Ferdinand Gregorovius
Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter
Ferdinand Gregorovius

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Viertes Buch

Vom Pontifikat Gregors II. im Jahre 715 bis auf die Kaiserkrönung Karls im Jahre 800

Erstes Kapitel

1. Pontifikat Gregors II. im Jahre 715. Seine Tätigkeit. Bonifatius bekehrt Deutschland. Leo der Isaurier. Der Kultus der Heiligenbilder. Die bronzene Figur des St. Petrus im Vatikan.

Nach sieben Päpsten von griechischer oder syrischer Abkunft bestieg wieder ein Römer den Heiligen Stuhl: Gregor II., der Nachfolger Constantins I. Der antike Name seines Vaters Marcellus macht glauben, daß er einem angesehenen Adelsgeschlecht angehörte. Offenbar hatte das Volk den Nationalrömer im Widerspruch zu Byzanz zum Papst gewählt, und dies war ein großes und folgenschweres Ereignis. Als Diaconus war Gregor mit seinem Vorgänger an den Hof des Kaisers gegangen, wo er sich bei den Verhandlungen über die Trullanischen Artikel den Ruhm eines beredsamen und festen Mannes erworben hatte. Am 19. Mai 715, im dritten Jahre des Kaisers Anastasius, wurde er Papst.

Damals beherrschte seit dem Juni 712 das Langobardenvolk Liutprand, der Sohn Ansprands, ein Fürst, welcher hohe Pläne im Sinne hatte. Als er sich weigerte, die Schenkung Ariberts II. zu bestätigen, eilte Gregor II., einen Bruch mit ihm zu verhindern. Seinen Nuntien gelang dies, aber er hielt es für nötig, die wankenden Mauern Aurelians wiederherzustellen, denn sie waren die Bollwerke der nationalen Selbständigkeit Roms. Man begann die Mauern am Tor San Lorenzo aufzubauen, als eintretende Hindernisse das Werk hemmten. Eine Tiberüberschwemmung suchte bald darauf die Stadt heim, wo sie große Beschädigungen im Marsfelde anrichtete.

Dies sind während der ersten Jahre Gregors II. die einzigen Rom selbst betreffenden Ereignisse, von denen wir Kunde haben. Der Mangel zeitgenössischer Chroniken hat überhaupt die große Tätigkeit jenes Papsts zum Teil in Dunkel begraben. Sein gebietendes Ansehen erstreckte sich bis nach Süditalien hin, wo die Langobarden von Benevent um 717 die starke griechische Festung Cumae in ihre Gewalt gebracht hatten. Dem neapolitanischen Dux Johannes schrieb er vor, wie er sich dabei zu verhalten habe. Als dies Kastell den Langobarden von jenem griechischen Herzog wieder entrissen worden war, gab ihm der Papst aus dem Kirchenschatz 70 Pfund Gold zur Belohnung. Wie der erste Gregor der Kirche ferne Provinzen erobert hatte, so war auch der zweite gleich siegreich und noch glücklicher. Die einst von jenem bekehrten Angelsachsen wurden jetzt die Missionare Deutschlands; der Papst verlieh dem berühmten Winfried oder Bonifatius die Würde eines deutschen Bischofs und entsandte ihn als apostolischen Legaten in jene noch kulturlosen und waldbedeckten Länder, wo dieser unterwürfigste Diener des Papsttums die Herrschaft der römischen Kirche begründete. So trat Germanien nach langen Jahrhunderten eines dunkeln Lebens seiner kriegerischen Stämme wieder in lebendige Beziehung zu Rom, und diese sollte in die Geschicke der Kirche wie des ganzen Abendlandes machtvoll eingreifen.

