Ferdinand Gregorovius
Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter
Ferdinand Gregorovius

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Siebentes Kapitel

1. Desiderius wird in Rom als Victor III. gewaltsam erhoben. Er flieht nach Monte Cassino. Er nimmt die Papstwürde wieder an (1087). Er wird in Rom geweiht. Zustände in der Stadt. Victor III. flieht nach Monte Cassino, wo er stirbt (1087). Wahl und Ordination Ottos von Ostia als Urban II. (1088).

Die Stadt Rom sieht nach dem Falle Gregors einer öden Schaubühne gleich, welche sich nur zögernd mit kleineren Gestalten wieder füllt. Die Tat und auch der Sturz eines großen Menschen wird nachwirkend in tausend immer schwächeren Wellenkreisen der Zeit gespürt, bis sie sich in der Weite endlich verlieren muß. Den Sarg Gregors umstanden die Männer der Hierarchie, welche in ihren Kämpfen alt und grau geworden waren, so etwa wie einst die Leiche Alexanders des Großen dessen Generale umringt hatten. Wer sollte das geistliche Reich erben? Die kleinen Leidenschaften des Neides und der Herrschbegier, sollten sie es jetzt zertrümmern? In einem weltlichen Staat wäre das geschehen; aber in dem Reich von Priestern, welche keine Familiendynastien zu gründen hatten, war der jedesmalige Erbe der eine hierarchische Geist, der als unzerstörliches Prinzip fortbestand.

Sterbend hatte Gregor vier Kandidaten der Papstwahl bezeichnet: Desiderius von Monte Cassino, Kardinal von S. Cecilia in Trastevere, Anselm von Lucca, Otto von Ostia, Hugo von Lyon. Die Wünsche der Kardinäle richteten sich auf Desiderius, einen talentvollen Mann von diplomatischer Zweideutigkeit, ohne Charakterkraft. Der Reichtum dieses Abts, sein Ansehen bei den Fürsten der Zeit, seine Verbindung mit den Normannen, selbst seine Beziehung zum Kaiser Heinrich machten seine Wahl wünschenswert. Guiscards Tod beraubte eben das Papsttum einer starken Stütze; dieser außerordentliche Mensch, welcher, aus dem Staube emporgekommen wie Gregor, neben ihm die Geschichte Italiens mit einem heroischen Glanze geschmückt hat, war bald nach ihm am 17. Juli in Kephalonia gestorben. Jetzt konnte nur Desiderius, so glaubte man, das drohende Unheil beschwören, wenn die Erben des Herzogs uneinig und treulos wurden. Aber der Ehrgeiz des Abtes hätte mehr als groß sein müssen, wenn er in dieser Zeit die Tiara begehrenswürdig fand. Monte Cassino rief ihm zu, daß er seine Tage im ruhigen Genusse des Glücks beschließen dürfe, umgeben von friedlichen Musen, in Handschriften voll von purpurnen Miniaturen blätternd oder disputierend mit Gelehrten; daß es töricht sei, das schöne Kloster mit dem wilden Rom zu vertauschen, sich in endlosen Kampf mit der Welt zu stürzen, den Ränken ehrgeiziger und neidischer Kardinäle sich auszusetzen und endlich das tödliche Verhängnis auf sich zu laden. Die nächsten zwei Jahre nach Gregors Tode bieten das Schauspiel eines Kampfs um die Papstkrone dar, nicht sie zu gewinnen, sondern ihr zu entfliehen. Dies anziehende Schauspiel ist, man darf es sagen, die beste Leichenrede auf die Größe Gregors. Der tote Papst schien die Tiara noch neben seinem Sarge festzuhalten, und Desiderius, der vornehme Mann aus dem Langobardenhause Benevent, von den Kardinälen und Fürsten wiederholt gegen sie hingetrieben, bebte vor ihr immer wieder wie vor etwas Dämonischem zurück. Die Menschlichkeit seines Sträubens war schön, selbst als Beweis des Gefühls der Schwäche, doch so sehr bleibt sich die Natur überall gleich, daß auch hier nicht ein Prälat fehlt, der hinter Desiderius voll neidischer Gier nach der Tiara schielt.

