Ferdinand Gregorovius
Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter
Ferdinand Gregorovius

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2. Bonifatius II. Papst 530. Schisma zwischen ihm und Dioscorus. Johannes' II. Senatskonsult gegen die simonistische Bewerbung um das Papsttum. Erziehung und Tod Athalarichs. Theodahad wird Mitregent. Schicksale der Königin Amalasuntha. Justinians Pläne und Aussichten. Der abendländische Konsulat erlischt im Jahr 535.

Felix IV. hatte es gewagt, für den Fall seines Todes den Archidiaconus Bonifatius zu seinem Nachfolger einzusetzen, und die Zustimmung eines Teils des Klerus dafür gewonnen. Aber der römische Senat verwarf diese unerhörte Wahl; er erließ ein Dekret, welches jeden Versuch, bei Lebzeiten eines Papstes dessen Nachfolger zu ernennen, mit der Strafe des Exils bedrohte. Als nun Felix im September 530 starb, trat ein Schisma ein; denn seine Anhänger wählten wirklich und ordinierten am 22. September jenen Bonifatius in der Basilika des Lateran, während zu gleicher Zeit die zahlreicheren Gegner in der lateranischen Aula, welche Basilica Julii hieß, den Griechen Dioscorus, einen sehr angesehenen Mann, zum Papst weihten. Der erste gehörte zur gotischen, der andre zur byzantinischen Partei. Zum Glück für die Kirche Roms starb Dioscorus schon am 14. Oktober 530, und so endete das kurze Schisma. Denn die Presbyter der Gegenpartei unterwarfen sich jetzt dem Bonifatius und verdammten mit ihm Dioscorus als Eindringling.

Der ehrgeizige Bonifatius II. war der erste Papst germanischen Stammes. Sein Vater hieß Sigibold, und dieser Name war in Rom nicht neu, da schon im Jahre 437 ein Sigisboldus neben Aëtius die Konsulwürde geführt hatte. Einem alten Geschlecht mächtiger Germanen im Dienste des gesunkenen Rom wird der neue Papst angehört haben. Schon seit seiner frühesten Jugend war er in der Kirche erzogen, dann zum Archidiaconus emporgestiegen und der Vertraute Felix' IV. geworden. Der gotische Hof hatte ihn wahrscheinlich begünstigt, der römische Senat ihn bestritten; doch scheint er den Absichten der Regierung Amalasunthas nicht entsprochen zu haben. Die Streitigkeiten bei Anlaß der Papstwahl und der Wunsch, den arianischen Königen allen Einfluß auf sie zu entziehen, veranlaßten denselben Bonifatius, sogar den Versuch seines Vorgängers zu erneuern; auf seiner ersten Synode in Rom ernannte er selbst seinen Nachfolger, den Diaconus Vigilius, und legte den von den leichtsinnigen Geistlichen unterzeichneten und beschworenen Wahlakt vor der Konfession des Apostelfürsten nieder. Aber weder Amalasuntha noch der Senat konnte diese eigenmächtige Handlung gutheißen, welche, wenn sie zur Regel wurde, die ganze Natur der kirchlichen Hierarchie würde verändert haben. Bonifatius mußte in einer zweiten Synode sein Dekret feierlich zurücknehmen.

Dieser Papst starb im Jahre 532, worauf der Römer Johannes II. Mercurius, Sohn des Projectus vom Zölischen Berge, erwählt wurde. Es war zur Gewohnheit geworden, daß ehrgeizige Bewerber um das mächtige römische Bistum diese Würde, während der Papst noch lebte, durch Simonie oder Kauf zu gewinnen suchten; sie bestachen die einflußreichsten Senatoren und Beamten am Hof durch Geldgeschenke, und um diese aufzubringen, verkauften sie sogar Güter der Kirchen und Gerätschaften der Altäre. Infolge dieser Mißbräuche hatte der Senat zur Zeit Felix' IV. jenes Edikt erlassen, welches die ungesetzliche Bewerbung um das Papsttum verbot. Diesen Senatsbeschluß, den letzten Roms, von dem wir Kunde haben, bestätigte der König Athalarich nach der Erwählung Johannes' II.; er befahl dem Stadtpräfekten Salvantius, das Gesetz in Marmor einzugraben und vor dem Atrium des St. Peter aufzustellen. Schon dieses denkwürdige Dekret lehrt, welchen großen Anteil der Senat an der Papstwahl rechtmäßig besaß, und ferner, daß er zu jener Zeit in disziplinarischen Dingen der Kirche Vorschriften gab. In ihm war noch immer eine durch Reichtum wie verfassungsgemäße Bedeutung höchst angesehene Macht vereinigt; die Gotenkönige achteten sie, und die Bischöfe Roms suchten sie sich freundlich zu erhalten, weil wesentlich der Senat die Papstwahl leitete und sogar die Beschlüsse der Synoden seinem Urteil unterwarf. Denn als Vertreter des Laienstandes oder des Volks der Römer machte diese höchste weltliche Behörde ihr Recht geltend, neben der Geistlichkeit eine Stimme in kirchlichen Angelegenheiten zu haben. In solchen Akten führte die ruhmvollste Körperschaft Roms, einst die Regiererin der Welt, noch ein letztes Scheinleben fort, ehe sie ganz erlosch.

