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4. Petrus Conti und Gentilis Orsini Senatoren. Stürmische Papstwahl in Viterbo. Die Annibaldi und die Orsini. Martin IV. Er überträgt dem Könige Karl den Senat. Martin von Karl beherrscht. Aufstand Siziliens. Die Vesper. Aufstand in Rom. Der französische Prosenator verjagt. Giovanni Cinthii Malabranca Kapitän des Volks. Der Papst gibt nach. Annibaldo Annibaldi und Pandulf Savelli Senatoren. Tod Karls I. und Martins IV.
Der Tod Nikolaus' III. gab das Zeichen zu Tumulten in Rom: die Annibaldi erhoben sich gegen die übermütigen Orsini, wobei das Volk für jene Partei nahm. Die bisherigen Senatoren wurden verjagt und zwei andere eingesetzt, Petrus Conti aus der Annibaldischen Faktion und Gentilis Orsini, Sohn Bertolds, vom Anhange der Gegner. Durch ein geteiltes Regiment sollten die Ansprüche beider Parteien ausgeglichen werden.
Die Papstwahl unterdes war stürmischer als je zuvor. Die karolinische Faktion kämpfte mit der lateinischen Partei des Verstorbenen im Konklave zu Viterbo, wohin Karl selbst gekommen war, um einen Papst durchzusetzen, der ihn für seine Verluste entschädige. Bereits hatte Richard Annibaldi, mit dem Könige einverstanden, den Ursus Orsini aus dem Amt des Podestà verdrängt und die Bewachung des Konklave an sich gerissen; unter seiner Führung überfielen die Bürger Viterbos den bischöflichen Palast, wo die Wahl stattfand, ergriffen zwei Kardinäle vom Haus Orsini, Mattheus Rubeus und Jordan, und sperrten sie unter Mißhandlungen abgesondert in eine Kammer ein. Als das geschehen war, riefen die übrigen Wähler am 22. Februar 1281 den neuen Papst aus. Dies war der Franzose Simon, unter Urban IV. Kardinal von St. Caecilia und als Legat in Frankreich der langjährige Unterhändler mit Karl wegen der Übernahme Siziliens, ein Mann von ruhigem Sinn, tätig und ohne Eigennutz, welcher aber als Papst kein Genie zeigte. Er sträubte sich gegen seine Wahl; nur mit Gewalt konnte man ihm die päpstliche Kleidung aufzwingen. Als Martin IV. bestieg er den Heiligen Stuhl, und er ergab sich sofort seinem Freunde, dem König Karl. So wurden durch seine Schwäche die Schranken wieder eingerissen, in welche sein kraftvoller Vorgänger diesen Vasallen zurückgewiesen hatte.
Um die in Rom fortdauernden Unruhen zu schlichten, schickte Martin IV. sofort zwei Kardinäle als Vermittler an das römische Volk. Er selbst wünschte ihnen nachzufolgen, um sich im St. Peter krönen zu lassen, was jedoch unterblieb, weil die trotzigen Römer ihn zu empfangen sich weigerten. Der neue Papst ging nach Orvieto, nachdem er auf Viterbo um der Wahlexzesse willen den Bann gelegt hatte. Die Legaten erlangten übrigens bald in Rom, was der Papst wünschte, und dieser bewilligte, was König Karl von ihm begehrte: nämlich die Wiederherstellung seiner senatorischen Gewalt. Ihr widersprach zwar die eben erst feierlich erlassene Konstitution Nikolaus' III., doch Martin IV. konnte binden und lösen und hob das Edikt seines Vorgängers einfach auf, während die uneinigen Römer, schon gewöhnt, mächtigen Fürsten zu dienen, dies zu hindern nicht Kraft hatten. Man traf folgendes Abkommen: die bisherigen Senatoren Petrus Conti und Gentilis Orsini wurden vom Volksparlament zu Wahlherren ernannt, worauf sie am 10. März 1281 Martin IV. nicht als Papst, sondern persönlich auf Lebenszeit die volle Senatsgewalt übertrugen, mit der Befugnis, seine Stellvertreter zu ernennen. Gesandte des römischen Volks überreichten in Orvieto dem Papst kniend das ihn zum Senator ernennende Pergament; er schien keinen Wert darauf zu legen; er stellte sich wie jemand, der sich besinnt, ob er ein unbequemes Geschenk annehmen solle oder nicht; dann tat er es mit Herablassung. Der Form wegen schickte er zuerst einen Vikar, Petrus de Lavena, aufs Kapitol, erkannte sodann, daß der wahre Friedensstifter der Stadt nur König Karl sein könne, und übertrug diesem den Senat auf seine eigene, des Papsts, Lebenszeit am 30. April 1281.
