen wollte. Unterdessen befand sich Otto in Camerino, wo er mit seinem Papst das Osterfest gefeiert hatte; er rüstete sich zum Marsch nach Rom, aber ehe er die Stadt erreichte, meldete man ihm, daß Johann XII. tot sei. Wenn gewisse Berichte wahr sind, so fand dieser Papst ein seines Lebens würdiges Ende: er wurde in einer Nacht außerhalb Roms aus ehebrecherischer Lust vom Teufel geholt, dessen Stellvertreter ein beschimpftet Ehemann war. Denn dieser versetzte ihm einen Schlag aufs Haupt, und Johann starb nach acht Tagen am 14. Mai 964. Andere reden von einem Schlaganfall, der ihn getroffen habe, was bei der schrecklichen Aufregung seines Gemüts wahrscheinlich ist. So endete der Sohn des ruhmvollen Alberich als Opfer eigener Zügellosigkeit, doch auch des Widerspruchs, in dem er sich als Fürst und Papst befand. Seine Jugend, seine Abkunft von jenem großen Römer, sein tragischer Zwiespalt geben ihm leisen Anspruch auf ein milderndes Urteil.

Nach dem Tode Johanns brachen die Römer den von ihnen erzwungenen Eid; indem sie den am 26. Februar abgesetzten Leo VIII. nicht mehr als Papst anerkannten, versuchten sie noch einmal, dem Kaiser zu trotzen. Der Kardinaldiaconus Benedikt wurde nach einem heftigen Zwiespalt der Faktionen gewählt und von den Milizen akklamiert; ein würdiger Mann, der sich in der Barbarei Roms den seltenen Titel des Grammaticus erworben hatte, mit dem er bezeichnet wird. Die Absetzung Johanns XII. hatte er als dessen Ankläger unterschrieben, aber er war auch auf jener Februarsynode erschienen, die den kaiserlichen Papst verdammte. Die Römer sahen in ihm den Mann, der die Freiheit der Kirche gegen die kaiserliche Gewalt mutig verteidigen würde. Wider das Verbot des Kaisers wurde der Gewählte geweiht, und er bestieg als Benedikt V. den Apostolischen Stuhl.

Boten des römischen Volks waren zu Otto nach Rieti geeilt, ihm die neue Papstwahl zu melden und um ihre Bestätigung zu bitten. Er hatte ihnen erklärt, daß er den rechtmäßigen Papst Leo nach Rom zurückführen und die Stadt strafen werde, wenn sie ihm den Gehorsam verweigere. Jetzt brach er nach Rom auf. Die Orte des römischen Gebiets wurden von seinem Kriegsvolk geplündert und verwüstet und die Stadt selbst umlagert. Als Otto vor ihr stand, die Übergabe und die Auslieferung Benedikts fordernd, durfte er als Kaiser auftreten, der von einer ihm unterworfenen Stadt Gehorsam verlangte; aber die Römer konnten in ihm nur einen Despoten erblicken, welcher kam, ihnen den letzten Rest der Selbständigkeit, die freie, von ihnen herkömmlich ausgeübte Papstwahl zu rauben. Die Schändlichkeit Johanns XII. war ausgelöscht, ein frommer Mann zu seinem Nachfolger gewählt und die kaiserliche Bestätigung erbeten worden. Aber durfte Otto Leo VIII. fallen lassen, den ein Konzil mit seinem Willen erhoben hatte? Durften wiederum die Römer von dem Versuch, ihr altes Wahlrecht gegen den neuen Kaiser zu behaupten, abstehen, ohne sich selbst der Knechtschaft für würdig zu erklären? Ihr Papst stieg auf die Mauern und ermahnte die Verteidiger zum Widerstande. Allein Hunger begann in der Stadt zu wüten, und einige Stürme erschütterten vollends den Mut der Belagerten. Sie öffneten die Tore am 23. Juni, lieferten Benedikt V. aus und schworen wieder am Grabe St. Peters Gehorsam; sie erwarteten eine grausame Bestrafung, doch der Kaiser gab ihnen Amnestie.