Die Zeit war überhaupt im vollen Drange neuer Entwicklungen. Nachdem sich im VII. Jahrhundert der Zusammensturz der antiken Welt vollzogen hatte, begann aus diesem Chaos ein neuer Kontinent emporzusteigen, und ihn hatte die römische Kirche bereits in ihr System gezogen. Indem sie die germanischen Völker in England, Gallien, Spanien und Italien miteinander und den Lateinern durch eine gemeinsame geistliche Ordnung verband, schuf sie ein internationales Völkergebiet im Abendlande, welches sich mit der Zeit wieder als Römisches Reich darstellen konnte. Aber diesem entstehenden Reiche vereinigter Germanen und Lateiner drohte schon damals von Osten her große Gefahr. In seiner jugendlichen Kraft erhob sich der arabische Orient zum Kampf gegen das Abendland; die Mohammedaner bestürmten bereits Konstantinopel; die Sarazenen herrschten im Mittelmeer, bedrohten Italien und Rom und stiegen schon von dem eroberten Spanien in die Provinzen Südgalliens hinab, das Königreich der Franken und mit ihm das Bollwerk der römischen Kirche im Westen zu vernichten. Gerade in diese Stürme fiel ein Ereignis, welches der Stadt Rom wie Italien eine neue Gestalt geben sollte.

Nach zwei militärischen Revolutionen, welche die Kaiser Anastasius und Theodosius gestürzt hatten, war der Isaurier Leo III. am 25. März 717 auf den Thron gelangt. Dieser kraftvolle Mann hatte die Araber von den Mauern Konstantinopels zurückgeworfen und dem Byzantinischen Reich ein neues Leben eingehaucht. Der Ruhm seiner kriegerischen Taten verlor sich mit seiner Zeit, aber der wütende Streit um den Gebrauch oder Mißbrauch von Bildern in den Kirchen, welchen er durch ein Edikt hervorrief, hat den Namen Leos unsterblich gemacht. Die Leidenschaft der Byzantiner für theologische Dinge ergriff auch die einfache Soldatenseele dieses Kaisers, dem man vorgestellt hatte, daß die Verehrung der Bilder in den Kirchen das einzige Hindernis der Bekehrung der Juden und Mohammedaner sei. Leo III. begann den merkwürdigen Versuch einer Reformation der griechischen Kirche, welchen dann seine Nachfolger länger als ein Jahrhundert fortgesetzt haben. Er erhob sich zu dem kühnen Gedanken einer allgemeinen Reinigung des christlichen Kultus von der Götzendienerei, aber diese Herkulesarbeit konnte leider nicht durch Dekrete und Konzile ausgeführt werden. Das laute Hohngeschrei der Mohammedaner, welche in den eroberten Städten Syriens an den machtlosen Heiligenbildern ihren Spott ausließen, und die schadenfrohen Reden der Juden an seinem Hof erfüllten ihn mit Scham. »Die Christen«, so sagten diese Ungläubigen, »welche vorgeben, den wahren Gott anzubeten, haben die Welt mit mehr Götzen erfüllt, als sie einst nach Constantin in den Tempeln der Heiden zerstört hatten; die Bekenner der evangelischen Lehre scheuen sich nicht, Figuren von Metall, Stein und Holz, auf Tücher gemalte Antlitze und die häßlichen Bildnisse unzähliger Wundertäter öffentlich anzubeten. Die römische Welt ist wieder heidnisch geworden, wie sie es vorher gewesen war, und das Christentum ein Kultus von Idolen, während unsere Moscheen und Synagogen mit dem Geist des einen wahren Gottes und dem Gesetze des Propheten allein geschmückt sind.«