Der König nahm mit Befriedigung von derselben Würde wieder Besitz, welche ihm Nikolaus III. eben erst für immer entzogen hatte, und nach so kurzer Unterbrechung regierten wieder Franzosen, seine Prosenatoren, auf dem Kapitol. Die Vikare Karls (er nahm dazu seine ausgezeichnetsten Ritter und Räte) erschienen dort mit allem Pomp senatorischer Gewalt, in pelzverbrämten Scharlach fürstengleich gekleidet; sie erhielten täglich eine Goldunze Gehalt; sie hatten bei sich einen Ritter als Camerlengo oder Stellvertreter, einen andern als Marschall mit vierzig Reitern, acht kapitolische Richter, zwölf Notare, Herolde, Türsteher, Trompeter, einen Arzt, einen Kapellan, dreißig bis fünfzig Türmer, einen Wärter für den Löwen, den man als Sinnbild in einem Käfig auf dem Kapitol hielt, und andere Offizianten mehr. Sie schickten Kastellane in die Orte, welche Kammergüter der Stadt waren, wie Barbarano, Vitorclano, Monticello, Rispampano, Civitavecchia, und einen Grafen nach Tivoli.
Die Macht Karls, und mit ihr die guelfische Partei überhaupt, erhob sich sofort stärker in ganz Italien. Er war nochmals der anerkannte Patricius der Kirche. Als Lehnsvasall verpflichtet, dem Papst Truppen zu stellen, diente er ihm bereitwillig mit Waffen im Kirchenstaat, um dafür die Rechte eines Protektors in Anspruch zu nehmen; und Martin IV. war so ganz in seiner Gewalt, daß er meist nur königliche Räte zu Governatoren der Patrimonien machte. Die ersten Ämter kamen in die Hände von Franzosen; Franzosen regierten überall von Sizilien bis aufwärts zum Po, und so wurde die Freiheit der Städte, welche einsichtige Päpste schonten, mit dem Untergange bedroht. Der Feldhauptmann Karls, Johann de Appia, wurde an Bertold Orsinis Stelle sogar zum Grafen der Romagna ernannt, wo die erbitterten Ghibellinen unter Guido von Montefeltre mit den aus Bologna vertriebenen Lambertazzi wieder kühn ihr Haupt erhoben. In derselben Provinz war der berühmteste Rechtslehrer jener Zeit, der Provençale Wilhelm Durantis, geistlicher Legat. In der Mark, in Spoleto, selbst in Tuszien und Kampanien lagen sizilische Truppen, befehligten königliche Hofleute im Dienste des Papsts, welchen Karl in Person wie ein Argus in Orvieto bewachte.