Das römische Volk selbst gibt in dieser Zeit kein bemerkbares Lebenszeichen von sich. Den Augen des Herrschers fern, von den Provinzen nach wie vor, doch kärglicher genährt, wurde dasselbe bisweilen nur durch Teuerung aus seiner Lethargie aufgeschreckt und mochte dann Tumulte erregen oder zum Argwohn rebellischer Gesinnung Veranlassung geben. Das scheint einmal unter der Regierung Athalarichs der Fall gewesen zu sein, da der Papst Johannes sich beschwerte, daß Römer wegen des bloßen Verdachts lange im Gefängnis gehalten würden. Aber bald sollte die Stadt aus diesem Zustande eines ruhigen, doch ruhmlosen Glücks unter gotischer Herrschaft in das furchtbarste Elend versetzt werden; eine der schrecklichsten Katastrophen sollte sie ergreifen, um dann ihr geschichtliches Leben mit dem tiefen Dunkel jahrhundertelanger Barbarei zu bedecken. Um dies zu erzählen, müssen wir die Schicksale des Hauses Theoderichs kurz verfolgen, an welches auch die Geschicke Roms geknüpft waren.

Der Stamm des großen Königs erlag dem Widerspruch des gotischen Nationalwesens zur römischen Kultur, deren allmähliche Vermittlung Amalasuntha sich vergebens zur Aufgabe gemacht hatte. Ihren jungen Sohn Athalarich in den liberalen Künsten der Römer erziehend, erregte sie die Verachtung der Gotenkrieger, welche die römische Bildung als die Feindin der männlichen Kraft wie die Herrschaft ihres Volks nicht mit Unrecht haßten. Es sind kaum denkwürdigere Erziehungsprobleme irgendwo abgehandelt worden, als jene in betreff des germanischen Knaben Athalarich. Die gotischen Grafen entrissen ihn der, wie sie sagten, schimpflichen Zucht der Pädagogen und überließen ihn der freien Natur. Sie wollten keinen Grammatiker zum Könige haben, sondern einen tapfern Krieger, wie seine Vorfahren aus dem Geschlecht der Amaler gewesen waren. Die Mutter aber war eine Schwärmerin für alles römische Wesen und ihrer eigenen unkultivierten Nation schon tief entfremdet. In dieser erlangte die Partei, welche dem strengen Regiment Theoderichs und seinen Romanisierungsideen abhold war, immer größere Kraft. Der gotische Adel verachtete die Regentschaft eines Weibes, die in der römischen und byzantinischen Geschichte des letzten Jahrhunderts nicht ungewöhnlich war, aber den germanischen Gewohnheiten widersprach; er wollte Amalasuntha stürzen, und diese war gezwungen, sich heimlich ein Asyl am Hofe zu Byzanz zu sichern. Jedoch der auf ihren Befehl hinterlistig ausgeführte Mord dreier ihr am meisten gefährlicher Goten gab ihr wieder Mut; sie entsagte dem verräterischen Plan, nach dem Orient zu fliehen, und fuhr fort, im Palast Ravennas das Zepter zu führen. Sie erkannte indes den unausbleiblichen Untergang des Gotenreichs in Italien, wo dieses nordische und akatholische Kriegervolk nicht Wurzeln treiben konnte. Ihr Sohn siechte unter Ausschweifungen dahin; sie unterhandelte deshalb aufs neue mit dem Kaiser Justinian, und zwar, wie Procopius berichtet, geradezu wegen der Abtretung Italiens, was jedes Gotenherz empören mußte. Athalarich starb im Jahre 534 zu Ravenna, im achtzehnten seines Lebens; so blieb der Thron Theoderichs ohne Erben, und das Gotenreich geriet in unaufhaltsamen Verfall. Der edle Cassiodor erkannte bald, daß dessen Zusammensturz auch die Römerwelt mit sich reißen mußte, zu deren Stützen er die Amaler gemacht hatte. Der gelehrte Römer war der getreue Minister Amalasunthas und Athalarichs geblieben und hatte es nicht verschmäht, die Geschichte des Gotenvolks zu schreiben, um das Geschlecht der Amaler zu rechtfertigen und in den Augen der Lateiner zu erhöhen.

Nach dem Tode ihres Sohnes wählte Amalasuntha, in sehr verzweifelter Lage, ihren Vetter zum Mitregenten, indem sie ihm den Titel des Königs gab und sich selbst die königliche Macht behielt. Theodahad, Sohn Amalafridas, einer Schwester Theoderichs, war ihr entschiedener Gegner, aber sie hoffte aus einem Feinde einen Freund zu gewinnen, sich selbst Thron und Leben zu sichern und die murrenden Goten zu beruhigen.