Es gab auch griechische Bischöfe, namentlich in Kleinasien, welche die Mißbräuche des Bilderdienstes verabscheuten; sie verglichen den bildlosen Kultus der ersten christlichen Jahrhunderte mit dem ganz entstellten ihrer Gegenwart. Damals waren es die Heiden, die den Christen vorwarfen, daß sie in der Armut ihrer plebejischen Religion weder Tempel noch Altäre noch schöne Statuen besäßen, und es antworteten ihnen jene: »Glaubt ihr etwa, daß wir den Gegenstand unserer Verehrung verbergen, weil wir weder Tempel noch Altäre haben? Was soll ich mir ein Bild von Gott machen, da doch in Wahrheit der Mensch selber das Ebenbild Gottes ist? Warum soll ich einen Tempel bauen, da doch diese ganze Welt, seiner Hände Werk, ihn nicht fassen kann? Und ich, ein Mensch, habe so großen Wohnraum auf ihr, und sollte seine Allmacht in einer kleinen Zelle verschließen? Ist es nicht besser, daß wir Gott in unserem Geist und in der Tiefe unseres Herzens einen Wohnsitz weihen?« Die Zeiten des Minucius Felix waren vorbei, und es kehrten jetzt die Nichtchristen mit scharfem Spott die Frage um. Die Synode zu Illiberis hatte noch im Anfange des IV. Jahrhunderts die Bilder in den Kirchen als gefährlich verboten, aber schon im VI. Säkulum würde ein solcher Beschluß nicht mehr gefaßt worden sein.

Es ist überflüssig zu sagen, daß im Anfange des achten alle christlichen Länder mit Bildern und Figuren des Heilandes, der Jungfrau und der Heiligen erfüllt waren. Bis zum V. Jahrhundert war der Kultus von ihnen frei geblieben und selbst das Bild des Kreuzes erst lange nach Constantin in allgemeinen Gebrauch gekommen; aber seither war die Phantasie des Orients in der bildlichen Darstellung der Heiligen schrankenlos ausgeartet. Wundertätige Bildnisse, Antlitze Christi als Salvator und der Jungfrau Maria, »nicht von Händen gemacht (αχειραποιητος)«, sondern mystische Abdrücke der Originale oder Werke von Engeln oder des Apostels Lukas tauchten in Städten Asiens und Europas auf und zogen viele Pilgerscharen nach solchen Kirchen, welche sich rühmten, im Besitz dieser einträglichen Porträts zu sein.

