Ferdinand Gregorovius
Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter
Ferdinand Gregorovius

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2. Edikt Leos gegen den Bilderdienst. Widerstand Roms und Italiens. Plan auf Gregors Leben. Die Römer und die Langobarden ergreifen die Waffen. Rebellion gegen Byzanz. Die Briefe Gregors an den Kaiser.

Es war im Jahre 726, als der Kaiser sein berühmtes Edikt erließ, welches alle Bilder aus den Kirchen seines Reichs zu entfernen befahl. Ein Sturm des Aufruhrs folgte auf dieses Gebot im Osten wie im Westen. Die Menge kam in fanatischen Aufruhr, und die zahllosen Priester begriffen, daß ihre Gewalt über jene zum großen Teil auf dem sinnlichen Apparat des Kultus beruhe. Im Orient und einigen Provinzen des Abendlandes wurden zahllose Bildwerke vernichtet, und Juden wie Mohammedaner konnten mit boshafter Genugtuung diese Bilderstürmerei betrachten. Aber der Papst verteidigte die Mythologie des christlichen Kultus nachdrücklicher, als Symmachus die alten Idole oder den Altar der Victoria hatte verteidigen können. Auch nach Rom sandte Leo sein Edikt, worauf Gregor durch eine Bulle erklärte, daß es dem Kaiser nicht zukomme, in Glaubenssachen Vorschriften zu erlassen oder Satzungen der Kirche umzustoßen. Dieser schickte hierauf neue Befehle, dem Papst mit der Absetzung drohend, wenn er nicht gehorchte. Allein Gregor rief die Bischöfe und Städte Italiens auf, dem ketzerischen Ansinnen des Kaisers zu widerstehen; er bewaffnete sich, wie das Buch der Päpste sagt, gegen ihn als gegen einen Feind. Die Wirkung seiner Hirtenbriefe war allgemein. Die ganze Pentapolis und das Heer der Venetianer standen sofort in Waffen und erklärten, den Papst verteidigen zu wollen. Gregor sah das italienische Nationalgefühl in Flammen; es hätte nur seines Winkes bedurft, um eine Revolution entstehen zu lassen, aber wichtige Gründe bewogen ihn, den offenen Abfall vom Reiche zu hindern. Nur einer neuen byzantinischen Steuerauflage scheint er sich in der Tat widersetzt zu haben.