Nach seinem Einzuge versammelte Leo VIII. auf Ottos Geheiß ein Konzil im Lateran. Der unglückliche Papst der Römer wurde in pontifikalen Gewändern in den Sitzungssaal geführt; der Archidiaconus fragte ihn, mit welchem Recht er sich unterfangen habe, die Insignien der heiligsten Würde anzulegen, da doch sein Herr und Papst Leo, den er selbst nach Johanns Absetzung miterwählt hatte, noch lebte; und man hielt ihm vor, daß er seinem hier gegenwärtigen Kaiser und Herrn den Eid gebrochen, nie einen Papst ohne dessen Beistimmung zu wählen. »Wenn ich gefehlt habe«, rief Benedikt, »so erbarmt euch meiner«, und er streckte flehend seine Hände aus. Otto entstürzten Tränen: die römische Kirche, einst ein so furchtbares Tribunal für Könige unter Nikolaus I., lag zu den Füßen des Kaisertums. Er richtete an die Synode eine Fürbitte für Benedikt, der seine Kniee umschlungen hielt. Leo VIII. schnitt hierauf dem Gegenpapst das Pallium entzwei, nahm aus seinen Händen die Ferula, die er zerbrach, befahl ihm, auf der Erde niederzusitzen, entkleidete ihn der Papstgewänder und entsetzte ihn jeder geistlichen Würde; dem Kaiser zu Gefallen ließ er ihm den Rang des Diaconus und verurteilte ihn zum ewigen Exil.

Der Päpstliche Stuhl war seit langer Zeit von den Faktionen der Stadt besetzt worden; selbst Weiber hatten Päpste ernannt, und die Entweihung des heiligen Amts hatte im Enkel Marozias ihren tiefsten Grad erreicht. Der Kaiser erwies daher der Kirche einen wirklichen Dienst, wenn er die Papstwahl dem rohen Adel entriß. Die Zerrüttung Roms machte ihn zum Diktator, so daß er jene Wahl wie ein Kaiserrecht an sich nahm, und er war in Deutschland gewohnt, Bischöfe nach Willkür einzusetzen. Nie hatte ein Kaiser einen gleichen Sieg erlangt. Durch seine persönliche Kraft und die einiger seiner Nachfolger, denen er Vorbild war, wurde das Papsttum dem Kaisertum untertan und die Kirche Roms eine deutsche Vasallin. Die Kaisergewalt stieg zu einer furchtbaren Höhe empor, aber das durch die Majestät großer Herrscher niedergedrückte Papsttum rächte sich sodann, indem es (so wandeln sich die Dinge nach Gesetzen der Natur) die verlorene Freiheit nicht allein wiedergewann, sondern mit riesiger Anstrengung deren Schranken überstieg. Der Kampf der Kirche mit dem Deutschen Reich war die Haupthandlung des Mittelalters und das große, die Welt erschütternde Drama seiner Geschichte.

Der rühmliche Versuch der Römer, ihr Wahlrecht sich zu erhalten, fiel einer höheren Notwendigkeit zum Opfer, denn das germanische Königtum mußte für eine Zeitlang die Gewalt über Rom und die Kirche an sich reißen, um diese zu reformieren. Die gedemütigte Stadt hatte den Kaiser als ihren Gebieter aufgenommen, der kaiserliche Papst war wieder eingesetzt worden; und so ist es wahrscheinlich genug, daß jetzt Otto, statt sich mit einem Eide zu begnügen, durch ein Dekret die völlige Verzichtleistung der Römer auf das Wahlrecht auszusprechen gebot, und daß Leo VIII., sein Geschöpf, sich darein fügte, es zu vollziehen. Eine solche Urkunde ist uns in der unvollkommenen Fassung des XI. Jahrhunderts aufbewahrt; nur läßt ihre Echtheit starken Zweifel zu, und offenbare Fälschungen zugunsten der Kaiserrechte haben den wahren Inhalt unkenntlich gemacht.


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