Aber ein großes Ereignis zerstörte plötzlich die neue Herrlichkeit dieses Königs und das mühsame Werk der französischen Päpste. Die römische Kurie erwachte nach dem kurzen Traum peinvoll erkaufter Sicherheit zu neuer Angst, deren Quelle Sizilien blieb. Diese gemißhandelte Insel erhob sich am 31. März 1282 gegen Karl von Anjou. Die berühmte Sizilianische Vesper war das für alle Zeit gültige Urteil der Völker über Fremdherrschaft und Tyrannei; sie war auch die erste siegreiche Herstellung der Volksrechte gegenüber dynastischen Ansprüchen und Kabinettsverträgen. Die Sizilianer ermordeten alle Franzosen auf der Insel, warfen das Joch Karls ab und riefen den Schutz der Kirche an. Der erschreckte Martin stieß sie zurück, und jene heldenmütige Nation gab nun auch das erste siegreiche Beispiel der Lossagung eines ganzen Landes vom Lehnsverbande mit der Kirche. Schon am Ende des August landete König Peter von Aragon bei Trapani; unter dem Jubelruf der Menge zog er in Palermo ein, wo er die Königskrone Siziliens durch das Volk nahm. Der Schwiegersohn Manfreds, Gemahl Konstanzes, kam als Erbe und Vertreter der hohenstaufischen Rechte, und so erschien das schwäbische Geschlecht zum drittenmal in der Geschichte wieder, verwandelt in ein spanisches Königshaus. Karl war von Orvieto in sein Reich zurückgeeilt, nur um schimpfliche Niederlagen zu erleiden. Die siegreiche Revolution fand alsbald Widerhall in den Republiken Italiens, und die Ghibellinen griffen ermutigt zu den Waffen; selbst die in ihren Rechten vielfach gekränkten Städte des Kirchenstaats erhoben sich; Perugia fiel vom Papste ab. Das Blutbad in Palermo hatte sich schon am 1. Mai 1282 zu Forli wiederholt, wo zweitausend Franzosen unter dem Befehle Johanns de Appia, durch die List Montefeltres herbeigelockt, niedergehauen wurden.
In Rom bestrebten sich die Orsini, die erbitterten Feinde Karls, die verlorene Gewalt wiederzuerlangen; zwar von Richard Annibaldi und dem französischen Prosenator Philipp de Lavena vertrieben, warfen sie sich nach Palestrina und leisteten hier Widerstand. Der Trieb nach Freiheit erwachte unter den Römern, als sie die Herrschaft Karls wanken und die guelfische Partei in ganz Italien erschüttert sahen. Sie wollten weder dem Könige, ihrem Senator, noch dem Papst mehr gehorsamen, der sich in das feste Montefiascone begeben hatte, während sie selbst einen Kriegszug gegen Corneto unternahmen. Vergebens waren die Bitten Martins; selbst eine Hungersnot im Herbst 1283, die er zu lindern suchte, steigerte die Aufregung. Aragonesische Agenten streuten Gold aus, lockten ergraute Ghibellinen aus ihren Schlupfwinkeln hervor. Konrad von Antiochien, der einzige aus den Schreckenstagen von Tagliacozzo, welchen Henkerbeil und Kerker verschont hatte, erschien wieder, sammelte Volk in Saracinesco und versuchte auf der ihm nur zu wohl bekannten Valerischen Straße über Cellae in jenes Gebiet der Abruzzen einzufallen, wo der Sturz seines Hauses vollzogen worden war. Seine Grafschaft Alba wollte er wiedergewinnen. Der Versuch scheiterte, denn der päpstliche Rector der Campagna und Stefan Colonna von Genazzano zerstreuten seine Scharen. Doch der alte Ghibelline fiel im folgenden Jahr in die Abruzzen ein, wo er mehrere Kastelle besetzte, so daß der Papst Johann de Appia gegen ihn aussenden mußte, während zugleich auch in Latium Empörungen stattfanden.