Rom und die Provinzen bis nach Kalabrien hin befanden sich im Aufruhr, und als Mittelpunkt dieser Bewegung erschien der Papst, ihr Beschützer und Vertreter gegen den Kaiser. Auf die Kunde dieser Vorgänge rüstete derselbe eine Flotte aus, aber noch ehe diese nach der Tibermündung segelte, wollte man sich Gregors auf byzantinische Weise entledigen. Der Dux Basilius, der Chartular Jordan und der Subdiaconus Lurion entwarfen mit Marinus, welchen der Kaiser eben erst als Dux nach Rom geschickt hatte, den Plan, den Papst zu ermorden; jedoch die plötzliche Entfernung dieses Beamten verhinderte das Attentat. Jordan und Johannes wurden vom Volk umgebracht, Basilius rettete sich in ein Kloster. Nun traf der neue Exarch Paulus in Ravenna ein, mit dem entschiedenen Befehl, die Empörung der Römer auf jede Weise zu unterdrücken. Er schickte ein Heer gegen Rom; aber selbst die Langobarden von Spoleto und Tuszien, vom Papst ohne Zweifel zur Hilfe aufgerufen und gern bereit, die Macht des Kaisers in Italien zu schwächen, erhoben sich, besetzten die Grenzen des römischen Dukats und versperrten mit den Römern vereinigt dem anrückenden Feinde den Übergang über die Salarische Brücke. Die Griechen kehrten um; der Exarch, welchen der Papst exkommuniziert hatte, sah sich in Ravenna selbst in Gefahr. Die Pentapolis sagte sich offen von ihm los: alle Städte des mittleren Italiens vertrieben die byzantinischen Beamten, wählten sich eigene Duces und drohten, einen neuen Kaiser auf den griechischen Thron zu führen. Dieser merkwürdige Plan zeigt, daß die empörten Italiener keineswegs an eine Wiederherstellung des römischen Kaisertums im Abendlande oder an eine Teilung des Reiches dachten. Gregor selbst trat ihnen sofort entgegen, weniger weil er die Bekehrung des Kaisers hoffte, als weil er fürchtete, daß eine so heftige Umwälzung Italien und Rom dem Langobardenkönige überliefern würde. Der Vorteil schrieb den Päpsten schon damals vor, eine Monarchie in Italien nicht aufkommen zu lassen, sondern den Sitz der Reichsgewalt sich entfernt zu halten. Der Kaiser in Konstantinopel war ihnen minder gefährlich, als es ein König hätte werden müssen, welcher Italien unter seinem Zepter vereinigte und dann mit Notwendigkeit Rom als seine Hauptstadt beanspruchte. Außerdem mußte der Papst alles vermeiden, was ihn selbst als Rebellen gegen die legitime Reichsgewalt konnte erscheinen lassen. Er hielt daher mit kluger Mäßigung die Italiener zurück und ermahnte sie, nicht vom Kaiser abzufallen. Er duldete aus diesem Grunde selbst noch in Rom den kaiserlichen Dux Petrus, obwohl er es geschehen ließ, daß die Römer ihn im Cäsarenpalast belagerten und endlich einkerkerten und blendeten. Sie wählten sich hierauf vielleicht einen eigenen Dux, wie dies andere italienische Städte getan hatten. Aber daß nun die Römer die Stadt und ihr Gebiet förmlich zur Republik erklärten und zu ihrem weltlichen Oberhaupt den Papst ernannten, kann nicht erwiesen werden; dies würde auch mit der Politik Gregors in Widerspruch gestanden haben. Der Dux von Neapel Exhilaratus war unterdes mit einem Heerhaufen in die Campagna gerückt und hier von den römischen Milizen geschlagen und getötet worden. Die byzantinische Macht sah sich bald auf Neapel beschränkt, eine von Griechen, Juden und Orientalen belebte Handelsstadt, welche der Verlust der Beziehungen zum Orient empfindlich treffen mußte. Von hier aus versuchte der ehemalige Exarch Eutychius vergebens, eine Gegenrevolution in Rom zustande zu bringen. Sein Agent wurde ergriffen und verdankte sein Leben nur dem Dazwischentreten des Papstes, dessen kluge Haltung auch hier den vollendeten Staatsmann erkennen läßt. Der ergrimmte Kaiser zog jetzt die Einkünfte der Kirche in Süditalien ein. Dies war das einzige, doch kein ausreichendes Mittel, sich am Papst zu rächen. Aber in Rom selbst war sein Einfluß völlig erloschen; hier gab es kaum noch eine byzantinische Partei, und Gregor II. konnte sich als den wirklichen Herrn der Stadt betrachten, obwohl er nur ihr Bischof zu sein schien. Die Revolution gegen die kaiserlichen Beamten hatte hier eine neue Ordnung der Dinge erzeugt und ein städtisches Regiment hervorgerufen, an dessen Spitze die Judices de Militia standen. Rom erscheint zum erstenmal wieder als eine vom byzantinischen Regiment unabhängige Stadt unter republikanisch-aristokratischen Formen, die uns jedoch dunkel geblieben sind. Wahrscheinlich wurde sie durch Magistrate unter dem Namen der Konsuln und Duces verwaltet, über welche der Papst stillschweigend Autorität bekam. Die Römer, welche nicht mehr von griechischen Satrapen regiert sein wollten, anerkannten zwar noch immer die Reichsgewalt, aber sie stellten sich unter den Schutz ihres mächtigen Bischofs, den sie einmütig gegen den Kaiser unterstützten. Er war das natürliche Haupt der römischen Nationalität, und so entstand während des Bilderstreits in ihren verschleierten Anfängen die weltliche Gewalt des Papsts in Rom und dem Dukat, die mit der Zeit eine historische Form gewann.