An Theodahad hatte sich der Einfluß Italiens, dem bereits mancher Gote erliegen mochte, in auffallender Weise geltend gemacht. Er war schwach und unkriegerisch, aber ein gründlicher Kenner der antiken Literatur und in den Studien des Platon heimisch. Auf seinen reichen Besitzungen in Tuszien hatte er den Hof mit der Villa vertauscht, und er wäre unter dem Schatten seiner Oliven zu beneiden gewesen, wenn ihn nicht unersättliche Habgier gequält hätte. Ganz Etrurien verwünschte sie, und Amalasuntha selbst hatte ihren Vetter zur Hergabe fremder Ländereien nötigen müssen, was er ihr nie vergab. Nun kam er nach Ravenna und nahm die Krone, die er so schimpflich tragen sollte. Kaum sah er sich in ihrem Besitz, so vollzog er seine Rache an der Fürstin, der er sie verdankte. Er verbannte sie, von ihren Feinden unterstützt, auf eine Insel im See Bolsena und zwang sie hier, an ihren Freund Justinian einen Brief zu schreiben, worin sie sich mit ihrer Lage zufrieden erklärte, während Theodahad selbst zwei römische Senatoren, Liberius und Opilio, nach Konstantinopel schickte, den Kaiser zu beschwichtigen. Doch ehe diese Boten zurückkehrten, war die Tochter Theoderichs schon tot. Bluträcher, Verwandte jener drei gotischen Großen, welche sie hatte töten lassen, drangen eines Tags nicht ohne Wissen Theodahads in ihr Gefängnis und erwürgten sie. Die Mehrzahl der Goten billigte dieses nicht ganz unverdiente Schicksal eines unglücklichen Weibes, welches damit umgegangen war, ihr eigenes Volk und das Reich ihres ruhmvollen Vaters zu verraten. Die Tat geschah im Jahre 535, eben als Belisar den Thron der Vandalen in Afrika zerstört hatte und nun freie Hand besaß, an die Eroberung Italiens zu gehen. Das byzantinische Kaisertum hatte sich zu neuer Kraft emporgehoben und Justinian den großartigen Entschluß gefaßt, Morgenland und Abendland wieder zu vereinigen, indem er die germanischen Eindringlinge vernichtete, die Herrschaften der Vandalen und Goten zerstörte und die westlichen Provinzen unter griechischen Statthaltern wieder seiner Autorität unterwarf. Das Glück hatte ihm zur Ausführung dieses Planes einen großen Feldherrn geschenkt. Die Leichtigkeit, mit welcher Belisar die afrikanischen Vandalen bezwang, verhieß einen ähnlichen Erfolg über die Goten in Italien, wo die lateinische Nation und die Kirche den Griechen als Befreiern vom Joch der Barbaren entgegensahen.

Auf die Kunde der Ermordung Amalasunthas heuchelte Justinian Entrüstung, aber in der Stille frohlockte er über das günstige Zusammentreffen von Umständen, die ihm die Wege nach Italien bahnten. Indem er noch seinen Gesandten Petrus, welcher die Abtretung des einst vandalischen Lilybaeum auf Sizilien und einige andere Zugeständnisse forderte, mit Theodahad unterhandeln ließ, übertrug er dem General Mundus den Oberbefehl in Dalmatien, wo er die Goten angreifen sollte, und dem Belisar die Flotte, um Sizilien zu erobern. Diese Insel fiel in die Gewalt der Griechen schon am Ende des Jahrs 535, in welchem Belisar allein den Konsulat führte, ein auch für Rom denkwürdiges Jahr. Denn seither wird bis zum gänzlichen Erlöschen des Konsulats der Privatpersonen (541) kein abendländischer Konsul mehr in den Fasten verzeichnet. Der letzte Konsul Roms im Jahre 534 war Decius Theodorus Paulinus der Jüngere, Sohn des Venantius aus dem Geschlecht der Decier, welches den Ruhm hat, die lange Reihe der römischen Konsuln zu beschließen. Seit Constantin war es Gebrauch gewesen, einen der beiden Konsuln jedes Jahres für das alte Rom, den andern für das neue zu ernennen. Solange nun die gotischen Könige Italien beherrschten, ernannten sie selbst den abendländischen Konsul, welchen darauf der Kaiser bestätigt zu haben scheint. Seit 534 gab es nur einen Konsul im Orient, bis im Jahre 541 nach dem Konsulat des Flavius Basilius des Jüngern der Kaiser Justinian den Konsulat gänzlich eingehen ließ, wie Procopius erzählt, weil er die üblichen Geldausteilungen nicht mehr leisten wollte. Denn beim Antritt des Konsuls wurden mehr als 2000 Pfund Gold für die Armen und für Schauspiele ausgegeben, wovon den größten Teil der Kaiser aus dem Schatz bezahlte. So erlosch das berühmte Institut, welches der Welt durch so lange Jahrhunderte die Regierung und der Zeit ihr Maß gegeben hatte, für immer. Nachdem nur noch einmal im Jahre 566 der Konsultitel vom Kaiser Justin angenommen worden war, fielen der Regierungsantritt der Kaiser und die Bezeichnung des Konsulats zusammen.


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