Das Abendland war dem Orient in diesem Beispiele gefolgt; man hatte die Kirchen sowohl mit Gemälden als mit Figuren der Heiligen schon im VI. Jahrhundert versorgt. Von diesen Einzelbildern sind indes die Abbildungen zu unterscheiden, die man schon früh in Katakomben, auf Triumphbogen und in Tribunen der Basiliken von Christus und den Heiligen machte. Nur eigentliche Martergeschichten vermied man in den Kirchen Roms; in jenen, die uns bisher bekannt geworden sind, findet sich keine einzige Darstellung der Qualen eines Bekenners, wie man solche in viel späterer Zeit machte, als das abgestumpfte Gefühl so greller Reizungsmittel zu bedürfen schien. Weder die Malereien der Katakomben noch die Skulpturen altchristlicher Sarkophage zeigen auch nur eine einzige Abbildung der Passion Christi. Sie stellen den Heiland nur lehrend unter seinen Jüngern oder wundertuend dar. Der Besitz heiliger Leichname ersten Ranges, dessen sich Rom zu erfreuen glaubte, mußte hier selbst die Verehrung wundertätiger Einzelbilder lange entfernt oder beschränkt haben, aber wenn Edessa und Paneas, wenn Jerusalem und andere Städte Asiens sich rühmten, die echten Bildnisse Christi zu besitzen, so durfte Rom hinter ihnen nicht zurückbleiben, und es mag sein, daß das Schweißtuch der Veronika bereits im VII. Jahrhundert öffentlich gezeigt wurde. Zur Zeit Gregors I. behauptete Rom, die wahrhaften Bildnisse Christi, der Jungfrau und beider Apostelfürsten zu besitzen, denn jener Papst schickte einst deren Kopien an den Bischof Secundinus, fühlte sich aber veranlaßt, zu bemerken, daß diese Bilder ihm nicht zur Anbetung, sondern nur zur Erinnerung dienen sollten. Aufgeklärte Bischöfe Galliens sahen die götzendienerischen Mißbräuche mit Unwillen, und sie fürchteten mit Grund, das Christentum werde von der abergläubischen Menge wieder in einen Heidendienst verwandelt werden. Serenus von Marseille entschloß sich eines Tags, einige Heiligenbilder in seiner Kirche zu zerschlagen. Gregor schrieb diesem Bischof: »Dein Eifer, zu verhindern, daß Werke der Menschenbände angebetet werden, ist löblich, aber mein Urteil lautet dahin, daß du unrecht tatest, jene Bilder zu zerstören. Denn die Malerei wird deshalb in den Kirchen angewendet, damit diejenigen, welche des Lesens unkundig sind, wenigstens in den Wandgemälden schauen sollen, was sie in den Schriften nicht verstehen können.« Dies waren Gregors Ansichten von dem zu gestattenden Gebrauch der Bilder, und die Päpste, welche diesen verfochten, durften sich auf ihn berufen. Doch die Menge teilte diese mäßigen Grundsätze nicht, sondern ihre blinde Verehrung nahm den Charakter unmittelbarer Anbetung des im Bilde Dargestellten an. Unzählige Künstler und größtenteils Mönche in den Klöstern beschäftigten sich mit der fabrikmäßigen Anfertigung von Heiligenbildern, und die Kirchen, welche im Besitz besonders wundertätiger Bildnisse waren, zogen aus ihnen ansehnliche Einkünfte. Die gemalten Darstellungen überwogen diejenigen der Bildhauerkunst, welche teils wegen des Abscheues der ersten Christen vor Statuen, teils aus andern Gründen hinter der Malerei zurückgeblieben war. Aber wenn auch in Rom am Anfange des VIII. Jahrhunderts noch nicht hölzerne Figuren in Prozession umhergetragen werden mochten, so gab es doch goldene, silberne und eherne Statuen des Erlösers, der Jungfrau und der Apostel genug in den Kirchen, und wohl schon seit dem V. Jahrhundert thronte die berühmte Bronzefigur des St. Petrus im Atrium seiner Basilika und bot schon damals ihren Fuß dem Kusse der Verehrenden dar, ähnlich dem berühmten ehernen Herkules im Tempel zu Agrigent, von welchem Cicero erzählt, daß die inbrünstigen Küsse der Andächtigen sein Kinn glattgeschliffen hatten.

Wir haben von der berühmten Statue des Apostels schon in der Geschichte Leos I. gesprochen und rufen sie hier wieder ins Gedächtnis zurück, weil der bilderstürmende Kaiser diese Figur ausdrücklich als den Gegenstand seines Hasses, der Papst Gregor II. aber als den der eifersüchtigsten Liebe Roms bezeichnete. Dies bronzene Bildwerk, welches damals im Kloster des heiligen Martin neben der Basilika St. Peters aufgestellt war, wurde von den christlichen Römern mit derselben Andacht als Palladium ihrer Stadt geehrt, mit der einst ihre heidnischen Vorfahren die Statue der Victoria geehrt hatten. Es stellt den sitzenden Apostel mit zum Segen erhobener Rechten dar, während er in der Linken die Schlüssel trägt. Es ist ungewissen Ursprungs, doch alt, von energischer Form und guter Gewandung. Wenn auch nicht geglaubt werden kann, daß diese Statue aus dem Erz des Kapitolischen Jupiter gegossen war, oder wenn es mehr als zweifelhaft ist, daß sie nur eine veränderte Figur irgendeines Imperators oder Konsuls sei, so ist doch ihr Stil nicht byzantinisch, sondern eher antik und so gut wie jener der Skulpturen auf den besten christlichen Sarkophagen oder der Marmorstatue des heiligen Hippolytus, die heute im christlichen Museum des Lateran gesehen wird.

Die Darstellung des Apostelfürsten, mit kurzem wolligem Haar und rundgeschorenem Bart, im Gegensatz zu St. Paul, dem man schlichtes Haar und einen langen Bart gab, ist als Typus durch diese berühmte vatikanische Figur zwar nicht erst geschaffen, aber doch befestigt worden.


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