Das Jahr 1085 verfloß ohne Verständigung; dem Fürsten Jordan von Capua, der Gräfin Mathilde und den Kardinälen erklärte der Abt ablehnend, daß er auf einem Wahlkonzil zur Erhebung eines würdigen Papstes wirken wolle. Aber erst um Ostern des folgenden Jahres kam er mit dem Fürsten Gisulf nach Rom. Die verödete Stadt war noch immer in zwei Heerlager getrennt: die Kaiserlichen sich sammelnd, die Gregorianer in Spannung, geführt vom Konsul Cencius Frangipane, dem Haupt der Republik. Desiderius hoffte, daß man sich bei seiner Weigerung werde beruhigt haben, doch die in S. Lucia am Septizonium versammelten Kardinäle und Großen baten ihn auf Knien, Papst zu sein. Er beriet sich mit Cencius; er schlug den Bischof von Ostia vor; den Papst, wer immer es sein werde, wolle er auf seine Kosten erhalten, bis die Kirche Frieden habe. Aber das Volk rief wütend seinen Namen, die ungeduldigen Kardinäle proklamierten ihn (am 24. Mai 1086) als Papst, und er sah sich voll Verzweiflung als Victor III. im Purpur stecken; nur die Alba, das weiße Kleid, vermochte man nicht ihm aufzuzwingen.

Die Wahl Victors III. war indes nicht unbestritten; ein Tumult in der Stadt lehrte ihn, was ihn als Papst erwarte. Die Partei Heinrichs, noch immer im Besitze mancher Festungen in Rom, hatte seit einiger Zeit am kaiserlichen Präfekten ihr Haupt gefunden. Diesen Gefangenen Guiscards hatte Roger, dessen Nachfolger im Herzogtum, entlassen, aufgebracht gegen das Kardinalkollegium, welches ihm die Bestätigung des Erzbischofs von Salerno versagte. Der Lehnsmann des Heiligen Stuhls zog seine Hand sofort von ihm ab, als sein Vorteil es gebot. Der Präfekt Heinrichs sammelte Waffen auf dem Kapitol; er hinderte die Einweihung Victors im Vatikan, und der kaum gewählte Papst entzog sich schon nach vier Tagen Feinden wie Freunden durch eine fluchtähnliche Abreise. Da die Grafen der Campagna kaiserlich gesinnt waren, mußte er meerentlang über Ardea fortziehen, worauf er in Terracina die Zeichen des Papsttums von sich tat und in sein geliebtes Kloster zurückeilte.

Hier blieb er ein Jahr lang taub gegen das Flehen der Bischöfe und Fürsten und gegen die Mahnung St. Peters, sein führerloses Schiff durch die Stürme der Zeit zu steuern. Kardinäle, römische Edle mit ihrem Haupt Cencius, Bischöfe Süditaliens versammelten sich wieder während der Fasten 1087 in Capua zur Papstwahl um den Prinzen Jordan, den man zum Advokaten der Kirche gemacht hatte. Auch Roger, der Herzog von Apulien, und der entthronte Fürst Gisulf waren anwesend. Die Wiedererwählung des Abts, dessen Benehmen und Grundsätze zweideutig erschienen, suchte jetzt die ihm feindliche streng gregorianische Partei Hugos von Lyon und Ottos von Ostia zu hindern, und dies bewirkte, daß Desiderius (am 21. März) die päpstlichen Insignien freiwillig wieder aufnahm. Wenn sich menschlicher Ehrgeiz in ihm regte, so konnte er den Gedanken nicht ertragen, die Tiara auf dem Haupt eines seiner Gegner, namentlich des Hugo von Lyon, zu sehen.

Victor III. brach nach Ostern unter dem Geleit Jordans und Gisulfs nach Rom auf. Dies kleine Heer zog seewärts fort, setzte bei Ostia über den Tiber und lagerte vor der Leostadt. Denn der St. Peter, wo der Papst geweiht werden sollte, war in Feindes Gewalt. Nach der Flucht Victors hatte sich der kaiserliche Präfekt Roms bemächtigt und eilig Clemens III. herbeigerufen. Dessen Hoffnungen konnte die fortdauernde Anarchie nur schwach beleben; denn die Ermattung war allgemein, Heinrich fern, Rom verwildert, zerrissen und verheert, und die Truppen Mathildes hielten noch das Feld. Welchen Anblick damals die Stadt darbot und welcher Art ihr Zustand war, kann man ahnen, nicht sagen. Clemens III. kam, sammelte seine Anhänger und wohnte im Vatikan. Es ist wunderbar zu denken, daß die Basilika St. Peters seither den Faktionen wirklich zur Festung diente; der heiligste Dom der Christenheit wurde im XI. und XII. Jahrhundert wie das Septizonium oder die Engelsburg belagert und verteidigt, und in seinen Säulenhallen kämpfte der Soldat so wild und erbittert wie auf den Zinnen irgendeiner Burg. Die Normannen erstürmten die Basilika; der fliehende Clemens zog sich in die Stadt, um in einer andern unverwüstlichen Kirche, dem alten Pantheon, sich zu verschanzen, und Victor III. wurde vom Kardinalbischof von Ostia am 9. Mai im St. Peter geweiht. Konnte man Desiderius es verdenken, wenn er vor dem Papsttum zurückbebte?