Der Kampf wurde indes auch dogmatisch mit der Feder heftig fortgeführt. Wir haben zwei Briefe Gregors an den Kaiser Leo, welche mitten unter der Revolution Roms geschrieben sind. Ihre Sprache ist barbarisch, ihr Ton roh und leidenschaftlich; nie würde der feingebildete Gregor I. sie diktiert haben. Doch diese Schreiben des römischen Bischofs an das Oberhaupt des Reichs sprechen, mögen sie echt sein oder nicht, das hierarchische Bewußtsein von der Suprematie des Papsts als Haupt der Christenheit mit solcher Entschiedenheit aus, daß sie nachfolgenden Päpsten zum Muster dienen konnten. Das spätere Papsttum der Zeitalter Gregors VII. und Innocenz' III. zeigt sich hier in seinen Grundzügen bereits als fertig.

»Wir können an dich«, so heißt es im ersten Briefe, »nur in einem ungelehrten und rohen Stile schreiben, weil du selbst ungelehrt und roh bist«, und nun wird der Bilderstürmer auf die Tafeln des Moses, die Cherubim der Bundeslade und das Originalbild vom Antlitz Christi verwiesen, welches der Heiland dem Könige Abgarus von Edessa nebst einem eigenhändigen Schreiben überschickt habe; dergleichen Bilder, zu welchen fromme Pilger hinströmten, gebe es viele. Diese Bildnisse seien nicht Götter, noch würden die Heiligen selbst als solche geachtet, sondern man rufe sie nur an, sich bei Christus fürbittend zu verwenden. »Befreie«, so sagt der Papst dem Kaiser, »deine Seele von den Verwünschungen, womit dich die Welt überhäuft, denn selbst kleine Kinder lachen dich aus. Tritt in die Schule derer, die im Abc unterrichtet werden, und sprich: ich bin es, welcher die Bilder umstürzt und verfolgt, und augenblicklich werden sie dir ihre Schreibtafeln an den Kopf werfen. Wir, die wir Gewalt und Autorität vom heiligen Petrus haben, wollten dir eine Züchtigung auferlegen, aber weil du dich bereits selbst mit dem Fluche belegt hast, so mag dies für dich und deine Ratgeber genug sein.« In einer späteren Zeit würde der Papst nicht gezögert haben, den Bannstrahl auf den Kaiser zu schleudern, doch in jener Epoche wagte er es noch nicht, von dieser später so furchtbaren Waffe Gebrauch zu machen. Die Zeit, wo mächtige Könige und selbst Kaiser exkommuniziert wurden, lag noch in weiter Ferne. Gregor wies jedoch mit Selbstgefühl auf die Rebellion der Provinzen hin; er sagte dem Kaiser, daß die Völker Italiens seine eigenen Bildnisse mit Füßen getreten hätten, daß sie seine Beamten vertrieben und andere an deren Stelle setzten, und daß sie im Begriff gewesen seien, mit Rom ebenso zu verfahren, welches zu behaupten die byzantinische Regierung nicht Kraft besitze. »Aber du suchst uns zu erschrecken und sagst: ich will nach Rom schicken und das Standbild St. Peters zerschlagen, ja ich will den Papst Gregor selbst gefesselt hinwegführen, wie einst Constans den Papst Martin fortschleppen ließ. Du sollst wissen, daß, wenn du uns mit frechem Übermut und mit Drohungen zu nahe kommst, wir nicht nötig haben, uns zu solchem Kampf herbeizulassen; denn wenn der Papst nur 24 Stadien weit in die Campagna Roms hinweggeht, so magst du dem Winde nachsehen.« Indem er auf die berühmte Statue des Apostelfürsten zurückkommt, welche der Kaiser als das Hauptidol des Abendlandes betrachtete, gerät er in solchen Eifer, daß er sich selbst widerspricht. »Alle Völker des Abendlandes blicken mit gläubiger Ehrfurcht auf den, dessen Bild zu zerstören du uns prahlerisch androhst, auf den heiligen Petrus, so sage ich, welchen alle Königreiche des Westens als Gott auf Erden betrachten. Stehe ab von deinem Vorhaben; deine Gewalt und Wut kann sich an Rom nicht auslassen, es sei denn an der Stadt allein oder ihrer Meeresküste und ihren Schiffen. Das ganze Abendland verehrt den heiligen Apostelfürsten; wenn du nun Leute aussendest, sein Bildnis umzustürzen, so erklären wir, wir sind unschuldig an dem Blut, welches dann vergossen wird, aber auf dein eigenes Haupt wird es zurückfallen. Wir empfingen eben aus dem tiefsten Westen die Bitten des sogenannten Septetus, der mit Gottes Gnade unser Antlitz zu schauen begehrt, und daß wir dorthin reisen möchten, ihm die heilige Taufe zu erteilen, und wir wollen unsere Lenden gürten, um nicht der Fahrlässigkeit geziehen zu werden.«