Unterdes bekamen die Orsini die Oberhand in Rom. Am 22. Januar 1284 wurde das Kapitol gestürmt, die französische Besatzung niedergehauen, der Prosenator Goffred de Dragona ins Gefängnis geworfen, die senatorische Gewalt Karls für erloschen erklärt und ein Volksregiment eingesetzt. Dies war die Wirkung der Sizilianischen Vesper in Rom. Man erhob jetzt einen Edlen von der Sippschaft der Orsini zum Hauptmann der Stadt, zum Defensor oder Tribunen der Republik: Giovanni Cinthii Malabranca, den Bruder des berühmten Kardinals Latinus. Als Martin IV. in Orvieto diese Umwälzung vernahm, beklagte er sich über die Verletzung seiner Rechte, verwahrte diese, gab aber nach. Den Johann Cinthii bestätigte er als Kapitän der Stadt, jedoch nur in der Eigenschaft eines Präfekten der Verpflegung auf sechs Monate; er anerkannte den Rat der aus den Handwerkergilden gewählten Prioren und bewilligte, daß die Römer einen Prosenator ernannten, der neben dem Kapitän auf dem Kapitol regieren sollte. Einem eigenen Magistrat, dem Camerarius Urbis, wurde die Verwaltung der städtischen Einkünfte übertragen. Die kluge Nachgiebigkeit schlichtete den Aufruhr; Richard Annibaldi, welcher einst im Konklave zu Viterbo die Orsini gemißhandelt hatte, beugte sich jetzt und ging auf Befehl des Papsts barfuß, einen Strick um den Hals, von seinem Hause bis zum Palast des Kardinals Mattheus, ihm Abbitte zu leisten. Eine öffentliche Versöhnung der Parteien fand statt; die Beseitigung des Vikariats Karls wurde anerkannt, und das Volk empfing willig zwei päpstliche Stellvertreter mit senatorischer Gewalt, Annibaldus, den Sohn des Petrus Annibaldi und den kraftvollen Pandulf Savelli. So kehrte man zu dem von Nikolaus III. geschaffenen nationalen System zurück.
Schon das folgende Jahr 1285 sah Karl und Martin IV. tot. Der König starb am 7. Januar zu Foggia, durch den Verlust Siziliens niedergebeugt und hart bestraft. Er ließ das Reich, welches er unter Blutströmen erobert hatte, so in Kriegssturm und Empörung zurück, wie es gewesen war, als er es zum ersten Mal betrat. Seine ehrgeizigen Pläne waren zerstört; der Erbe und Rächer der Hohenstaufen war siegreich in sein Land gedrungen und trug die Krone Manfreds; selbst seinen eigenen Thron in Neapel sah er nach seinem Tode voraussichtlich leer; denn sein Sohn und Erbe Karl II. war kriegsgefangen in der Gewalt Peters von Aragon. Kurze Zeit nach dem Könige starb auch Martin IV. in Perugia, welches sich der Kirche wieder unterworfen hatte, am 28. März 1285. Obwohl es ihm gelungen war, durch die Hilfe selbst des Königsmörders Guido von Montfort, den er begnadigt hatte, um ihn dem Ghibellinen Guido von Montefeltre entgegenzustellen, und durch die Unterstützung des Königs Philipp von Frankreich die Romagna und manche andere Stadt zum Gehorsam zu bringen, so ließ er doch Italien in Flammen zurück. Die von ihm unzählige Male exkommunizierten Ghibellinen waren nicht bezwungen, und Peter von Aragon mißachtete seine Bannbullen, die ihm verboten, die Krone Siziliens zu tragen. Nachdem Länder und Völker lange Zeit durch Päpste und Fürsten veräußert, verschenkt, verhandelt worden waren, hatte sich der Wille des Volkes als die Macht erhoben, welche Könige zur Herrschaft beruft. Diese Empörung gegen die Grundsätze dynastischer Autorität mußte durch ein herrliches Verhängnis derselbe Papst erleiden, welcher einst die Usurpation Karls als päpstlicher Legat eingeleitet hatte. Die abgebrauchten Bannstrahlen vermochten nichts gegen das gerechte Urteil, welches an den beiden Genossen desselben Unrechts, an Karl von Anjou wie an Martin IV., vollzogen ward.