Er verließ Rom schon nach acht Tagen, von heißer Sehnsucht nach seinem Kloster fortgetrieben, aber kaum war er dort angelangt, als ihn Boten der Gräfin Mathilde zurückriefen, welche gekommen war, den Papst in Rom zu befestigen. Er folgte seufzend ihrem Ruf; ihre Truppen erzwangen ihm sogar den Eingang in einen Teil der Stadt, wo er mit Mathilde auf der Tiberinsel Wohnung nahm. Doch nur Trastevere, die Engelsburg, St. Peter, Ostia und Portus blieben in seinem Besitz. Die Mehrzahl der Römer hielt zu Clemens, von Haß gegen das gregorianische Papsttum entbrannt, welches sich in die Arme der Normannen hatte werfen müssen und diese Zerstörer immer wieder in die unglückliche Stadt zog. Überdies gab die Ankunft eines kaiserlichen Gesandten den Wibertisten neuen Mut; unter greuelvollen Kämpfen wurde der St. Peter bald gewonnen, bald verloren, und der kranke Victor III. verließ im Juli Rom zum drittenmal. Er hielt noch im August eine Synode zu Benevent, wo er die Dekrete Gregors bestätigte und Clemens III. aufs neue bannte, dann ließ, er sich sterbend in sein Kloster tragen. Er ernannte Oderisius zum Abt, denn auch als Papst hatte er das Klosterregiment fortgeführt; er empfahl, Otto, den Kardinalbischof von Ostia, zu seinem Nachfolger zu wählen, und verschied am 16. September als ein tragisches Opfer des Papsttums, dem zu entrinnen er vergebens gehofft hatte. Der Abt Desiderius war ein großer unsterblicher Mann, aber der Papst Victor III. eine ruhmlose Schattengestalt. Die Mönche bestatteten den Wiederhersteller ihrer Abtei in der Apsis des Kapitelsaales, wo zu ruhen er begehrt hatte, und dort schrieben sie ihm auf den Leichenstein ein schönes und rührendes Epigramm.

Von den berühmteren Reformkämpfern, die sich einst um das Banner Gregors versammelt hatten, war Desiderius der letzte, der vom Schauplatze abtrat. Denn schon ein Jahr vor ihm war Anselm von Lucca gestorben. Ein neues Geschlecht und andere Richtungen strebten auf, in welchen die Überlebenden einer großen Vergangenheit, Mathilde, Heinrich, Clemens, fremd und vereinsamt dazustehen begannen.

Otto von Ostia war erst der Nebenbuhler Victors III. gewesen, dann hatte er sich aufrichtig mit ihm versöhnt. Die Stimme des Sterbenden hatte ihn zum Papst gewählt, und schon war er einer der vier Wahlkandidaten gewesen, die Gregor VII. bezeichnet hatte. Hugo von Lyon, auch einer dieser vier, konnte nicht mehr mit ihm wetteifern, denn Victor III. hatte ihn als Feind der Kirche gebannt. Doch die Wahl Ottos verzögerte sich; Rom befand sich in der Gewalt des Gegenpapsts, die Kardinäle haderten miteinander, und sie waren hie und da zerstreut. Boten der Deutschen von der gregorianischen Partei, Boten der Gräfin forderten sie wiederholt auf, der anarchischen Kirche das Haupt zu geben; endlich schrieben ihrer mehrere, die sich um den Abt Oderisius versammelt hatten, das Wahlkonzil aus.

Am 8. März 1088 vereinigten sich in Terracina vierzig Bischöfe, Kardinäle und Äbte; Johann von Portus vertrat den Klerus, der päpstliche Präfekt Benedikt das Volk von Rom, und Abgesandte Deutschlands wie der Gräfin Mathilde hatten sich eingefunden. Am 12. März wurde der Kardinal Otto als Urban II. ausgerufen und geweiht. Er war der erste Papst, welcher der Wahlverordnung Nikolaus' II. gemäß außerhalb Rom in einer Provinzialstadt die Ordination empfing.


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