Offenbar wollte der Papst dem Kaiser sagen, daß der Einfluß der römischen Kirche sich bis ins fernste Abendland erstrecke und hier alle Völker bereit seien, diese zu schützen. Er scheint auf jene Taufe ein besonderes Gewicht gelegt zu haben, denn er spricht auch in seinem zweiten Briefe davon. Der Franken, die nur wenige Jahre später sein Nachfolger zu Beschützern Roms berief, gedenkt Gregor nicht.

In einem zweiten Schreiben entwickelte er mit mehr logischem Zusammenhange den Unterschied der geistlichen und weltlichen Gewalt, des Palasts und der Kirche, wie er sich ausdrückte; er zog hier die Grenze zwischen den Befugnissen des obersten Richters, der die weltlichen Dinge mit dem Schwert richte, indem er den Leib mit Kerker oder Tod strafe, und denen des obersten Bischofs, welcher »waffenlos und wehrlos« die sündige Seele durch den Kirchenbann züchtige, nicht, um sie schonungslos zu töten, sondern zum göttlichen Leben zurückzuführen.

In der Geschichte der Kirche bezeichnen diese Erklärungen Gregors II., oder doch des römisch gesinnten Verfassers, die Stelle, wo die weltliche und die geistliche Gewalt, die Kirche und der Staat sich vollkommen schieden und als zwei Mächte einander gegenübertraten. Dieser weltgeschichtliche Zwiespalt, welcher das Leben des ganzen Mittelalters ausgefüllt hat und noch am heutigen Tage fortdauert, war dem Altertum unbekannt gewesen, da in ihm die heidnische Kirche, schon ihrer polytheistischen Zersplitterung wegen, nur eine dem Staat dienstbare und von ihm beherrschte Kultusform sein konnte. Er blieb auch Constantin und seinen Nachfolgern unbekannt; denn nachdem das Christentum zur Religion des Reichs geworden war, betrachteten sich die auch mit priesterlicher Gewalt bekleideten Kaiser als die Häupter der Imperialkirche. Dies war ein so einfacher Reichsgrundsatz, daß Leo der Isaurier, nicht aus despotischem Übermut, sondern in dem ruhigen Selbstbewußtsein seiner heiligen Majestät dem Papst geschrieben hatte: »Ich bin Kaiser und Ich bin Priester.« Der kaiserliche Anspruch, daß die Reichskirche als solche ihm zu gehorsamen habe, mußte das Papsttum in den Kampf um Leben und Tod mit dem byzantinischen Reichsdogma treiben. Es zeigte sich plötzlich, daß die römische Kirche in einem kaum bemerkbaren Prozeß von 150 Jahren eine selbständige Macht geworden war, in welcher der abendländische Geist sein Selbstbewußtsein gewann.


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